Schwarzfahrer - "Nichtmelden"

23. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

A steigt in Berlin in einen Zug der Deutschen Bahn ein, ohne eine gültige Fahrkarte gekauft zu haben. Als das Bordpersonal – wie nach jedem Halt – durch den Zug geht und fragt, ob noch jemand zugestiegen sei, um die zugestiegenen Gäste zu kontrollieren, reagiert A bewusst nicht.

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Einordnung des Falls

Schwarzfahrer - "Nichtmelden"

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A hat das Bordpersonal konkludent "getäuscht" (§ 263 Abs. 1 StGB).

Genau, so ist das!

Täuschungshandlung ist die ausdrückliche oder konkludente intellektuelle Einwirkung auf das Vorstellungsbild eines anderen mit dem Ziel bewusster Irreführung. Eine konkludente Täuschung liegt in einem irreführenden Verhalten, das nach der Verkehrsanschauung als stillschweigende Erklärung zu verstehen ist, der ein gewisser Erklärungswert beizumessen ist.Indem sich A bei der Frage des Bordpersonals nicht gemeldet hat, hat er konkludent mit „Nein“ auf die Frage geantwortet, ob er zugestiegen ist. Damit wollte er suggerieren, als schon zugestiegener Gast keiner weiteren Kontrolle durch das Bordpersonal zu bedürfen.
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2. Die Täuschung des A ruft beim Bordpersonal einen "Irrtum" (§ 263 Abs. 1 StGB) hervor.

Ja, in der Tat!

Irrtum bezeichnet das Auseinanderfallen von subjektiver Vorstellung und objektiver Wahrheit. Die herrschende Auffassung verlangt zumindest ein sachgedankliches Mitbewusstsein über die falsche Tatsache. Ein Teil der Literatur lässt bloße Unkenntnis genügen (ignorantia facti). Das Bordpersonal geht davon aus, dass A beim letzten Halt nicht zugestiegen ist und entsprechend schon kontrolliert wurde, was jedoch nicht der Fall ist. Der Irrtum des Bordpersonals wird dadurch bestätigt, dass der Kontrollgang fortgesetzt wird. Nach beiden Ansichten liegt damit ein Irrtum vor.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Alex

Alex

17.2.2022, 08:34:44

Hallo, könntet ihr vielleicht kurz erklären, wie hier zur Täuschung durch Unterlassen (Garantenstellung aus Treu und Glauben) abgegrenzt wird? Ich meine mich daran erinnern zu können, dass es in einer früheren Aufgabe hieß, in der bloßen Nutzung von Dienstleistungen liegt keine

konkludente Täuschung

(im Gegensatz zum Essenbestellen in einem Restaurant ohne dafür zahlen zu können). Liegt hier der Unterschied in der ausgesprochenen Aufforderung des Bordpersonals?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

21.2.2022, 16:38:41

Hallo Alex, der entscheidende Unterschied ist hier in der Tat, dass das Bordpersonal explizit danach gefragt hat, ob jemand zugestiegen ist. Anders wäre dies, wenn der Kontrolleur einfach ohne Fragen durch die Reihe gehen würde. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

MaxRaspody

MaxRaspody

3.8.2024, 14:02:57

Müsste das Nichtantworten nicht dennoch ein

aktives Tun

sein? Wenn man einfach nichts macht, kann das zwar

konkludent

en Erklärungswert haben, aber eine

konkludent

e Erklärung ist als solche keine Handlung. Sie setzt lediglich ein Verhalten voraus, wobei auch ein Unterlassen denkbar ist. Denke, die Entschiedung hier dennoch eine Täuschung anzunehmen, folgt nur aus Gerechtigkeitserwägungen.

AN

anni0910

23.1.2023, 12:07:05

Ist das hier wirklich unstreitig? Im Buch von Jäger wird gesagt dass das Schweigen hier eben keinen Erklärungswert hat, sondern nur die Kombination von Nachfrage und Schweigen, die Nachfrage aber nicht als erklärungsträchtiger Umstand dem Fahrgast zuzuordnen ist. Stellt das nur eine Mindermeinung dar? :)

Antonia

Antonia

9.8.2023, 10:17:10

Bei juracademy wird diese Auffassung auch genannt. Denke man kann beides vertreten

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

10.9.2024, 10:53:19

Hallo @[anni0910](167265), vollkommen unstreitig ist in rechtlichen Fragen eher selten etwas, nach meinem Eindruck sieht die wohl überwiegende Auffassung hier aber doch einen strafbaren Betrug. Das Argument, dass bloßes Schweigen kein erklärungsträchtiger Umstand ist, der dem Fahrgast zuzuordnen ist, hat natürlich etwas für sich. Allerdings klingt das mE (!) zunächst einmal danach, als würde ein zivilrechtliches Prinzip etwas zu undifferenziert schlicht aufs Strafrecht übertragen. Man mag das noch akzeptieren, wenn jemand bloß in einen Bus/Zug steigt, nicht kontrolliert wird und auch sonst in keiner Weise mit dem Zugpersonal interagiert. Hier haben wir es aber mit einer "Noch jemand zugestiegen?"-Situation zu tun, mit einer konkreten Kommunikationssituation zwischen Fahrgast und Kontrollpersonal. Wer sich hier überhaupt nicht rührt, so könnte man sagen, schweigt eben nicht nur, sondern erklärt gleichzeitig sein

konkludent

es "Nein", täuscht dadurch und ruft den Irrtum hervor, er sei bereits kontrolliert worden. So sieht es jedenfalls die wohl überwiegende Auffassung (zB MüKo-StGB/Hefendahl, 4. Aufl 2022, § 263 Rn 351 mwN) – was natürlich nicht heißt, das nicht eine aA mit entsprechender Argumentation vertretbar ist. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team


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