Unwirksame negative Beschaffenheitsvereinbarung bei Verbrauchsgüterkauf, § 476 Abs. 1 S. 2 BGB


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Klassisches Klausurproblem

K kauft von ihrer lokalen Fahrradhändlerin V ein Fahrrad. Beim Abschluss des Kaufvertrags vereinbaren sie mündlich, dass die Bremsen des Fahrrads defekt sind und eigenhändig von K ausgetauscht werden müssten, damit das Fahrrad betriebsbereit ist.

Einordnung des Falls

Unwirksame negative Beschaffenheitsvereinbarung bei Verbrauchsgüterkauf, § 476 Abs. 1 S. 2 BGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das Fahrrad ist mangelhaft, wenn es bei Gefahrübergang von der„vereinbarten Beschaffenheit“ abweicht (§ 434 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB)?

Ja, in der Tat!

Eine Kaufsache muss den subjektiven Anforderungen entsprechen (§ 434 Abs. 1 BGB). Hierzu gehört die vereinbarte Beschaffenheit (§ 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB). Beschaffenheit meint natürliche (physische) Eigenschaften der Sache, aber auch deren tatsächliche, wirtschaftliche, soziale und rechtliche Beziehungen zur Umwelt, sofern sie nach der Verkehrsanschauung für die Brauchbarkeit oder den Wert der Sache bedeutsam sind. Eine Beschaffenheitsvereinbarung liegt insbesondere vor, wenn der Verkäufer bei Vertragsschluss die Eigenschaften der verkauften Sache in einer bestimmten Weise umschreibt.§ 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB n.F. entspricht dem bis zum 31.12.2021 geltenden § 434 Abs. 1 S. 1 BGB a.F.

2. Parteien können die Beschaffenheit nicht nur positiv vereinbaren, sondern auch regeln, dass einer Sache bestimmte Eigenschaften fehlen (negative Beschaffenheitsvereinbarung).

Ja!

Die Parteien können die Beschaffenheit sowohl positiv (Bestehen bestimmter Eigenschaften) als auch negativ (Fehlen bestimmter Eigenschaften) vereinbaren. Haben die Parteien das Fehlen von Eigenschaften vereinbart, so ist es unerheblich, dass die Sache insoweit nicht den objektiven Anforderungen entspricht. Denn aus § 434 Abs. 3 S. 1 BGB ergibt sich, dass die Sache sich an den objektiven Anforderungen nur zu messen hat, soweit nicht etwas anderes wirksam vereinbart wurde.Trotz des in § 434 Abs. 1 BGB normierten Gleichrangs der objektiven und subjektiven Anforderungen, geht im Ergebnis - wie auch nach dem alten Recht - die subjektive Vereinbarung vor.

3. K und V haben mit der mündlichen Abrede wirksam eine negative Beschaffenheit des Fahrrades vereinbart.

Nein, das ist nicht der Fall!

Bei einem Verbrauchsgüterkauf (Unternehmer-Verbraucher) muss die Beschaffenheitsvereinbarung den Anforderungen des § 476 Abs. 1 S. 2 BGB genügen. Danach bedarf es insbesondere einer ausdrücklichen und gesonderten Vereinbarung. Ob die Vereinbarung mündlich erfolgen kann, lässt der Wortlaut der Norm offen. Dafür, dass zumindest Textform erforderlich ist, spricht der systematische Vergleich zu § 309 Nr. 13 BGB, der identisch formuliert ist. Mit Blick auf die Warnfunktion der Norm (Telos) wird dort zumindest Textform verlangt. K ist Verbraucherin (§ 13 BGB) und kauft bei Unternehmerin V (§ 14 BGB) eine bewegliche Sache und damit eine Ware. Ein Verbrauchsgüterkauf liegt somit vor (§ 474 Abs. 1 S. 1 BGB). Eine mündliche Beschaffenheitsvereinbarung ist somit nicht möglich (a.A. vertretbar).

4. Das Fahrrad eignet sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung.

Ja, in der Tat!

Vertraglich vorausgesetzt ist die nicht vereinbarte, aber beiderseits unterstellte konkrete Verwendung der Kaufsache, die von der gewöhnlichen Verwendung abweichen kann. Die vom Vertrag vorausgesetzte Verwendung ist also, dass das Fahrrad nach der Nachrüstung der Bremse fahrtüchtig ist. Mangels entgegenstehender Angaben im Sachverhalt ist davon auszugehen, dass dies der Fall ist.

5. Die subjektiven Anforderungen an das Fahrrad sind erfüllt (§ 434 Abs. 2 BGB).

Ja!

Die subjektiven Anforderungen ergeben sich im Einzelnen aus § 434 Abs. 2 BGB. Die Sache muss die vereinbarte Beschaffenheit aufweisen (Nr. 1) und sich für die vom Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignen (Nr. 2). Zuletzt muss sie mit dem vereinbarten Zubehör und den vereinbarten Anleitungen, einschließlich Montage- und Installationsanleitungen übergeben werden (Nr. 3).Eine wirksame Vereinbarung über die Beschaffenheit liegt nicht vor. Das Fahrrad entspricht aber der nach dem Vertrag vorausgesetzten Verwendung. Anhaltspunkte für Zubehör bzw. Anleitungen ergeben sich nicht aus dem Sachverhalt. Somit sind alle subjektiven Anforderungen des § 434 Abs. 2 BGB erfüllt.

6. Da K und V mündlich vereinbart haben, dass die defekten Bremsen von K zu reparieren sind, kommt es insofen nicht auf die objektiven Anforderungen an.

Nein, das ist nicht der Fall!

Haben die Partei abweichend von den in § 434 Abs. 3 BGB normierten objektiven Anforderungen wirksam eine bestimmte (negative) Beschaffenheit vereinbart, so kommt es diesbezüglich auf die objektiven Anforderungen nicht mehr an.K und V haben die Vereinbarung lediglich mündlich geschlossen haben. Da es sich um einen Verbrauchsgüterkauf handelt, verstößt dies gegen die in § 476 Abs. 1 S. 2 BGB normierten Anforderungen.

7. Das Fahrrad genügt den objektiven Anforderungen, wenn alle objektiven Anforderungen kumulativ vorliegen.

Ja, in der Tat!

Nach § 434 Abs. 1 BGB muss die Kaufsache den objektiven Anforderungen genügen. Die objektiven Anforderungen ergeben sich im Einzelnen aus § 434 Abs. 3 BGB. Die Sache muss sich für die gewöhnliche Verwendung eignen (Nr. 1). Eine nicht abschließende Aufzählung, welche Merkmale dazu gehören, enthält § 434 Abs. 3 S. 2 BGB. Die Sache muss weiter die Beschaffenheit aufweisen, die bei Sachen derselben Art üblich ist und die der Käufer erwarten kann (Nr. 2). Die Beschaffenheit muss Proben oder Mustern entsprechen, die der Verkäufer vor Vertragsschluss zur Verfügung gestellt hat (Nr. 3). Die Sache muss mit Zubehör, Verpackung, und Anleitungen übergeben worden sein, deren Erhalt der Käufer erwarten kann (Nr. 4).§ 434 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, 2 BGB entspricht § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, S. 3 BGB a.F.

8. Das Fahrrad eignet sich für die gewöhnliche Verwendung (§ 434 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB).

Nein!

Die gewöhnliche Verwendung ist aus der Art der Sache abzuleiten und aus den Verkehrskreisen denen der Käufer angehört. Maßgeblich ist insofern der Erwartungshorizont eines Durchschnittskäufers. Ein Durchschnittskäufer geht bei dem Kauf eines Fahrrads davon aus, dass dieses auch fahrtüchtig ist, also unter anderem auch funktionstüchtige Bremsen hat. Ein Fahrrad ohne Bremsen eignet sich nicht für die gewöhnliche Verwendung.

9. Das Fahrrad weist eine Beschaffenheit auf, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die K nach der Art der Sache erwarten kann (§ 434 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Beschaffenheit muss bei Sachen der gleichen Art üblich sein. Welche Beschaffenheit der Käufer erwarten kann, bestimmt sich nach dem Erwartungshorizont eines Durchschnittskäufers. Üblicherweise geht ein Durchschnittskäufer auch davon aus, dass wenn er ein Fahrrad neu kauft, dieses auch funktionstüchtig ist. Dieser Gedanke gilt insbesondere auch mit Blick darauf, dass der Käufer das Fahrrad in einem Fahrradladen gekauft hat und nicht etwa auf einer Online-Plattform für gebrauchte Fahrräder. Das Fahrrad weist also nicht die übliche Beschaffenheit auf.

10. Das Fahrrad ist mangelhaft.

Ja, in der Tat!

Die Sache ist frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang den subjektiven Anforderungen, den objektiven Anforderungen und den Montageanforderungen entspricht (§ 434 Abs. 1 BGB). Die subjektiven Anforderungen, denen das Fahrrad zu genügen hat, wurden nicht wirksam vereinbart. Der in § 434 Abs. 3 S. 1 BGB vorgeschriebene Vorrang der Individualabrede kann deshalb nicht greifen. Das Fahrrad eignet sich nicht für die gewöhnliche Verwendung (§ 434 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB) und weist nicht die übliche Beschaffenheit auf (§ 434 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BGB). Damit entspricht es nicht den objektiven Anforderungen und ist somit mangelhaft (§ 434 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 Nr. 1, 2 BGB).

11. Die Mängelrechte der K sind ausgeschlossen, da sie von dem Mangel wusste (§ 442 BGB).

Nein!

In § 475 Abs. 3 S. 2 BGB wurde nun ergänzt, dass § 442 BGB nicht anwendbar ist auf den Verbrauchsgüterkauf. Dies hat den Zweck, dass bei Anwendung des § 442 BGB der neu geschaffene Schutz des Verbrauchers durch die Anforderungen an die Beschaffenheitsvereinbarung sonst unterlaufen werden würden.

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DAN

Daniel

26.1.2022, 22:25:09

Wieso soll sich aus § 467 I 2 BGB ergeben, dass mündliche

negative Beschaffenheitsvereinbarung

en nicht mehr möglich seien? Das müsste zumindest problematisiert werden. Lorenz etwa kann daraus lediglich eine Pflicht zur (formlosen) ausdrücklichen (im Unterschied zur konkludenten) und gesonderten (im Unterschied zu in einer Reihe anderer Vereinbarungen "untergehenden") Vereinbarung erkennen. Wilke etwa dagegen hält in der Regel Textform für erforderlich. Einfach als gegeben hinstellen scheint man einen Ausschluss der mündlichen Vereinbarung jedenfalls (noch?) nicht zu können.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

28.1.2022, 16:37:42

Super Hinweis, Daniel. In der Tat spricht der Wortlaut der Norm erst einmal nur von "Vereinbarung". Ob diese mündlich, in Textform oder schriftlich zu erfolgen hat, wird hieraus nicht klar. Die Warenkaufrichtlinie hilft ebenfalls nur bedingt weiter. Hier heißt es, dass der Verbraucher ausdrücklich und gesondert "zugestimmt" haben muss (Art. 7 Abs. 5 WKRL). Schaut man in die dahinterstehenden Erwägungen, wird es auch nur bedingt klarer. Erwägungsgrund 34 der WKRL macht deutlich, dass einerseits den Parteien weiterhin möglich sein soll von den objektiven Anforderungen abzuweichen. Voraussetzung hierfür sei aber "aktive und eindeutige Zustimmung" des Verbrauchers. Auch die deutsche Gesetzesbegründung (BT Drs. 19/27424, S. 42) ist nicht viel aufschlussreicher.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

28.1.2022, 16:44:52

Hier wird vor allem auf die Vorabinformation ("eigens") bzw. die Kriterien "gesondert" und "ausdrücklich" eingegangen. Ob die gesonderte und ausdrückliche Vereinbarung auch mündlich erfolgen kann, lässt sich den Ausführungen nicht entnehmen. Die gewählten Beispiele (Onlinehandel) bzw. Vertragsunterlagen könnten aber indizieren, dass dem Gesetzgeber bei der Umsetzung primär

Beschaffenheitsvereinbarungen

in Textform vorgeschwebt haben.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

28.1.2022, 16:50:11

Während also die Wortlautauslegung und die genetische Auslegung keine eindeutigen Ergebnisse bringt, spricht der systematische Vergleich mit § 309 Nr. 11 BGB dafür, hier zumindest Textform zu verlangen (so auch Wilke). § 309 Nr. 11 BGB ist identisch formuliert und hier ist anerkannt, dass die Warnfunktion der Vorschrift nur dadurch gewahrt wird, dass die Vereinbarung (mindestens) in Textform erfolgt (zB Weiler, in: BeckOGK, 1.9.2021, § 309 Nr. 11 RdNr. 74 f.). Lorenz Ausführungen (NJW 2021, 2065) stehen dem nicht entgegen. Insbesondere spricht er sich lediglich dagegen aus, dass "Schriftform" verlangt wird. Wir haben das in der Aufgabe nun etwas deutlicher hervorgehoben. Aufgrund des offenen Wortlauts ist eine aA hier natürlich gut vertretbar. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

DAN

Daniel

28.1.2022, 21:12:36

Danke für die ausführliche Antwort!

Juratiopharm

Juratiopharm

13.4.2024, 12:26:05

Das kann man auch anders sehen (etwa BeckOGK/Augenhofer BGB § 476 Rn. 36 oder Jauernig/Berger BGB § 476 Rn. 8 oder BeckOK BGB/Faust BGB § 476 Rn. 28) und das Kernargument für die Schriftform in § 309 Nr. 11 bBG aus dem BeckOGK, also dass eine "schwer vorstellbar ist, wie eine mündliche Erklärung gesondert abgegebenen werden kann" erscheint mir jedenfalls nicht zwingend. Für § 476 eine Textform zu verlangen, scheint mir eine Mindermeinung zu sein.

Steinfan

Steinfan

15.4.2024, 13:59:43

Die Definition zur “nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung” müsste angepasst/ergänzt werden. Siehe dazu BeckOK BGB/Faust, 69. Ed. 1.2.2024, BGB § 434 Rn. 52-57: “Im Rahmen von § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 aF war umstritten, ob die vertraglich vorausgesetzte Verwendung vertraglich vereinbart sein muss, oder ob es genügt, wenn die Parteien sie übereinstimmend unterstellt haben. Nach den Materialien zur Schuldrechtsreform sollte die Frage offen gelassen werden. Der BGH hat sie in letzterem Sinn beantwortet und deshalb angenommen, dass bei formbedürftigen Verträgen die Form nicht gewahrt werden muss. Dadurch entstand ein grober Wertungswiderspruch zur Beschaffenheitsvereinbarung: die Vereinbarung einer Beschaffenheit unterlag dem Formzwang, die Festlegung einer Verwendung, für die die Kaufsache geeignet sein muss, dagegen nicht. Nach der Neuregelung ist die Ansicht des BGH nicht mehr vertretbar. Zwar spricht der Wortlaut nach wie vor von der nach dem Vertrag vorausgesetzten Verwendung. Doch setzt die Norm Art. 6 lit. b Warenkauf-RL um, wo es heißt, der Verbraucher müsse dem Verkäufer den betreffenden Zweck spätestens bei Abschluss des Kaufvertrags zur Kenntnis gebracht und der Verkäufer müsse ihm zugestimmt haben. Die RL setzt also eine Zustimmung des Verkäufers und damit eine vertragliche Vereinbarung voraus, die bei formbedürftigen Verträgen dem Formzwang unterliegt.”

Steinfan

Steinfan

15.4.2024, 14:06:37

Mir fehlt hier die Subsumtion unter das Tatbestandsmerkmal “Vor Mitteilung eines Mangels” in § 476 BGB. Übersehe ich etwas? Siehe hierzu auch BeckOGK/Augenhofer, 15.1.2024, BGB § 476 Rn. 26: “Die Rechte des Verbrauchers einschränkende Vereinbarungen NACH MITTEILUNG des Mangels sind in Bezug auf diesen möglich.”


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