Rechtsweg und Statthafte Klageart

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

N wird immer noch durch die Baustelle der Gemeinde G zur Erhaltung der Gemeindestraße belästigt. N will, dass G beim Bau die Werte der TA-Lärm einhält. Gespräche mit der G blieben erfolglos. N erhebt Klage zum Verwaltungsgericht.

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Einordnung des Falls

Rechtsweg und Statthafte Klageart

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Mangels aufdrängender Sonderzuweisung ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, wenn die Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO erfüllt sind.

Genau, so ist das!

Gemäß § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet für alle öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art, für die nicht die Zuständigkeit anderer Gerichte gesetzlich vorgesehen ist. Eine Streitigkeit ist öffentlich-rechtlich, wenn die streitentscheidenden Normen öffentlich-rechtlich sind. In einer verwaltungsrechtlichen Klausur ist die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs typischerweise der erste inhaltliche Kontakt, den Du mit der Prüferin hast. Hier solltest Du Dich der Prüferin positiv ins Gedächtnis schreiben - durch sprachliche Klarheit, knappe Ausführungen und eine strikte Beschränkung auf Rechtsprobleme. Wenn Du hier lange Ausführungen zu Unproblematischem - etwa zu den Theorien im Rahmen von § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO - von Dir gibst, ist die Prüferin bereits am Anfang Deiner Klausur von Dir genervt.
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2. Die Geltendmachung von Abwehransprüchen gegen den Staat ist immer öffentlich-rechtlicher Natur.

Nein, das trifft nicht zu!

Eine Streitigkeit ist öffentlich-rechtlich i.S.d. § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO, wenn die streitentscheidenden Normen öffentlich-rechtlich sind. Bei der Geltendmachung von Abwehr- und Unterlassungsansprüchen bedarf es der Einordnung, ob die Ansprüche öffentlich-rechtlicher Art sind. Denn ein Abwehr- und Unterlassungsanspruch gegen den Staat kann auch privatrechtlicher Natur sein (§§ 906, 1004 BGB), sofern der Staat privatrechtlich handelt. Entscheidend ist daher die Qualität des staatlichen Handelns, auf dem der Abwehranspruch beruht. Das Problem solltest Du in der Klausur sehen und ganz knapp abhandeln.

3. Die Baustelle ist privater Natur. Ns Abwehr- und Unterlassungsanspruch ist damit privatrechtlicher Natur, sodass N den ordentlichen Rechtsweg beschreiten muss.

Nein!

Bei Streitigkeiten um Eingriffsakte kommt es für den Verwaltungsrechtsweg darauf an, ob der Eingriff privatrechtlicher oder hoheitlicher Natur ist. Maßgeblich für den Rechtscharakter eines Realhandelns sind Zielsetzung der Handlung und der Sachzusammenhang. Stehen die Maßnahmen im Zusammenhang mit der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Aufgabe ausnahmsweise privatrechtlich wahrgenommen wird, liegt eine öffentliche-rechtliche Streitigkeit vor. G ist als Gemeinde Trägerin der Straßenbaulast für die Gemeindestraße (z.B. § 44 Abs. 6 StrG NRW, § 9a Abs. 1 S. 2 BbgStrG, § 13 Abs. 4 StrWG MV). Die Erhaltung der öffentlichen Straße ist eine öffentliche Aufgabe. Die streitentscheidenden Normen - Regelungen des Immissionsrechts - sind öffentlich-rechtlicher Art. Die Streitigkeit ist öffentlich-rechtlich, der Verwaltungsrechtsweg ist gemäß § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO eröffnet. In einer verwaltungsrechtlichen Klausur, in der es um die Geltendmachung eines öffentlich-rechtlichen Abwehranspruchs geht, brauchst Du kein Wort dazu zu verlieren, dass die Streitigkeit mangels doppelter Verfassungsunmittelbarkeit auch nicht-verfassungsrechtlicher Art ist. Trau Dich, Unnötiges einfach wegzulassen.

4. Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Klagebegehren. Statthaft ist die allgemeine Leistungsklage.

Genau, so ist das!

Die allgemeine Leistungsklage ist statthaft, wenn der Kläger ein hoheitliches Realhandeln oder Unterlassen begehrt. Die Unterlassungsklage ist ein Unterfall der allgemeinen Leistungsklage. N begehrt, dass G es unterlässt, die Werte der TA-Lärm zu überschreiten. Statthaft ist die allgemeine Leistungsklage in Form der Unterlassungsklage. Ausnahmsweise kann zur Geltendmachung eines Abwehranspruchs die Verpflichtungsklage statthaft sein, wenn der Kläger begehrt, dass die Tätigkeit vollständig eingestellt wird und sein Klagebegehren sich damit auf den Erlass einer entwidmenden Allgemeinverfügung richtet. Dafür müssten aber entsprechende Anhaltspunkte im Sachverhalt vorhanden sein.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JM

Johnny Monaco

20.6.2022, 15:28:46

Super hilfreiche Übung, dass man geführt die tatsächliche Klausurprüfung einmal durchgeht! Bitte mehr davon 🙏🏼

frausummer

frausummer

28.7.2022, 16:04:23

Könnte mir jemand erklären, weshalb weiter vorne noch der öfftl.-rechtl.

Abwehranspruch

einschlägig war und wir jetzt eine allg. Leistungsklage in Form der

Unterlassungsklage

erheben?

Simon

Simon

13.8.2022, 23:15:32

Die allgemeine Leistungsklage ist nur die prozessuale Einkleidung des öffentl.-rechtl.

Abwehranspruch

s. Der

Abwehranspruch

ist also die Anspruchsgrundlage, die i.R.d. Begründetheit geprüft wird.

Simon

Simon

13.8.2022, 23:52:43

Bei der statthaften Klageart gibt es keine Unterscheidung zwischen allg. Leistungsklage in Form der "Abwehrklage" und in Form der "

Unterlassungsklage

". Hier spricht man allgemein von der "

Unterlassungsklage

" (s. zB Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 11. Aufl. 2019, § 18 Rn. 1105). Diese prozessuale

Unterlassungsklage

umfasst materiell sowohl die Geltendmachung eines Anspruchs auf Unterlassung, als auch eines Anspruchs auf Beendigung eines rechtswidrigen hoheitlichen Handelns, das in subj. Rechte des Klägers eingreift (s. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 12. Aufl. 2021, § 16 Rn. 4).


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