Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Unterlassen

Rechtsfigur der omissio libera in causa

Rechtsfigur der omissio libera in causa

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Bademeisterin B trinkt während der Arbeit so viel Weißwein, dass sie unfähig ist, im Notfall rettend einzugreifen. Das ist ihr ganz egal. Als Nichtschwimmer O in Bs Bereich ertrinkt, hilft sie ihm – bedingt durch ihre Trunkenheit – nicht.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

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Einordnung des Falls

Rechtsfigur der omissio libera in causa

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Eine Strafbarkeit der B wegen Totschlags durch Unterlassen (§§ 212, 13 Abs. 1 StGB) setzt im objektiven Tatbestand voraus, dass B eine Verhinderungshandlung trotz individueller physisch-realer Handlungsmöglichkeit unterlassen hat.

Ja, in der Tat!

Ein Unterlassen setzt die physisch-reale individuelle Handlungsmöglichkeit voraus. Grundsätzlich muss die Handlungsmöglichkeit in dem Zeitpunkt gegeben sein, in dem das Eingreifen des Handlungspflichtigen erforderlich wird. Ist dann sinnvolles Handeln unmöglich, so entfällt die Handlungspflicht. Beispiel: Der Täter kann die gebotene Rettungshandlung wegen räumlicher Entfernung oder persönlicher Fähigkeiten nicht vornehmen.
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2. Da B infolge der Trunkenheit handlungsunfähig war, entfällt eine Strafbarkeit wegen Totschlags durch Unterlassen (§§ 212, 13 Abs. 1 StGB).

Nein!

Hat sich der Täter im Vorfeld der Tat vorsätzlich in einen Zustand der Handlungsunfähigkeit versetzt, sodass er seine Pflichten als Garant nicht mehr wahrnehmen kann, kann er sich nach h.M. nicht auf die Handlungsunfähigkeit berufen. Mit der Rechtsfigur der omissio libera in causa wird die zum Tatzeitpunkt fehlende Handlungsfähigkeit auf den Zeitpunkt des Trinkens vorverlagert. Dies wird damit legitimiert, dass den Garanten die Pflicht trifft, seine Handlungsfähigkeit zum Schutz von voraussehbaren Rechtsgutsverletzungen zu bewahren.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Gustav

Gustav

29.6.2022, 22:10:20

Ich würde hier auf ein

aktives Tun

abstellen. Schwerpunkt der

Vorwerfbarkeit

ist doch das Herbeiführen der Trunkenheit als

aktives Tun

, oder nicht?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

30.6.2022, 11:00:33

Hallo Gustav, dass B hier viel Alkohol trinkt (

aktives Tun

) stellt für sich genommen erst einmal kein strafbares Verhalten dar. Der Schwerpunkt der Strafbarkeit ist vielmehr der Umstand, dass sie dadurch ihre Garantenpflicht verletzt, indem sie es später unterlässt O zu retten. Das Problem in dieser Konstellation ist, dass B zum Zeitpunkt der Unterlassenshandlung schuldunfähig ist. Um dies zu überbrücken, wird über die Figur der

omissio libera in causa

als Anknüpfungspunkt das "aktive Betrinken" gewählt, um das

Koinzidenzprinzip

zu wahren. Auch das aktive Beseitigen der eigenen Handlungsmöglichkeit wird indes von der hM als tatbestandsmäßiges Unterlassen eingeordnet, da der Täter damit zugleich unterlässt die Handlungspflicht rechtzeitig zu erfüllen und dies der eigentlich Strafvorwurf ist (vgl. Mitsch in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, Strafrecht Allgemeiner Teil, 13.A. 2021, § 21 RdNr. 30). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

I-m-possible

I-m-possible

13.7.2022, 10:27:48

Ist also der Schuldvorwurf das „Unterlassen sich eines schutz-und rettungsbereiten Zustandes zu erhalten indem der Täter sich betrank“?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

23.7.2022, 14:55:13

Hallo I-m-possible, der Vorwurf lautet, dass die B in dem Zeitpunkt in dem die Pflichten bestanden (Arbeitszeit) nicht in einem handlungsfähigen Zustand war. Dies ist vergleichabr mit der actio libera in causa, bei der der Vorwurf dahin geht im Tatzeitpunkt in einem schuldunfähigen Zustand gewesen zu sein und dies bewusst herbeigeführt zu haben. Dort scheidet eine Strafbarkeit der Tat wegen der Schuldunfähigkeit aus. Die

Omissio libera in causa

soll die Straflosigkeit umgehen. Denn Strafbarkeit wegen Unterlassen setzt immer die Möglichkeit zum Handeln voraus. Diese hat der Täter sich nach dem Konzept selber genommen, in dem er sich in einen handlungsunfähigen Zustand versetzt hat. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

lennart20

lennart20

18.6.2023, 12:46:47

Muss man bei der

omissio libera in causa

dann dementsprechend im Obersatz an das trinken anknüpfen, obwohl dies ein

aktives Tun

suggerieren würde?

TI

Tinki

16.9.2024, 10:27:36

würde mich auch interessieren! So wie ich es verstehe, würde man mit der Prüfung §§ 212, 13 wg. Nichtvornahme der Rettungshandlung anfangen, wobei man dann die Schuld verneinen muss. Und dann §§ 212, 13 wg. Sich-betrinken prüfen, wobei man dann in dem Sich-betrinken mit der hM ein Unterlassen sieht, und zwar mit der Begründung, dass hierin ein Unterlassen liegt, sich in einem Zustand zu erhalten, in dem man seiner Garantenstellung gerecht werden kann. - Richtig so? @[Lukas_Mengestu](136780)

TI

Tinki

16.9.2024, 11:02:35

I. B könnte sich gem. §§ 212, 13 I strafbar gemacht haben, indem sie O nicht vor dem Ertrinken rettete. 1.TB a. O ist tot. b. B müsste es eine ihr mögliche Verhinderungshandlung trotz physisch- realer Möglichkeit unterlassen haben. B war zu dem Zeitpunkt des Ertrinkens von O so betrunken, dass sie O nicht retten konnte. Somit unterließ sie keine ihr mögliche Rettungshandlung. 2. Erg.: B hat sich nicht gem. §§ 212, 13 I strafbar gemacht, indem sie O nicht vor dem Ertrinken rettete. II. B könnte sich gem. §§ 212, 13 I strafbar gemacht haben, indem sie sich während ihrer Arbeitszeit betrank. I. TB 1. O ist tot. 2. B müsste eine ihr mögliche Verhinderungshandlung trotz physisch- realer Möglichkeit unterlassen haben. Von der hM wird das aktive Beseitigen der eigenen Handlungsmöglichkeit als tatbestandsmäßiges Unterlassen eingeordnet. Und zwar, weil den Garanten die Pflicht trifft, seine Handlungsfähigkeit zum Schutz von voraussehbaren Rechtsgutsverletzungen zu bewahren. Beseitigt er seine Handlungsfähigkeit, so unterlässt er damit, seine Handlungspflicht aufrecht zu erhalten (omissio liberal in causa). Ein Unterlassen von B liegt demnach vor. 3. Kausalität (+) 4. Obj. Zurechnung (+) 5. Garantenstellung (+) 6. Entsprechungsklausel 7.

Vorsatz

⚠️bzgl. Erfolg als auch des Sich- Betrinkens! II. ReWi III. Schuld ⚠️ Keine Schuldunfähigkeit! IV. Erg.: B hat sich gem. §§ 212, 13 I strafbar gemacht haben, indem sie sich während ihrer Arbeitszeit betrank.

REUS04

Reus04

18.10.2023, 16:39:17

Ich verstehe nicht ganz warum §212 StGB vorliegt und nicht §222 StGB. §212 StGB setzt ja immer noch voraus, dass vorsätzlich unterlassen wurde. Oder liegt der

Vorsatz

hier darin dass es B „egal“ ist? (Billigung /

Eventualvorsatz

). Oder liegt der

Vorsatz

im Betrinken?

LELEE

Leo Lee

22.10.2023, 11:01:54

Hallo Reus04, wie du richtigerweise anmerkst, ist hier der Knackpunkt das Wort „egal“. Wie bei ALIC wird auch bei OLIC ein

Vorsatz

bzgl. des Sichbetrinkens und der späteren Handlungsunfähigkeit (die dann eig. Zur Verneinung der

Unterlassungs

strafbarkeit führt) gefordert. Und da sich der Bademeister vorsätzlich betrunken hat und bzgl. seiner Unfähigkeit später

Eventualvorsatz

hatte („egal“), liegt hier § 212 StGB vor und nicht nur § 222 StGB. § 222 StGB würde dann vorliegen, wenn der Bademeister sich überhaupt keine Gedanken zur späteren Unfähigkeit macht (weil er dann nicht mal Evtl

vorsatz

hat) :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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