Zivilrecht

Sachenrecht

Vindikation & Eigentümer-Besitzer-Verhältnis

(P) Nutzungsersatz bei unentgeltlichem Besitz, § 988 BGB - rechtsgrundloser Erwerb - Zweipersonenverhältnis

(P) Nutzungsersatz bei unentgeltlichem Besitz, § 988 BGB - rechtsgrundloser Erwerb - Zweipersonenverhältnis

12. November 2024

4,7(22.511 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
Tags
Klassisches Klausurproblem

Der unerkannt geisteskranke G verkauft sein Lastenrad an K, der von der Krankheit nichts weiß. K vermietet das Lastenrad anschließend für einige Tage an den gutgläubigen M.

Diesen Fall lösen 0,0 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

(P) Nutzungsersatz bei unentgeltlichem Besitz, § 988 BGB - rechtsgrundloser Erwerb - Zweipersonenverhältnis

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Es bestand eine Vindikationslage zwischen G und K.

Ja, in der Tat!

Dazu musste ein Vindikationsanspruch vorliegen. Dieser setzt voraus, dass (1) der Anspruchsteller Eigentümer und (2) der Anspruchsgegner Besitzer (3) ohne Recht zum Besitz (§ 986 BGB) ist. G war Eigentümer des Lastenrades. Da er nach § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig war, ist nicht nur der Kaufvertrag nichtig, sondern auch die dingliche Einigung. Er hat das Eigentum daher nicht verloren. K war Besitzer. Mangels wirksamen Vertragsverhältnisses besteht auch kein Besitzrecht zugunsten des K.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Da K gutgläubig ist, kommt ein Nutzungsersatzanspruch aus §§ 987 Abs. 1, 990 Abs. 1 BGB nicht in Betracht.

Ja!

Der Anspruch aus §§ 987 Abs. 1, 990 Abs. 1 BGB setzt (1) eine Vindikationslage, (2) Ziehung von Nutzungen durch den Besitzer und (3) Bösgläubigkeit des Besitzers voraus. Die Vindikationslage bestand. Zudem ist die von M gezahlte Miete als Rechtsfrucht eine Nutzung nach §§ 99 Abs. 3, 100 BGB. Allerdings war M gutgläubig, weshalb ein Anspruch nach §§ 987 Abs. 1, 990 Abs. 1 BGB ausscheidet.

3. G hat unstreitig einen Anspruch auf Nutzungsersatz aus § 988 BGB.

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach dem Wortlaut des § 993 Abs. 1 aE BGB hätte der Eigentümer keinen Anspruch auf Nutzungsersatz, wenn sowohl das Verpflichtungs- als auch das Verfügungssgeschäft unwirksam sind. Ist lediglich das Verpflichtungsgeschäft unwirksam, liegt kein EBV vor und der Eigentümer kann Nutzungsersatzansprüche nach §§ 812 ff. BGB geltend machen. Dies wird als unbillig und widersprüchlich erachtet. Die Rechtsprechung wendet daher beim rechtsgrundlosen Besitzerwerb den § 988 BGB analog an, wodurch die §§ 818 f., 820 BGB über die Verweisung anwendbar sind. Die herrschende Lehre(h.L.) hingegen nimmt eine teleologische Reduktion des § 993 Abs. 1 aE BGB vor. Lediglich die Eingriffskondiktion soll gesperrt sein, nicht dagegen die Leistungskondiktion (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).

4. Dafür, dass § 988 BGB analog angewendet wird (Rspr.), spreche die Ähnlichkeit des rechtsgrundlosen und des unentgeltlichen Erwerbs.

Ja, in der Tat!

Eine analoge Anwendung setzt (1) eine planwidrige Regelungslücke und (2) eine vergleichbare Interessenlage voraus.Für die Fälle der Doppelnichtigkeit fehle es an einer adäquaten Regelung. Es erschiene wertungswidersprüchlich den rechtsgrundlos besitzenden Nichteigentümer (Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft nichtig) besserzustellen als den rechtsgrundlos besitzenden Eigentümer (nur Kausalgeschäft nichtig). Die Rechtsprechung versteht unter der Unentgeltlichkeit, dass es keine ausgleichende Zuwendung beim Erwerb gibt. Daher sei der Fall des rechtsgrundlosen Besitzerwerbs, in dem der Erwerber aufgrund der Nichtigkeit nicht zur Gegenleistung verpflichtet ist, der Unentgeltlichkeit gleichzustellen. Insoweit liege eine vergleichbare Interessenlage vor.

5. Für eine direkte Anwendung der Leistungskondiktion (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) spreche insbesondere der Zweck der Rückabwicklung (h.L).

Ja!

Die Literatur hält der Rechtsprechung entgegen, dass eine Zuwendung des Besitzers tatsächlich stattfinde, da dieser sich der Nichtigkeit zu dem Zeitpunkt nicht bewusst sei. Daher bestehe ein Bedürfnis der Rückabwicklung, bei der das Bereicherungsrecht zweckmäßig ist."

6. Nach beiden Ansichten steht G ein Anspruch auf Nutzungsersatz zu.

Genau, so ist das!

Nach der Rechtsprechung müssen die Voraussetzungen des § 988 BGB erfüllt sein, damit ein Anspruch des Besitzers besteht. Statt der Unentgeltlichkeit wird aber auf die Rechtsgrundlosigkeit abgestellt. Wie K in den Besitz der Sache gekommen ist, ist demnach irrelevant. G hat nach dieser Ansicht somit einen Anspruch auf Nutzungsersatz.Nach der h.L. ist die Leistungskondiktion nach § 812 Abs 1 S. 1 Alt. 1 BGB wegen der teleologischen Reduktion des § 993 Abs. 1 aE BGB nicht gesperrt. Da K vorliegend den Besitz durch Leistung des G ohne Rechtsgrund erlangt hat, liegen auch die Voraussetzungen der Leistungskondiktion vor (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB). G hat nach der h.L. demnach ebenfalls einen Anspruch auf Nutzungsersatz.Ein Streitentscheid kann hier also dahinstehen, da beide Ansichten zum gleichen Ergebnis kommen.

7. Die verschiedenen Ansichten kommen stets zu gleichen Ergebnissen, weswegen der Streit in Fallprüfungen nie Relevanz hat.

Nein, das trifft nicht zu!

Zwar kommen die beiden Ansichten im Zweipersonenverhältnis zu identischen Ergebnissen. Relevant wird der Streit aber im Dreipersonenverhältnis, wenn der Besitzer die Sache nicht direkt vom Eigentümer erlangt hat. Dann gilt bei Anwendung des Bereicherungsrechts (hL) der Vorrang der Leistungskondiktion. Der Besitzer muss sich dann also an den Vorbesitzer halten. Mehr dazu erfährst Du im folgenden Fall.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

PAND

pando

24.11.2022, 18:27:29

Ich verstehe gerade nicht, warum der Streit des §

988

überhaupt relevant wird, wenn G

unerkannt geisteskrank

ist und damit auch die dingliche Einigungserklärung nichtig ist, sprich Nichtigkeit Verpflichtungs- und

Verfügungsgeschäft

, oder?😅

Nora Mommsen

Nora Mommsen

5.12.2022, 13:40:12

Hallo pando, danke für deine Frage. Der Zustand des G führt dazu, dass das Eigentum nicht auf K übergehen konnte. K ist aber nicht bösgläubig, daher scheiden Ansprüche nach §§ 990 I, 987, 989 BGB aus. Es könnte ein Anspruch aus

§ 987 BGB

in Betracht kommen. Aber K hat den Besitz aufgrund eines (nichtigen) Kaufvertrages, aber daher nicht unentgeltlich erworben sondern rechtsgrundlos. Dies ist eine Lücke im System des EBV. Rechtsprechung und die herrschende Meinung in der Literatur sind uneinig wie diese zu schließen ist. So kommt man dann zur analogen Anwendung des

§ 988 BGB

. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Paulah

Paulah

8.7.2024, 18:45:54

@[

Nora Mommsen

](178057) Biegen sowohl die h. L. und der BGH nicht zweimal was zurecht? Erst tun wir so, als läge ein EBV vor und dann wende ich

§ 988 BGB

analog an oder mache eine teleologische Reduktion des § 993 I a. E. BGB. Oder habe ich jetzt was falsch verstanden?

QUAR

Quarklo

19.7.2024, 08:56:56

Es liegt tatsächlich ein EBV vor. Jedoch ist der Besitzer gutgläubig, wodurch § 987 ausscheidet. Das erscheint aber unbillig, da der Besitzer bei einer wirksamen Verfügung und einem unwirksamen Verpflichtungsgeschäft schlechter stehen würde als bei der Nichtigkeit beider Geschäfte. Im ersten Fall wird nach Bereicherungsrecht rückabgewickelt, wodurch auch die gezogenen Nutzungen zu ersetzen sind. Im zweiten Fall scheitert ein Ersatzanspruch (Gutgläubigkeit des Besitzers und Sperrwirkung). Diese Begründung könnte mE auch in dem Fall noch besser dargestellt werden.

Paulah

Paulah

19.7.2024, 09:54:40

@[Quarklo](252534) Stimmt! EBV liegt vor. Danke!

SAUFE

Saufen_Fetzt

12.2.2023, 12:49:01

Was ich nicht ganz verstehe: das ebv setzt doch die Rechtsgrundlosigkeit des Besitzes voraus. Wenn ich den

988 analog

(die Lit ignorieren wir hier einmal) anwende, wenn jemand ohne Rechtsgrund besitzt, ist das doch ein Widerspruch. IE bekomme ich also immer

Nutzungsersatz

?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

13.2.2023, 15:10:46

Hallo Saufen_Fetzt, Ansprüche aus dem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis setzen einen Besitz ohne

Besitzrecht

voraus. Privilegiert wird aber der gutgläubige, entgeltliche und unverklagte Besitzer indem gegen den bösgläubigen, unentgeltlichen oder verklagten Besitzer Ansprüche bestehen können. Auf die Rechtsgrundlosigkeit kommt es nicht primär an. Daher wird von der Rechtsprechung der rechtsgrundlose dem unentgeltlichen Besitzer gleichgestellt, da diese nach deren Meinung vergleichbar sind. Viele Grüße, Nora – für das Jurafuchs-Team

PET

Petrus

6.4.2023, 08:07:09

Ich hätte eine Frage zu § 991 I BGB. Den gibt es ja, um zu verhindern, dass der unredliche

Besitzmittler

Regress gegen den redlichen mittelbaren Besitzer nehmen kann und letzterer dann Haftung muss, obwohl er das nach den Regelungen der §§ 987 ff. BGB eigentlich nicht müsste. Dieser Regressanspruch des

Besitzmittler

s: ist der aus dem Schuldverhältnis der beiden aus § 280 I oder woraus würde sich der ergeben?

QUAR

Quarklo

19.7.2024, 09:01:29

Ja genau

marie.sofia

marie.sofia

2.9.2024, 11:21:18

Warum wird im vorliegenden Fall nicht der § 993 I angewendet? Ist das nicht genau der beschriebene Fall? EBV liegt vor aber keine Bösgläubigkeit?

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

2.9.2024, 15:54:11

Hallo @[marie.sofia](225878), danke für Deine Frage. § 993 Abs. 1 BGB regelt nur die Herausgabe der gezogenen Früchte (§ 99 BGB), also gerade keinen

Nutzungsersatz

(„im Übrigen ist er weder zur Herausgabe von Nutzungen noch zum Schadensersatz verpflichtet“). Deswegen passt die Vorschrift nicht auf diesen Fall. Aus diesem Grund wird

§ 988 BGB

analog herangezogen: Denn diese Norm sieht den

Nutzungsersatz

als Rechtsfolge vor. Am besten schaust Du Dir die Normen einmal im Zusammenhang an und machst Dir bei jeder Norm klar: Wer soll hier eigentlich warum (nicht) geschützt werden? Die Konkurrenzen der Normen kannst Du z.B. hier: MüKoBGB/Raff, 9. Aufl. 2023, BGB § 993 Rn. 5ff., beck-online nachlesen. Ich hoffe, ich konnte Deine Frage beantworten. Viele Grüße - Linne, für das Jurafuchs-Team

marie.sofia

marie.sofia

2.9.2024, 15:57:29

Vielen lieben Dank, jetzt habe ich den unterschied verstanden.

MAT

mathedos

31.10.2024, 10:40:11

Ich hätte im Anschluss daran eine Verständnisfrage: Ich verstehe, dass es einen Unterschied zwischen

Nutzungsersatz

nach §

988

und der Herausgabe der gezogenen Früchte nach § 993 gibt, aber warum wirkt sich dieser hier aus? In der Lösung steht, dass es sich bei der Miete um eine Rechtsfrucht nach § 99 III handelt und diese könnte dann doch auch über § 993 herausverlangt werden oder? Warum bedarf es dann in diesem Fall überhaupt des §

988 analog

oder der teleologischen Reduktion des § 993?


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen