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Sachmängelhaftung beim „Bastlerfahrzeug“ (OLG Stuttgart, Urt. v. 17.08.2023 – 2 U 41/22)

Sachmängelhaftung beim „Bastlerfahrzeug“ (OLG Stuttgart, Urt. v. 17.08.2023 – 2 U 41/22)

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K kauft bei Gebrauchtwarenhändler V einen gebrauchten SUV. Der Kaufvertrag enthält folgende Klausel:
„Das Fahrzeug wird als Bastelfahrzeug gebraucht und in altersgemäßem Zustand verkauft. Die Käuferin hat das Fahrzeug besichtigt, Probe gefahren und den vorgefundenen Zustand akzeptiert.“
Kurz nach der Übergabe beginnt der Motor zu stottern. Da V trotz Benachrichtigung wochenlang nicht nacherfüllt, verlangt K ihr Geld zurück.

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Einordnung des Falls

Sachmängelhaftung beim „Bastlerfahrzeug“ (OLG Stuttgart, Urt. v. 17.08.2023 – 2 U 41/22)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K könnte ein Anspruch auf Rückgabe des Kaufpreises aus § 437 Nr. 2, 323, 346 BGB zustehen.

Genau, so ist das!

Ein Anspruch auf Vertragsabwicklung bei mangelbedingtem Rücktritt des Käufers setzt voraus: I. Rücktrittsgrund (1) Kaufvertrag (§ 433 BGB) (2) Mangel bei Gefahrübergang (§§ 434ff. BGB) (3) Erfolglose Fristsetzung oder Entbehrlichkeit (§§ 323, 326 Abs. 5 BGB, § 475d Abs. 1 BGB) II. Rücktrittserklärung (§ 349 BGB) K und V haben einen wirksamen Kaufvertrag geschlossen. Fraglich ist allerdings, ob der Wagen bei Gefahrübergang mangelhaft i.S.d. § 434 BGB war.
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2. Ein stotternder Motor entspricht nicht den objektiven Anforderungen an einen fahrbereiten SUV, sodass ein Mangel vorliegen könnte (§ 434 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Eine Sache ist frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang den subjektiven Anforderungen, den objektiven Anforderungen und den Montageanforderungen entspricht (§ 434 Abs. 1 BGB). Daran fehlt es grundsätzlich, wenn sie sich nicht für die gewöhnliche Verwendung eignet (§ 434 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB). Die gewöhnliche Verwendung ist aus der Art der Sache abzuleiten und aus den Verkehrskreisen denen der Käufer angehört.Auch bei einem Gebrauchtwagen kann man erwarten, dass dieser ohne stotternden Motor fährt. Der SUV eignet sich dafür nicht für die gewöhnliche Verwendung.

3. K und V haben durch die Vereinbarung “Sie hat den vorgefundenen Zustand akzeptiert.” aber wirksam sämtliche Gewährleistungsrechte ausgeschlossen.

Nein!

Bei einem Verbrauchsgüterkauf i.S.d. § 474 Abs. 1 BGB sind gewährleistungsbeschränkende Vereinbarungen vor Mitteilung des Mangels unzulässig (§ 476 Abs. 1 BGB). K hat privat und damit als Verbraucher i.S.d. § 13 BGB mit der V als Unternehmerin i.S.d. § 14 BGB einen Kaufvertrag über eine Ware geschlossen. Somit liegt ein Verbrauchsgüterkauf vor (§ 474 Abs. 1 S. 1 BGB). Die Vertragsklausel, die im Ergebnis einen Verzicht auf sämtliche Gewährleistungsrechte durch K darstellt, ist somit unwirksam.

4. Auch beim Verbrauchsgüterkauf können Parteien aber subjektiv eine Beschaffenheit vereinbaren, die von den objektiven Anforderungen negativ abweicht (negative Beschaffenheitsvereinbarung).

Genau, so ist das!

Abweichend von den objektiven Anforderungen steht es den Parteien grundsätzlich frei, subjektiv das Fehlen von Eigenschaften zu vereinbaren. Denn aus § 434 Abs. 3 S. 1 BGB ergibt sich, dass die Sache sich an den objektiven Anforderungen nur zu messen hat, soweit nicht etwas anderes wirksam vereinbart wurde.Beachte: Bei Verbrauchsgüterkäufen ist eine solch negative Vereinbarung aber nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 476 Abs. 1 S. 2 BGB wirksam!

5. Indem V und K im Kaufvertrag den Verkauf eines „Bastlerfahrzeuges“ vereinbarten, haben sie ausgeschlossen, dass der SUV funktionsfähig ist.

Nein, das trifft nicht zu!

OLG Stuttgart: Zwar verbleibe auch im Bereich des Verbrauchsgüterkaufs die Möglichkeit einer Beschaffenheitsvereinbarung im Rahmen des subjektiven Fehlerbegriffs erhalten (§ 434 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 1 BGB). Entscheidend sei aber nicht der Wortlaut der jeweiligen Vereinbarung, sondern der übereinstimmende tatsächliche Wille der Parteien (RdNr. 43).Nicht zuletzt im Hinblick auf die absolvierte Probefahrt sind K und V hier ersichtlich davon ausgegangen, dass das Fahrzeug nicht nur als Ersatzteillager („zum Basteln“) dienen sollte, sondern noch funktionsfähig ist. Daran ändert die vertragliche Bezeichnung als Bastlerfahrzeug nichts.

6. Beim Verbrauchsgüterkauf greift zugunsten von Verbrauchern bei Mängeln, die innerhalb von 12 Monaten nach Gefahrübergang auftreten, eine Beweiserleichterung (§ 477 Abs. 1 BGB).

Ja!

Ab dem Zeitpunkt der Entgegennahme der Sache trägt grundsätzlich der Käufer die Beweislast für das Vorliegen eines Sachmangels (§ 363 BGB). Jedoch enthält § 477 Abs. 1 S. 1 BGB hierfür eine Beweislastumkehr zugunsten des Verbrauchers: Zeigt sich innerhalb von 12 Monaten nach Gefahrübergang ein Sachmangel, wird widerlegbar vermutet dass die Sache bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war, es sei denn, diese Vermutung ist mit der Art der Sache oder des Mangels unvereinbar.K schließt als natürliche Person privat und damit als Verbraucher i.S.d. § 13 BGB mit der Unternehmerin V einen Kaufvertrag über eine Ware. Somit liegt ein Verbrauchsgüterkauf vor (§ 474 Abs. 1 S. 1 BGB), bei dem zugunsten von K die Beweislastumkehr greifen könnte.

7. Durch § 477 Abs. 1 S. 1 BGB wird nur in zeitlicher Hinsicht vermutet, dass ein innerhalb von 12 Monaten nachgewiesener Mangel schon bei Gefahrübergang vorlag.

Nein, das ist nicht der Fall!

§ 477 Abs. 1 S. 1 BGB enthält zwei Vermutungen innerhalb der 12 Monate nach Gefahrübergang: (1) Sachlich wird vermutet, dass ein erst später auftretender Mangel (Mangelerscheinung) auf einem Grundmangel beruht („Ob“). (2) Zeitlich wird vermutet, dass dieser Grundmangel schon bei Gefahrübergang vorlag („Wann“).Sofern die Beweislastumkehr anwendbar ist, müsste K lediglich beweisen, dass das Stottern innerhalb von 12 Monaten aufgetreten ist.

8. Beim Kauf von gebrauchten Sachen ist die Beweislastumkehr allerdings stets ausgeschlossen.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Beweislastumkehr gilt grundsätzlich auch bei gebrauchten Sachen! Hier ist allerdings der Grad der Abnutzung sowie die Art des Mangels zu berücksichtigen, d.h. es ist eine Gesamtschau beider Vermutungsausschlussgründe vorzunehmen. Maßgeblich ist, ob der konkrete Mangel bei dem konkreten Kaufgegenstand mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einen Rückschluss auf sein Vorliegen bzw. das Vorliegen eines „Grundmangels“ zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs zulässt. Daran fehlt es z.B. bei typischen Verschleißerscheinungen gebrauchter Sachen.Im zugrundeliegenden Fall hatte die gutachterliche Untersuchung ergeben, dass der stotternde Motor nicht auf Verschleiß, sondern einen unsachgemäßen Umgang mit den Zündkerzen zurückzuführen war (RdNr. 61).

9. Hat K den Rücktritt wirksam erklärt, indem sie ihr Geld zurückverlangte (§ 349 BGB).

Ja!

Der Rücktritt erfordert nach § 349 BGB eine Erklärung gegenüber dem anderen Teil (=Rücktrittserklärung). Hierbei handelt es sich um eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärungen, die nach dem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) auszulegen ist.Auch wenn K nicht explizit das Wort „Rücktritt“ verwendet hat, so ergibt sich nach dem objektiven Empfängerhorizont hinreichend deutlich, dass sie nicht länger am Vertrag festhalten, sondern zurücktreten will.

10. K kann somit Herausgabe des Kaufpreises verlangen (§§ 437 Nr. 2, 323, 346 BGB).

Genau, so ist das!

Infolge der mangelhaften Leistung steht K ein gesetzliches Rücktrittsrecht zu. Sie hat den Rücktritt wirksam erklärt und kann deshalb Herausgabe des Kaufpreises verlangen. Gleichzeitig ist sie verpflichtet, ihrerseits die empfangene Leistung zurückzugewähren (§ 348 BGB). Referendare aufgepasst: In der Klägerklausur ist bei den Anträgen stets daran zu denken, dass der Kaufpreis lediglich Leistung Zug-um-Zug gegen Rückgabe des Wagens eingeklagt wird. Sonst erfolgt eine Teil-Klageabweisung. Um die Vollstreckung zu erleichtern, bietet es sich zudem an, einen Feststellungsantrag zu stellen, dass der Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs sich im Annahmeverzug befindet. Mehr dazu: hier!
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