Zivilrecht
Sachenrecht
Vindikation & Eigentümer-Besitzer-Verhältnis
(P) Nutzungsersatz bei unentgeltlichem Besitz, § 988 BGB - rechtsgrundloser Erwerb - Zweipersonenverhältnis
(P) Nutzungsersatz bei unentgeltlichem Besitz, § 988 BGB - rechtsgrundloser Erwerb - Zweipersonenverhältnis
4. Dezember 2025
35 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Der geschäftsunfähige G verkauft und übereignet seinen PKW an K, die von der Geschäftsunfähigkeit des G nichts weiß. K nutzt das Fahrzeug in der Folgezeit. Erst nach vier Monaten stellt sich die Nichtigkeit des Kaufvertrags heraus.
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Einordnung des Falls
(P) Nutzungsersatz bei unentgeltlichem Besitz, § 988 BGB - rechtsgrundloser Erwerb - Zweipersonenverhältnis
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Es besteht ein Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (Vindikationslage) im Sinne der §§ 985 ff. BGB zwischen G und K.
Ja, in der Tat!
2. Da K von Gs Geschäftsunfähigkeit bei der Besitzerlangung des PKW nichts wusste, war er gutgläubig. Ist deswegen ein Nutzungsersatzanspruch nach §§ 987 Abs. 1, 990 Abs. 1 BGB des G gegen K auf Ersatz der mit dem PKW gefahrenen Kilometer ausgeschlossen?
Ja!
3. Wenn nur das schuldrechtliche Kausalgeschäft (Kaufvertrag) unwirksam gewesen wäre, G aber – anders als hier – sein Eigentum am PKW wegen wirksamer Übereignung sogar an K verloren hätte, so stünde G ein Nutzungsersatzanspruch nach §§ 812, 818 BGB zu. Könnte dieses Ergebnis unbillig sein?
Genau, so ist das!
4. Um diese Unbilligkeit zu vermeiden, besteht Einigkeit darüber, dass G ein Nutzungsersatz zustehen muss.
Ja, in der Tat!
5. Kann G diesen Nutzungsersatz von K nach dem Wortlaut des § 988 BGB verlangen?
Nein!
6. Allerdings ähneln sich der unentgeltliche und rechtsgrundlose Erwerb, da auch der rechtsgrundlose Erwerber aufgrund der Rückabwicklungsansprüche wie jemand da steht, der überhaupt keine Gegenleistung erbracht hat. Könnte diese Regelungslücke daher durch analoge Anwendung des § 988 BGB geschlossen werden?
Genau, so ist das!
7. Die Literatur hingegen lehnt die analoge Anwendung des § 988 BGB ab und wendet stattdessen die §§ 812 ff. BGB unmittelbar an. Spricht für diese Ansicht insbesondere der Zweck der Rückabwicklung?
Ja, in der Tat!
8. Nach beiden Ansichten steht G ein Anspruch auf Nutzungsersatz zu.
Ja!
9. Die verschiedenen Ansichten kommen stets zu gleichen Ergebnissen, weswegen der Streit in Fallprüfungen nie Relevanz hat.
Nein, das ist nicht der Fall!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
pando
24.11.2022, 18:27:29
Ich verstehe gerade nicht, warum der Streit des § 988 überhaupt relevant wird, wenn G
unerkannt geisteskrankist und damit auch die dingliche Einigungserklärung nichtig ist, sprich
NichtigkeitVerpflichtungs- und
Verfügungsgeschäft, oder?😅
Nora Mommsen
5.12.2022, 13:40:12
Hallo pando, danke für deine Frage. Der Zustand des G führt dazu, dass das Eigentum nicht auf K übergehen konnte. K ist aber nicht bösgläubig, daher scheiden Ansprüche nach §§ 990 I, 987,
989 BGBaus. Es könnte ein Anspruch aus
§ 987 BGBin Betracht kommen. Aber K hat den Besitz aufgrund eines (nichtigen) Kaufvertrages, aber daher nicht unentgeltlich erworben sondern
rechtsgrundlos. Dies ist eine Lücke im System des EBV. Rechtsprechung und die herrschende
Meinungin der Literatur sind uneinig wie diese zu schließen ist. So kommt man dann zur analogen Anwendung des
§ 988 BGB. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Paulah
8.7.2024, 18:45:54
@[Nora Mommsen](178057) Biegen sowohl die h. L. und der BGH nicht zweimal was zurecht? Erst tun wir so, als läge ein EBV vor und dann wende ich
§ 988 BGBanalog an oder mache eine
teleologische Reduktion des § 993 I a. E. BGB. Oder habe ich jetzt was falsch verstanden?
Quarklo
19.7.2024, 08:56:56
Es liegt tatsächlich ein EBV vor. Jedoch ist der Besitzer gutgläubig, wodurch § 987 ausscheidet. Das erscheint aber unbillig, da der Besitzer bei einer wirksamen Verfügung und einem unwirksamen
Verpflichtungsgeschäftschlechter stehen würde als bei der
Nichtigkeitbeider Geschäfte. Im ersten Fall wird nach
Bereicherungsrechtrückabgewickelt, wodurch auch die gezogenen Nutzungen zu ersetzen sind. Im zweiten Fall scheitert ein Ersatzanspruch (
Gutgläubigkeitdes Besitzers und Sperrwirkung). Diese Begründung könnte mE auch in dem Fall noch besser dargestellt werden.
Paulah
19.7.2024, 09:54:40
@[Quarklo](252534) Stimmt! EBV liegt vor. Danke!
Saufen_Fetzt
12.2.2023, 12:49:01
Was ich nicht ganz verstehe: das ebv setzt doch die
Rechtsgrundlosigkeit des Besitzes voraus. Wenn ich den
988 analog(die Lit ignorieren wir hier einmal) anwende, wenn jemand ohne
Rechtsgrundbesitzt, ist das doch ein Widerspruch. IE bekomme ich also immer Nutzungsersatz?
Nora Mommsen
13.2.2023, 15:10:46
Hallo Saufen_Fetzt, Ansprüche aus dem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis setzen einen Besitz ohne Besitzrecht voraus. Privilegiert wird aber der gutgläubige, entgeltliche und unverklagte Besitzer indem gegen den bösgläubigen, unentgeltlichen oder verklagten Besitzer Ansprüche bestehen können. Auf die
Rechtsgrundlosigkeit kommt es nicht primär an. Daher wird von der Rechtsprechung der
rechtsgrundlose dem unentgeltlichen Besitzer gleichgestellt, da diese nach deren
Meinungvergleichbar sind. Viele Grüße, Nora – für das Jurafuchs-Team
nondum conceptus
12.11.2024, 17:07:21
Ich verstehe die Argumentation nicht so ganz. gemeint ist doch eher der
rechtsgrundlose entgeltliche Besitzerwerb, da der 988 den unentgeltlichen
rechtsgrundlosen Besitzerwerb meint.
Linne Hempel
25.11.2024, 11:07:16
Hallo @[Lena123](234295), danke für deine Nachfrage. Wir haben den Kommentar zum Anlass genommen, um die Aufgabe zu überarbeiten und die beiden Lösungsansätze genauer zu erklären. Schaue dir das gerne nochmal an. Ich hoffe, dass sich dadurch deine Frage auflöst. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team
Petrus
6.4.2023, 08:07:09
Ich hätte eine Frage zu § 991 I BGB. Den gibt es ja, um zu verhindern, dass der unredliche
BesitzmittlerRegress gegen den redlichen mittelbaren Besitzer nehmen kann und letzterer dann Haftung muss, obwohl er das nach den Regelungen der §§ 987 ff. BGB eigentlich nicht müsste. Dieser Regressanspruch des
Besitzmittlers: ist der aus dem
Schuldverhältnis der beiden aus § 280 I oder woraus würde sich der ergeben?
Quarklo
19.7.2024, 09:01:29
Ja genau
marie.sofia
2.9.2024, 11:21:18
Warum wird im vorliegenden Fall nicht der § 993 I angewendet? Ist das nicht genau der beschriebene Fall? EBV liegt vor aber keine
Bösgläubigkeit?
Linne Hempel
2.9.2024, 15:54:11
Hallo @[marie.sofia](225878), danke für Deine Frage. § 993 Abs. 1 BGB regelt nur die Herausgabe der gezogenen Früchte (§ 99 BGB), also gerade keinen Nutzungsersatz („im Übrigen ist er weder zur Herausgabe von Nutzungen noch zum Schadensersatz verpflichtet“). Deswegen passt die Vorschrift nicht auf diesen Fall. Aus diesem Grund wird
§ 988 BGBanalog herangezogen: Denn diese Norm sieht den Nutzungsersatz als Rechtsfolge vor. Am besten schaust Du Dir die Normen einmal im Zusammenhang an und machst Dir bei jeder Norm klar: Wer soll hier eigentlich warum (nicht) geschützt werden? Die
Konkurrenzender Normen kannst Du z.B. hier: MüKoBGB/Raff, 9. Aufl. 2023, BGB § 993 Rn. 5ff., beck-online nachlesen. Ich hoffe, ich konnte Deine Frage beantworten. Viele Grüße - Linne, für das Jurafuchs-Team
marie.sofia
2.9.2024, 15:57:29
Vielen lieben Dank, jetzt habe ich den unterschied verstanden.
mathedos
31.10.2024, 10:40:11
Ich hätte im Anschluss daran eine Verständnisfrage: Ich verstehe, dass es einen Unterschied zwischen Nutzungsersatz nach § 988 und der Herausgabe der gezogenen Früchte nach § 993 gibt, aber warum wirkt sich dieser hier aus? In der Lösung steht, dass es sich bei der Miete um eine Rechtsfrucht nach § 99 III handelt und diese könnte dann doch auch über § 993 herausverlangt werden oder? Warum bedarf es dann in diesem Fall überhaupt des §
988 analogoder der
teleologischen Reduktion des § 993?
Linne Hempel
25.11.2024, 11:18:16
Hallo @[mathedos](248075), danke für deine Frage. Schau dir den § 993 BGB noch einmal genau an, dort steht im ersten Absatz: „Liegen die in den §§ 987 bis 992 bezeichneten Voraussetzungen nicht vor, so hat der Besitzer die gezogenen Früchte, soweit sie nach den Regeln einer ordnungsmäßigen Wirtschaft nicht als Ertrag der Sache anzusehen sind, nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung herauszugeben; im Übrigen ist er weder zur Herausgabe von Nutzungen noch zum Schadensersatz verpflichtet.“ Ein Herausgabeanspruch nach § 993 Abs. 1 Hs. 1 BGB bezieht sich nur auf sog. „
Übermaßfrüchte“. Die Frücht, die „nach den Regeln einer ordnungsmäßigen Wirtschaft als Ertrag der Sache anzusehen sind“, sind damit gerade nicht nach den §§ 812ff. BGB herauszugeben (siehe § 993 Abs. 1 Hs. 2 BGB). Ich hoffe, ich konnte dir damit weiterhelfen. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team
Juraganter
27.11.2024, 19:37:19
Ich verstehe nicht ganz, warum die Antwort auf "Könnte dieses Ergebnis unbillig sein?" Nein lautet, in der Erklärung aber am Ende "Dieses Ergebnis ist unbillig" steht. Was übersehe ich da?
Marius2609
29.11.2024, 13:29:10
Die gleiche Frage habe ich mir auch gerade gestellt. Die richtige Antwort müsste m.E. eigentlich „Ja“ sein.
Ferigan030
11.12.2024, 12:01:02
"Wenn nur das
schuldrechtliche Kausalgeschäft (Kaufvertrag) unwirksam gewesen wäre, G aber – anders als hier – sein Eigentum am PKW wegen wirksamer Übereignung sogar an K verloren hätte, so stünde G ein Nutzungsersatzanspruch nach §§ 812,
818 BGBzu. Könnte dieses Ergebnis unbillig sein?" Antwort: Nein! Erläuterung: "Dieses Ergebnis ist unbillig. Denn dann stünde derjenige, der sein Eigentum behielte, schlechter als derjenige, der neben dem Besitz auch sein Eigentum verloren hätte." Das passt wirklich so nicht zusammen. Bitte korrigieren!
benjaminmeister
1.3.2025, 16:31:33
Es ist unnötig verwirrend, dass im Sachverhalt (nur) von
Nichtigkeitdes Kaufvertrags geredet wird. Das lädt unnötigerweise zu der Vermutung ein, dass das dingliche Geschäft aufgrund der Vertretung durch einen Betreuer doch irgendwie wirksam ist. Besser wäre es davon zu reden, dass nach 4 Monaten sich die Geschäftsunfähigkeit herausstellt. Außerdem könnte man noch klarstellen, dass der Käufer hier schon den Kaufpreis bezahlt hat. Wäre das nicht so, würde es der Argumentation der Lit. den Wind aus den Segeln nehme, da ohne geleistete Kaufpreiszahlung schon eher Unentgeltlichkeit/§
988 analogbejaht werden könnte.
paulmachtexamen
2.4.2025, 14:20:51
Sehe ich absolut genauso!
123455
22.6.2025, 16:40:07
Wäre eine Argumentation dahin möglich, dass § 993 I Hs. 2 bzgl. der Herausgabe von Nutzungen hier
teleologischreduziert wird, weil die Person nicht aufgrund eines "zufälligen" (ihr unbekannten) nichtigen Vertrages besser stehen soll, als wenn tatsächlich ein Vertrag vorläge? Denn sofern ein Vertrag vorliegt, scheidet die
Vindikationslageaus und die Pers müsste dann eh über § 812 ff die Nutzungen gewähren?
Imanlli
7.11.2025, 23:43:14
Ist hier relevant, dass sowohl das Verpflichtungs- als auch das
Verfügungsgeschäftnichtig sind? Es würde doch für den
rechtsgrundlosen Erwerb ausreichen, wenn der Kaufvertrag nichtig ist, nicht?
Foxxy
7.11.2025, 23:44:02
Ja, das ist relevant. - Nur Kaufvertrag nichtig, Übereignung wirksam: K erwirbt Eigentum und Besitz ohne
Rechtsgrund; kein EBV; Nutzungsersatz unmittelbar nach §§ 812,
818 BGB. - Auch Übereignung nichtig (hier wegen § 105 Abs. 1 BGB): G bleibt Eigentümer; EBV greift; §§ 987 ff. sind vorrangig; direkter Rückgriff auf §§ 812 ff. ist grundsätzlich durch § 993 Abs. 1 Hs. 2 BGB gesperrt. Nutzungsersatz dann entweder über
§ 988 BGBanalog (Rspr.) oder über § 812 BGB nach
teleologischer Reduktion des § 993 Abs. 1 Hs. 2 (h. L.). Dein Einwand stimmt also für den Fall, dass trotz nichtigen Kaufvertrags wirksam übereignet wurde; hier kommt es gerade darauf an, dass auch die Übereignung nichtig ist.
Juri
12.11.2025, 12:49:19
@Foxxy könntest du das Argument "Die Literatur hält der Rechtsprechung entgegen, dass eine Zuwendung des Besitzers tatsächlich stattfinde, da dieser sich der
Nichtigkeitdes Kaufvertrags zu dem Zeitpunkt der Kaufpreiszahlung nicht bewusst sei. Aus diesem Grund sei die Gleichstellung von unentgeltlichem und
rechtsgrundlosen Erwerb abzulehnen. Vielmehr sei das
Bereicherungsrecht(§§ 812 ff. BGB) zweckmäßig." etwas weiter ausführen? Ich verstehe nicht, inwiefern dieses Argument gegen eine Gleichstellung spricht.
Foxxy
12.11.2025, 12:49:57
Kurz gesagt: Unentgeltlichkeit (
§ 988 BGB) ist ein ex ante-Kriterium. Sie meint, dass der Besitz ohne ausgleichende Gegenleistung überlassen wurde (typisch Schenkung, unentgeltliche
Leihe). Beim
rechtsgrundlosen Erwerb hat der Erwerber tatsächlich eine Gegenleistung erbracht (hier: K zahlte den Kaufpreis) und erhielt den Besitz gerade als Gegenleistung. Dass der
Rechtsgrundspäter wegfällt, macht den Erwerb nicht „unentgeltlich“. Eine Gleichstellung würde den entgeltlich handelnden Käufer wie einen Schenkungsempfänger behandeln und den Zweck des § 988 verfehlen. Die Literatur sagt deshalb: In Leistungsbeziehungen soll nicht §
988 analogeingreifen, sondern direkt das
Bereicherungsrecht(§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 i.V.m. § 818 Abs. 1). Begründung: Die EBV-Sperre des § 993 Abs. 1 Hs. 2 wird
teleologischreduziert, weil sie den redlichen, unverklagten Besitzer in deliktisch/außervertraglichen Konstellationen schützen soll, nicht gegen
bereicherungsrechtliche Rückabwicklung eigener Leistungsbeziehungen. Für deinen Fall (G geschäftsunfähig; Kaufvertrag und Übereignung nichtig; K gutgläubig, nutzt den PKW) heißt das: § 987/990 scheidet mangels
Bösgläubigkeitaus; Nutzungsersatz erhält G entweder nach §
988 analog(Rechtsprechung) oder unmittelbar nach §§ 812, 818 (Literatur). Der Unterschied der Ansichten wird vor allem im Dreipersonenverhältnis relevant.


