Zivilrecht

Schadensrecht

Haftungsbeschränkungen

Verschuldensmodifikation 1 (Grundsätzliches)

Verschuldensmodifikation 1 (Grundsätzliches)

24. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Onkel O schenkt Neffe N zu seinem Geburtstag seinen alten Motorroller. Dabei übersieht O leicht fahrlässig, dass die Bremsen aufgrund der langen Standzeit nicht mehr funktionieren. Bei der ersten Fahrt hat N einen Unfall und verletzt sich.

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Einordnung des Falls

Verschuldensmodifikation 1 (Grundsätzliches)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. O und N haben einen Schenkungsvertrag geschlossen (§ 516 Abs. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Die Schenkung ist eine unentgeltliche Zuwendung. Die Handschenkung setzt eine Einigung zwischen dem Zuwendenden und dem Zuwendungsempfänger über die Unentgeltlichkeit einer bereits vollzogenen oder gleichzeitig erfolgenden Zuwendung voraus. Typische Beispiele für Handschenkungen sind: Geburtstags-, Weihnacht- und sonstige Gelegenheitsgeschenke. O schenkt dem N anlässlich seines Geburtstags den Motorroller. Es handelt sich um einen typischen Fall einer Handschenkung (§ 516 Abs. 1 BGB).
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2. Der Motorroller ist mangelhaft. N hat gegen O einen Schadensersatzanspruch aus § 524 Abs. 1 BGB.

Nein, das trifft nicht zu!

Ein Sachmangel liegt vor, wenn die Ist-Beschaffenheit von der Soll-Beschaffenheit abweicht. Hier funktionieren die Bremsen des Motorrollers nicht, eine Abweichung von der Soll-Beschaffenheit liegt somit vor. Jedoch gilt eine Sachmängelhaftung im Schenkungsrecht nur beim arglistigen Verschweigen des Sachmangels (§ 524 Abs. 1 BGB). O hat leicht fahrlässig die defekten Bremsen übersehen. Er hat den Mangel nicht arglistig verschwiegen.

3. O hat eine Pflicht aus dem Schenkungsvertrag verletzt (§§ 516 Abs. 1, 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB).

Ja!

Den Schuldner treffen neben den Leistungspflichten auch Schutz- und Rücksichtnahmepflichten bezüglich der sonstigen Rechte und Rechtsgüter des Gläubigers (§ 241 Abs. 2 BGB). Die Nebenpflichten (§ 241 Abs. 2 BGB) umfassen Schutz- und Obhutspflichten sowie Treupflichten beider Vertrags- bzw. Verhandlungsparteien, die im Zusammenhang mit der Erbringung und Entgegennahme der vertraglichen Leistung entstehen. Hierunter fallen Pflichten, die das Integritätsinteresse der Parteien betreffen sowie Informations- und Aufklärungspflichten. Da O den N auf die Möglichkeit defekter Bremsen nicht hingewiesen hat und dadurch dem N ein Schaden entstanden ist, hat O seine Informationspflicht aus § 241 Abs. 2 BGB verletzt.

4. O hat die Pflichtverletzung nach hM zu vertreten (§§ 280 Abs. 1 S. 2, 276 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach dem allgemeinen Verschuldensmaßstab des (§ 276 BGB) haftet der Schuldner für Vorsatz sowie jede Art von Fahrlässigkeit. Ein Schenker hat jedoch nach § 521 BGB nur Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Dieser abgemilderte Verschuldensmaßstab gilt nach hM nicht nur für die Leistungspflicht des Schenkers, sondern auch für diejenigen vertraglichen Rücksichtsnahmepflichten („Schutzpflichten“), die im Zusammenhang mit dem Gegenstand der Schenkung stehen (vgl. BGH NJW 1985, 794 - „Kartoffelpülpe“). Hierzu gehört auch die Informationspflicht über die Möglichkeit der defekten Bremsen. Da O hier nur leicht fahrlässig übersehen hat, dass die Bremsen aufgrund der langen Standzeit nicht mehr funktionieren, kommt ihm die Haftungsprivilegierung des § 521 BGB zugute. O hat die Pflichtverletzung nicht zu vertreten.

5. N hat gegen O einen Schadensersatzanspruch aus culpa in contrahendo (§ 280 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 311 Abs. 2 und 241 Abs. 2 BGB) wegen Verletzung vertragsschlussbezogener Informationspflichten.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Pflicht zur Aufklärung über die lange Standzeit und die möglicherweise daraus resultierenden defekten Bremsen ergab sich für O nicht erst aus dem Schenkungsvertrag, sondern auch schon aus dem zeitlich vorgelagerten gesetzlichen Vertragsanbahnungsschuldverhältnis (§§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB). Eine Pflichtverletzung des O liegt somit vor. Jedoch gilt nach hM auch hier der abgemilderte Verschuldensmaßstab des § 521 BGB, da die Informationspflichten im Zusammenhang mit dem Gegenstand der Schenkung steht. Da O nur leicht fahrlässig gehandelt hat, hat er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten. Ein Schadensersatzanspruch des N gegen O aus culpa in contrahendo (§ 280 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 311 Abs. 2 und 241 Abs. 2 BGB) besteht somit nicht.

6. N hat gegen O einen Anspruch auf Schadensersatz nach § 823 Abs. 1 BGB.

Nein!

Die Haftungsmilderung des § 521 BGB muss nach der hM, wenn und soweit sie dem O bei der Verletzung seiner vertraglichen oder vorvertraglichen Schutzpflichten zugute kommt, auch auf Ansprüche des B aus unerlaubter Handlung durchschlagen. B hat gegen A keinen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

IUS

iustus

29.8.2020, 01:36:03

Ein bisschen Tricky, wenn man 521 nicht kennt, in der Frage auch nicht gestellt wird, dann auf den geänderten

Verschuldensmaßstab

zu kommen. Kann man das nicht evtl anders einbetten?

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

17.9.2020, 19:35:56

Hallo iustus, danke für deinen Kommentar. In dem Sachverhalt geben wir ja mit der Beschreibung "leichte Fahrlässigkeit" einen entsprechenden Hinweis. Die Vorschrift des § 521 BGB ist (zusammen mit anderen Haftungsmilderungen, wie bspw. § 599 oder §§ 690 / 708 / 1664 Abs. 1 iVm. § 277 BGB (Diligentia quam in suis)) grundlegendes Examenswissen und sollte gekannt werden. Der Sinn der Aufgabe ist gerade, dass man durch den Fehler bei der Beantwortung der Frage darauf aufmerksam wird und den Inhalt der Norm lernt. LG :)

IUS

iustus

17.9.2020, 19:38:26

Wer Inhalte von Normen lernt, scheint nicht verstanden zu haben, dass Gesetze zulässige Hilfsmittel sind. :)

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

18.9.2020, 09:02:17

Hallo iustus, das kannst du natürlich so sehen. Allerdings habe ich im Examen die Erfahrung gemacht, dass mir schlicht die Zeit gefehlt hätte, herauszufinden, für welche Schuldverhältnisse geänderte Verschuldensmaßstäbe gelten. Dann denkt man vielleicht, beim Auftrag nach §§ 662 ff. BGB müsse es eine entsprechende

Haftungsprivilegierung

geben, da es sich dabei auch um einen unentgeltlichen Vertrag handelt. Und dann verschwendet man nutzlos seine Zeit mit der Suche und findet nichts. LG :)

ZAV

Zavviny

19.9.2020, 20:24:00

Hi iustus, beim Lernen findest Du ist es zu viel verlangt, die Norm zu suchen / zu kennen, im Examen gehst Du sie dann im Gesetz suchen? 😂 Im Übrigen ist es ja ein Unterschied, Normen zu kennen und Normen auswendig zu lernen, oder?

IUS

iustus

19.9.2020, 20:37:18

Danke für deine latent passiv-aggressive Antwort. :) Ja, es ist ein Unterschied, diese App ist maximal ein Ersatz für das normale Gelerne. Natürlich schaue ich in normalen Lösungen von SVen ins Gesetz. Diese App ist aber bestenfalls eine Ergänzung... für „zwischendurch“ in der Tram aufm weg zur Uni/Ref. Deswegen auch der Gedanke: „kann man das nicht anders einbetten“ ... zB mit einer Frage: besteht hier eine Haftungserleichterung? Ja/Nein. Selbst wenn man sagt: Man möchte hier über die App Wissen vermitteln, ist es inkonsequent, sonst alles drei Mal zu erklären, bis es der letzte Depp kapiert hat, hier aber plötzlich mit „aBeR dAs SolLtEsT Du ScHoN wIsSeN“ zu argumentieren.

IUS

iustus

19.9.2020, 20:57:35

Außerdem: Wer im Examen es nicht für nötig hält, mal ins Gesetz zu gucken, dort was von „Schenkung“ liest, falls du das Gesetz kennst: es sind ne Handvoll Normen, nichts Grosses wie im Mietrecht, wo der Spaß mit den Kündigungen überall verteilt ist, und man dann „nicht“ die Zeit hat zu lesen „Haftung des Schenkers“ (es fällt einem nahezu in die Augen), der hat es meiner Meinung nach auch irgendwo ziemlich gelitten. Man muss für diese Prüfungen so viel anderen Scheiss wissen, da ist mir die Kenntnis von 521, vor allem wenn es so offensichtlich im Gesetz steht, sowas von bums.

Isabell

Isabell

25.10.2020, 13:18:04

Schließt der tatsächlich stattgefundene Vertragsschluss nicht die Anwendung von c.i.c. aus? Wir haben ja schon kein "quasi-verträgliches Schuldverhältnis" sondern ein tatsächlich abgeschlossenes Schuldverhältnis.

SVE

Sven

25.10.2020, 15:54:17

Meines Wissens nach nicht, da eine Aufklärungs- oder sonstige Pflichtverletzung auch schon vor Vertragsschluss entstehen kann. Würde ein Vertragsschluss nun automatisch die c.i.c. entfallen lassen, könnte man diese Pflichtverletzung nicht mehr einbringen - denn zur Zeit der PV gab es ja noch keinen Vertrag. Kleiner Rechtsvergleich: In Estland, das bei seiner Zivilrechts-Reform viele Modelle aus deutschem Recht übernommen hat, lässt der Vertragsschluss die c.i.c. entfallen - mit dem unschönen Ergebnis, dass vorvertragliche PV als vertragliche PV behandelt werden, sobald ein Vertrag zustande kommt.

lege artis

lege artis

13.4.2021, 14:03:54

Gibt es materiell-rechtlich oder prozessual einen entscheidenden Vorteil durch den Anspruch aus 280 I, 311 II Nr. 2, 241 II, den man bei 280 I, 516, 241 II nicht hat? Oder ist alleiniger Vorteil, dass man nun zwei Ansprüche hat? Vielleicht gibt es einen griffigen Merksatz, wann man immer an eine c.i.c. denken muss?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

21.12.2021, 09:47:29

Hallo lege artis, wirklich relevant wird der c.i.c. Anspruch nur in Fällen, in denen es gerade noch keinen wirksamen Vertragsschluss gibt. Denn der entscheidende Vorteil gegenüber den deliktischen Ansprüchen ist insbesondere die Verschuldensvermutung des

§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB

, die aber natürlich auch im vertraglichen Verhältnis greift. Während man im Referendariat sich in den Urteilsklausuren mit einem Anspruch begnügen kann - sofern dieser durchgeht - ist bis zum 1. Examen immer ein vollständiges Gutachten zu entwerfen, zu dem alle in Betracht kommende Anspruchsgrundlagen gehören. Mit dem allgemeinen Merksatz "Viel Quatsch schreiben die Bearbeiter" (Vertrag / Quasivertraglich/ Sachenrecht / Delikt / Bereicherungsrecht) sollte man also im Kopf zumindest alle mal kurz durchgehen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

QUIG

QuiGonTim

22.7.2022, 14:51:30

Ist der Streit um die Ausdehnung der Hauftungsprivilegierung des § 521 BGB auf Schutzpflichten, die im Zusammenhang mit dem Schenkungsgegenstand stehen, noch aktuell? Sollte er in der Klausur ggf. geführt werden? Wenn ja, wie argumentieren beide Seiten?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

13.8.2022, 10:23:46

Hallo QuiGonTim, es handelt sich nicht um einen wirklich aktuellen Streit. Die Kenntnis ist dennoch von Nutzen, denn dieselbe Frage stellt sich bei anderen

Haftungsprivilegierung

en in ähnlicher Weise. Daher macht es Sinn, sich mit dem Gedanken hinter der entsprechenden Anwendung auseinanderzusetzen. In einer Klausur ist der Streit nicht unbedingt zu führen, wenn nicht der Sachverhalt darauf stößt, indem zum Beispiel die Parteien explizit darum streiten. Für eine entsprechende Anwendung des § 521 spricht, dass eine uneingeschränkte Anwendung des § 276 zu einem Wertungswiderspruch zu § 524 führen würde. Wenn dort der Schenker selbst bei Lieferung einer fehlerhaften Sache lediglich im Fall der Arglist haftet, lässt es sich nur schwer begründen, warum ihn andererseits eine Haftung auch für leichte Fahrlässigkeit treffen soll, wenn er eine fehlerfreie, aber aus anderen Gründen gefährliche Sache verschenkt. Auf der anderen Seite würde die Privilegierung des Schenkers aber zu Lasten des Beschenkten überspannt, wenn man sie – dem Wortlaut des § 521 entsprechend – auf alle Formen der vertraglichen Haftung ausdehnen würde. Der Beschenkte würde in diesem Fall selbst bei kleinsten Zuwendungen eine weitgehende Einschränkung seiner Haftungsansprüche in Kauf nehmen müssen. Daher vertritt der BGH die eingeschränkte Ausweitung des § 521 BGB. In der Literaturwird dagegen teilweise eine uneingeschränkte Anwendung des § 521 befürwortet mit dem Hinweis auf die altruistischen Motive des Schenkers – die keinesfalls zwingend vorliegen müssen, wie der Kartoffel-Pülpe-Fall gezeigt hat. Teilweise wird aber auch eine uneingeschränkte Anwendung des § 276 angenommen und zur Begründung auf den ansonsten unzureichenden Schutz des Beschenkten hingewiesen. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Sambadi

Sambadi

29.11.2022, 12:49:46

Hallo Nora (oder generell Jura-Fuchs): kann man die Argumente so auch für die anderen Haftungspriviligierungen übernehmen? Vielen Dank!

FL

Flohm

28.11.2023, 16:20:55

Ich fände es gut, wenn der Streit nochmal einzeln abgefragt wird.

CH

Christopher

20.3.2023, 13:42:38

Jetzt habe ich das mit der Anwendbarkeit der cic neben dem Schenkungsvertrag verstanden 😃

Nora Mommsen

Nora Mommsen

20.3.2023, 16:54:56

Hallo Christopher, willkommen im Jurafuchs-Forum! So soll es sein, so darf es weitergehen. :) Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

STE

Stella2244

15.5.2024, 15:50:33

Ich auch 😍

REUS04

Reus04

18.6.2023, 13:03:01

Wie sieht die Prüfungsreihenfolge für den Sachverhalt aus? Zuerst §524 BGB und danach dann Vertraglich, Quasi und Delikt?

VALA

Vanilla Latte

14.2.2024, 01:55:27

Was ist hier der Unterschied zu der verbliebenen Information mit der

Kartoffelpülpe

des Chipsherstellers?

TI

Timurso

14.2.2024, 12:02:56

Ich kann auf den ersten Blick keinen Unterschied erkennen. Soweit ich das sehe, waren Argumentation und Ergebnis in diesem Fall die gleichen (521 gilt auch für Nebenpflichten und bei c.i.c., hier nur leichte Fahrlässigkeit, daher keine Haftung, Erstreckung dieser Wertung auch auf 823). Wo hast du hier einen Unterschied bemerkt?


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