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Aids-Infizierung trotz betätigtem Vermeidungswillen – Abgrenzung Eventualvorsatz / bewusste Fahrlässigkeit
Aids-Infizierung trotz betätigtem Vermeidungswillen – Abgrenzung Eventualvorsatz / bewusste Fahrlässigkeit
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T schläft mit O, ohne ihr von seiner HIV-Infektion zu erzählen. T geht davon aus, durch die Benutzung eines Kondoms die Ansteckungsgefahr ausgeschlossen zu haben. Kondome bieten einen sicheren, aber keinen hundertprozentigen Infektionsschutz. O steckt sich an.
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Einordnung des Falls
Aids-Infizierung trotz betätigtem Vermeidungswillen – Abgrenzung Eventualvorsatz / bewusste Fahrlässigkeit
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die Infizierung mit HIV ist eine Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB).
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. T hat ein Kondom verwendet, um eine Infektion der O zu vermeiden. Er handelte ohne Vorsatz.
Ja!
3. Eine Körperverletzung ist auch strafbar, wenn der Täter sie fahrlässig verursacht.
Genau, so ist das!
4. T hat sich nach Auffassung des BGH (1988) wegen fahrlässiger Körperverletzung (§ 229 StGB) strafbar gemacht, indem er O fahrlässig mit HIV infiziert hat.
Nein, das trifft nicht zu!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Oggi
27.12.2019, 17:46:17
Ich finde ein durchschnittlicher gewissenhafter Mensch erfüllt seine Sorgfaltspflicht erst, wenn er seinen Sexualpartner zusätzlich über seine Krankheit und das (trotz Benutzung des Kondoms verbleibende) Restrisiko einer Infektion aufklärt. Erlaubtes Risiko realisiert sich demnach meiner Meinung nur in Fällen in denen der Infizierte selbst nichts von seiner Infektion weiß.
Amin
26.2.2020, 19:09:08
Und was willst du damit sagen he ich habe es nicht verstanden
Julianne
10.8.2020, 10:49:19
Ich stimme dir zu Oggi. Wer die Krankheit hat (und dies natürlich weiß), muss dies immer mitteilen, auch wenn das hart ist. Ich hab meine Partner auch immer gefragt, ob sie Krankheiten haben (was zurecht immer verneint wurde). Aber Nachfragen schützt oft nicht. Da kann sehr schnell mal gelogen werden. Klar strafrechtlich ist man dann auf der sicheren Seite, aber gesundheitlich eventuell nicht. Deswegen liegt eine viel größere Verantwortung bei demjenigen, der das Virus in sich trägt mM nach.
gelöscht
29.12.2019, 09:19:02
Ich bin da durchaus bei dir, der BGH hat aber anders entschieden. Man kann das sicher so oder so sehen, aber solange der BGH nicht von seiner Rechtsprechung abweicht, wird sich an der Lösung des Falls nichts ändern.
aquamarine_skyfire
1.4.2020, 09:16:50
Frage 1 und Frage 2 sind widersprüchlich, T kann sich nicht gem. § 223 I StGB strafbar machen, wenn er keinen
Vorsatzhat.
LawLeo2
10.4.2020, 16:43:06
Straftatbestände geben, mit Ausnahme der Beschreibung voluntativer Elemente (z.B. der
Zueignungsabsichtbei § 242 I StGB,
Bereicherungsabsichtbei § 263 I StGB), immer nur den objektiven Tatbestand wider. Hier suggeriert Frage 1 somit, dass die Ansteckung eine tatbestandliche Handlung i.S.d. § 223 I StGB mit entsprechendem Erfolg darstellt. Ob T sich deshalb strafbar gemacht hat, muss dann noch geklärt, und aufgrund des fehlten
Vorsatzes abgelehnt werden.
Shivi
13.4.2020, 13:31:32
Könnte ihr nicht von seiner Infektion zu erzählen nicht als objektive Sorgfaltspflichtverletzung zählen?
Ugurince._
13.4.2020, 17:14:33
Es handelt sich um die sogenannte Fall Gruppe des erlaubten Risikos: Objektiv nicht zurechenbar ist ein Erfolg, der aus einem Verhalten entspringt, das sich noch im Rahmen des allgemeinen Lebensrisikos bzw. des von der Gesellschaft tolerierten Risikos hält und daher als sozi- aladäquat anzusehen ist.
Abcdef
19.5.2020, 18:44:15
Es handelt sich wenn um eine unterlassene Aufklärung aus Garantenstellung aufgrund einer persönlicher Nähebeziehung. Da der
Vorsatzfehlt, handelt es sich um ein fahrlässiges unechtes
Unterlassungsdelikt. Dies ist möglich aber unter „Unterlassung einer geeigneten und erforderlichen Verhinderungshandlung trotz physisch-realer Handlungsmöglichkeit“ zu prüfen und nicht als Sorgfaltspflichtverletzung, schließlich sehe ich keine Nicht-Berücksichtigung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Er hat ja immerhin ein Kondom benutzt.
gelöscht
1.6.2020, 18:13:38
Die O hat selber ihre Sorgfaltspflicht verletzt indem sie nicht gefragt hat.
Judge Fudge
13.9.2020, 16:33:57
Könnte O nicht angenommen haben, dass wenn T eine Sexuell übertragbare Krankheit hat ihr es auch mitteilen würde?
gelöscht
19.3.2021, 10:27:31
Hallo zusammen, anders als das medial häufig suggeriert wird, zählt HIV zu den schwer übertragbaren Krankheiten. Beim Vaginalverkehr kann das Risiko durch die korrekte Anwendung eines Kondoms nahezu ausgeschlossen werden. Was bleibt ist keine rechtlich missbilligte Gefahr mehr. Hier würde die Strafbarkeit aber auch bei anderer Wertung spätestens an der subjektiven Vorhersehbarkeit scheitern. Ob T der O von seiner Krankheit erzählt oder nicht, ist für die objektive Sorgfaltspflichtverletzung nicht entscheidend. Selbst wenn er es ihr erzählt und sie daraufhin angesteckt hätte, wäre es eine tatbestandliche fahrlässige Körperverletzung (§
229 StGB). Lediglich die Rechtswidrigkeit würde entfallen (§ 2
28 StGBEinwilligung). Viele Grüße Adrian, für das Jurafuchs-Team
Emre
13.5.2020, 01:44:45
Hallo Liebe Juries, Ich habe ein Problem mit Fahrlässig und 
Vorsatz! Ich kann mir das nicht so gut Merken, habt ihr evtl. Ein Trick dafür ?
Abcdef
19.5.2020, 18:25:30
Kennt der Täter die Gefährlichkeit seines Handelns, vertraut er jedoch auf einen sicheren Ausgang so liegt Fahrlässigkeit vor. Weist der Sachverhalt hingegen klar darauf hin, dass der Täter die Gefährlichkeit kennt, jedoch bloß darauf hofft oder bloß leichtsinnig darauf vertraut, es werde schon nichts passieren, sollte man sich für
Vorsatzentscheiden. Satzger gibt insoweit eine Faustformel: Ist die Einstellung des Täters zur Tatbestandsverwirklichung „Na wenn schon“, deutet dies auf (bedingten)
Vorsatzhin. Sagt sich der Täter „Es wird schon gutgehen“, so spricht dies für bewusste Fahrlässigkeit.
Emre
23.5.2020, 00:26:52
Super Herzlichen Dank
gelöscht
1.6.2020, 18:11:56
Es ist allgemein bekannt, dass ein Kondom nicht nur undicht sein kann, sondern auch platzen, rutschen, etc. kann. Ich finde dieses Restrisiko hätte als allgemeine Lebenserfahrung eingestuft werden sollen und dem T zugerechnet werden sollen. Meiner Meinung nach liegt hier immer noch eine fahrlässige Körperverletzung vor. Andererseits ist der O auch die allgemeine Lebenserfahrung zuzurechnen, dass sie sich besser hätte informieren können. Sie hat also ihre eigene Sorgfaltspflicht verletzt und sich selber der Gefahr ausgesetzt.
Eigentum verpflichtet 🏔️
1.6.2020, 18:46:53
Halte ich für vertretbar. Dann wäre aber eine rechtfertigende Einwilligung der O nach 2
28 StGBzu prüfen und bei Verneinen, im Rahmen der Schuld, die
subjektive Vorhersehbarkeitfür T.
Philipp Paasch
2.6.2022, 00:02:40
Ich gebe dir recht, wenn du sagst, dass das Kondom verrutschen kann. So weit sollte man im geschlechtsreifen Alter denken können. Dass O aber eine Art Nachforschungspflicht trifft, halte ich für zu weit gegriffen. Man darf davon ausgehen, dass der andere selbst einen vor übertragbaren Krankheiten warnt.
Pilea
3.1.2023, 11:29:06
Der Satz "Einen besseren Schutz [zum Kondom] gibt es nicht" stimmt heute nicht mehr. Es gibt mittlerweile Medikamente, die die Viruslast im HIV-Träger unterdrücken, sodass eine Infektion nahezu ausgeschlossen ist, selbst ohne Verwenden eines Kondoms. Und es gibt PrEP-Medikamente, die der HIV-negative Mensch nehmen kann, die eine Ansteckung verhindern. Zusätzlich gibt es, ähnlich wie die 'Pille danach', Notfallmedikamente für zB Kondomplatzer. Auch wenn dieser Fall 1
988entschieden worden ist, müsste heute wohl anders entschieden werden. Denn hätte der HIV-Träger die Geschlechtspartnerin informiert, hätte sie sich besser schützen können als ausschließlich mit einem Kondom.
Lukas_Mengestu
3.1.2023, 12:04:29
Sehr guter Hinweis, Pilea! Vielen Dank dafür. Wir haben den Antworttext entsprechend angepasst und deutlich gemacht, dass dies der Bewertung des BGH im Jahr 1
988entspräche, heute aber durchaus ein anderes Ergebnis naheliegt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team