Strabarkeit des „Containerns“ bzw. „Waste Diven“ – „Fremdheit“ von entsorgten Lebensmitteln


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T klettert über einen Zaun in den abgeschlossenen Hinterhof des Supermarkts S-GmbH. Dort entwendet sie weggeworfene Lebensmittel (Wert 5 €) aus einem Müllcontainer.

Einordnung des Falls

Strabarkeit des „Containerns“ bzw. „Waste Diven“ – „Fremdheit“ von entsorgten Lebensmitteln

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die entsorgten Lebensmittel sind nur dann taugliches Tatobjekt, wenn sie für T "fremd" sind (§ 242 Abs. 1 StGB).

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Genau, so ist das!

Eine Sache ist für den Täter fremd , wenn sie weder in dessen Alleineigentum steht noch herrenlos ist . Die Fremdheit der Sache bestimmt sich nach den Regelungen des BGB. Die Lebensmittel standen zum Tatzeitpunkt nicht im Alleineigentum der T. Der Inhaber des Supermarkts könnte sein Eigentum an den Lebensmitteln aufgegeben haben, indem er sie in dem Müllcontainer entsorgte. Eine bewegliche Sache wird herrenlos, wenn der Eigentümer in der Absicht, auf das Eigentum zu verzichten, den Besitz der Sache aufgibt (§ 959 BGB, Dereliktion).

2. Die S-GmbH hat durch das Entsorgen der Lebensmittel das Eigentum daran aufgegeben. Die Lebensmittel sind dadurch herrenlos geworden.

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Nein, das trifft nicht zu!

Will der Verbraucher Müll entsorgen, ist ihm egal, wer diesen abholt. Das Wegwerfen der Lebensmittel ist dann eine Eigentumsaufgabe. Hier kann der Supermarktbetreiber jedoch ein (berechtigtes) Interesse an der Verhinderung unkontrollierter Mitnahme gewerblicher Abfälle haben. So würde er bei ungehinderter Mitnahme potentielle Kunden verlieren. Indizielle Bedeutung haben auch Schutzvorkehrungen, wie das Absperren des Geländes mit einem Schloss. In der Regel ist die Absicht der Eigentumsaufgabe hier widerlegt. Die Lebensmittel waren also nicht derelinquiert, folglich nicht herrenlos und daher für T fremd im Sinne des § 242 Abs. 1 StGB (a.A. Falllösung bei Esser/Scharnberg, JuS 2012, 809 (812))

3. Zum Zeitpunkt des Einbruchs standen die Lebensmittel im Gewahrsam der S-GmbH.

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Nein!

Gewahrsam ist die von einem natürlichen Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft, deren Reichweite und Grenzen sich nach der Verkehrsanschauung bestimmen. Aufgrund der faktischen Dimension eines natürlichen Herrschaftswillens und einer tatsächlichen Sachherrschaft sind nur natürliche Personen fähig, Gewahrsam zu bilden. Gewahrsamsinhaber ist in diesem Fall in der Regel der Filialleiter des Supermarktes.

4. T hat die weggeworfenen Lebensmittel "weggenommen" (§242 Abs. 1 StGB).

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Genau, so ist das!

Wegnahme bezeichnet den Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendigerweise tätereigenen Gewahrsams. Zum Zeitpunkt des Entfernens aus dem Container müssten die Lebensmittel im Gewahrsam einer vom Täter verschiedenen Person gestanden sein. Ebenso wenig wie die Lebensmittel durch das Wegwerfen derelinquiert wurden, wurden diese gewahrsamslos. Es verbleibt beim allgemeinen Grundsatz, dass ein genereller Gewahrsamswille für die gesamte Gewahrsamssphäre des Supermarkts besteht. Auch ein tatbestandsausschließendes Einverständnis seitens des Filialleiters liegt wegen der Motivlage des Supermarktbetreibers nicht vor.

5. Da der Müll für die S-GmbH wertlos ist, scheidet ein Diebstahl im Ergebnis dennoch aus.

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Nein, das trifft nicht zu!

Diebstahl ist ein Eigentumsdelikt, also kein Vermögensdelikt im engeren Sinne. Dies bedeutet, dass auch das Eigentum an ökonomisch wertlosen Sachen geschützt wird. Gegenteiliges wird nur von einer Mindermeinung vertreten, die über das Tatbestandsmerkmal der Fremdheit ein wirtschaftliches Korrektiv etablieren möchte.

6. T hat einen besonders schweren Fall des Diebstahls begangen (Regelbeispiel, § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StGB).

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Nein!

Ein umschlossener Raum im Sinne des § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StGB ist jedes - nicht zwingend überdachtes - Raumgebilde, das dazu bestimmt ist, von Menschen betreten zu werden, und das mit mindestens teilweise künstlichen Vorrichtungen zur Abwehr des Eindringens Unbefugter umgeben ist. Der Hinterhof des Supermarkts ist umzäunt, um das Eindringen Unbefugter zu verhindern, mithin "umschlossener Raum (§ 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StGB). Einsteigen beschreibt das Eindringen durch eine zum ordnungsgemäßen Eintritt nicht bestimmte Öffnung durch Entfaltung von Geschicklichkeit. Das Überklettern eines Zauns ist ein geschickter, nicht ordnungsgemäßer Weg des Eindringens. T ist also zur Ausführung des Diebstahls an den Lebensmitteln in einen "umschlossenen Raum" "eingestiegen" (Regelbeispiel, § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StGB). Da der Wert der gestohlenen Lebensmittel allerdings nur 5 € beträgt und damit geringwertig ist (Grenze nach hM = 25 €), scheidet gemäß § 243 Abs. 2 StGB ein besonders schwerer Fall des Diebstahls nach § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 - 6 StGB aus.

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