Versicherungsfälle
29. Mai 2025
15 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Autofahrer A sieht, wie M mit seinem Motorrad von der Straße abkommt und die Böschung hinabstürzt. A klettert hinab und trägt den verletzten M zu seinem Auto, um ihn ins Krankenhaus zu fahren. Dabei ruiniert er sich seine Designerschuhe. M ist bei der gesetzlichen Krankenkasse K versichert.
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Einordnung des Falls
Versicherungsfälle
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. A könnte gegen M einen Aufwendungsersatzanspruch aus GoA nach §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB haben. Hat A ein objektiv fremdes Geschäft für M geführt?
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Auch die übrigen Voraussetzungen des § 677 BGB liegen vor. Kann A Ersatz für die ruinierten Schuhe nach §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB analog von M verlangen?
Ja!
3. A handelte auch für die Krankenkasse. Könnte A daher auch einen Aufwendungsersatzanspruch nach §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB analog gegen K haben?
Genau, so ist das!
4. A macht den Anspruch nun gegenüber M und K geltend. Kann A die „zweifache“ Erfüllung des Anspruch verlangen, sofern M und K Gesamtschuldner sind (§ 421 S. 1 BGB)?
Nein, das trifft nicht zu!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Lorbeerbekränzte🦩
8.12.2022, 11:06:36
Warum liegt die Rettung auch im Interesse der K?

Lukas_Mengestu
8.12.2022, 13:52:28
Hallo Lorbeerbekränzte, vielen Dank für die Rückfrage! Zur Versicherungsleistung der K gehört auch der Krankentransport. Hätte A den M also nicht ins Krankenhaus gefahren, so hätte hierfür ein Krankenwagen auf Kosten der K anrücken müssen. Insofern ist der Transport auch in ihrem Interesse. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
juliavdb
27.7.2023, 11:10:35
Hallo, warum hat A gegen M und K als Gesamt
schuldner einen Ersatzanspruch? Ich hätte gedacht, dass grds. M
Schuldner ist und er dann einen Regressanspruch oder so gegen seine Krankenkasse hat. Jedenfalls verstehe ich das Versichert-Sein so, dass nur einer
schuldet - grds. man selbst und wenn die Versicherung den Sachverhalt abdeckt, dann die Versicherung. Über eine Erklärung wäre ich sehr dankbar!
Mar St
26.9.2024, 19:04:04
§ 115 I VGG ist da - glaube ich - die Vorschrift🤔 Auch wenn grds erstmal nichts dagegen spricht, habe ich gerade in diesem Fall ein Störgefühl, dass die KK direkter Anspruchsgegner sein soll, das ich nicht mal genau beschreiben kann. Wäre toll, wenn noch jemand, der mehr Ahnung hat, was dazu sagt!😅
KP1807
1.10.2024, 15:02:19
Ich schließe mich @[juliavdb](175409) an und würde um kurze Info bitten :)
Niro95
14.11.2024, 13:35:02
Sehe ich auch so, würde mich ebenfalls um Beantwortung freuen und pushe das mal wieder nach oben :)

Major Tom(as)
27.11.2024, 09:16:32
Bevor Jurafuchs hier antwortet, mal meine Erkenntnis aus dem genannten BGH-Urteil aus 1960. Hier hatte die Vorinstanz genauso argumentiert wie @[juliavdb](175409) (die Krankenkasse habe nur das finanzielle Risiko zu tragen) der BGH bezeichnete dies aber als "von
Rechtsirrtumbeeinflußt" (musste wörtlich zitiert werden, weil es so schön altmodisch ist :) ) "Es trifft nicht zu, daß die Aufgabe einer Krankenkasse nur darin bestellt, die Kosten ärztlicher Behandlung zu tragen und dem Kranken ein finanzielles Risiko abzunehmen. Die ihr obliegende Krankenhilfe (§ 179 Abs. 1, § 182 Abs. 1 RVO) umfaßt in erster Linie „Krankenpflege”; zu dieser wieder gehört vor allem die ärztliche Behandlung (§ 182 Abs. 1 Ziff. 1 RVO). Diese Krankenpflege, insbes. die ärztliche Behandlung, hat die Kasse grundsätzlich als Sachleistung, also in Natur, zu gewähren (...) Naturgemäß wird die Krankenkasse meistens nicht von sich aus einen Arzt herbeirufen oder einen Krankentransport vornehmen können. In der Regel wird und kann sie erst tätig werden, wenn der Kranke sich an sie wendet. Wenn die Krankenkasse wie im vorliegenden Falle von der Notwendigkeit ihrer Hilfe nichts weiß und deshalb zunächst nicht tätig wird, kann ihr zwar eine Verletzung ihrer Pflichten nicht vorgeworfen werden. Das ändert aber nichts daran, daß die Krankenpflege mit allem, was dazu gehört und was sie ermöglicht, auch in einem solchen Falle, in dem der hilflose Kranke sich nicht an die Kasse wenden kann, zum Aufgabenbereich der Kasse gehört." ABER: Angesichts dessen, dass die vom BGH zitierten Normen heute nicht mehr so bestehen und im heutigen § 192 Abs. 1 VVG die Verpflichtung der Versicherung als Kostenerstattungspflicht ausgestaltet ist (während die Reichsversicherungsordnung eben als ge
schuldete Leistung die "Krankenhilfe" normierte), frage ich mich, ob dieses Urteil insoweit nicht vielleicht überholt ist @[Jurafuchs](137809)?

Tim Gottschalk
4.4.2025, 13:46:20
Hallo @[juliavdb](175409), @[Mar St](86850), @[KP1807](259955), @[Niro95](239383) und @[Major Tom(as)](258980), die Ausführungen von @[Major Tom(as)](258980) sind schon sehr gut. Dem möchte ich noch hinzufügen, dass man das mit Blick auf § 192 Abs. 1 VVG durchaus anders sehen könnte. Dieser findet allerdings nur auf private Krankenversicherungen Anwendung. Diese sind, wie man es aus der Praxis kennt, tatsächlich als reine Kostenerstattungsversicherungen ausgestaltet. Dort könnte man das Ergebnis tatsächlich für fraglich halten. Für gesetzliche Krankenversicherungen gilt jedoch weiterhin, ähnlich wie in der Reichsversicherungsordnung, dass die Krankenkassen entgegen den privaten Krankenversicherungen, zur "Krankenbehandlung" (vgl. § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V) beziehungsweise "Wiederherstellung der Gesundheit" (vgl. § 1 S. 1 SGB V) verpflichtet sind. Auch § 2 Abs. 2 S. 1 SGB V ist dafür ein starkes Argument. Insofern halte ich die Wertungen des BGH für uneingeschränkt übertragbar. Da liegt vielleicht auch der Knackpunkt für @[juliavdb](175409). Es ist bei der gesetzlichen Krankenversicherung gerade nicht so, dass im Normalfall nur ein Regressanspruch bestünde. Der Hinweis von @[Mar St](86850) geht dagegen in eine falsche Richtung. Zwar begründet § 115 Abs. 1 VVG in seinem Anwendungsbereich einen Direktanspruch gegen die Versicherung, der auch hier anzudenken wäre. Allerdings greift § 115 Abs. 1 VVG ausweislich seiner Nummer 1 (die in der Praxis den relevantesten Fall darstellt) nur bei Pflichthaftpflichtversicherungen für
Fahrzeuge. Eine derartige Versicherung haben wir hier nicht. Wir haben den Sachverhalt jetzt so angepasst, dass es sich um eine gesetzliche Krankenkasse handelt, damit insofern keine Zweifel hinsichtlich einer anderen Bewertung bei privaten Krankenkassen aufkommen. Liebe Grüße Tim - für das Jurafuchs-Team
Malwine
22.6.2024, 10:58:27
Hallo, müsste da sich der Aufwendunfgsersatzanspruch des A auf den Ersatz seiner Designerschuhe richtet, die Ansprüche auf Aufwendungsersatz des A gegen M und K nicht aus §§ 677, 683 S. 1,
670 analogergeben, weil die Designerschuhe hier einen risikotypischen Begleit
schadendarstellen? Vielen Dank im Voraus.

Linne_Karlotta_
27.3.2025, 17:52:01
Hey @[Malwine](133578), danke für deine Frage. Es kommt nicht darauf an, welche Art von Schuhen der Geschäftsführer trägt, sondern lediglich, ob der Umstand, dass sich der Geschäftsführer bei der Tätigkeit die Schuhe ruiniert, eine Realisierung der typischen Gefahr ist, die mit der konkreten Geschäftsübernahme einhergeht. Schau Dir zu dem Thema auch gerne noch diesen Fall an: https://applink.jurafuchs.de/NRxCHQDc5Rb Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team

Dwight Schrute
16.2.2025, 19:34:35
Scheitert eine Gesamt
schuldnicht an der mangelnden Gleichstufigkeit. Der Schädiger muss doch wegen der
Legalzession„sowie so“ zahlen, weshalb keine GS vorliegt? oder übersehe ich was?

Tim Gottschalk
4.4.2025, 17:35:25
Hallo @[Dwight Schrute](280883), Wir haben hier keine Anhaltspunkte dafür, dass die Haftung eines der
Schuldner nachrangig wäre. Insbesondere gibt es für diesen Fall keine besonders normierte
Legalzession. Du musst hier beachten, dass nicht etwa die Versicherung eine Leistung an ihren Versicherungsnehmer bezahlt, die sie sich bei einem Dritten erstatten lassen kann, wie das etwa in § 86 VVG der Fall wäre. Die Konstellation ist hier eine andere. Liebe Grüße Tim - für das Jurafuchs-Team