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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Häftling T fordert bessere Haftbedingungen und will dies mit einem Hungerstreik "bis zum Tode" forcieren. Da der Wärter O Angst um die Gesundheit des T hat, kommt er der Forderung des T nach.

Einordnung des Falls

Nötigung durch Hungerstreik

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. In dem T der O mitteilt, bis zum Tode den Hungerstreik anzutreten, sollte er keine besseren Haftbedingungen erhalten, liegt eine Drohung des T (§ 240 Abs. 1 Var. 2 StGB).

Ja, in der Tat!

Drohung ist das ausdrückliche oder konkludente Inaussichtstellen eines künftigen Übels, auf das der Drohende Einfluss hat oder zu haben vorgibt. Übel ist jede vom Betroffenen als nachteilig empfundene Veränderung der Außenwelt. Empfindlich ist ein Übel, wenn es bei objektiver Beurteilung und der Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Betroffenen geeignet ist, einen besonnenen Menschen zu dem mit der Drohung erstrebten Verhalten zu bestimmen. T konfrontiert mit der Übelszufügung, dass T sich zu Tode streiken werde, wenn er keine besseren Haftbedingungen erhalte. Insofern ist es nicht relevant, dass T mit der Beendigung seines Lebens droht oder mit dem eines anderen. Für den O liegt somit ein empfindliches Übel und damit verbunden eine taugliche Nötigungshandlung vor.

2. Der Nötigungserfolg (§ 240 Abs. 1 StGB) ist in Form einer Handlung eingetreten.

Ja!

Die Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) ist ein Erfolgsdelikt. Der Täter muss ein Opferverhalten, das in einer Handlung, Duldung oder Unterlassung liegen kann, herbeigeführt haben (Nötigungserfolg). Handlung meint ein positives Tun. O entschließt sich dem T bessere Bedingungen zu garantieren.

3. T hat gerade mit der eingesetzten Drohung das Tun des O kausal und objektiv zurechenbar herbeigeführt (nötigungsspezifischer Zusammenhang).

Genau, so ist das!

Zwischen dem Nötigungsmittel und dem Nötigungserfolg muss eine kausale Verknüpfung bestehen, d.h. das abgenötigte Verhalten muss unmittelbare und spezifische Folge des angewandten Zwangsmittels sein. Es finden die allgemeinen Regeln der objektiven Zurechnung Anwendung. Der Zusammenhang fehlt, wenn das Opfer auf eigenen Entschluss oder fremden Rat dem Verlangen des Täters nachgibt. O hat gerade aufgrund der Nötigung der die Gewährung besserer Bedingungen zugestimmt.

4. Die Androhung des Hungerstreiks ist auch verwerflich (§ 240 Abs. 2 StGB).

Ja, in der Tat!

Verwerflich ist eine Verhaltensweise, wenn die Gewaltanwendung oder die Drohung zu dem beabsichtigten Zweck in einem auffallenden Missverhältnis stehen. Dabei muss das Missverhältnis derart auffällig sein, dass die Verhaltensweise als sozialethisch missbilligenswert anzusehen ist, d.h. von einem verständigen Dritten als sozial unerträglich, als strafwürdiges Unrecht empfunden wird. Die Androhung eines Hungerstreiks ist grundsätzlich auch dann kein konnexes, sondern ein verwerfliches Mittel, wenn der Täter es zum Zweck des Erreichens besserer Haftbedingungen einsetzt. Die Rechtsordnung stellt zur Erreichung dieses Zieles andere, rechtsstaatliche Mittel zur Verfügung (Haftbeschwerde) und zeigt damit auf, welcher Weg zu gehen ist. Du kannst auch schon im Rahmen der Empfindlichkeit des Übels diskutieren, ob die Drohung mit dem Hungerstreik ein empfindliches Übel ist.

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JO

Jose

25.1.2022, 16:45:09

Gibt es auch die Ansicht, dass ein Hungerstreik nicht verwerflich sei? Finde man macht es sich etwas einfach, wenn man behauptet, dass eine Haftbeschwerde easy zu machen sei und finde, dass gerade Häftlingen, in deren Grundrechte ohnehin massiv eingegriffen wird, in so einem Fall nicht mit weiterer Strafandrohung begegnet werden sollte. Einen Hungerstreik macht ja auch niemand aus Spaß.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

26.1.2022, 13:59:58

Hallo Jose, verschiedentlich war überlegt worden, ob man die Drohung mit der Selbsttötung aus dem Anwendungsbereich des § 240 Abs. 1 StGB ausnimmt. Dazu ist es indes nie gekommen (Sinn, in: MüKo-StGB 4.A. 2021, § 240 RdNr. 153). In dem vor dem BGH verhandelten Originalfall konnte dies offenbleiben, da hier der Hungerstreik abgebrochen werden sollte, wenn er "zu schwer werden sollte". Sofern also keine Lebensgefahr eintreten sollte, liegt jedenfalls keine Drohung mit einem empfindlichen Übel dar. Im Übrigen bleibt festzuhalten, dass der Hungerstreik letztlich eine Meinungsäußerung darstellt, die Art. 5 Abs. 1 GG unterfällt. Gegenüber steht die Handlungsfreiheit des Adressaten (Art. 2 Abs. 1 GG).

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

26.1.2022, 14:01:43

Für die Abwägung dieser kollidierenden Verfassungsgüter kommt es maßgeblich auf die Einzelfallumstände an. Insofern kann man hier durchaus vertreten, dass der Hungerstreik nicht verwerflich ist. Dabei müssen demokratisch legitimierte Durchsetzungsverfahren (Beschwerde, Petition, Gnadengesuch) durchaus in die Abwägung eingestellt werden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

BAY

bayilm

5.7.2024, 19:04:32

Ich finde das hier nicht zu genüge die Perspektive des Häftlings beachtet wird. Dieser ist dem Staat und dem Justizvollzug völlig ausgeliefert. Und nun soll er darauf vertrauen, dass ein ordentliches staatliches Verfahren durchlaufen wird, wenn er bereits schon am eigenen Leib erlebt hat, dass der Hoheitsträger sich schon nicht an die nötigen Vorschriften übder die Bedingungen in der Haft gehalten hat? Meiner Einschätzung nach kann eine solche Foderung darüber, dass der Staat seine selbst auferlegten Regeln einhält , nicht verwerflich sein.


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