Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Täterschaft und Teilnahme

"Täter hinter dem Täter" 2 – Ausübung von Zwang unterhalb der Schwelle des § 35 StGB

"Täter hinter dem Täter" 2 – Ausübung von Zwang unterhalb der Schwelle des § 35 StGB

14. Januar 2025

4,7(21.406 mal geöffnet in Jurafuchs)

[...Wird geladen]

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

H droht seiner Geliebten T mit Trennung, falls diese nicht ihren Ehemann E töte. T gibt dem Verlangen des H nach.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

...Wird geladen

Einordnung des Falls

"Täter hinter dem Täter" 2 – Ausübung von Zwang unterhalb der Schwelle des § 35 StGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T befindet sich in einem entschuldigenden Notstand nach § 35 Abs. 1 StGB. Sie ist daher nicht Täterin eines Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Indem T den E tötete, hat sie den Tatbestand des § 212 Abs. 1 StGB vorsätzlich und rechtswidrig verwirklicht. Sie könnte jedoch durch den von H ausgeübten Druck gem. § 35 Abs. 1 StGB entschuldigt sein. Der von H ausgeübte Druck erreicht jedoch nicht die von § 35 Abs. 1 StGB vorausgesetzte Intensität. Daher handelte die T auch schuldhaft und hat sich wegen Totschlags gem. § 212 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. T handelte volldeliktisch. Daher scheidet nach hM in jedem Fall eine mittelbare Täterschaft (§ 25 Abs. 1 Var. 2 StGB) des H aus.

Nein, das trifft nicht zu!

Mittelbare Täterschaft (§ 25 Abs. 1 Var. 2 StGB) setzt nach der Rspr und hL (1) in der Regel voraus, dass (a) der Tatmittler ein "Defizit" hat, d.h. bei diesem auf der Tatbestands-, Rechtswidrigkeits- oder Schuldebene ein Strafbarkeitsmangel vorliegt und (b) der Hintermann Tatherrschaft bzw. Täterwillen hat. (2) Alternativ liege mittelbare Täterschaft auch ohne Defizit des Tatmittlers in den Konstellationen des „Täters hinter dem Täter“ vor, d.h. bei (a) der Ausnutzung von Irrtümern über den Handlungssinn, die sich nicht auf die Strafbarkeit des Tatmittlers auswirken, und (b) der Organisationsherrschaft. Nur eine Mindermeinung schließt es generell aus, einen vollverantwortlichen Täter zugleich als Werkzeug eines anderen zu sehen (Verantwortungsprinzip).

3. Durch die Drohung und Ausübung von Zwang gegenüber T hat H Nötigungsherrschaft und sich daher nach überwiegender Auffassung wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft (§§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB) strafbar gemacht.

Nein, das trifft nicht zu!

Nötigungsherrschaft entsteht, wenn der Hintermann den Tatmittler zur Tatbegehung zwingt, ihm gewissermaßen „seinen Willen aufdrückt”: (1) Befindet sich der Tatmittler in einem entschuldigenden Notstand nach § 35 Abs. 1 StGB, fungiert er angesichts des ihm auferlegten massiven Zwangs als bloßes „Werkzeug“ des Hintermannes. (2) Nach hM hat der Gesetzgeber in § 35 StGB jedoch die Grenze gezogen, ab der der Tatmittler aufgrund von Zwang als unfreies Werkzeug erscheint. Unterhalb der dort genannten Grenze werde der Vordermann nicht in seinem Willen beherrscht. Die Auslegung des § 35 StGB ergebe, dass der Betroffene einem solchen Zwang standhalten muss. Die Tatveranlassung durch bloßen, keinen Nötigungsnotstand begründenden rechtswidrigen Zwang führe somit nicht zu mittelbarer Täterschaft. Nur vereinzelt wird auch im Grenzbereich der Entschuldigungsgründe bzw. bei jedwedem rechtswidrigen Zwang i.S.e. Nötigung (§ 240 StGB) eine mittelbarere Täterschaft angenommen.T hätte dem Druck vorliegend standhalten müssen.

4. Nach hM hat sich H wegen Anstiftung zum Totschlag (§§ 212 Abs. 1, 26 StGB) strafbar gemacht.

Ja!

Eine vorsätzliche rechtswidrige Tat liegt mit dem Totschlag (§ 212 Abs. 1 StGB) an E durch T vor. Auch hat H in T den Tatenentschluss zur Begehung hervorgerufen und sie somit zu dieser Tat bestimmt. Da er dabei vorsätzlich sowohl bezüglich der Tat als auch des Bestimmens (sog. doppelter Anstiftervorsatz) und im Übrigen rechtswidrig und schuldhaft handelte, hat er sich wegen Anstiftung zum Totschlag (§§ 212 Abs. 1, 26 StGB) strafbar gemacht.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

1.9.2020, 20:02:59

"Daher scheidet eine mittelbare Täterschaft grundsätzlich aus" 'Grundsätzlich' lässt Ausnahmen zu. Wie Sie selbst darstellen handelt es sich beim "Täter hinterm Täter" um eine Ausnahme der grundsätzlichen mittelbaren Täterschaftserfordernissen. Nach meinem empfinden musste die Antwort "stimmt" daher richtig sein 🤔

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

2.9.2020, 16:51:43

Hallo Nico, danke für deinen Kommentar! Wir haben jetzt in der Frage "grundsätzlich" gegen "in jedem Fall" getauscht. Damit sollte die Antwort wieder stimmen ;)

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

2.9.2020, 18:02:54

Kurzer, weitergehender Hinweis: das Problem zieht sich gewissermaßen durch das Kapitel "mittelbare Täterschaft". Zwar weiß man später, aufgrund der ersten Antwort, wie man zu klicken hat, allerdings sollte jede Frage (bestenfalls) für sich gesehen stimmig sein. Danke für die erfolgte Abhilfe

YI

yive1dyk

4.4.2024, 00:34:27

Warum ist der Fall nicht wie der

Katzenkönigfall

als „Täters hinter dem Täter“ zu lösen? Hier wird die Tatherrschaft über die Nötigung ausgeübt, zwar sei diese - wie der Verbotsirrtum beim

Katzenkönigfall

- nicht ausreichend, dass die Schuld des Tatnächsten entfällt, allerdings ausreichend, um eine Tatherrschaft zu begründen

Gigachad1

Gigachad1

17.4.2024, 12:34:06

Weil es hier an der unterlegenen Stellung des Täters fehlt und keine der Ausnahmegruppen einschlägig ist (Irrtum ausnutzen / Organisationen). Hier handelt der Täter viel unabhängiger und selbstbestimmter

YI

yive1dyk

17.4.2024, 17:13:46

Hm, danke. Aber so ganz durchgerungen habe ich's noch nicht 😬🙃

Gigachad1

Gigachad1

17.4.2024, 23:06:20

Die

Täter hinter dem Täter

Geschichte ist eine Ausnahme und sollte sehr restriktiv ausgelegt werden. Im

Katzenkönigfall

ist der Hintermann deutlich mehr involviert als hier (größerer Täterwille / Tatherrschaft), hier will er die Tat nicht ganz so sehr als eigene, es ist quasi eine Empfehlung. Zwar erweckt er den

Tatentschluss

, aber das war es auch deswegen bleibt es bei der Anstiftung, die sich gerade dadurch auszeichnet, ein minus zur mittelbaren Täterschaft zu sein. Im

Katzenkönig Fall

handelt das Werkzeug auch gerade so noch

rechtswidrig

schuldhaft, wobei da ja auch über der Irrtum angesprochen wird. Hier aber nicht. Der Täter hier handelt hier deutlich selbstbestimmter / isolierter und ein minus im Vergleich zum "Hintermann" lässt sich nichtmal ansatzweise andeuten. Hoffe das macht es etwas verständlicher :)

ÖA

ÖA

12.12.2024, 15:13:42

Moin Community, kann mir jemand etwas ausführlich erklären, wieso man hier die mittelbare Täterschaft ablehnt? Ich werde irgendwie nicht so ganz schlau von der Erklärung. Will der T die Tat nicht als eigene, weil dazu nichts besonderes im SV steht? Ich bin etwas verwirrt. danke schonmal.

Ala

Ala

5.1.2025, 15:55:49

Heyhey :) Ich versuche es mal: Mittelbare Täterschaft setzt (nach der Rspr und hL) in der Regel voraus, dass a) der Tatmittler ein Strafbarkeitsdefizit hat, d.h. bei diesem auf der Tatbestands-,

Rechtswidrig

keits- oder Schuldebene ein Strafbarkeitsmangel vorliegt und (b) der Hintermann Tatherrschaft bzw. Täterwillen hat. Ausnahmsweise liegt mittelbare Täterschaft auch ohne Defizit des Tatmittlers vor und zwar in den Konstellationen des „Täters hinter dem Täter“. Anerkannte Fallgruppen davon sind: (a) die Ausnutzung von Irrtümern über den Handlungssinn, die sich nicht auf die Strafbarkeit des Tatmittlers auswirken (

Katzenkönigfall

) und (b) die Organisationsherrschaft (NS-Regime, DDR, Mafia). In dem Fall hier geht es letztlich darum, ob wir eine weitere fallgruppe des „Täters hinter dem Täter“ haben. Denn: eine „reguläre“ mittelbare Täterschaft liegt nicht vor, weil wir keine Strafbarkeitslücke bei der Täterin haben - insbesondere ist sie nicht wegen § 35 StGB entschuldigt. Jetzt wird gefragt: reicht die Drohung (Nötigung) mit dem Beziehungsende für eine mittelbare Täterschaft aus, obwohl sie keinen strafbarkeitsmangel (Entschuldigung gem. § 35 StGB) begründet? Haben wir also eine weitere fallgruppe der Konstellation „

Täter hinter dem Täter

“? Das wird verneint mit der Begründung, dass es beim § 35 StGB eine eindeutige Schwelle gibt und nur wenn diese überschritten wird, kommt eine mittelbare Täterschaft in Betracht (weil dann ja der tatmittler nach § 35 StGB entschuldigt ist). Allem, was darunter ist (also kein in § 35 genanntes Rechtsgut), muss die Täterin standhalten. So auch der Drohung mit dem beziehungsende. Sie muss die Tat also selbst verantworten. Beachte, dass das nicht bedeutet, dass der Drohende straflos ist! Er wird als Anstifter gleich der Täterin bestraft.


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen