Strafrecht
Strafrecht Allgemeiner Teil
Fahrlässigkeit
Subjektive Fahrlässigkeit: Subjektive Vorhersehbarkeit – Salzpuddingfall
Subjektive Fahrlässigkeit: Subjektive Vorhersehbarkeit – Salzpuddingfall
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Als Erziehungsmaßnahme zwingt die Mutter M ihre 5-jährige Tochter T, den von ihr versehentlich versalzenen Pudding auszulöffeln. Von der Gefährlichkeit bereits kleiner Mengen Salz für Kleinkinder wusste M nichts. T stirbt daraufhin an einer Kochsalzintoxikation.
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Einordnung des Falls
Subjektive Fahrlässigkeit: Subjektive Vorhersehbarkeit – Salzpuddingfall
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die schuldhafte Begehung eines Fahrlässigkeitsdelikts setzt voraus, dass der Täter auch subjektiv fahrlässig gehandelt hat.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Für M war der Tod ihrer Tochter subjektiv vorhersehbar (§ 222 StGB).
Nein, das trifft nicht zu!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
ri
9.1.2022, 18:36:19
Der Körper des Kleinkinds rebelliert doch üblicherweise schon bei geringen Mengen Salz, könnte man der Mutter nicht eine
subjektive Vorhersehbarkeitvorwerfen spätestens zu dem Zeitpunkt als das Kind körperliche Abwehrreaktionen gezeigt hat?
Lukas_Mengestu
10.1.2022, 10:00:41
Hallo Ri, das könnte man in der Tat überlegen. Nach den Feststellungen der Tatsacheninstanz solche Abwehrreaktionen (Magenverstimmungen, Bauchschmerzen, Unwohlsein) billigend in Kauf genommen und insoweit den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB) verwirklicht. Für die Frage, ob auch eine Körperverletzung mit Todesfolge bejaht werden kann, kam es indes darauf an, dass M aus diesen - von ihr vorhergesehenen - Reaktionen auch die Möglichkeit des Todes der T hätte ableiten können. Dies wurde vom BGH verneint, da es sich bei der Gefährlichkeit von Salz nicht um Standardwissen handele. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
QuiGonTim
3.3.2022, 20:04:14
Wonach ist denn zu bestimmen, was „Standardwissen“ ist?
Isabell
27.3.2022, 12:24:43
U.a. Wahrscheinlich schulformübergreifender Lernstoff wie das Einmaleins. Finde ich aber auch super schwierig, weil ich das in der 5. oder 6..Klasse in Bio gelernt habe und dann lange Zeit meine Familie beim Kochen völlig verrückt gemacht habe 😅
ehemalige:r Nutzer:in
5.7.2022, 18:09:29
Ich habe zu dem Urteil 2 Verständnisprobleme: 1. Eine Tatbestandsverwirklichung ist objektiv vorhersehbar, wenn der Erfolgseintritt für einen Durchschnittsmenschen des jeweiligen Verkehrskreises absehbar ist. I.R.d. subjektiven Vorhersehbarkeit sind die individuellen Fähigkeiten und Kenntnisse des Täters zu berücksichtigen. Wenn nun der BGH argumentiert, dass es sich bei der Toxität des Kochsalzes um Spezialwissen handelt, dann argumentiert er doch gerade gegen die Annahme einer objektiven (nicht einer subjektiven) Vorhersehbarkeit, da M nicht z.B. zum Verkehrskreis von Ärzten gehört. 2. Im Urteil wurde ja nicht 222 StGB, sondern 227 StGB geprüft. Wo würde man das Argument des BGH verorten im Tatbestand oder in der Schuld? In einer Lösung der FU-Berlin wurde es im Tatbestand verortet, aber im Maßstab wie hier auf die
subjektive Vorhersehbarkeitabgestellt, was mich angesichts des oben Geschriebenen und eurem Prüfungsschemas zu 227 StGB doppelt verwirrt (Ich hätte die
objektive Vorhersehbarkeitim Tatbestand geprüft und mit dem BGH Argument verneint, sodass ich gar nicht mehr zur Prüfung der subjektiven Vorhersehbarkeit i.R.d. Schuld gelangt wäre)
Nora Mommsen
20.7.2022, 15:02:54
Hallo ole_mross, danke für deine Fragen! Zwar hat der BGH in dem Urteil explizit insbesondere § 227 StGB geprüft, allerdings setzt sich sich Körperverletzung mit Todesfolge ja letztlich aus einer vorsätzlichen Körperverletzung sowie der schweren Folge i.S.d. § 222 StGB zusammen, die über einen tatbestandsspezifischen Gefahrzusammenhang verbunden sind. Dort ist mindestens der Maßstabd der objektiven Vorhersehbarkeit und des
Pflichtwidrigkeitszusammenhangs aus § 222 StGB anzulegen. Die
subjektive Vorhersehbarkeitist dann im Rahmen der Schuld zu prüfen. Da die Vorhersehbarkeit des Körperverletzungserfolges bereits im Rahmen des §
223 StGBgeprüft wurde, bleibt für § 227 StGB nur noch die
objektive Vorhersehbarkeitdes Todeserfolges zu prüfen. Dabei ist auf einen Durchschnittsmenschen in der konkreten Situation des Täters abzustellen. Der BGH bezieht sich auf die
subjektive Vorhersehbarkeit(wobei der BGH ja immer ein bisschen macht, was er will). Wir wollten hier die
subjektive Vorhersehbarkeitabprüfen und die ist in diesem Fall auch zu verneinen. In einer regulären Prüfung, die nicht nur kleine Teile wie unsere Fälle abprüft, würdest du der Argumentation des BGH folgend tatsächlich schon bei der objektiven Vorhersehbarkeit rausfliegen. In der Klausur wäre zu der "Bekanntheit" des Wissens um die Gefährlichkeit von Salz für Kleinkinder noch mehr Ausführungen zu erwarten. Sonst lässt sich auch argumentieren, dass vorhersehbar ist, dass der Konsum großer Mengen Salz gefährlich ist. Dann könnte man die
objektive Vorhersehbarkeitbejahen und die
subjektive Vorhersehbarkeitmitunter verneinen. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Jimmy105
17.7.2024, 13:13:56
Also ich frage mich ja gerade, wie man ein Kind in so einer Situation dann eigentlich noch retten kann. Denke von so einem lebenspraktischen Tipp können wir alle profitieren (wenn es denn möglich ist). Ich würde dann vorschlagen einen solchen ergänzenden Hinweis in die Aufgabe mit aufzunehmen.