Öffentliches Recht

VwGO

Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs (§ 40 Abs. 1 S. 1 VwGO): Demonstrationsverbot - Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art bei Grundrechtsbeeinträchtigung

Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs (§ 40 Abs. 1 S. 1 VwGO): Demonstrationsverbot - Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art bei Grundrechtsbeeinträchtigung

21. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die Partei „Radikale Nichtwähler“ (N) meldet eine Demonstration in der Gemeinde G an. Da G Ausschreitungen der Gegenbewegung "Radikale Demokratiefreunde" befürchtet, verbietet sie die Demonstration (§ 15 Abs. 1 VersG). Die N will gegen die Entscheidung der G gerichtlich vorgehen.

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Einordnung des Falls

Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs (§ 40 Abs. 1 S. 1 VwGO): Demonstrationsverbot - Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art bei Grundrechtsbeeinträchtigung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Es liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vor.

Genau, so ist das!

Gegenstand der Klage muss eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit sein (§ 40 Abs. 1 S. 1 VwGO), damit der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist. Nach der Sonderrechtstheorie / modifizierten Subjektstheorie ist eine Streitigkeit öffentlich-rechtlicher Natur, wenn die streitbestimmenden Normen einen Hoheitsträger einseitig berechtigen oder verpflichten. Hier ermächtigt § 15 Abs. 1 VersG einseitig die Gemeinde G dazu, die Demonstration zu verbieten.
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2. Die Streitigkeit muss zudem nichtverfassungsrechtlicher Art sein.

Ja, in der Tat!

Neben ihrer öffentlich-rechtlichen Natur muss eine Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art sein (§ 40 Abs. 1 S. 1 VwGO), damit der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist. Eine verfassungsrechtliche Streitigkeit liegt vor, wenn sowohl der Kläger als auch der Beklagte am Verfassungsleben unmittelbar Beteiligte (insbesondere Verfassungsorgane) sind (formeller Gesichtspunkt) und sich die Beteiligten um die Abgrenzung verfassungsrechtlicher Kompetenzen streiten (materieller Gesichtspunkt) (sog. doppelte Verfassungsunmittelbarkeit).

3. Für die Streitigkeit zwischen der Partei und der Gemeinde gibt es eine aufdrängende Sonderzuweisung zum Verwaltungsrechtsweg.

Nein!

Aufdrängende Sonderzuweisungen haben Vorrang vor der Generalklausel des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO. Für die Streitigkeit zwischen N und G gibt es keine aufdrängenden Sonderzuweisungen. Es kommt auf die Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO an. Aufdrängende Sonderzuweisungen gibt es z.B. für Streitigkeiten aus öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnissen (§ 126 Abs. 1 BBG bzw. § 54 Abs. 1 BeamtStG für Beamte (des Bundes bzw. des Landes)) oder für die Entscheidung über Eintragungen in die Handwerksrolle (§§ 8 Abs. 4, 12 HwO). Liegt keine aufdrängende Sonderzuweisung vor, genügt die Feststellung: "Aufdrängende Sonderzuweisungen sind nicht ersichtlich.“

4. Die Grundrechte der Partei „Radikale Nichtwähler“ sind möglicherweise berührt. Deshalb ist die Streitigkeit verfassungsrechtlicher Art.

Nein, das ist nicht der Fall!

Denkbar erscheint vorliegend zwar eine Betroffenheit der Grundrechte aus Art. 8 Abs. 1 GG oder des Parteienprivilegs aus Art. 21 Abs. 1 GG. Daraus folgt jedoch noch nicht die verfassungsrechtliche Art der Streitigkeit. Es fehlt an der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit: Die Streitparteien sind weder Verfassungsorgane noch streiten sie über verfassungsrechtliche Kompetenzen. Achtung: Nur weil der Streitgegenstand am Maßstab von Grundrechten zu messen ist, handelt es sich noch nicht um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit gemäß § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO. Dies ergibt sich auch aus § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

DAN

Daniel

22.4.2021, 10:54:18

Da es sich bei N um eine Partei handelt, wäre nicht auch Art. 21 GG anzusprechen und die Frage nach der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit entsprechend weiter zu thematisieren?

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

7.1.2022, 18:18:48

Hallo Daniel, danke für deine Frage. Wir haben den Hinweis um Art. 21 Abs. 1 GG ergänzt. Allerdings ist die Frage der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit trotzdem nicht weiter zu thematisieren als wir das in der Aufgabe machen.

Doppelte Verfassungsunmittelbarkeit

liegt hier aus den in der Aufgabe genannten Gründen offensichtlich nicht vor, eine vertiefte Auseinandersetzung damit wäre in der Klausur eher schädlich. Hoffe das hilft. Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team

BLU

blu

17.5.2023, 11:18:00

Irgendwie habe ich nicht verstanden wann eine

doppelte verfassungsunmittelbarkeit

vorliegt…

indupioproreo

indupioproreo

24.5.2023, 00:04:28

Hey blu, nach der Regelung der nichtverfassungsrechtlichen Art ist der Verwaltungsrechtsweg nur für nicht

verfassungsrechtliche Streitigkeit

en geöffnet. Mit anderen Worten: wenn es einen Streit gibt, der keine Verfassungsorgane oder formelles Verfassungsrecht beinhaltet, dann würde dieser Fall unter das Verwaltungsrecht fallen. Eine

verfassungsrechtliche Streitigkeit

ist gegeben, wenn Verfassungsorgane wie der Bundestag, Bundesrat oder Bundespräsident über das Grundgesetz streiten. Das wäre ein Beispiel für eine

doppelte Verfassungsunmittelbarkeit

. Wenn dagegen ein Bürger in den Streit involviert ist, ist dies per Definition immer eine nicht

verfassungsrechtliche Streitigkeit

, da ein Bürger kein Verfassungsorgan ist. In solchen Fällen ist der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 I 1 VwGO geöffnet.

Artimes

Artimes

23.12.2023, 17:43:23

In der Definition der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit wird an den Kläger/Beklagten angeknüpft. Der Beklagtenbegriff richtet sich wiederum nach

§ 78 VwGO

. Wie vermeidet man an dieser Stelle das Vorziehen der Prüfung von

§ 78 VwGO

?

LELEE

Leo Lee

25.12.2023, 16:12:20

Hallo ART., vielen Dank für diese sehr gute Frage! In der Tat liegt der Punkt „

Klagegegner

“ und Beklagter nah beieinander. Hier reicht es jedoch gem. der Klausurerfahrung aus, dass man zunächst nur sagt, ob der Beklagter als Beteiligter Verfassungsorgan bzw. ein am Verfassungsleben Beteiligter ist oder nicht. Hier kannst du dann ruhig sagen, dass etwa die

Behörde

oder das Land usw. kein Verfassungsorgan ist. Auch könntest du es gleich sehr generell formulieren, indem du etwa sagst „da kein/nur ein Beteiligter ein am Verfassungsleben beteiligter ist…“. Wichtig ist nur, dass du diesen Punkt kurz ablehnst. Dass du dann mglw. Beiläufig den Gegner schon anreißt, wird dir kein Korrektor negativ anmerken, solange du nicht unter Nennung des

§ 78 VwGO

die Ausführungen bereits hier tätigst. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre von Schoch/Schneider VwGO 44. EL, Ehlers/Schneider § 40 Rn. 136 empfehlen :). Besinnliche Feiertage und einen guten Rutsch wünscht dir das Jurafuchsteam!


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