Rechtsweg und statthafte Klageart

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Atheist A wohnt neben einer evangelischen Kirche. Durch das stündliche Glockengeläut sowie das liturgische Läuten zu Gottesdienstzeiten fühlt A sich zunehmend gestört. Er möchte dagegen vor dem Verwaltungsgericht klagen.

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Einordnung des Falls

Rechtsweg und statthafte Klageart

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Mangels aufdrängender Sonderzuweisung ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, wenn die Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO erfüllt sind.

Ja, in der Tat!

Gemäß § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet für alle öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art, für die nicht die Zuständigkeit anderer Gerichte gesetzlich vorgesehen ist. Eine Streitigkeit ist öffentlich-rechtlich, wenn die streitentscheidenden Normen öffentlich-rechtlich sind. Bei der Geltendmachung von Abwehr- und Unterlassungsansprüchen bedarf es der Einordnung, ob die Ansprüche öffentlich-rechtlicher Art sind. Denn ein Abwehr- und Unterlassungsanspruch gegen den Staat kann auch privatrechtlicher Natur sein (§§ 906, 1004 BGB), sofern der Staat privatrechtlich handelt. Entscheidend ist daher die Qualität des staatlichen Handelns, auf dem der Abwehranspruch beruht. Die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs gemäß § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO fällt in aller Regel unproblematisch aus, Du solltest Dich hier unbedingt knapp halten. Wann die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs zum Problem werden könnte, erfährst Du in unserem Kurs VwGO.
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2. Sowohl das stündliche Glockengeläut als auch das liturgische Läuten ist öffentlich-rechtlicher Natur.

Nein!

Die hoheitliche Natur einer Beeinträchtigung kann sich daraus ergeben, dass sie als Immission von einer öffentlichen Sache ausgeht. Dies sind alle Sachen, die dem Hoheitsträger zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben dienen und entsprechend gewidmet sind. Die evangelische Kirche ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 V WRV und somit zum Tätigwerden im öffentlichen Recht befugt. Die Glocken sind liturgischen Zwecken gewidmet und daher öffentliche Sachen (vgl. etwa VG Augsburg, Beschl. v. 13.11.2006 - Au 3 E 06.1264). Das Zeitläuten ist allerdings nicht von der öffentlichen Widmung umfasst, es dient nicht der Erfüllung der Aufgaben der öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft der evangelischen Kirche.

3. Der Verwaltungsrechtsweg ist nur bezüglich des liturgischen Läutens eröffnet.

Genau, so ist das!

Der Verwaltungsrechtswegs nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO ist nur bezüglich öffentlich-rechtlicher Streitigkeiten gegeben. Ob Immissionen, die von einer öffentlich-rechtlichen Sache ausgehen, tatsächlich öffentlich-rechtlicher Natur sind, entscheidet sich danach, ob die Immissionen vom Widmungszweck umfasst sind. Das sakrale (liturgische) Glockenläuten ist von der öffentlich-rechtlichen Widmung der Glocken umfasst. Die vorliegende Streitigkeit ist damit öffentlich-rechtlich. Es ist eine nichtverfassungsrechtliche Streitigkeit, eine abdrängende Sonderzuweisung ist nicht erkennbar. Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet. Das reine Zeitläuten ist von der öffentlich-rechtlichen Widmung nicht umfasst. Es ist daher auf Grundlage der §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB direkt vor dem Amtsgericht anzugreifen (§ 13 GVG).

4. Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Klagebegehren. Statthaft ist die allgemeine Leistungsklage.

Ja, in der Tat!

Die allgemeine Leistungsklage ist statthaft, wenn der Kläger ein hoheitliches Realhandeln oder Unterlassen begehrt. Die Unterlassungsklage ist ein Unterfall der allgemeinen Leistungsklage. A macht materiell-rechtlich einen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch geltend, gerichtet auf das Unterlassen des sakralen Glockengeläuts der benachbarten Kirche durch die evangelische Gemeinde (= öffentlich-rechtliche Körperschaft). Statthaft ist die allgemeine Leistungsklage in Form der Unterlassungsklage. Ob bzw. in welchem Umfang das - von der Religionsfreiheit (Art. 4. Abs. 1 und 2 GG) geschützte - liturgische Läuten hier zulässig ist, wäre im Rahmen der Begründetheit der Klage unter dem Prüfungspunkt der Rechtswidrigkeit des Eingriffs zu prüfen. Mehr dazu erfährst Du in unserem Kurs Grundrechte.
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