Zivilrecht

Kaufrecht

Verbrauchsgüterkauf

Unwirksame negative Beschaffenheitsvereinbarung bei Verbrauchsgüterkauf, § 476 Abs. 1 S. 2 BGB

Unwirksame negative Beschaffenheitsvereinbarung bei Verbrauchsgüterkauf, § 476 Abs. 1 S. 2 BGB

21. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

K kauft von ihrer lokalen Fahrradhändlerin V ein Fahrrad. Beim Abschluss des Kaufvertrags vereinbaren sie mündlich, dass die Bremsen des Fahrrads defekt sind und eigenhändig von K ausgetauscht werden müssten, damit das Fahrrad betriebsbereit ist.

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Einordnung des Falls

Unwirksame negative Beschaffenheitsvereinbarung bei Verbrauchsgüterkauf, § 476 Abs. 1 S. 2 BGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das Fahrrad ist mangelhaft, wenn es bei Gefahrübergang von der„vereinbarten Beschaffenheit“ abweicht (§ 434 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB)?

Ja, in der Tat!

Eine Kaufsache muss den subjektiven Anforderungen entsprechen (§ 434 Abs. 1 BGB). Hierzu gehört die vereinbarte Beschaffenheit (§ 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB). Beschaffenheit meint natürliche (physische) Eigenschaften der Sache, aber auch deren tatsächliche, wirtschaftliche, soziale und rechtliche Beziehungen zur Umwelt, sofern sie nach der Verkehrsanschauung für die Brauchbarkeit oder den Wert der Sache bedeutsam sind. Eine Beschaffenheitsvereinbarung liegt insbesondere vor, wenn der Verkäufer bei Vertragsschluss die Eigenschaften der verkauften Sache in einer bestimmten Weise umschreibt.§ 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB n.F. entspricht dem bis zum 31.12.2021 geltenden § 434 Abs. 1 S. 1 BGB a.F.
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2. Parteien können die Beschaffenheit nicht nur positiv vereinbaren, sondern auch regeln, dass einer Sache bestimmte Eigenschaften fehlen (negative Beschaffenheitsvereinbarung).

Ja!

Die Parteien können die Beschaffenheit sowohl positiv (Bestehen bestimmter Eigenschaften) als auch negativ (Fehlen bestimmter Eigenschaften) vereinbaren. Haben die Parteien das Fehlen von Eigenschaften vereinbart, so ist es unerheblich, dass die Sache insoweit nicht den objektiven Anforderungen entspricht. Denn aus § 434 Abs. 3 S. 1 BGB ergibt sich, dass die Sache sich an den objektiven Anforderungen nur zu messen hat, soweit nicht etwas anderes wirksam vereinbart wurde.Trotz des in § 434 Abs. 1 BGB normierten Gleichrangs der objektiven und subjektiven Anforderungen, geht im Ergebnis - wie auch nach dem alten Recht - die subjektive Vereinbarung vor.

3. K und V haben mit der mündlichen Abrede wirksam eine negative Beschaffenheit des Fahrrades vereinbart.

Nein, das ist nicht der Fall!

Bei einem Verbrauchsgüterkauf (Unternehmer-Verbraucher) muss die Beschaffenheitsvereinbarung den Anforderungen des § 476 Abs. 1 S. 2 BGB genügen. Danach bedarf es insbesondere einer ausdrücklichen und gesonderten Vereinbarung. Ob die Vereinbarung mündlich erfolgen kann, lässt der Wortlaut der Norm offen. Dafür, dass zumindest Textform erforderlich ist, spricht der systematische Vergleich zu § 309 Nr. 13 BGB, der identisch formuliert ist. Mit Blick auf die Warnfunktion der Norm (Telos) wird dort zumindest Textform verlangt. K ist Verbraucherin (§ 13 BGB) und kauft bei Unternehmerin V (§ 14 BGB) eine bewegliche Sache und damit eine Ware. Ein Verbrauchsgüterkauf liegt somit vor (§ 474 Abs. 1 S. 1 BGB). Eine mündliche Beschaffenheitsvereinbarung ist somit nicht möglich (a.A. vertretbar).

4. Das Fahrrad eignet sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung.

Ja, in der Tat!

Vertraglich vorausgesetzt ist die nicht vereinbarte, aber beiderseits unterstellte konkrete Verwendung der Kaufsache, die von der gewöhnlichen Verwendung abweichen kann. Die vom Vertrag vorausgesetzte Verwendung ist also, dass das Fahrrad nach der Nachrüstung der Bremse fahrtüchtig ist. Mangels entgegenstehender Angaben im Sachverhalt ist davon auszugehen, dass dies der Fall ist.

5. Die subjektiven Anforderungen an das Fahrrad sind erfüllt (§ 434 Abs. 2 BGB).

Ja!

Die subjektiven Anforderungen ergeben sich im Einzelnen aus § 434 Abs. 2 BGB. Die Sache muss die vereinbarte Beschaffenheit aufweisen (Nr. 1) und sich für die vom Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignen (Nr. 2). Zuletzt muss sie mit dem vereinbarten Zubehör und den vereinbarten Anleitungen, einschließlich Montage- und Installationsanleitungen übergeben werden (Nr. 3).Eine wirksame Vereinbarung über die Beschaffenheit liegt nicht vor. Das Fahrrad entspricht aber der nach dem Vertrag vorausgesetzten Verwendung. Anhaltspunkte für Zubehör bzw. Anleitungen ergeben sich nicht aus dem Sachverhalt. Somit sind alle subjektiven Anforderungen des § 434 Abs. 2 BGB erfüllt.

6. Da K und V mündlich vereinbart haben, dass die defekten Bremsen von K zu reparieren sind, kommt es insofen nicht auf die objektiven Anforderungen an.

Nein, das ist nicht der Fall!

Haben die Partei abweichend von den in § 434 Abs. 3 BGB normierten objektiven Anforderungen wirksam eine bestimmte (negative) Beschaffenheit vereinbart, so kommt es diesbezüglich auf die objektiven Anforderungen nicht mehr an.K und V haben die Vereinbarung lediglich mündlich geschlossen haben. Da es sich um einen Verbrauchsgüterkauf handelt, verstößt dies gegen die in § 476 Abs. 1 S. 2 BGB normierten Anforderungen.

7. Das Fahrrad genügt den objektiven Anforderungen, wenn alle objektiven Anforderungen kumulativ vorliegen.

Ja, in der Tat!

Nach § 434 Abs. 1 BGB muss die Kaufsache den objektiven Anforderungen genügen. Die objektiven Anforderungen ergeben sich im Einzelnen aus § 434 Abs. 3 BGB. Die Sache muss sich für die gewöhnliche Verwendung eignen (Nr. 1). Eine nicht abschließende Aufzählung, welche Merkmale dazu gehören, enthält § 434 Abs. 3 S. 2 BGB. Die Sache muss weiter die Beschaffenheit aufweisen, die bei Sachen derselben Art üblich ist und die der Käufer erwarten kann (Nr. 2). Die Beschaffenheit muss Proben oder Mustern entsprechen, die der Verkäufer vor Vertragsschluss zur Verfügung gestellt hat (Nr. 3). Die Sache muss mit Zubehör, Verpackung, und Anleitungen übergeben worden sein, deren Erhalt der Käufer erwarten kann (Nr. 4).§ 434 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, 2 BGB entspricht § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, S. 3 BGB a.F.

8. Das Fahrrad eignet sich für die gewöhnliche Verwendung (§ 434 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB).

Nein!

Die gewöhnliche Verwendung ist aus der Art der Sache abzuleiten und aus den Verkehrskreisen denen der Käufer angehört. Maßgeblich ist insofern der Erwartungshorizont eines Durchschnittskäufers. Ein Durchschnittskäufer geht bei dem Kauf eines Fahrrads davon aus, dass dieses auch fahrtüchtig ist, also unter anderem auch funktionstüchtige Bremsen hat. Ein Fahrrad ohne Bremsen eignet sich nicht für die gewöhnliche Verwendung.

9. Das Fahrrad weist eine Beschaffenheit auf, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die K nach der Art der Sache erwarten kann (§ 434 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Beschaffenheit muss bei Sachen der gleichen Art üblich sein. Welche Beschaffenheit der Käufer erwarten kann, bestimmt sich nach dem Erwartungshorizont eines Durchschnittskäufers. Üblicherweise geht ein Durchschnittskäufer auch davon aus, dass wenn er ein Fahrrad neu kauft, dieses auch funktionstüchtig ist. Dieser Gedanke gilt insbesondere auch mit Blick darauf, dass der Käufer das Fahrrad in einem Fahrradladen gekauft hat und nicht etwa auf einer Online-Plattform für gebrauchte Fahrräder. Das Fahrrad weist also nicht die übliche Beschaffenheit auf.

10. Das Fahrrad ist mangelhaft.

Ja, in der Tat!

Die Sache ist frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang den subjektiven Anforderungen, den objektiven Anforderungen und den Montageanforderungen entspricht (§ 434 Abs. 1 BGB). Die subjektiven Anforderungen, denen das Fahrrad zu genügen hat, wurden nicht wirksam vereinbart. Der in § 434 Abs. 3 S. 1 BGB vorgeschriebene Vorrang der Individualabrede kann deshalb nicht greifen. Das Fahrrad eignet sich nicht für die gewöhnliche Verwendung (§ 434 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB) und weist nicht die übliche Beschaffenheit auf (§ 434 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BGB). Damit entspricht es nicht den objektiven Anforderungen und ist somit mangelhaft (§ 434 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 Nr. 1, 2 BGB).

11. Die Mängelrechte der K sind ausgeschlossen, da sie von dem Mangel wusste (§ 442 BGB).

Nein!

In § 475 Abs. 3 S. 2 BGB wurde nun ergänzt, dass § 442 BGB nicht anwendbar ist auf den Verbrauchsgüterkauf. Dies hat den Zweck, dass bei Anwendung des § 442 BGB der neu geschaffene Schutz des Verbrauchers durch die Anforderungen an die Beschaffenheitsvereinbarung sonst unterlaufen werden würden.
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