Zivilrecht

Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Entscheidungen von 2024

Fristsetzung auch bei kranken Tieren erforderlich

Fristsetzung auch bei kranken Tieren erforderlich

14. Dezember 2024

4,7(26.308 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K kauft von V eine Katze. K und V vereinbaren, dass die Katze gesund übereignet wird. Schon am Tag nach der Übergabe zeigt die Katze Symptome einer bereits zuvor bestehenden Erkältung. K informiert V über diese. Da V nicht reagiert, bringt K die Katze direkt zum Tierarzt und fordert die Tierarztkosten von V.

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Einordnung des Falls

Fristsetzung auch bei kranken Tieren erforderlich

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K könnte gegen V einen Anspruch auf Ersatz der Tierarztkosten gemäß §§ 437 Nr. 3, 440, 280, 281 BGB haben.

Ja, in der Tat!

Haben die Parteien (1) einen Kaufvertrag über eine Sache geschlossen (§ 433 BGB) und ist die Sache (2) mangelhaft (§§ 434, 435 BGB), so ist der Anwendungsbereich der kaufrechtlichen Gewährleistungsrechte (§ 437 BGB) eröffnet. Der Käufer kann z.B. unter den weiteren Voraussetzungen der §§ 280, 281 BGB vom Verkäufer Ersatz für den Schaden verlangen, der dadurch entstanden ist, dass der Verkäufer pflichtwidrig eine mangelhafte Sache übereignet hat (§ 437 Nr. 3 BGB). K und V haben einen Kaufvertrag über die Katze geschlossen. V hat sich damit gegenüber K verpflichtet, ihr eine mangelfreie Katze zu übereignen. Tiere sind keine Sachen im Sinne von § 90 BGB, sie werden aber rechtlich als solche behandelt (§ 90a BGB).
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2. War die Katze zum Zeitpunkt der Übergabe mangelhaft (§ 434 BGB)?

Ja!

Der Anspruch aus §§ 437 Nr. 3, 440, 280, 281 BGB setzt zunächst voraus, dass die übereignete Sache mangelhaft (§§ 434, 435 BGB) ist. Eine Sache ist frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang (§ 446 BGB) den subjektiven Anforderungen, den objektiven Anforderungen und den Montageanforderungen entspricht (§ 434 Abs. 1 BGB). Die Sache entspricht jedenfalls nicht den subjektiven Anforderungen, wenn sie nicht die vereinbarte Beschaffenheit hat (§ 434 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Zeigt sich der Mangel erst später, reicht es aus, dass er im Zeitpunkt des Gefahrenübergangs bereits angelegt war. V und K haben sich ausdrücklich dahingehend geeinigt, dass die Katze bei der Übergabe (= Gefahrübergang) gesund sein soll. Da sie sich schon zu diesem Zeitpunkt angesteckt hatte, entsprach sie nicht den subjektiven Anforderungen.

3. Hat K dem V eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt (§ 281 Abs. 1 S. 1 BGB)?

Nein, das ist nicht der Fall!

Grundsätzlich setzt der Anspruch des Käufers auf Schadensersatz gemäß §§ 437 Nr. 3, 440, 280, 281 BGB voraus, dass der Käufer dem Verkäufer erfolglos eine angemessene Frist zur Nacherfüllung bestimmt hat (§ 281 Abs. 1 S. 1 BGB). Die Fristsetzung muss das Nacherfüllungsverlangen bis zu einem bestimmten oder bestimmbar Zeiptunkt zum Ausdruck bringen. K hat die V lediglich über die Krankheit der Katze informiert. Dann ist K direkt zum Tierarzt gegangen, um den Mangel beseitigen zu lassen. Die reine Information über die Erkrankung ist keine Fristsetzung.

4. Eine Fristsetzung kann gemäß § 281 Abs. 2 BGB entbehrlich sein.

Ja, in der Tat!

Die Fristsetzung ist entbehrlich, wenn der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert oder wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs rechtfertigen (§ 281 Abs. 2 BGB).Im Kaufrecht ist eine Fristsetzung zudem auch unter den Voraussetzungen des § 440 BGB entbehrlich.

5. Indem V nicht auf Ks Nachricht reagierte, verweigerte sie die Nacherfüllung. Die Fristsetzung war daher entbehrlich (§ 281 Abs. 2 Alt. 1 BGB).

Nein!

Die Fristsetzung ist entbehrlich, wenn der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert (§ 281 Abs. 2 Alt. 1 BGB). Eine Leistungsverweigerung liegt nur dann vor, wenn der Schuldner durch sein Verhalten unmissverständlich zum Ausdruck bringt, nicht mehr leisten zu werden. V hat hier lediglich nicht auf Ks Mitteilung reagiert. Damit hat V nicht unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, den Mangel endgültig nicht beheben zu wollen.

6. Weil V Ks Nachricht nicht beantwortet hat, rechnete K nicht damit, dass V auf eine Fristsetzung reagieren würde. War die Fristsetzung deswegen als bloße „Förmelei“ entbehrlich (§ 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB?

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Fristsetzung soll dem Schuldner ermöglichen, zu überprüfen, ob der Mangel tatsächlich besteht und ob er verantwortlich für den Mangel ist. Außerdem soll der Schuldner darauf hingewiesen werden, dass Kosten entstehen. Dem Schuldner soll die Möglichkeit gegeben werden, durch eigenes Tätigwerden den Schaden so gering wie möglich zu halten. Diese Funktionen der Fristsetzung bestehen unabhängig davon, ob der Gläubiger eine Reaktion des Schuldners erwartet. Ob V auf eine Fristsetzung reagieren würde, ist grundsätzlich unerheblich. Dass V nicht auf Ks Nachricht reagierte begründet damit auch keinen besonderen Umstand im Sinne von § 281 Abs. 2 BGB. § 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB ist als „Generalklausel“ eher restriktiv auszulegen.

7. Die Fristsetzung war aber entbehrlich, weil die Behandlung der Katze als Notmaßnahme unverzüglich durchgeführt werden musste (§ 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Die Fristsetzung ist unter anderem entbehrlich, wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs rechtfertigen (§ 281 Abs. 2 BGB). Beim Kauf eines Tieres ist dies der Fall, wenn der Zustand des Tieres eine unverzügliche tierärztliche Behandlung als Notmaßnahme erforderlich erscheinen lässt, die von der Verkäuferin nicht rechtzeitig veranlasst werden könnte. Die Katze litt hier „nur“ unter einer Erkältung. Es ist nicht ersichtlich, dass eine unverzügliche Notbehandlung nötig gewesen wäre, die von V nicht hätte veranlasst werden können.

8. Weil K vor dem Arztbesuch aber nicht wissen konnte, wie schwer die Erkrankung war und ob diese bereits beim Kauf bestand, war eine Fristsetzung ausnahmsweise dennoch entbehrlich (§ 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB).

Nein!

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass allein die Tatsache, dass der Käufer einer Sache vor dem Aufsuchen von z.B. einer Werkstatt oder einer Arztpraxis nicht wissen kann, ob ein Mangel im Rechtssinne vorliegt, den Käufer nicht von der Pflicht befreit, den Verkäufer auf den (vermuteten) Mangel hinzuweisen und diesem eine angemessene Frist zur Überprüfung und ggf. Beseitigung des Mangels zu setzen. Die Fristsetzung war nicht entbehrlich. Weil K der V keine Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat, hat K keinen Anspruch auf Ersatz der Arztkosten aus §§ 437 Nr. 3, 440, 280, 281 BGB. Weitere Ansprüche, z.B. aus GoA, scheiden ebenfalls aus. Näheres zu den weiteren Ansprüchen bei der unberechtigten Selbstvornahme findest Du: hier!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Daniel (blabab45)

Daniel (blabab45)

15.4.2024, 07:19:55

Auf ich glaube dem 4. o. 5. Slide steht, dass die

Fristsetzung

dem Schuldner 1. Gelegenheit zur Untersuchung des Mangels, 2. Gelegenheit zur Prüfung der eigenen Verantwortlichkeit und 3. als Hinweis auf entstehende Kosten dienen soll. Den 3. Punkte habe ich so noch nie gehört. Soll man nach dieser Ansicht dann in der

Fristsetzung

auch darauf hinweisen müssen, dass man nach der Frist selbst auf Kosten des Schuldners nachbessern lässt?

LELEE

Leo Lee

15.4.2024, 13:44:54

Hallo Daniel (blabab45), vielen Dank für die sehr gute Frage! In der

Tat

ist dein Einwand sehr berechtigt und nicht ganz von der Hand zu weisen. Allerdings ist hier der Telos weniger dahingehend zu verstehen, dass der Gläubiger explizit dem Schuldner klarmachen muss, dass er ansonsten zu zahlen hat (genauso wenig wie er explizit darauf hinweisen muss, dass er den Mangel untersuchen soll). Vielmehr soll mit der

Fristsetzung

dem Schuldner vor Augen geführt werden, dass er all diese Sachen zu beachten hat (also dass er untersuchen bzw. prüfen soll und ggf. auch erkennen können soll, dass es ansonsten „teuer“ werden kann). Beachte i.Ü. noch, dass der Telos der

Fristsetzung

eher dem Verständnis bei Prüfung dieses TBMs dienen soll und nicht wörtlich bei jeder Klausur fallen muss :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

RUBI

Rubinho

20.5.2024, 11:41:35

Wenn ich es richtig verstehe, liegt in der vorliegenden ein Fall der Selbstvornahme vor. Nach meinem Verständnis scheitert ein Anspruch aus § 280 I, III, 281 daran, dass eine Nacherfüllung durch die Handlung des Käufers vorliegend unmöglich gemacht wurde iSd § 275. § 281 I setzt aber gerade voraus, dass die Nacherfüllung noch möglich ist. Damit sollte doch ein Anspruch schon hieran scheitern. Dann wäre § 283 zu prüfen. Hier scheitert der Anspruch dann aber daran, dass der Verkäufer die

Unmöglichkeit

gerade nicht zu vertreten hat.

LELEE

Leo Lee

21.5.2024, 09:26:13

Hallo Rubinho, genauso ist es! Vorliegend schied 281 aus aufgrund fehlender

Fristsetzung

. Auch lag – wie du zu Recht anmerkst – eine Selbstvornahem vor, weshalb 283 greifen würde. Allerdings würde auch dieser Anspruch ausscheiden. Du hast es also punktgenau getroffen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

JEN

jenny24

1.7.2024, 09:39:41

gem. 475 II gilt inzwischen ein anderer Maßstab. Warum wird das nicht thematisiert? Was übersehe ich? VG

svh

svh

2.7.2024, 18:33:00

Es liegt (so wie ich den Fall verstehe) kein b2c vor, also kein

Verbrauchsgüterkauf

:). Deswegen finden die §§ 475 ff. Keine Anwendung

JEN

jenny24

2.7.2024, 18:49:43

Ja aber ist nicht klar im SV

JO

JonasRehder

22.7.2024, 10:13:43

Ist für den Fall jetzt vlt. Klugscheißern, aber folgendes könnte helfen: § 474 BGB setzt ja voraus, dass die Unternehmereigenschaft des Verkäufers besteht. Das setzt wiederum eine Prüfung nach §§ 13, 14 BGB voraus. Hier besteht nach der Gesetzessystematik erst einmal untechnisch gesagt eine

Vermutung

, dass die Person nicht in ihrer gewerblichen Tätigkeit und damit nicht als Unternehmer gehandelt hat (In der Praxis trägt nach dem Günstigkeitsprinzip hierfür der Käufer die Beweislast, da an die Unternehmerstellung für Ihn positive Folgen nach sich zieht -> Regime der §§ 474 ff. BGB bspw.). Insofern kann man, wenn der Sachverhalt nichts dazu verliert, ob eine etwaige gewerbliche Tätigkeit ausgeübt wird, davon ausgehen, dass der Verkäufer kein Unternehmer ist. Es müssen somit bestimmte „Buzzwords“ folgen, anhand denen man das Ganze dann überhaupt begründen kann. Bspw. „Verkauft immer mal wieder die Katzen aus seiner Zucht“ -> Hier müsste man dann diskutieren, ob das ganze schon gewerblich ist / oder noch deutlicher: „Katzenzüchter V verkauft seine Katzen regelmäßig“ Wenn solche Hinweise fehlen, auf deren Grundlage man das diskutieren kann, ist bei einem Kaufvertrag demnach erst einmal nicht von einem

Verbrauchsgüterkauf

auszugehen :)

flari0n

flari0n

16.9.2024, 18:56:23

Ich würde in die Abwägung nach § 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB wahrscheinlich noch den Gedanken einfließen lassen, dass der V mit der Katze ebenfalls zum Tierarzt gegangen wäre, also genau die gleiche Maßnahme ergriffen hätte, sodass er die Kosten auch bei einer

Fristsetzung

durch K wohl kaum geringer hätte halten können. Im Übrigen dürfte K nach § 2 Nr. 1 TierSchG dazu verpflichtet sein, die Krankheit der Katze so schnell wie möglich zu erforschen und zu behandeln und nicht zugunsten eines „popeligen“ Kosteninteresses des V (der die Kosten - wahrscheinlich - sowieso nicht geringer hätte halten können) das Risiko einzugehen, dass die Katze doch schwerer erkrankt ist und länger als nötig leidet oder gar stirbt. Abgesehen davon, dass man den K so womöglich zwingen würde, sich i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 1 TierSchG ordnungswidrig zu verhalten. So könnte man schon auch zu einem anderen Ergebnis kommen. Nur so als Idee :)


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