Strafrecht

Strafprozessrecht

Verfahrensgrundsätze (Prozessmaximen)

Legalitätsprinzip - Ausnahme: Opportunitätsprinzip

Legalitätsprinzip - Ausnahme: Opportunitätsprinzip

3. Juli 2025

12 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Staatsanwältin S ermittelt gegen die geständige und nicht vorbestrafte J wegen Erschleichens von Leistungen (§ 265a StGB). J hatte die letzte Bahn gerade so erwischt und so kein Ticket gelöst (Preis: 2,10 Euro). Sie hätte ansonsten die Nacht auf einer Parkbank schlafen müssen. Strafantrag ist gestellt.

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Einordnung des Falls

Legalitätsprinzip - Ausnahme: Opportunitätsprinzip

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Vorliegend besteht ein hinreichender Tatverdacht gegen J. Besagt das Legalitätsprinzip, dass die Staatsanwaltschaft in diesem Falle grundsätzlich Anklage erheben muss (§§ 170 Abs. 1, 203 StPO)? ‌

Ja, in der Tat!

Besteht ein hinreichender Tatverdacht gegen den Beschuldigten, muss die Staatsanwaltschaft nach dem Legalitätsprinzip Anklage erheben (§§ 170 Abs. 1, 203 StPO). Hierdurch wird die Strafverfolgung ohne Ansicht der Person sichergestellt. Hinreichender Tatverdacht besteht, wenn die Verurteilung in einem Prozess wahrscheinlicher erscheint als der Freispruch. J ist ohne Ticket Bahn gefahren und geständig. Damit besteht ein hinreichender Tatverdacht bezüglich einer Verurteilung aufgrund § 265a StGB gegen die J. Da auch Strafantrag gemäß §§ 265a Abs. 3, 248a StGB gestellt ist, muss S grundsätzlich Anklage erheben.
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2. Wegen der Geringfügigkeit der Tat können hier aber die Voraussetzungen des § 153 Abs. 1 StPO vorliegen. Kann die Staatsanwaltschaft in dem Fall trotz hinreichenden Tatverdachts von der Anklage absehen?

Ja!

Der Gegensatz zum Legalitätsprinzip ist das Opportunitätsprinzip, welches in den §§ 153ff. StPO zum Ausdruck kommt. Danach haben die Strafverfolgungsbehörden in bestimmten Fällen die Möglichkeit, ein Verfahren trotz eines hinreichenden Tatverdachts aus Gründen der Zweckmäßigkeit entgegen § 170 Abs. 1 StPO einzustellen. Dies ist im deutschen Rechtssystem eine Ausnahme. Liegt dagegen schon kein hinreichender Tatverdacht vor, geht die Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO vor.In Fällen leichter bis mittlerer Kriminalität soll das Opportunitätsprinzip der Entlastung der Justiz dienen. Das Legalitätsprinzip ist die Regel und die Verfahrenseinstellung aus Zweckmäßigkeitsgründen die Ausnahme.Wenn die Voraussetzungen des § 153 StPO hier vorliegen, kann S das Verfahren einstellen.

3. Erlaubt § 153 Abs. 1 StPO der Staatsanwaltschaft, nach Belieben von der Anklageerhebung abzusehen?

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Einstellung steht nicht im Belieben der Staatsanwaltschaft. Vor der Anklageerhebung kann sie nur dann nach § 153 Abs. 1 StPO von der Anklage absehen, wenn: (1) das Verfahren ein Vergehen zum Gegenstand hat, (2) die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre, (3) kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht und (4) das für die Hauptverhandlung zuständige Gericht zustimmt. Der Zustimmung bedarf es nicht bei einem Vergehen, das nicht mit einer im Mindestmaß erhöhten Strafe bedroht ist und bei dem die durch die Tat verursachten Folgen gering sind.Durch die Einstellung nach § 153 Abs. 1 StPO tritt kein Strafklageverbrauch ein. Die Staatsanwaltschaft kann das eingestellte Verfahrens jederzeit bei Vorliegen eines sachlich einleuchtenden Grundes (Willkürverbot!) wiederaufnehmen. An dieser Stelle geht es uns zunächst darum, die zu vermitteln, was das Opportunitätsprinzip ist. Die Voraussetzungen der §§ 153ff. StPO schauen wir uns in einem späteren Kapitel im Detail an!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

RO

Roxxin

25.3.2025, 10:50:25

in der ersten Frage wird die Ergebung der Anklage als zwingend dargestellt. In der zweiten Frage sind doch Einstellungen möglich.

Linne Hempel

Linne Hempel

26.5.2025, 15:25:30

Hey @[Roxxin](295740), danke für deine Anmerkung. In der ersten Frage gehen wir erst einmal vom

Legalitätsprinzip

aus. Danach muss die Staatsanwaltschaft grundsätzlich die Straftat verfolgen und anklagen, sofern ein hinreichender

Anfangsverdacht

besteht. In den folgenden Fragen kommen wir dann auf Ausnahmen aus Opportunitätsgründen zu sprechen. Wir haben die erste Frage noch etwas umformuliert, um deutlicher zu machen, dass es uns zunächst um den Grundsatz geht. Ich hoffe, ich konnte dir damit weiterhelfen. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team

mkrg

mkrg

13.5.2025, 14:47:08

Liegt im Fall einer Einstellung nach § 170 II 1 StPO auch kein

Strafklageverbrauch

vor?

LO

Loreen

14.5.2025, 15:46:09

Hey, genau richtig. Bei

§ 170 II StPO

ist es meiner Ansicht nach sogar noch eindeutiger. Die Staatsanwaltschaft stellt demnach das Verfahren ein, weil sie zum Entscheidungszeitpunkt keinen hinreichenden

Tatverdacht

sieht. Damit wird lediglich ausgedrückt, dass dem Be

schuld

igten mit den dann zur Verfügung stehenden Beweismitteln die Tat nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden kann. Dort besteht kein solches Vertrauen des Be

schuld

igten wie z.B. durch den Freispruch durch ein Gericht.

CHA

Charles

17.5.2025, 09:04:59

Bei §

265a StGB

muss die Tat nicht von der StA verfolgt werden, wenn es sich (wie hier) um einen geringen Wert handelt und (wie hier) kein

Strafantrag

gestellt wurde (§§ 265a III,

248a StGB

)

Maurice497

Maurice497

27.5.2025, 10:13:47

Hey Charles, danke für deine Anmerkung! :) Du hast Recht, der

Strafantrag

muss hier natürlich gestellt sein, damit es zu einer Anklageerhebung kommt. Wir haben das eingearbeitet :) Viele Grüße – Maurice, für das Jurafuchs-Team

Deno

Deno

14.6.2025, 01:32:48

„Vergehen mit einer im Mindestmaß nicht erhöhten Strafe“ Was genau bedeutet dies? Gibt es weitere Beispiele?


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