Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Entscheidungen von 2020
Anforderungen an die Notwehrprovokation
Anforderungen an die Notwehrprovokation
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Damit A ihre Schulden zahlt, nimmt T As Handy weg. A verspricht T daraufhin, ihn abends zu bezahlen. A plant mit F, die T schon länger eine Abreibung verpassen will, T in eine Falle locken. Als A abends nicht zahlt, beginnt T sie zu würgen. Allein um T zu schädigen, springt F nun hervor und attackiert T. Ohne Vorwarnung zückt T ein Messer und sticht zu. F wird am Hals getroffen und überlebt knapp.
Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Diese Entscheidung behandelt die Einschränkung des Notwehrrechts innerhalb der Gebotenheit. Dieses ist eingeschränkt, wenn der Angriff leichtfertig provoziert wurde. Der notwehrberechtigende Angriff müsse bei vernünftiger Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalls als eine adäquate und voraussehbare Folge der Provokation des Angegriffenen erscheinen. Die Provokation selbst müsse sozialethisch zu missbilligen sein und in einem engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang zum Angriff stehen.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Hat T den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung erfüllt, indem er mit dem Messer auf F einstach (§§ 223 Abs.1, 224 Nr. 2 Alt. 2, Nr. 5 StGB)?
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Sind die Messerstiche des T gerechtfertigt, wenn er in Notwehr gehandelt hat (§ 32 StGB)?
Genau, so ist das!
3. Lag zum Zeitpunkt der Messerstiche ein gegenwärtiger Angriff der F auf T vor?
Ja, in der Tat!
4. War F jedoch ihrerseits durch Nothilfe gerechtfertigt, sodass es an einem rechtswidrigen Angriff fehlte?
Nein!
5. War der Einsatz des Messers erforderlich?
Genau, so ist das!
6. Könnte der Messereinsatz aufgrund der vorangegangenen Wegnahme des Handys und dem Würgen der A nicht geboten gewesen sein?
Ja, in der Tat!
7. Müsste zunächst ein enger zeitlich-räumlicher Zusammenhang zu Fs späterem Angriff bestanden haben, damit die Wegnahme des Handys am Mittag eine Angriffsprovokation darstellt?
Ja!
8. Besteht zwischen der Wegnahme des Handys bzw. dem Würgen der A und Fs Angriff auf T ein hinreichender motivationaler Zusammenhang?
Nein, das ist nicht der Fall!
9. Handelte T mit Verteidigungswillen?
Ja, in der Tat!
Fundstellen
Prüfungsschema
Wie prüfst Du die Rechtfertigung wegen Notwehr (§ 32 StGB)?
- Notwehrlage
- Angriff
- Gegenwärtigkeit
- Rechtswidrigkeit
- Notwehrhandlung
- Erforderlichkeit
- Gebotenheit
- Subjektives Rechtfertigungselement ("Verteidigungswille")
Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!
Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
bibu knows best
17.6.2022, 08:45:12
Wie wäre es denn, wenn die beiden Frauen sich nur darauf verständigt hätten, das Handy der F friedlich wieder zu beschaffen? Wenn man davon ausgeht, dass die F dem T mittags körperlich unterlegen war und sich deshalb nicht dagegen w
ehren konnte. - Und nur für den Fall, dass die Situation aus den Ruder läuft, die F der A zu Hilfe kommt?
Philipp Paasch
17.6.2022, 11:12:48
Hi bibu knows best. Es ist das Handy der F (surely a typo). Wenn die F A nur zur Hilfe geeilt wäre, weil von T
Tätlichkeiten ausgingen, handelt es sich um einen Fall der Nothilfe
§ 32 StGB. Dann wäre F gerechtfertigt, und T wäre verpflichtet, die ihr zumutbaren Angriffe der F zu dulden, bzw. auszuweichen oder zu flüchten. Hätten die beiden Frauen sich vorher darauf verständigt, gäbe es insofern keinen Unterschied, da ja nach der Strafbarkeit der T gefragt ist.
bibu knows best
17.6.2022, 19:53:51
Danke für deine Antwort erstmal :) und wie sähe es mit der Strafbarkeit von F aus?
Philipp Paasch
17.6.2022, 21:05:16
Gerne :) die F ist gerechtfertigt, soweit und solange sie die Grenzen der Nothilfe nicht überschreitet (das hatte ich oben auch bereits geplappert). Überschreitet sie sie intensiv (nach einer m.M. auch extensiv) aus asthenischen Affekten wie Furch, Verwirrung oder Schrecken, wäre sie zumindest noch entschuldigt. Dann aber könnte T wiederum gerechtfertigt handeln, da er sich grundsätzlich gegen entschuldigt Handelnde verteidigen darf. 🤠
Philipp Paasch
17.6.2022, 21:05:40
*Furcht
Raphaeljura
22.4.2023, 02:47:59
Das bedeutet man kann sich im Zweifelsfall wenn die Rechtfertigung nach Paragraph 32 ausscheidet (zb
Absichtsprovokation), in den Paragraph 33 retten. Ist der 33 restriktiv auszulegen? Denkbar wäre ja dass im brühmten Bagatellfall bei dem der Rentner auf Kinder schießt die Obst von Bäumen klauen, es über 33 straflos wird. Es genügt ja wohl das man sich erschrickt...
Lukas_Mengestu
25.4.2023, 13:47:11
Hallo Raphael, in der Praxis hat § 33 StGB tatsächlich auch die Funktion als Auffangnorm gefunden, gerade wenn hinsichtlich des Sachverhalts Unsicherheiten bestehen, ob die Verteidigungshandlung tatsächlich erforderlich ist (MüKoStGB/Erb, 4. Aufl. 2020, StGB § 33 Rn. 4). Gerade bei der
Absichtsprovokationist die Norm aber sehr restriktiv anzuwenden. Denn wenn man den Angriff herausfordert ist dieser für den Angegriffenen an sich nicht unerwartet, sodass hier nur wenig Raum für Angst und Schrecken verbleibt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
kim.
31.1.2024, 21:36:27
Den lebensbedrohlichen Stich in den Hals mit der Begründung als erforderlich zu bezeichnen, ein Stich in weniger sensible Bereiche wäre weniger wirksam gewesen, halte ich für sehr gewagt. Ein Stich in den Hals ist mit hoher Wahrscheinlichkeit tödlich, ein Stich in den Arm hätte es da sicher auch getan.
Juratiopharm
10.4.2024, 14:22:06
Auf diese unsichere Möglichkeit muss sich der Notwehrberechtigte aber grundsätzlich grade nicht einlassen.