Zivilrecht

Kaufrecht

Sach- und Rechtsmängel

§ 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB - Negative Beschaffenheitsvereinbarung

§ 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB - Negative Beschaffenheitsvereinbarung

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
Tags
Klassisches Klausurproblem
Neues Kaufrecht 2022

Anwältin A kauft für ihre Kanzlei von Händlerin H ein Dienstfahrrad. Beim Abschluss des Kaufvertrags vereinbaren sie mündlich, dass die Bremsen des Fahrrads defekt sind und eigenhändig von A ausgetauscht werden müssten, damit das Fahrrad betriebsbereit ist.

Diesen Fall lösen 92,4 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

§ 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB - Negative Beschaffenheitsvereinbarung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das Fahrrad ist frei von Sachmängeln, wenn es bei Gefahrübergang den subjektiven Anforderungen, den objektiven Anforderungen und den Montageanforderungen genügt (§ 434 Abs. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Das seit dem 1.1.2022 geltende Kaufrecht sieht einen Gleichrang von subjektivem und objektivem Fehlerbegriff vor. Die subjektiven Anforderungen ergeben sich detailliert aus § 434 Abs. 2 BGB, die objektiven aus § 434 Abs. 3 BGB. Die Montageanforderungen regelt § 434 Abs. 4 BGB. Nach § 434 Abs. 1 BGB a.F. war die Sache „frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang die vereinbarte Beschaffenheit“ hatte. Danach hatte der subjektive Fehlerbegriff Vorrang.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Entspricht eine Sache den subjektiven Anforderungen, wenn sie bei Gefahrübergang von der „vereinbarten Beschaffenheit“ abweicht (§ 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB)?

Nein, das trifft nicht zu!

Eine Kaufsache muss zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs den subjektiven Anforderungen entsprechen (§ 434 Abs. 1 BGB). Hierzu gehört die vereinbarte Beschaffenheit (§ 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB). Anhaltspunkte zur Bestimmung der Beschaffenheit ergeben sich aus § 434 Abs. 2 S. 2 BGB. Eine Vereinbarung liegt vor, wenn der Verkäufer in vertragsgemäß bindender Weise die Gewähr für das Vorhandensein einer Eigenschaft der Kaufsache übernimmt und damit seine Bereitschaft zu erkennen gibt, für alle Folgen des Fehlens dieser Eigenschaft einzustehen.§ 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB n.F. entspricht dem bis zum 31.12.2021 geltenden § 434 Abs. 1 S. 1 BGB a.F.

3. Parteien können die Beschaffenheit nicht nur positiv vereinbaren, sondern auch regeln, dass einer Sache bestimmte Eigenschaften fehlen (negative Beschaffenheitsvereinbarung).

Ja!

Die Parteien können die Beschaffenheit sowohl positiv (Bestehen bestimmter Eigenschaften) als auch negativ (Fehlen bestimmter Eigenschaften) vereinbaren. Haben die Parteien das Fehlen von Eigenschaften vereinbart, so ist es unerheblich, dass die Sache insoweit nicht den objektiven Anforderungen entspricht. Denn aus § 434 Abs. 3 S. 1 BGB ergibt sich, dass die Sache sich an den objektiven Anforderungen nur zu messen hat, soweit nicht etwas anderes wirksam vereinbart wurde.Trotz des in § 434 Abs. 1 BGB normierten Gleichrangs der objektiven und subjektiven Anforderungen, geht im Ergebnis die subjektive Vereinbarung vor.Negative Beschaffenheitsvereinbarung zwischen Verbraucher und Unternehmer sind nur noch unter den strengen Voraussetzungen des § 476 Abs. 1 S. 2 BGB wirksam.

4. Das Fahrrad hat die vereinbarte Beschaffenheit (§ 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Zwischen Verbrauchern (§ 13 BGB) sowie zwischen Unternehmern (§ 14 BGB) werden keine Anforderungen an die Ausgestaltung der Beschaffenheitsvereinbarung gestellt. Sie ist also auch mündlich und konkludent möglich. A und H sind beide Unternehmer (§ 14 BGB). A und H haben vereinbart, dass das Fahrrad zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zwar nicht fahrtüchtig ist, die Fahrtüchtigkeit aber durch eine Nachrüstung der Bremsen einfach erreicht werden kann. Eine solche Beschaffenheitsvereinbarung war auch nach altem Recht genauso möglich.

5. Das Fahrrad eignet sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung.

Ja, in der Tat!

Vertraglich vorausgesetzt ist die nicht vereinbarte, aber beiderseits unterstellte konkrete Verwendung der Kaufsache, die von der gewöhnlichen Verwendung abweichen kann. A und H haben vereinbart, dass die Bremse am Fahrrad nachgerüstet werden muss. Weitere Mängel soll das Fahrrad nicht haben. Die vom Vertrag vorausgesetzte Verwendung ist also, dass das Fahrrad nach der Nachrüstung der Bremse fahrtüchtig ist. Mangels entgegenstehender Angaben im Sachverhalt ist davon auszugehen, dass dies der Fall ist.

6. Die subjektiven Anforderungen an die Kaufsache sind erfüllt (§ 434 Abs. 2 BGB).

Ja!

Wie bereits festgestellt, entspricht das Fahrrad der vereinbarten Beschaffenheit und der nach dem Vertrag vorausgesetzten Verwendung. Anhaltspunkte für Zubehör bzw. Anleitungen ergeben sich nicht aus dem Sachverhalt. Somit sind alle subjektiven Anforderungen des § 434 Abs. 2 BGB erfüllt.

7. Sofern das Fahrrad mit Ausnahme der Bremsen den objektiven Anforderungen entspricht, ist es frei von Sachmängeln.

Genau, so ist das!

Eine Sache ist frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang den subjektiven Anforderungen, den objektiven Anforderungen und den Montageanforderungen genügt (§ 434 Abs. 1 BGB).Wie festgestellt, entspricht das Fahrrad den subjektiven Anforderungen. Bezüglich der Bremsen hat die subjektive Vereinbarung Vorrang vor den objektiven Anforderungen. Im Übrigen liegen die objektiven Anforderungen vor. Eine Montage war nicht vereinbart. Das Fahrrad ist somit frei von Sachmängeln.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

Jurafuchs kostenlos testen


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

IS

IsiRider

8.3.2023, 10:37:20

Nur zum Verständnis: Eine Abweichung wäre also nicht möglich gewesen, wenn A Privatperson wäre, da die Abweichung nicht schriftlich im Vertrag festgehalten wurde?!

SE.

se.si.sc

8.3.2023, 12:35:43

Bei einem B2C-Geschäft müssten wir uns näher mit den Voraussetzungen des § 476 I 2 BGB befassen. Der Hinweis nach Nr. 1 wäre hier unproblematisch gegeben sein, kniffliger wird es bei der ausdrücklichen und gesonderten Vereinbarung nach Nr. 2. Ein TdL will aus dem Kriterium "gesondert" anscheinend eine Pflicht zumindest zur Textform ableiten, die anderen halten damit dagegen, dass auch eine mündliche Vereinbarung eine "gesonderte" sein kann und eine explizite Form eben nicht vorgesehen ist. Aus Sicht des Unternehmers bietet es sich aus Beweisgründen allerdings ohnehin an, sich nicht nur auf eine mündiche Absprache zu verlassen (näher zum Ganzen, insbesondere zum Meinungsstand zB BeckOK BGB, § 476 Rn. 28).

EVA

evanici

28.8.2023, 18:32:36

Inwieweit unterscheidet sich die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung von Umständen/Vorstellungen i.S.d. § 313? Mir ist schon klar, dass § 313 subsidiär anzuwenden ist, aber rein tatbestandlich wäre die vertraglich vorausgesetzte Verwendung ja immer auch ein wenig "Geschäftsgrundlage", oder? Wahrscheinlich ist in § 434 der Bezug zur Sache selbst das entscheidende Abgrenzungsmerkmal? Ich musste gerade an den Fall denken, in dem der Balkon zur Karnevalszeit vermietet wurde und tue mir gerade schwer, den "unmöglich gewordenen" Blick auf den abgesagten Umzug nicht unter § 434 zur packen (der Fall wurde ja über § 313 gelöst).

KI

kithorx

8.11.2023, 15:29:05

Wie können wir unproblematisch von einer Unternehmerrolle der A ausgehen? Dabei kommt es ja immer auf das konkrete Geschäft an. Ein Fahrradkauf bietet keine erkennbare Verbindung zur Anwaltstätigkeit. Wenn ich mich recht erinnere, wird dem Wortlaut des 13 BGB sogar eine Art Vermutung entnommen.

LELEE

Leo Lee

11.11.2023, 18:42:19

Hallo kithorx, vielen Dank für den Hinweis! Die Unternehmereigenschaft wollten wir mit dem Begriff „Dienstfahrrad“ implizieren, jedoch reicht wie du richtigerweise anmerkst, eine Vermutung gem. 13 sehr weit. Deshalb haben wir noch den Text um „für Ihre Kanzlei“ ergänzt, damit keine Missverständnisse mehr entstehen können. Als Vertiefung kann ich die Lektüre von MüKo-BGB 9. Auflage, Micklitz § 14 Rn. 16 ff. empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

GRE

Grenzbaum

25.2.2024, 20:28:09

ist die

negative Beschaffenheitsvereinbarung

Teil des Kaufvertrages oder ein eigenes Rechtsgeschäft? Würde zu ersterem tendieren, da mit der Negativen

Beschaffenheitsvereinbarung

keine Rechtsfolgen resultieren sollen. Kann eine solche Vereinbarung bzw. der ganze Kaufvertrag wegen § 134 BGB nichtig sein, wenn die Sache zB einen “sicherheitsrechtlichen” Mangel aufweist? “Sicherheit” ist ja eine objektive Anforderung, die durch die subjektive Vereinbarung irrelevant werden kann?

LELEE

Leo Lee

26.2.2024, 20:41:54

Hallo BelAl, vielen Dank für diese sehr gute Frage! Die

negative Beschaffenheitsvereinbarung

ist kein eigenes Rechtsgeschäft, sondern – wie du zutreffend anmerkst – ein Teil des Kaufvertrags; genauer gesagt des subjektiven Fehlerbegriffs, 434 I 1, 2 Nr. 1. Zu deine zweiten Frage findet sich in der Literatur keine konkrete Stelle, die eine Nichtigkeit gem. 134 BGB erörtert. Allerdings ist ein solcher Rückgriff auf 134 BGB insofern nicht nötig, als es den 476 I BGB gibt. Hierzu gibt es auch eine Entscheidung des OLG Rostock (4 U 1/19), in deren Rn. 64 entschieden wurde: „Jede Vereinbarung, die unmittelbar oder mittelbar bewirkt, dass der Käufer das Risiko des Vorhandenseins eines verborgenen Mangels trägt, ist unabhängig von ihrer Transparenz nach § 475 Abs. 1 BGB unwirksam; dies gilt insbesondere für eine (negative)

Beschaffenheitsvereinbarung

des Inhalts, dass die verkaufte Sache „möglicherweise mangelhaft“ ist. Somit dürfte die Antwort auf deine Frage lauten: 134 BGB ist insofern nicht nötig, als 476 I diesem Fall Rechnung trägt! I.Ü. kann ich hierzu die Lektüre von MüKo-BGB 9. Auflage, S. Lorenz § 476 Rn. 8 ff. sehr empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

CLA

Constantin Lammert

21.6.2024, 14:56:52

Angenommen die H hätte die Bremse vor Gefahrübergang bereits repariert. Welche Konsequenzen würden sich für die H ergeben, wenn 1. A mit dem Ergebnis zufrieden ist 2. A mit dem Ergebnis unzufrieden ist 3. A mit dem Ergebnis zufrieden ist, aber vorgibt unzufrieden zu sein?

JI

Jimmy105

30.7.2024, 20:29:45

1. Dann liegt eine Erfüllung statt vor, die im Ergebnis den Mangel ausschließt 2. Dann besteht ein Mangel 3. Dann hast du einen Mangel, wobei es rechtsmissbräuchlich sein könnte sich darauf zu berufen

JO

jomolino

3.9.2024, 13:34:56

Kann die

negative Beschaffenheitsvereinbarung

die objektiven Anforderungen modifizieren? muss sie ja, sonst wären die ja nicht erfüllt bei einem Fahrrad ohne funktionierende Bremse.


© Jurafuchs 2024