Zivilrecht
Kaufrecht
Sach- und Rechtsmängel
§ 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB - Negative Beschaffenheitsvereinbarung
§ 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB - Negative Beschaffenheitsvereinbarung
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Anwältin A kauft für ihre Kanzlei von Händlerin H ein Dienstfahrrad. Beim Abschluss des Kaufvertrags vereinbaren sie mündlich, dass die Bremsen des Fahrrads defekt sind und eigenhändig von A ausgetauscht werden müssten, damit das Fahrrad betriebsbereit ist.
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Einordnung des Falls
§ 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB - Negative Beschaffenheitsvereinbarung
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Das Fahrrad ist frei von Sachmängeln, wenn es bei Gefahrübergang den subjektiven Anforderungen, den objektiven Anforderungen und den Montageanforderungen genügt (§ 434 Abs. 1 BGB).
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Entspricht eine Sache den subjektiven Anforderungen, wenn sie bei Gefahrübergang von der „vereinbarten Beschaffenheit“ abweicht (§ 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB)?
Nein, das trifft nicht zu!
3. Parteien können die Beschaffenheit nicht nur positiv vereinbaren, sondern auch regeln, dass einer Sache bestimmte Eigenschaften fehlen (negative Beschaffenheitsvereinbarung).
Ja!
4. Das Fahrrad hat die vereinbarte Beschaffenheit (§ 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB).
Genau, so ist das!
5. Das Fahrrad eignet sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung.
Ja, in der Tat!
6. Die subjektiven Anforderungen an die Kaufsache sind erfüllt (§ 434 Abs. 2 BGB).
Ja!
7. Sofern das Fahrrad mit Ausnahme der Bremsen den objektiven Anforderungen entspricht, ist es frei von Sachmängeln.
Genau, so ist das!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
IsiRider
8.3.2023, 10:37:20
Nur zum Verständnis: Eine Abweichung wäre also nicht möglich gewesen, wenn A Privatperson wäre, da die Abweichung nicht schriftlich im Vertrag festgehalten wurde?!
se.si.sc
8.3.2023, 12:35:43
Bei einem B2C-Geschäft müssten wir uns näher mit den Voraussetzungen des § 476 I 2 BGB befassen. Der Hinweis nach Nr. 1 wäre hier unproblematisch gegeben sein, kniffliger wird es bei der ausdrücklichen und gesonderten Vereinbarung nach Nr. 2. Ein TdL will aus dem Kriterium "gesondert" anscheinend eine Pflicht zumindest zur Textform ableiten, die anderen halten damit dagegen, dass auch eine mündliche Vereinbarung eine "gesonderte" sein kann und eine explizite Form eben nicht vorgesehen ist. Aus Sicht des Unternehmers bietet es sich aus Beweisgründen allerdings ohnehin an, sich nicht nur auf eine mündiche Absprache zu verlassen (näher zum Ganzen, insbesondere zum Meinungsstand zB BeckOK BGB, § 476 Rn. 28).
evanici
28.8.2023, 18:32:36
Inwieweit unterscheidet sich die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung von Umständen/Vorstellungen i.S.d. § 313? Mir ist schon klar, dass § 313 subsidiär anzuwenden ist, aber rein tatbestandlich wäre die
vertraglich vorausgesetzte Verwendungja immer auch ein wenig "Geschäftsgrundlage", oder? Wahrscheinlich ist in § 434 der Bezug zur Sache selbst das entscheidende Abgrenzungsmerkmal? Ich musste gerade an den Fall denken, in dem der Balkon zur Karnevalszeit vermietet wurde und tue mir gerade schwer, den "unmöglich gewordenen" Blick auf den abgesagten Umzug nicht unter § 434 zur packen (der Fall wurde ja über § 313 gelöst).
kithorx
8.11.2023, 15:29:05
Wie können wir unproblematisch von einer Unternehmerrolle der A ausgehen? Dabei kommt es ja immer auf das konkrete Geschäft an. Ein Fahrradkauf bietet keine erkennbare Verbindung zur Anwaltstätigkeit. Wenn ich mich recht erinnere, wird dem Wortlaut des 13 BGB sogar eine Art Vermutung entnommen.
Leo Lee
11.11.2023, 18:42:19
Hallo kithorx, vielen Dank für den Hinweis! Die Unternehmereigenschaft wollten wir mit dem Begriff „Dienstfahrrad“ implizieren, jedoch reicht wie du richtigerweise anmerkst, eine Vermutung gem. 13 sehr weit. Deshalb haben wir noch den Text um „für Ihre Kanzlei“ ergänzt, damit keine Missverständnisse mehr entstehen können. Als Vertiefung kann ich die Lektüre von MüKo-BGB 9. Auflage, Micklitz § 14 Rn. 16 ff. empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Grenzbaum
25.2.2024, 20:28:09
ist die
negative BeschaffenheitsvereinbarungTeil des Kaufvertrages oder ein eigenes Rechtsgeschäft? Würde zu ersterem tendieren, da mit der Negativen
Beschaffenheitsvereinbarungkeine Rechtsfolgen resultieren sollen. Kann eine solche Vereinbarung bzw. der ganze Kaufvertrag wegen §
134 BGBnichtig sein, wenn die Sache zB einen “sicherheitsrechtlichen” Mangel aufweist? “Sicherheit” ist ja eine objektive Anforderung, die durch die subjektive Vereinbarung irrelevant werden kann?
Leo Lee
26.2.2024, 20:41:54
Hallo BelAl, vielen Dank für diese sehr gute Frage! Die
negative Beschaffenheitsvereinbarungist kein eigenes Rechtsgeschäft, sondern – wie du zutreffend anmerkst – ein Teil des Kaufvertrags; genauer gesagt des subjektiven Fehlerbegriffs, 434 I 1, 2 Nr. 1. Zu deine zweiten Frage findet sich in der Literatur keine konkrete Stelle, die eine Nichtigkeit gem.
134 BGBerörtert. Allerdings ist ein solcher Rückgriff auf
134 BGBinsofern nicht nötig, als es den 476 I BGB gibt. Hierzu gibt es auch eine Entscheidung des OLG Rostock (4 U 1/19), in deren Rn. 64 entschieden wurde: „Jede Vereinbarung, die unmittelbar oder mittelbar bewirkt, dass der Käufer das Risiko des Vorhandenseins eines verborgenen Mangels trägt, ist unabhängig von ihrer Transparenz nach § 475 Abs. 1 BGB unwirksam; dies gilt insbesondere für eine (negative)
Beschaffenheitsvereinbarungdes Inhalts, dass die verkaufte Sache „möglicherweise mangelhaft“ ist. Somit dürfte die Antwort auf deine Frage lauten:
134 BGBist insofern nicht nötig, als 476 I diesem Fall Rechnung trägt! I.Ü. kann ich hierzu die Lektüre von MüKo-BGB 9. Auflage, S. Lorenz § 476 Rn. 8 ff. sehr empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Constantin Lammert
21.6.2024, 14:56:52
Angenommen die H hätte die Bremse vor
Gefahrübergangbereits repariert. Welche Konsequenzen würden sich für die H ergeben, wenn 1. A mit dem Ergebnis zufrieden ist 2. A mit dem Ergebnis unzufrieden ist 3. A mit dem Ergebnis zufrieden ist, aber vorgibt unzufrieden zu sein?
Jimmy105
30.7.2024, 20:29:45
1. Dann liegt eine Erfüllung statt vor, die im Ergebnis den Mangel ausschließt 2. Dann besteht ein Mangel 3. Dann hast du einen Mangel, wobei es rechtsmissbräuchlich sein könnte sich darauf zu berufen
jomolino
3.9.2024, 13:34:56
Kann die
negative Beschaffenheitsvereinbarungdie objektiven Anforderungen modifizieren? muss sie ja, sonst wären die ja nicht erfüllt bei einem Fahrrad ohne funktionierende Bremse.
Leo Lee
9.9.2024, 14:34:14
Hallo jomolino, vielen Dank für die sehr gute Frage! Du hast völlig Recht. Die negativen
Beschaffenheitsvereinbarungstellen insofern spezielle subjektive Anforderungen dar, die - ansonsten objektive - Eigenschaften, die eigentlich Mängel wären, ausschließen. D.h. also, dass ein objektiver Mangel dann etwa kein Mangel ist, wenn zuvor durch die
negative Beschaffenheitsvereinbarungsubjektiv was anderes vereinbart wurde. Insofern kann man sehr wohl sagen, dass die neg. Vereinbarungen die obj. Anforderungen insofern modifizieren, als sie dann nicht mehr Mängel darstellen. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, S. Lorenz § 476 Rn. 26 ff. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Sophiechen.2002
20.10.2024, 20:06:40
Die letzte Frage kann man nicht ausschließlich mit „Ja“ beantworten, wenn keine Hinweise auf die Montageanforderungen bestehen. Ich finde die Frage etwas uneindeutig gestellt.