Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Fahrlässigkeit

Subjektive Fahrlässigkeit: Subjektive Vorhersehbarkeit – Salzpuddingfall

Subjektive Fahrlässigkeit: Subjektive Vorhersehbarkeit – Salzpuddingfall

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Als Erziehungsmaßnahme zwingt die Mutter M ihre 5-jährige Tochter T, den von ihr versehentlich versalzenen Pudding auszulöffeln. Von der Gefährlichkeit bereits kleiner Mengen Salz für Kleinkinder wusste M nichts. T stirbt daraufhin an einer Kochsalzintoxikation.

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Einordnung des Falls

Subjektive Fahrlässigkeit: Subjektive Vorhersehbarkeit – Salzpuddingfall

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die schuldhafte Begehung eines Fahrlässigkeitsdelikts setzt voraus, dass der Täter auch subjektiv fahrlässig gehandelt hat.

Genau, so ist das!

Neben den allgemeinen Entschuldigungsgründen prüft die Rspr. und hL im Rahmen der Schuld die subjektive Fahrlässigkeit. Danach muss dem Täter auch eine subjektive Sorgfaltspflichtverletzung und eine subjektive Vorhersehbarkeit des Erfolgseintritts vorzuwerfen sein. Dabei sind individuell geringere Fähigkeiten oder Kenntnisse bzw. die individuell verringerte Möglichkeit der Erfolgsvoraussicht zu berücksichtigen, sodass beispielsweise intellektuelle oder körperliche Mängel, mangelndes Erfahrungswissen oder Reaktionsvermögen, Affekt- oder Erregungszustände den Täter entlasten können.
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2. Für M war der Tod ihrer Tochter subjektiv vorhersehbar (§ 222 StGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Die subjektive Vorhersehbarkeit setzt voraus, dass der Täter in seiner konkreten Lage und nach seinen individuellen Erkenntnisfähigkeiten den Erfolgseintritt sowie den Kausalverlauf in den wesentlichen Grundzügen hätte voraussehen können. Eine Voraussicht über die Folgen seines Handelns "in allen Einzelheiten" ist dabei nicht erforderlich. BGH: M besaß keine Kenntnis darüber, dass bereits kleine Mengen von Kochsalz bei Kleinkindern tödliche Vergiftungserscheinungen hervorrufen können. Dieses Nichtwissen ist der M auch nicht vorzuwerfen, da es sich um eine "medizinische Rarität" handelt, deren Kenntnis nicht sehr weit verbreitet sei und nicht zum Standardwissen von Eltern gehöre (RdNr. 10).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

ri

ri

9.1.2022, 18:36:19

Der Körper des Kleinkinds rebelliert doch üblicherweise schon bei geringen Mengen Salz, könnte man der Mutter nicht eine subjektive

Vorhersehbarkeit

vorwerfen spätestens zu dem Zeitpunkt als das Kind körperliche Abwehrreaktionen gezeigt hat?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

10.1.2022, 10:00:41

Hallo Ri, das könnte man in der Tat überlegen. Nach den Feststellungen der Tatsacheninstanz solche Abwehrreaktionen (Magenverstimmungen, Bauchschmerzen, Unwohlsein) billigend in Kauf genommen und insoweit den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB) verwirklicht. Für die Frage, ob auch eine Körperverletzung mit Todesfolge bejaht werden kann, kam es indes darauf an, dass M aus diesen - von ihr vorhergesehenen - Reaktionen auch die Möglichkeit des Todes der T hätte ableiten können. Dies wurde vom BGH verneint, da es sich bei der Gefährlichkeit von Salz nicht um Standardwissen handele. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

QUIG

QuiGonTim

3.3.2022, 20:04:14

Wonach ist denn zu bestimmen, was „Standardwissen“ ist?

Isabell

Isabell

27.3.2022, 12:24:43

U.a. Wahrscheinlich schulformübergreifender Lernstoff wie das Einmaleins. Finde ich aber auch super schwierig, weil ich das in der 5. oder 6..Klasse in Bio gelernt habe und dann lange Zeit meine Familie beim Kochen völlig verrückt gemacht habe 😅

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

5.7.2022, 18:09:29

Ich habe zu dem Urteil 2 Verständnisprobleme: 1. Eine Tatbestandsverwirklichung ist objektiv vorhersehbar, wenn der Erfolgseintritt für einen Durchschnittsmenschen des jeweiligen Verkehrskreises absehbar ist. I.R.d. subjektiven

Vorhersehbarkeit

sind die individuellen Fähigkeiten und Kenntnisse des Täters zu berücksichtigen. Wenn nun der BGH argumentiert, dass es sich bei der Toxität des Kochsalzes um Spezialwissen handelt, dann argumentiert er doch gerade gegen die Annahme einer objektiven (nicht einer subjektiven)

Vorhersehbarkeit

, da M nicht z.B. zum Verkehrskreis von Ärzten gehört. 2. Im Urteil wurde ja nicht 222 StGB, sondern 227 StGB geprüft. Wo würde man das Argument des BGH verorten im Tatbestand oder in der Schuld? In einer Lösung der FU-Berlin wurde es im Tatbestand verortet, aber im Maßstab wie hier auf die subjektive

Vorhersehbarkeit

abgestellt, was mich angesichts des oben Geschriebenen und eurem Prüfungsschemas zu 227 StGB doppelt verwirrt (Ich hätte die

objektive Vorhersehbarkeit

im Tatbestand geprüft und mit dem BGH Argument verneint, sodass ich gar nicht mehr zur Prüfung der subjektiven

Vorhersehbarkeit

i.R.d. Schuld gelangt wäre)

Nora Mommsen

Nora Mommsen

20.7.2022, 15:02:54

Hallo ole_mross, danke für deine Fragen! Zwar hat der BGH in dem Urteil explizit insbesondere § 227 StGB geprüft, allerdings setzt sich sich Körperverletzung mit Todesfolge ja letztlich aus einer vorsätzlichen Körperverletzung sowie der schweren Folge i.S.d. § 222 StGB zusammen, die über einen tatbestandsspezifischen Gefahrzusammenhang verbunden sind. Dort ist mindestens der Maßstabd der objektiven

Vorhersehbarkeit

und des

Pflichtwidrigkeitszusammenhang

s aus § 222 StGB anzulegen. Die subjektive

Vorhersehbarkeit

ist dann im Rahmen der Schuld zu prüfen. Da die

Vorhersehbarkeit

des Körperverletzungserfolges bereits im Rahmen des § 223 StGB geprüft wurde, bleibt für § 227 StGB nur noch die

objektive Vorhersehbarkeit

des Todeserfolges zu prüfen. Dabei ist auf einen Durchschnittsmenschen in der konkreten Situation des Täters abzustellen. Der BGH bezieht sich auf die subjektive

Vorhersehbarkeit

(wobei der BGH ja immer ein bisschen macht, was er will). Wir wollten hier die subjektive

Vorhersehbarkeit

abprüfen und die ist in diesem Fall auch zu verneinen. In einer regulären Prüfung, die nicht nur kleine Teile wie unsere Fälle abprüft, würdest du der Argumentation des BGH folgend tatsächlich schon bei der objektiven

Vorhersehbarkeit

rausfliegen. In der Klausur wäre zu der "Bekanntheit" des Wissens um die Gefährlichkeit von Salz für Kleinkinder noch mehr Ausführungen zu erwarten. Sonst lässt sich auch argumentieren, dass vorhersehbar ist, dass der Konsum großer Mengen Salz gefährlich ist. Dann könnte man die

objektive Vorhersehbarkeit

bejahen und die subjektive

Vorhersehbarkeit

mitunter verneinen. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

JI

Jimmy105

17.7.2024, 13:13:56

Also ich frage mich ja gerade, wie man ein Kind in so einer Situation dann eigentlich noch retten kann. Denke von so einem lebenspraktischen Tipp können wir alle profitieren (wenn es denn möglich ist). Ich würde dann vorschlagen einen solchen ergänzenden Hinweis in die Aufgabe mit aufzunehmen.


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