Rechtsfigur der omissio libera in causa
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Bademeisterin B trinkt während der Arbeit so viel Weißwein, dass sie unfähig ist, im Notfall rettend einzugreifen. Das ist ihr ganz egal. Als Nichtschwimmer O in Bs Bereich ertrinkt, hilft sie ihm – bedingt durch ihre Trunkenheit – nicht.
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Einordnung des Falls
Rechtsfigur der omissio libera in causa
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Eine Strafbarkeit der B wegen Totschlags durch Unterlassen (§§ 212, 13 Abs. 1 StGB) setzt im objektiven Tatbestand voraus, dass B eine Verhinderungshandlung trotz individueller physisch-realer Handlungsmöglichkeit unterlassen hat.
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Da B infolge der Trunkenheit handlungsunfähig war, entfällt eine Strafbarkeit wegen Totschlags durch Unterlassen (§§ 212, 13 Abs. 1 StGB).
Nein!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Gustav
29.6.2022, 22:10:20
Ich würde hier auf ein
aktives Tunabstellen. Schwerpunkt der
Vorwerfbarkeitist doch das Herbeiführen der Trunkenheit als
aktives Tun, oder nicht?
Lukas_Mengestu
30.6.2022, 11:00:33
Hallo Gustav, dass B hier viel Alkohol trinkt (
aktives Tun) stellt für sich genommen erst einmal kein strafbares Verhalten dar. Der Schwerpunkt der Strafbarkeit ist vielmehr der Umstand, dass sie dadurch ihre Garantenpflicht verletzt, indem sie es später unterlässt O zu retten. Das Problem in dieser Konstellation ist, dass B zum Zeitpunkt der Unterlassenshandlung schuldunfähig ist. Um dies zu überbrücken, wird über die Figur der
omissio libera in causaals Anknüpfungspunkt das "aktive Betrinken" gewählt, um das
Koinzidenzprinzipzu wahren. Auch das aktive Beseitigen der eigenen Handlungsmöglichkeit wird indes von der hM als tatbestandsmäßiges Unterlassen eingeordnet, da der Täter damit zugleich unterlässt die Handlungspflicht rechtzeitig zu erfüllen und dies der eigentlich Strafvorwurf ist (vgl. Mitsch in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, Strafrecht Allgemeiner Teil, 13.A. 2021, § 21 RdNr. 30). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
I-m-possible
13.7.2022, 10:27:48
Ist also der Schuldvorwurf das „Unterlassen sich eines schutz-und rettungsbereiten Zustandes zu erhalten indem der Täter sich betrank“?
Nora Mommsen
23.7.2022, 14:55:13
Hallo I-m-possible, der Vorwurf lautet, dass die B in dem Zeitpunkt in dem die Pflichten bestanden (Arbeitszeit) nicht in einem handlungsfähigen Zustand war. Dies ist vergleichabr mit der actio libera in causa, bei der der Vorwurf dahin geht im Tatzeitpunkt in einem schuldunfähigen Zustand gewesen zu sein und dies bewusst herbeigeführt zu haben. Dort scheidet eine Strafbarkeit der Tat wegen der Schuldunfähigkeit aus. Die
Omissio libera in causasoll die Straflosigkeit umgehen. Denn Strafbarkeit wegen Unterlassen setzt immer die Möglichkeit zum Handeln voraus. Diese hat der Täter sich nach dem Konzept selber genommen, in dem er sich in einen handlungsunfähigen Zustand versetzt hat. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
lennart20
18.6.2023, 12:46:47
Muss man bei der
omissio libera in causadann dementsprechend im Obersatz an das trinken anknüpfen, obwohl dies ein
aktives Tunsuggerieren würde?
Tinki
16.9.2024, 10:27:36
würde mich auch interessieren! So wie ich es verstehe, würde man mit der Prüfung §§ 212, 13 wg. Nichtvornahme der Rettungshandlung anfangen, wobei man dann die Schuld verneinen muss. Und dann §§ 212, 13 wg. Sich-betrinken prüfen, wobei man dann in dem Sich-betrinken mit der hM ein Unterlassen sieht, und zwar mit der Begründung, dass hierin ein Unterlassen liegt, sich in einem Zustand zu erhalten, in dem man seiner Garantenstellung gerecht werden kann. - Richtig so? @[Lukas_Mengestu](136780)
Tinki
16.9.2024, 11:02:35
I. B könnte sich gem. §§ 212, 13 I strafbar gemacht haben, indem sie O nicht vor dem Ertrinken rettete. 1.TB a. O ist tot. b. B müsste es eine ihr mögliche Verhinderungshandlung trotz physisch- realer Möglichkeit unterlassen haben. B war zu dem Zeitpunkt des Ertrinkens von O so betrunken, dass sie O nicht retten konnte. Somit unterließ sie keine ihr mögliche Rettungshandlung. 2. Erg.: B hat sich nicht gem. §§ 212, 13 I strafbar gemacht, indem sie O nicht vor dem Ertrinken rettete. II. B könnte sich gem. §§ 212, 13 I strafbar gemacht haben, indem sie sich während ihrer Arbeitszeit betrank. I. TB 1. O ist tot. 2. B müsste eine ihr mögliche Verhinderungshandlung trotz physisch- realer Möglichkeit unterlassen haben. Von der hM wird das aktive Beseitigen der eigenen Handlungsmöglichkeit als tatbestandsmäßiges Unterlassen eingeordnet. Und zwar, weil den Garanten die Pflicht trifft, seine Handlungsfähigkeit zum Schutz von voraussehbaren Rechtsgutsverletzungen zu bewahren. Beseitigt er seine Handlungsfähigkeit, so unterlässt er damit, seine Handlungspflicht aufrecht zu erhalten (omissio liberal in causa). Ein Unterlassen von B liegt demnach vor. 3. Kausalität (+) 4. Obj. Zurechnung (+) 5. Garantenstellung (+) 6. Entsprechungsklausel 7.
Vorsatz⚠️bzgl. Erfolg als auch des Sich- Betrinkens! II. ReWi III. Schuld ⚠️ Keine Schuldunfähigkeit! IV. Erg.: B hat sich gem. §§ 212, 13 I strafbar gemacht haben, indem sie sich während ihrer Arbeitszeit betrank.
Reus04
18.10.2023, 16:39:17
Ich verstehe nicht ganz warum §212 StGB vorliegt und nicht §222 StGB. §212 StGB setzt ja immer noch voraus, dass vorsätzlich unterlassen wurde. Oder liegt der
Vorsatzhier darin dass es B „egal“ ist? (Billigung /
Eventualvorsatz). Oder liegt der
Vorsatzim Betrinken?
Leo Lee
22.10.2023, 11:01:54
Hallo Reus04, wie du richtigerweise anmerkst, ist hier der Knackpunkt das Wort „egal“. Wie bei ALIC wird auch bei OLIC ein
Vorsatzbzgl. des Sichbetrinkens und der späteren Handlungsunfähigkeit (die dann eig. Zur Verneinung der
Unterlassungsstrafbarkeit führt) gefordert. Und da sich der Bademeister vorsätzlich betrunken hat und bzgl. seiner Unfähigkeit später
Eventualvorsatzhatte („egal“), liegt hier § 212 StGB vor und nicht nur § 222 StGB. § 222 StGB würde dann vorliegen, wenn der Bademeister sich überhaupt keine Gedanken zur späteren Unfähigkeit macht (weil er dann nicht mal Evtl
vorsatzhat) :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo