Zivilrecht

Sachenrecht

Vindikation & Eigentümer-Besitzer-Verhältnis

(P) Nutzungsersatz bei unentgeltlichem Besitz, § 988 BGB - rechtsgrundloser Erwerb - Zweipersonenverhältnis

(P) Nutzungsersatz bei unentgeltlichem Besitz, § 988 BGB - rechtsgrundloser Erwerb - Zweipersonenverhältnis

19. Februar 2025

28 Kommentare

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Der geschäftsunfähige G verkauft und übereignet seinen PKW an K, die von der Geschäftsunfähigkeit des G nichts weiß. K nutzt das Fahrzeug in der Folgezeit. Erst nach vier Monaten stellt sich die Nichtigkeit des Kaufvertrags heraus.

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Einordnung des Falls

(P) Nutzungsersatz bei unentgeltlichem Besitz, § 988 BGB - rechtsgrundloser Erwerb - Zweipersonenverhältnis

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Es besteht ein Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (Vindikationslage) im Sinne der §§ 985 ff. BGB zwischen G und K.

Ja, in der Tat!

Eine Vindikationslage i.S.d. §§ 985 ff. BGB besteht, wenn (1) der Anspruchsteller Eigentümer und (2) der Anspruchsgegner Besitzer (3) ohne Recht zum Besitz (§ 986 BGB) ist. (1) G war ursprünglich Eigentümer des PKW. Da er geschäftsunfähig war (§ 104 BGB), ist nicht nur der Kaufvertrag, sondern auch die dingliche Einigung über den Eigentumsübergang am PKW nichtig (§ 105 Abs. 1 BGB). Somit hat G sein Eigentum am PKW nicht verloren. G ist weiterhin Eigentümer des PKW. (2) K ist zudem Besitzerin (§ 854 Abs. 1 BGB). (3) Mangels wirksamen Kaufvertrags besteht auch kein Besitzrecht zugunsten der K. Mithin liegt eine Vindikationslage vor.
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2. Da K von Gs Geschäftsunfähigkeit bei der Besitzerlangung des PKW nichts wusste, war er gutgläubig. Ist deswegen ein Nutzungsersatzanspruch nach §§ 987 Abs. 1, 990 Abs. 1 BGB des G gegen K auf Ersatz der mit dem PKW gefahrenen Kilometer ausgeschlossen?

Ja!

Der Nutzungsersatzanspruch aus §§ 987 Abs. 1, 990 Abs. 1 BGB setzt (1) das Vorliegen einer Vindikationslage iSd. § 985 BGB, (2) die Ziehung von Nutzungen durch den Besitzer (§§ 100, 99 BGB) und (3) die Bösgläubigkeit des Besitzers hinsichtlich seines Besitzrechts (§ 990 Abs. 1 BGB) voraus. Ein Eigentümer-Besitzer-Verhältnis i.S.d. § 985 BGB zur Zeit der Nutzungsziehung (also zur Zeit der Fahrten mit dem PKW) liegt vor. Auch hat K dadurch einen Gebrauchsvorteil (§ 100 BGB) und damit tatsächlich Nutzungen gezogen. Jedoch wusste K nichts von der Geschäftsunfähigkeit und damit nichts von der Unwirksamkeit des Kaufvertrags und des fehlenden Besitzrechts. Sie war daher nicht bösgläubig. Somit liegen die Voraussetzungen für einen Nutzungsersatzanspruch gemäß §§ 987 Abs. 1, 990 Abs. 1 BGB nicht vor.

3. Wenn nur das schuldrechtliche Kausalgeschäft (Kaufvertrag) unwirksam gewesen wäre, G aber – anders als hier – sein Eigentum am PKW wegen wirksamer Übereignung sogar an K verloren hätte, so stünde G ein Nutzungsersatzanspruch nach §§ 812, 818 BGB zu. Könnte dieses Ergebnis unbillig sein?

Genau, so ist das!

Wenn nur das Kausalverhältnis (Kaufvertrag) unwirksam wäre, dann hätte K Eigentum und Besitz erworben, beides jedoch rechtsgrundlos. Dies hätte zur Folge, dass G sowohl das Eigentum als auch die Nutzungen nach §§ 812, 818 BGB von K heraus verlangen könnte. Ist jedoch – wie hier – auch das dingliche Geschäft (Übereignung) unwirksam, bleibt G der Eigentümer und es entsteht ein Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (s.o.). Wegen Ks Gutgläubigkeit/Redlichkeit kann G die Sache zwar gemäß § 985 BGB heraus verlangen, ihm steht aber kein Nutzungsersatz nach § 987 Abs. 1, 990 Abs. 1 BGB zu. Ein bereicherungsrechtlicher Nutzungsersatzanspruch ist ebenfalls aufgrund der Sperrwirkung des § 993 Abs. 1 Hs. 2 BGB (Privilegierung des redlichen, unverklagten Besitzers) ausgeschlossen. Dieses Ergebnis ist unbillig. Denn dann stünde derjenige, der sein Eigentum behielte, schlechter als derjenige, der neben dem Besitz auch sein Eigentum verloren hätte.

4. Um diese Unbilligkeit zu vermeiden, besteht Einigkeit darüber, dass G ein Nutzungsersatz zustehen muss.

Ja, in der Tat!

Es erschiene wertungswidersprüchlich den rechtsgrundlos besitzenden Nichteigentümer (Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft nichtig) besser zustellen als den rechtsgrundlos besitzenden Eigentümer (nur Kausalgeschäft nichtig). Daher besteht Einigkeit dahingehend, dass dem G gegen den rechtsgrundlos erwerbenden Besitzer K ein Nutzungsersatzanspruch zustehen muss. Nur so kann die zuvor aufgeführte Unbilligkeit vermieden werden. Allerdings ist strittig, auf welche Anspruchsgrundlage dieser Anspruch gestützt werden kann.

5. Kann G diesen Nutzungsersatz von K nach dem Wortlaut des § 988 BGB verlangen?

Nein!

Nach § 988 BGB ist der Besitzer, der den Besitz unentgeltlich erlangt hat, zur Herausgabe der gezogenen Nutzungen nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung (§§ 812 ff., 818 BGB) verpflichtet. Unentgeltlich i.S.d. § 988 BGB meint, dass der Erwerb nicht von einer ausgleichenden Zuwendung (Gegenleistung) abhängt. K hat den Besitz nicht unentgeltlich erlangt, sondern als Gegenleistung den Kaufpreis gezahlt. Die Voraussetzungen des § 988 BGB liegen nicht vor. Daher scheidet zumindest eine direkte Anwendung des § 988 BGB aus.

6. Allerdings ähneln sich der unentgeltliche und rechtsgrundlose Erwerb, da auch der rechtsgrundlose Erwerber aufgrund der Rückabwicklungsansprüche wie jemand da steht, der überhaupt keine Gegenleistung erbracht hat. Könnte diese Regelungslücke daher durch analoge Anwendung des § 988 BGB geschlossen werden?

Genau, so ist das!

Die Rechtsprechung wendet beim rechtsgrundlosen Besitzerwerb den § 988 BGB analog an, um die vorliegende Regelungslücke zu schließen. Zur Begründung führt sie aus, dass der rechtsgrundlose Erwerb dem unentgeltlichen Erwerb gleichgestellt werden könne, da auch der rechtsgrundlose Besitzer keine Gegenleistung erbringen brauche. Er stehe nämlich aufgrund der Rückabwicklungsansprüche wie jemand da, der überhaupt keine Gegenleistung erbracht habe. verbietet sich wegen der erschöpfend geregelten Nutzungsersatzansprüche in §§ 987 ff. BGB ein direkter Rückgriff auf das allgemeine Bereicherungsrecht. Die §§ 812 ff., 818 BGB sind nur über den Verweis durch analoge Anwendung des § 988 BGB anwendbar.

7. Die Literatur hingegen lehnt die analoge Anwendung des § 988 BGB ab und wendet stattdessen die §§ 812 ff. BGB unmittelbar an. Spricht für diese Ansicht insbesondere der Zweck der Rückabwicklung?

Ja, in der Tat!

Die Literatur hingegen lehnt die analoge Anwendung des § 988 BGB ab und wendet stattdessen die §§ 812 ff. BGB trotz bestehender Vindikationslage und entgegen der Sperrwirkung des § 993 Abs. 1 Hs. 2 BGBBGB unmittelbar an. Die Literatur hält der Rechtsprechung entgegen, dass eine Zuwendung des Besitzers tatsächlich stattfinde, da dieser sich der Nichtigkeit des Kaufvertrags zu dem Zeitpunkt der Kaufpreiszahlung nicht bewusst sei. Aus diesem Grund sei die Gleichstellung von unentgeltlichem und rechtsgrundlosen Erwerb abzulehnen. Vielmehr sei das Bereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB) zweckmäßig.

8. Nach beiden Ansichten steht G ein Anspruch auf Nutzungsersatz zu.

Ja!

Nach Ansicht der Rechtsprechung folgt ein Nutzungsersatzanspruch des G gegen K aus § 988 BGB analog. Statt der Unentgeltlichkeit wird auf die Rechtsgrundlosigkeit als Anspruchsvoraussetzung abgestellt. Nach der herrschenden Lehre ist die Leistungskondiktion nach § 812 Abs 1 S. 1 Alt. 1 BGB nach teleologischer Reduktion des § 993 Abs. 1 Hs. 2 BGB nicht gesperrt. Da K vorliegend den Besitz durch Leistung des G ohne Rechtsgrund erlangt hat, liegen auch die Voraussetzungen der Leistungskondiktion vor (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB). G hat somit auch nach dieser Ansicht einen Anspruch auf Nutzungsersatz. Ein Streitentscheid kann hier also dahinstehen, da beide Ansichten zum gleichen Ergebnis kommen.

9. Die verschiedenen Ansichten kommen stets zu gleichen Ergebnissen, weswegen der Streit in Fallprüfungen nie Relevanz hat.

Nein, das ist nicht der Fall!

Zwar kommen die beiden Ansichten im Zweipersonenverhältnis zu identischen Ergebnissen. Relevant wird der Streit aber im Dreipersonenverhältnis, wenn der Besitzer die Sache nicht direkt vom Eigentümer erlangt hat. Dann gilt bei Anwendung des Bereicherungsrechts (Ansicht der herrschenden Lehre) der Vorrang der Leistungskondiktion. Der Besitzer muss sich dann also an den Vorbesitzer halten. Mehr dazu erfährst Du im folgenden Fall.
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