Hypothetische Kausalität
2. April 2025
14 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Nach dem Genuss einiger Biere fährt T die Passantin P an. T sieht, dass P lebensgefährlich verletzt ist und einen Arzt braucht. Aus Angst um den Führerschein fährt T aber, ohne etwas zu unternehmen, weg. P stirbt. Bei unverzüglicher ärztlicher Hilfe hätte P möglicherweise überlebt.
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Einordnung des Falls
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 1 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Hätte T sofort den Notarzt gerufen, wäre P mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht gestorben (§§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB).
Nein, das trifft nicht zu!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Prudenz
9.10.2021, 23:36:55
Müsste es hier nicht eine fahrlässige Tötung durch Unterlassen sein bzw. sofern sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überlebt hätte?

Lukas_Mengestu
10.10.2021, 19:12:23
Hallo Prudenz, sofern die Quasi-Kausalität bejaht worden wäre, träte die fahrlässige Tötung (durch Anfahren) hinter der
vorsätzlichen Tötung durch Unterlassen (durch Wegfahren) zurück. Der Klausurhinweis stellt lediglich klar, dass man bei Verneinen der Kausalität die Prüfung nicht beenden darf, sondern §222 prüfen muss. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
yolojura
10.12.2022, 15:47:50
Könnte man dann einen
Mord durch Unterlassenannehmen, weil T nicht wollte, dass der Unfall aufgedeckt wird und sie ihren Führerschein nicht verlieren wollte (
Verdeckungsabsicht)?

Lukas_Mengestu
5.5.2023, 14:21:40
Hallo yoloyura, in der Tat wäre hier zudem auch ein
Verdeckungsmord durch Unterlassenzu bejahen gewesen, sofern die Quasi-Kausalität vorläge. So kommt allenfalls ein Versuch in Betracht. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Tinki
13.9.2024, 15:59:56
Im Klausurhinweis müsste man dann aber § 13 I StGB ergänzen, oder? Ich würde nach Ablehnung von §§ 212, 13 I durch Wegfahren/Nicht-helfen eine Strafbarkeit gem. §§ 222, 13 I durch Wegfahren/Nicht-helfen prüfen, richtig?
Tinki
13.9.2024, 16:01:35
habe das "Anfahren" im Klausurenhinweis überlesen- sorry! Werde man nach §§ 222, 13 I trotzdem auch noch prüfen wegen des Wegfahrens?
David
10.11.2023, 12:15:34
Wie wäre es denn hier mit einem versuchten
Verdeckungsmord durch Unterlassen? Wie verhält sich dann der versuchte Mord (wegen
Vorsatzes) zur fahrlässigen Tötung und zusätzlich § 142 StGB konkurrenzrechtlich?
matse
5.11.2024, 14:07:35
Ein Versuch scheidet meines Erachtens deswegen aus, weil ja der tatbestandliche Erfolg (Tod des Opfers) eingetreten ist. Hier würdest du also in der Vorprüfung rausfliegen. Konkurrenztechnisch würde ich die fahrlässige Tötung durch Tun in Tatmehrheit zur Unfallflucht setzen, § 53. Denn das Anfahren durch den Täter und der später gefasste Entschluss zu flüchten, sind zwei separate Handlungen bzw. Willensbetätigungen. Wollte man diesen Vorgang unbedingt in Handlungseinheit sehen (was ich wie gesagt bezweifeln würde), ist auch vom Schutzgut her jedenfalls eine Nennung beider Delikte erforderlich: Fahrlässige Tötung schützt Leib und Leben des Geschädigten. Die § 142 StGB zugrunde liegende Verhaltensnorm schützt ausschließlich das private
Feststellungsinteresseder Unfallbeteiligten und Geschädigten zum Zwecke der Durchsetzung oder Abwehr zivilrechtlicher Ansprüche (BGH NJW 1980, 896; Wessels/Hettinger/Engländer Rn. 1106). Aufgrund dieser unterschiedlichen Schutzwirkungen muss zu Klarstellungszwecken beides genannt werden.
Julian Ost
21.11.2024, 16:47:10
Dem würde ich widersprechen. Hier ist mMn ein Versuch anzunehmen. Die Vollendung kann nicht quasikausal dem Unterlassen zugerechnet werden. Folglich ist anzunehmen, dass der konkrete tatbestandliche Erfolg eben nicht eingetreten ist. Folglich müsste man hier an eine Versuchsstrafbarkeit denken.
Julian Ost
21.11.2024, 16:48:29
Ergänzung: Natürlich sind dazu die subjektiven Elemente bezüglich des Todes und der vorgestellten Quasi-Kausalität nicht genügend ausformuliert. Folglich würde man mMn im
Tatentschlussrausfliegen.

geraumezeit
22.11.2024, 13:22:56
@[David](79732) Der Täter muss das Opfer in der Absicht getötet oder sterben lassen haben, um "eine andere Straftat zu verdecken". Die Verknüpfung von Unrecht mit weiterem Unrecht (nämlich der Tötung) ist der Strafgrund. Das Anfahren ist hier Teil der Tötungshandlung. Ein
Verdeckungsmordsomit scheidet bereits mangels Vorliegen "einer anderen Straftat" aus. Entsprechend würde ich die vorgeschlagene Prüfung nicht ansprechen.

Simon
17.1.2025, 17:44:03
@[Julian Ost](228435), du hast recht. Eine Strafbarkeit aus §§ 212 I, 211 I, II Var. 9, 13 I StGB scheitert hier wegen des Grundsatzes
in dubio pro reonach h.M. an der hypothetischen Kausalität. Damit liegt eine Vollendungsstrafbarkeit nicht vor und die Versuchsstrafbarkeit ergibt sich aus §§ 23 I Alt. 1, 12 I StGB, sodass die Vorprüfung durchgeht (vgl. zu einem ähnlichen Fall BGH, NStZ-RR 2002, 303). Beim
Tatentschlussmuss geprüft werden, ob T es zumindest als möglich erachtete und billigend in Kauf nahm, dass O sterben würde (Erfolgseintritt) und dass eine Verständigung des Rettungsdienstes O (rechtlich gebotene und erforderliche Handlung) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gerettet hätte (
hypothetische Kausalität). Zudem ist ihr
Tatentschlusshinsichtlich der
Garantenstellung aus Ingerenzund der
Entsprechungsklauselzu prüfen. Bzgl. des Mordmerkmals der Verdeckung einer anderen Straftat wäre m.E. zu problematisieren, ob dies auch durch Unterlassen verwirklicht werden kann und zudem ob es T bewusstseinsdominant auf die Verdeckung der Straftat oder um das Behaltendürfen ihres Führerscheins ging. Die restliche Strafbarkeitsvoraussetzungen liegen vor, insbesondere ist das Verständigen des Rettungsdienstes ang
esichts der Lebensgefahr für O nicht unzumutbar. Dazu tritt in Tateinheit die Strafbarkeit aus § 142 I Nr. 2 StGB. Die Strafbarkeit nach
§ 222 StGB(welche § 229 im Wege der Subsidiarität verdrängt) steht m.E. dazu in Tatmehrheit wegen des neuen Willensentschlusses. Zu § 222 kommt in Tateinheit § 315c I Nr. 1a StGB, sofern eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit vorliegt. Dieser verdrängt dann § 316 I im Wege der Subsidiarität.