+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Staatsanwältin S ermittelt gegen die geständige und nicht vorbestrafte J wegen Erschleichens von Leistungen (§ 265a StGB). J hatte die letzte Bahn gerade so erwischt und so kein Ticket gelöst (Preis: 2,10 Euro). Sie hätte ansonsten die Nacht auf einer Parkbank schlafen müssen.
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Einordnung des Falls
Legalitätsprinzip - Ausnahme: Opportunitätsprinzip
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Vorliegend besteht ein hinreichender Tatverdacht gegen J. Besagt das Legalitätsprinzip, dass die Staatsanwaltschaft in diesem Falle Anklage erheben muss (§§ 170 Abs. 1, 203 StPO)?
Ja, in der Tat!
Besteht ein hinreichender Tatverdacht gegen den Beschuldigten, muss die Staatsanwaltschaft nach dem Legalitätsprinzip Anklage erheben (§§ 170 Abs. 1, 203 StPO). Hierdurch wird die Strafverfolgung ohne Ansicht der Person sichergestellt. Hinreichender Tatverdacht besteht, wenn die Verurteilung in einem Prozess wahrscheinlicher erscheint als der Freispruch. J ist ohne Ticket Bahn gefahren und geständig. Damit besteht ein hinreichender Tatverdacht bezüglich einer Verurteilung aufgrund § 265a StGB gegen die J. S muss daher grundsätzlich Anklage erheben.
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2. Wegen der Geringfügigkeit der Tat können hier aber die Voraussetzungen des § 153 Abs. 1 StPO vorliegen. Kann die Staatsanwaltschaft in dem Fall trotz hinreichenden Tatverdachts von der Anklage absehen?
Ja!
Der Gegensatz zum Legalitätsprinzip ist das Opportunitätsprinzip, welches in den §§ 153ff. StPO zum Ausdruck kommt. Danach haben die Strafverfolgungsbehörden in bestimmten Fällen die Möglichkeit, ein Verfahren trotz eines hinreichenden Tatverdachts aus Gründen der Zweckmäßigkeit entgegen § 170 Abs. 1 StPO einzustellen. Dies ist im deutschen Rechtssystem eine Ausnahme. Liegt dagegen schon kein hinreichender Tatverdacht vor, geht die Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO vor.In Fällen leichter bis mittlerer Kriminalität soll das Opportunitätsprinzip der Entlastung der Justiz dienen. Das Legalitätsprinzip ist die Regel und die Verfahrenseinstellung aus Zweckmäßigkeitsgründen die Ausnahme.Wenn die Voraussetzungen des § 153 StPO hier vorliegen, kann S das Verfahren einstellen.
3. Erlaubt § 153 Abs. 1 StPO der Staatsanwaltschaft, nach Belieben von der Anklageerhebung abzusehen?
Nein, das ist nicht der Fall!
Die Einstellung steht nicht im Belieben der Staatsanwaltschaft. Vor der Anklageerhebung kann sie nur dann nach § 153 Abs. 1 StPO von der Anklage absehen, wenn:
(1) das Verfahren ein Vergehen zum Gegenstand hat,
(2) die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre,
(3) kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht und
(4) das für die Hauptverhandlung zuständige Gericht zustimmt.
Der Zustimmung bedarf es nicht bei einem Vergehen, das nicht mit einer im Mindestmaß erhöhten Strafe bedroht ist und bei dem die durch die Tat verursachten Folgen gering sind.Durch die Einstellung nach § 153 Abs. 1 StPO tritt kein Strafklageverbrauch ein. Die Staatsanwaltschaft kann das eingestellte Verfahrens jederzeit bei Vorliegen eines sachlich einleuchtenden Grundes (Willkürverbot!) wiederaufnehmen. An dieser Stelle geht es uns zunächst darum, die zu vermitteln, was das Opportunitätsprinzip ist. Die Voraussetzungen der §§ 153ff. StPO schauen wir uns in einem späteren Kapitel im Detail an!