Zivilrecht

Sachenrecht

Vindikation & Eigentümer-Besitzer-Verhältnis

(P) Nutzungsersatz bei unentgeltlichem Besitz, § 988 BGB - rechtsgrundloser Erwerb - Zweipersonenverhältnis

(P) Nutzungsersatz bei unentgeltlichem Besitz, § 988 BGB - rechtsgrundloser Erwerb - Zweipersonenverhältnis

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

Der unerkannt geisteskranke G verkauft sein Lastenrad an K, der von der Krankheit nichts weiß. K vermietet das Lastenrad anschließend für einige Tage an den gutgläubigen M.

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Einordnung des Falls

(P) Nutzungsersatz bei unentgeltlichem Besitz, § 988 BGB - rechtsgrundloser Erwerb - Zweipersonenverhältnis

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Es bestand eine Vindikationslage zwischen G und K.

Ja, in der Tat!

Dazu musste ein Vindikationsanspruch vorliegen. Dieser setzt voraus, dass (1) der Anspruchsteller Eigentümer und (2) der Anspruchsgegner Besitzer (3) ohne Recht zum Besitz (§ 986 BGB) ist. G war Eigentümer des Lastenrades. Da er nach § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig war, ist nicht nur der Kaufvertrag nichtig, sondern auch die dingliche Einigung. Er hat das Eigentum daher nicht verloren. K war Besitzer. Mangels wirksamen Vertragsverhältnisses besteht auch kein Besitzrecht zugunsten des K.
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2. Da K gutgläubig ist, kommt ein Nutzungsersatzanspruch aus §§ 987 Abs. 1, 990 Abs. 1 BGB nicht in Betracht.

Ja!

Der Anspruch aus §§ 987 Abs. 1, 990 Abs. 1 BGB setzt (1) eine Vindikationslage, (2) Ziehung von Nutzungen durch den Besitzer und (3) Bösgläubigkeit des Besitzers voraus. Die Vindikationslage bestand. Zudem ist die von M gezahlte Miete als Rechtsfrucht eine Nutzung nach §§ 99 Abs. 3, 100 BGB. Allerdings war M gutgläubig, weshalb ein Anspruch nach §§ 987 Abs. 1, 990 Abs. 1 BGB ausscheidet.

3. G hat unstreitig einen Anspruch auf Nutzungsersatz aus § 988 BGB.

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach dem Wortlaut des § 993 Abs. 1 aE BGB hätte der Eigentümer keinen Anspruch auf Nutzungsersatz, wenn sowohl das Verpflichtungs- als auch das Verfügungssgeschäft unwirksam sind. Ist lediglich das Verpflichtungsgeschäft unwirksam, liegt kein EBV vor und der Eigentümer kann Nutzungsersatzansprüche nach §§ 812 ff. BGB geltend machen. Dies wird als unbillig und widersprüchlich erachtet. Die Rechtsprechung wendet daher beim rechtsgrundlosen Besitzerwerb den § 988 BGB analog an, wodurch die §§ 818 f., 820 BGB über die Verweisung anwendbar sind. Die herrschende Lehre(h.L.) hingegen nimmt eine teleologische Reduktion des § 993 Abs. 1 aE BGB vor. Lediglich die Eingriffskondiktion soll gesperrt sein, nicht dagegen die Leistungskondiktion (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).

4. Dafür, dass § 988 BGB analog angewendet wird (Rspr.), spreche die Ähnlichkeit des rechtsgrundlosen und des unentgeltlichen Erwerbs.

Ja, in der Tat!

Eine analoge Anwendung setzt (1) eine planwidrige Regelungslücke und (2) eine vergleichbare Interessenlage voraus.Für die Fälle der Doppelnichtigkeit fehle es an einer adäquaten Regelung. Es erschiene wertungswidersprüchlich den rechtsgrundlos besitzenden Nichteigentümer (Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft nichtig) besserzustellen als den rechtsgrundlos besitzenden Eigentümer (nur Kausalgeschäft nichtig). Die Rechtsprechung versteht unter der Unentgeltlichkeit, dass es keine ausgleichende Zuwendung beim Erwerb gibt. Daher sei der Fall des rechtsgrundlosen Besitzerwerbs, in dem der Erwerber aufgrund der Nichtigkeit nicht zur Gegenleistung verpflichtet ist, der Unentgeltlichkeit gleichzustellen. Insoweit liege eine vergleichbare Interessenlage vor.

5. Für eine direkte Anwendung der Leistungskondiktion (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) spreche insbesondere der Zweck der Rückabwicklung (h.L).

Ja!

Die Literatur hält der Rechtsprechung entgegen, dass eine Zuwendung des Besitzers tatsächlich stattfinde, da dieser sich der Nichtigkeit zu dem Zeitpunkt nicht bewusst sei. Daher bestehe ein Bedürfnis der Rückabwicklung, bei der das Bereicherungsrecht zweckmäßig ist."

6. Nach beiden Ansichten steht G ein Anspruch auf Nutzungsersatz zu.

Genau, so ist das!

Nach der Rechtsprechung müssen die Voraussetzungen des § 988 BGB erfüllt sein, damit ein Anspruch des Besitzers besteht. Statt der Unentgeltlichkeit wird aber auf die Rechtsgrundlosigkeit abgestellt. Wie K in den Besitz der Sache gekommen ist, ist demnach irrelevant. G hat nach dieser Ansicht somit einen Anspruch auf Nutzungsersatz.Nach der h.L. ist die Leistungskondiktion nach § 812 Abs 1 S. 1 Alt. 1 BGB wegen der teleologischen Reduktion des § 993 Abs. 1 aE BGB nicht gesperrt. Da K vorliegend den Besitz durch Leistung des G ohne Rechtsgrund erlangt hat, liegen auch die Voraussetzungen der Leistungskondiktion vor (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB). G hat nach der h.L. demnach ebenfalls einen Anspruch auf Nutzungsersatz.Ein Streitentscheid kann hier also dahinstehen, da beide Ansichten zum gleichen Ergebnis kommen.

7. Die verschiedenen Ansichten kommen stets zu gleichen Ergebnissen, weswegen der Streit in Fallprüfungen nie Relevanz hat.

Nein, das trifft nicht zu!

Zwar kommen die beiden Ansichten im Zweipersonenverhältnis zu identischen Ergebnissen. Relevant wird der Streit aber im Dreipersonenverhältnis, wenn der Besitzer die Sache nicht direkt vom Eigentümer erlangt hat. Dann gilt bei Anwendung des Bereicherungsrechts (hL) der Vorrang der Leistungskondiktion. Der Besitzer muss sich dann also an den Vorbesitzer halten. Mehr dazu erfährst Du im folgenden Fall.
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