Öffentliches Recht
Staatsorganisations-Recht
Wahlen und Wahlrechtsgrundsätze
3%-Sperrklausel Europawahl
3%-Sperrklausel Europawahl
19. Februar 2025
12 Kommentare
4,7 ★ (15.369 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Soweit das Wahlverfahren zum Europäischen Parlament nicht durch Unionsrecht geregelt ist, wird dies von den Mitgliedstaaten selbst festgelegt. Das deutsche Europawahlgesetz enthält eine Regelung, wonach bei der Verteilung der Sitze nur Wahlvorschläge berücksichtigt werden, die mindestens 3% der im Wahlgebiet abgegeben gültigen Stimmen erhalten haben.
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Einordnung des Falls
3%-Sperrklausel Europawahl
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Deutschland stehen 96 Sitze im Europäischen Parlament zu. Die Sitzverteilung auf die Listen der Parteien erfolgt nach den Grundsätzen der Verhältniswahl.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Die 3%-Sperrklausel könnte gegen Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG verstoßen. Gilt die Vorschrift auch für die Wahl des Europäischen Parlaments?
Nein, das trifft nicht zu!
3. Die Sperrklausel könnte gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen.
Ja!
4. Aus dem Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit folgt für das Wahlgesetz, dass die Stimme eines jeden Wahlberechtigten grundsätzlich den gleichen Zähl- und Erfolgswert haben muss. Beeinträchtigt die 3%-Sperrklausel die Erfolgswertgleichheit?
Genau, so ist das!
5. Der Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit unterliegt einem absoluten Differenzierungsverbot.
Nein, das trifft nicht zu!
6. Die Beeinträchtigung der Gleichheit der Wahl könnte hier zur Sicherung des Charakters der Wahl als Integrationsvorgang bei der politischen Willensbildung des Volkes gerechtfertigt sein.
Ja!
7. Die 3%-Sperrklausel müsste geeignet und erforderlich sein, um die Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments zu sichern.
Genau, so ist das!
8. Ist die 3%-Sperrklausel geeignet und erforderlich, um die Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments zu sichern, und damit verfassungsrechtlich gerechtfertigt?
Nein, das trifft nicht zu!
9. Mangels Rechtfertigung ist die Sperrklausel nicht mit den Maßstäben aus Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Das Gesetz ist verfassungswidrig.
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Ala
17.7.2024, 11:33:24
Was bedeutet der „formale Charakter der Grundsätze der Wahlgleichheit“?

Linne_Karlotta_
11.9.2024, 11:32:17
Hallo @[Ala](241758), danke für deine Frage. Mit diesem Begriff wird auf die formale oder auch formelle Gleichheit Bezug genommen. Ein formelles Gleichheitsverständnis geht davon aus, dass alle Menschen grundsätzlich der gleichen Behandlung unterliegen. Demnach seien alle Menschen gleichgestellt, es bestehe zumindest prinzipiell die gleiche Ausgangssituation. Wenn Menschen demnach ungleich behandelt werden, dann sei das der abweichende Sonderfall, der einer Begründung bedürfe. Weil also alle Menschen hinsichtlich ihres Wahlrechts dieselbe Ausgangssituation haben (müssen), ist der Gesetzgeber in seinem Ermessen, hiervon abweichende Regelungen zu treffen, eingeschränkt. Ich hoffe, ich konnte dir damit weiterhelfen. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team

Ala
17.7.2024, 11:34:04
Was ist der Unterschied zwischen einer „Differenzierung direkt aus der Verfassung“ und einer „Differenzierung, die durch die Verfassung legitimiert“ ist anhand eines Beispiels? Also wie wird eine Differenzierung durch die Verfassung legitimiert ohne direkt aus der Verfassung zu stammen?

Linne_Karlotta_
11.9.2024, 11:37:28
Hallo @[Ala](241758), danke für Deine Frage. Ein Differenzierungsgrund ergibt sich direkt aus der Verfassung, wenn er dort ausdrücklich geregelt ist (so z.B. Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG hinsichtlich der Beschränkung des Wahlalters). Eine Differenzierung ist durch die Verfassung legitimiert, wenn sie der Wahrung eines Verfassungsgutes dient. Also z.B.: Beschränkung der
Öffentlichkeit der Wahlzu Gunsten der
Geheimheit der Wahl(Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG). Ich hoffe, ich konnte dir damit weiterhelfen. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team

Ala
11.9.2024, 15:54:59
Hallo @[Linne_Karlotta_](243622) , ja, vielen Dank 😊👍

Ala
17.7.2024, 11:34:56
Was soll der „Integrationsvorgang bei der politischen Willensbildung des Volkes“ sein? Dass der Wille des Volkes im Parlament widergespiegelt wird oder wie ist dieser Ausdruck zu verstehen?

Sebastian Schmitt
13.9.2024, 09:56:53
Hallo @[Ala](241758), letztlich müsstest Du diese Frage dem BVerfG stellen, das die Formulierung in der Vergangenheit maßgeblich geprägt hat. Deine
Vermutungdürfte es aber schon ganz gut treffen. Das BVerfG hat die "Sicherung des Charakters der Wahl als eines Integrationsvorgangs bei der politischen Willensbildung des Volkes" zuletzt noch als eines der wesentlichen mit Wahlen verfolgten Ziele genannt (BVerfGE 135, 259, 286). Etwas plastischer wird es in BVerfGE 95, 408, 419: "Funktion der Wahl als eines Vorgangs der Integration politischer Kräfte". Gemeint ist also tatsächlich, dass die politischen Strömungen im zu wählenden Parlament den Wählerwillen möglichst akkurat und wirklichkeitsgetreu abbilden und nicht bestimmte Überzeugungen einer gewichtigen Anzahl von Wählern völlig ausgeschlossen bleiben sollen. Es geht dementsprechend darum, den Wählerwillen per Wahl, einer Art der politischen Willensbildung, zu "integrieren", also in eine entsprechende Besetzung des zu wählenden Parlaments zu überführen. Dieser Grundsatz "beißt" sich logischerweise zB mit eingeführten Sperrklauseln, weshalb das Thema in diesem Zusammenhang häufiger auftaucht. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

Ala
17.7.2024, 11:54:28
Wer könnte denn eine Verletzung des Art. 3 I GG geltend machen - nur WählerInnen oder auch die Parteien? im rahmen der Bundestagswahl: können sich sowohl WählerInnen als auch Parteien auf Art. 38 I 1 GG und Art. 21 I GG berufen (= eine Verletzung rügen)? Danke schon mal 😊

FalkTG
9.10.2024, 12:08:52
Ich meine mich zu erinnern, dass die Folge war, dass das Europarecht für die nächste Wahl angepasst wurde.

Sebastian Schmitt
12.10.2024, 18:42:35
Hallo @[FalkTG](241044), vielen Dank für Deinen aufmerksamen Hinweis. Bei den Europawahlen 2019 und auch 2024 galt in Deutschland keine Sperrklausel. Was Du vermutlich meinst, ist der Direktwahlakt aus dem Jahr 2018 (https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32018D0994), der für Deutschland iE die Einführung einer Sperrklausel zwischen 2 und 5 % vorsieht (vgl Art 3 I, II des geänderten Wahlakts). Dieser Direktwahlakt muss aber von allen Mitgliedstaaten ratifiziert werden, damit er in Kraft tritt. Deutschland hatte seine Zustimmung zunächst aufgeschoben, 2023 dann aber erteilt. 2024 äußerte das BVerfG keine Einwände gegen die Einführung einer 2 %-Sperrklausel durch die EU (Beschl v 6.2.2024, 2 BvE 6/23, 2 BvR 994/23, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2024/bvg24-023.html). Anscheinend wurde der Direktwahlakt aber noch immer nicht von allen Mitgliedstaaten ratifiziert, insbesondere nicht von Spanien. Weil die Ratifizierung des Wahlakts nicht voranging,
bemühte man sich auf EU-Ebene um die Einführung einer einheitlichen Sperrklausel von 3,5 %, die schon zur Wahl 2024 greifen sollte. Auch daraus wurde letztlich jedoch nichts, sodass es derzeit bei der bisherigen Lage bleibt, in Deutschland also nach wie vor keine Sperrklausel zur Europawahl gilt. Wir werden das weiter beobachten und haben vorerst einen Vertiefungshinweis am Ende der letzten Frage aufgenommen Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team