Unwirksame negative Beschaffenheitsvereinbarung bei Verbrauchsgüterkauf, § 476 Abs. 1 S. 2 BGB
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K kauft von ihrer lokalen Fahrradhändlerin V ein Fahrrad. Beim Abschluss des Kaufvertrags vereinbaren sie mündlich, dass die Bremsen des Fahrrads defekt sind und eigenhändig von K ausgetauscht werden müssten, damit das Fahrrad betriebsbereit ist.
Einordnung des Falls
Unwirksame negative Beschaffenheitsvereinbarung bei Verbrauchsgüterkauf, § 476 Abs. 1 S. 2 BGB
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Das Fahrrad ist mangelhaft, wenn es bei Gefahrübergang von der„vereinbarten Beschaffenheit“ abweicht (§ 434 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB)?
Ja, in der Tat!
2. Parteien können die Beschaffenheit nicht nur positiv vereinbaren, sondern auch regeln, dass einer Sache bestimmte Eigenschaften fehlen (negative Beschaffenheitsvereinbarung).
Ja!
3. K und V haben mit der mündlichen Abrede wirksam eine negative Beschaffenheit des Fahrrades vereinbart.
Nein, das ist nicht der Fall!
4. Das Fahrrad eignet sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung.
Ja, in der Tat!
5. Die subjektiven Anforderungen an das Fahrrad sind erfüllt (§ 434 Abs. 2 BGB).
Ja!
6. Da K und V mündlich vereinbart haben, dass die defekten Bremsen von K zu reparieren sind, kommt es insofen nicht auf die objektiven Anforderungen an.
Nein, das ist nicht der Fall!
7. Das Fahrrad genügt den objektiven Anforderungen, wenn alle objektiven Anforderungen kumulativ vorliegen.
Ja, in der Tat!
8. Das Fahrrad eignet sich für die gewöhnliche Verwendung (§ 434 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB).
Nein!
9. Das Fahrrad weist eine Beschaffenheit auf, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die K nach der Art der Sache erwarten kann (§ 434 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BGB).
Nein, das ist nicht der Fall!
10. Das Fahrrad ist mangelhaft.
Ja, in der Tat!
11. Die Mängelrechte der K sind ausgeschlossen, da sie von dem Mangel wusste (§ 442 BGB).
Nein!
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Daniel
26.1.2022, 22:25:09
Wieso soll sich aus § 467 I 2 BGB ergeben, dass mündliche
negative Beschaffenheitsvereinbarungen nicht mehr möglich seien? Das müsste zumindest problematisiert werden. Lorenz etwa kann daraus lediglich eine Pflicht zur (formlosen) ausdrücklichen (im Unterschied zur konkludenten) und gesonderten (im Unterschied zu in einer Reihe anderer Vereinbarungen "untergehenden") Vereinbarung erkennen. Wilke etwa dagegen hält in der Regel Textform für erforderlich. Einfach als gegeben hinstellen scheint man einen Ausschluss der mündlichen Vereinbarung jedenfalls (noch?) nicht zu können.
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Lukas_Mengestu
28.1.2022, 16:37:42
Super Hinweis, Daniel. In der Tat spricht der Wortlaut der Norm erst einmal nur von "Vereinbarung". Ob diese mündlich, in Textform oder schriftlich zu erfolgen hat, wird hieraus nicht klar. Die Warenkaufrichtlinie hilft ebenfalls nur bedingt weiter. Hier heißt es, dass der Verbraucher ausdrücklich und gesondert "zugestimmt" haben muss (Art. 7 Abs. 5 WKRL). Schaut man in die dahinterstehenden Erwägungen, wird es auch nur bedingt klarer. Erwägungsgrund 34 der WKRL macht deutlich, dass einerseits den Parteien weiterhin möglich sein soll von den objektiven Anforderungen abzuweichen. Voraussetzung hierfür sei aber "aktive und eindeutige Zustimmung" des Verbrauchers. Auch die deutsche Gesetzesbegründung (BT Drs. 19/27424, S. 42) ist nicht viel aufschlussreicher.
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Lukas_Mengestu
28.1.2022, 16:44:52
Hier wird vor allem auf die Vorabinformation ("eigens") bzw. die Kriterien "gesondert" und "ausdrücklich" eingegangen. Ob die gesonderte und ausdrückliche Vereinbarung auch mündlich erfolgen kann, lässt sich den Ausführungen nicht entnehmen. Die gewählten Beispiele (Onlinehandel) bzw. Vertragsunterlagen könnten aber indizieren, dass dem Gesetzgeber bei der Umsetzung primär
Beschaffenheitsvereinbarungenin Textform vorgeschwebt haben.
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Lukas_Mengestu
28.1.2022, 16:50:11
Während also die Wortlautauslegung und die genetische Auslegung keine eindeutigen Ergebnisse bringt, spricht der systematische Vergleich mit § 309 Nr. 11 BGB dafür, hier zumindest Textform zu verlangen (so auch Wilke). § 309 Nr. 11 BGB ist identisch formuliert und hier ist anerkannt, dass die Warnfunktion der Vorschrift nur dadurch gewahrt wird, dass die Vereinbarung (mindestens) in Textform erfolgt (zB Weiler, in: BeckOGK, 1.9.2021, § 309 Nr. 11 RdNr. 74 f.). Lorenz Ausführungen (NJW 2021, 2065) stehen dem nicht entgegen. Insbesondere spricht er sich lediglich dagegen aus, dass "Schriftform" verlangt wird. Wir haben das in der Aufgabe nun etwas deutlicher hervorgehoben. Aufgrund des offenen Wortlauts ist eine aA hier natürlich gut vertretbar. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Daniel
28.1.2022, 21:12:36
Danke für die ausführliche Antwort!
Juratiopharm
13.4.2024, 12:26:05
Das kann man auch anders sehen (etwa BeckOGK/Augenhofer BGB § 476 Rn. 36 oder Jauernig/Berger BGB § 476 Rn. 8 oder BeckOK BGB/Faust BGB § 476 Rn. 28) und das Kernargument für die Schriftform in § 309 Nr. 11 bBG aus dem BeckOGK, also dass eine "schwer vorstellbar ist, wie eine mündliche Erklärung gesondert abgegebenen werden kann" erscheint mir jedenfalls nicht zwingend. Für § 476 eine Textform zu verlangen, scheint mir eine Mindermeinung zu sein.
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Steinfan
15.4.2024, 13:59:43
Die Definition zur “nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung” müsste angepasst/ergänzt werden. Siehe dazu BeckOK BGB/Faust, 69. Ed. 1.2.2024, BGB § 434 Rn. 52-57: “Im Rahmen von § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 aF war umstritten, ob die vertraglich vorausgesetzte Verwendung vertraglich vereinbart sein muss, oder ob es genügt, wenn die Parteien sie übereinstimmend unterstellt haben. Nach den Materialien zur Schuldrechtsreform sollte die Frage offen gelassen werden. Der BGH hat sie in letzterem Sinn beantwortet und deshalb angenommen, dass bei formbedürftigen Verträgen die Form nicht gewahrt werden muss. Dadurch entstand ein grober Wertungswiderspruch zur Beschaffenheitsvereinbarung: die Vereinbarung einer Beschaffenheit unterlag dem Formzwang, die Festlegung einer Verwendung, für die die Kaufsache geeignet sein muss, dagegen nicht. Nach der Neuregelung ist die Ansicht des BGH nicht mehr vertretbar. Zwar spricht der Wortlaut nach wie vor von der nach dem Vertrag vorausgesetzten Verwendung. Doch setzt die Norm Art. 6 lit. b Warenkauf-RL um, wo es heißt, der Verbraucher müsse dem Verkäufer den betreffenden Zweck spätestens bei Abschluss des Kaufvertrags zur Kenntnis gebracht und der Verkäufer müsse ihm zugestimmt haben. Die RL setzt also eine Zustimmung des Verkäufers und damit eine vertragliche Vereinbarung voraus, die bei formbedürftigen Verträgen dem Formzwang unterliegt.”
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Steinfan
15.4.2024, 14:06:37
Mir fehlt hier die Subsumtion unter das Tatbestandsmerkmal “Vor Mitteilung eines Mangels” in § 476 BGB. Übersehe ich etwas? Siehe hierzu auch BeckOGK/Augenhofer, 15.1.2024, BGB § 476 Rn. 26: “Die Rechte des Verbrauchers einschränkende Vereinbarungen NACH MITTEILUNG des Mangels sind in Bezug auf diesen möglich.”