Versicherungsfälle

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Autofahrer A sieht wie M mit seinem Motorrad von der Straße abkommt und die Böschung hinabstürzt. A klettert hinab und trägt den verletzten M zu seinem Auto, um ihn ins Krankenhaus zu fahren. Dabei ruiniert er sich seine Designerschuhe. M ist bei Krankenkasse K versichert.

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Einordnung des Falls

Versicherungsfälle

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Hilfeleistung an M stellt ein für A objektiv fremdes Geschäft dar.

Ja, in der Tat!

Ein objektiv fremdes Geschäft fällt nach außen erkennbar in den Rechts- und Interessenkreis eines anderen. Die Hilfeleistung war zum einen ein Geschäft des M, da er der Empfänger der Leistung war. Ferner stellt sie ein Geschäft der K dar. Die K ist gegenüber M als Versichertem zur Krankenpflege verpflichtet. Die Krankenpflege umfasst nicht nur die ärztliche Behandlung, sondern auch alle Leistungen, die erforderlich sind, um diese zu ermöglichen. Auch der Krankentransport gehört somit zur Krankenpflege.
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2. Der Fremdgeschäftsführungswille wird vermutet.

Ja!

Bei objektiv fremden Geschäften wird der Fremdgeschäftsführungswille sowohl nach Ansicht des BGH, als auch nach Ansicht der Literatur widerlegbar vermutet. Die Hilfeleistung an M war ein Geschäft des M und ein Geschäft seiner Krankenkasse K und damit für A objektiv fremd.

3. Die Grundvoraussetzungen einer echten GoA nach § 677 BGB sind erfüllt.

Genau, so ist das!

Nach § 677 BGB setzen Ansprüche aus echter GoA (egal, ob berechtigt oder unberechtigt) voraus, dass ein Geschäftsführer (1) ein fremdes Geschäft (2) mit Fremdgeschäftsführungswillen ausführt, (3) ohne vom Geschäftsherrn beauftragt oder ihm gegenüber sonst dazu berechtigt zu sein. Die Hilfeleistung an M stellt ein für A objektiv fremdes Geschäft dar. Der Fremdgeschäftsführungswille wird vermutet. Weder M, noch K haben A zur Hilfeleistung beauftragt, noch war A gegenüber M oder K sonst dazu berechtigt.

4. Die Hilfeleistung an M stellt sowohl gegenüber M, als auch gegenüber K eine berechtigte GoA im Sinne des § 683 S. 1 BGB dar.

Ja, in der Tat!

Eine GoA ist nach § 683 S. 1 BGB berechtigt, wenn sie dem Interesse und dem wirklichen oder dem mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn entspricht. Der wirkliche Wille des Geschäftsherrn ist dabei stets vorrangig zu prüfen. Sein mutmaßlicher Wille wird erst relevant, wenn sein wirklicher Wille nicht ermittelbar ist, weil er diesen nicht geäußert hat. Der mutmaßliche Wille des Geschäftsherrn ergibt sich in der Regel aus seinem objektiven Interesse. Indem M die Hilfeleistung des A angenommen hat, hat er konkludent geäußert, dass sie seinem Willen entspricht. Die K konnte ihren Willen nicht äußern. Die Hilfeleistung entsprach jedoch ihrem objektiven Interesse.

5. A hat gegen M und gegen K einen Aufwendungsersatzanspruch aus GoA nach §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB.

Ja!

Entspricht die Übernahme der Geschäftsführung dem Interesse und dem wirklichen oder dem mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn, so kann der Geschäftsführer wie ein Beauftragter Ersatz seiner Aufwendungen verlangen (§ 683 S. 1 BGB). Als Aufwendungen gelten in analoger Anwendung des § 670 BGB auch sog. risikotypische Begleitschäden. Dies sind Schäden, die der Geschäftsführer in Ausführung der Geschäftsführung beziehungswiese aufgrund einer mit der Geschäftsführung verbundenen Gefahr erleidet. Die Hilfeleistung an M umfasste das Hinabklettern einer Böschung. Ruinierte Schuhe sind ein risikotypischer Begleitschaden hiervon.

6. M und K sind Gesamtschuldner.

Genau, so ist das!

Wenn ein Geschäftsführer gegen mehrere Geschäftsherrn einen Aufwendungsersatzanspruch aus GoA nach §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB hat, so haften diese als Gesamtschuldner. A hat sowohl gegen M, als auch gegen K einen Aufwendungsersatzanspruch nach §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII ist A als Nothelfer zugleich unfallversichert. Nach § 13 SGB VII hat er somit einen Schadensersatzanspruch gegen den Unfallversicherungsträger wegen seiner beschädigten Schuhe. Macht er diesen geltend, so gehen die Aufwendungsersatzansprüche des A gegen M und K aus GoA nach §§ 13 S. 4 SGB VII, 116 SGB X per Legalzession auf den Unfallversicherungsträger über.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

KAJU

kajuka

2.9.2022, 08:06:47

Wieso ist die Hilfeleistung von A an M hier ein objektiv-fremdes Geschäft? Müsste es nicht vielmehr ein auch-fremdes Geschäft sein, weil das Hilfeleisten auch im Interesse bzw Pflichtenkreis von A ist.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

2.9.2022, 09:53:36

Hallo kajuka, vorliegend könnte man überlegen, ob sich die Pflicht des A aus § 323 c StGB herleitet und daher ein auch-fremdes Geschäft vorliegt. Allerdings umfasst die Hilfeleistungspflicht nicht den Transport ins Krankenhaus. Diesbezüglich liegt eine Pflicht der Kranken-/Unfallversicherung vor, die auch den Rechtskreis des M berührt. Für die Erfüllung des § 323 c StGB hätte es gereicht, den Notarzt zu rufen. Insbesondere bei dem Prüfungspunkt "ohne Auftrag oder sonstige Berechtigung" sollte man nochmal auf § 323 c StGB zu sprechen kommen. Dieser konstitutiert allerdings keine Sonderbeziehung sondern betrifft die Allgemeinheit. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

KAJU

kajuka

3.9.2022, 08:18:21

Danke! Das klingt nachvollziehbar.

LO

Lorbeerbekränzte🦩

8.12.2022, 11:06:36

Warum liegt die Rettung auch im Interesse der K?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

8.12.2022, 13:52:28

Hallo Lorbeerbekränzte, vielen Dank für die Rückfrage! Zur Versicherungsleistung der K gehört auch der Krankentransport. Hätte A den M also nicht ins Krankenhaus gefahren, so hätte hierfür ein Krankenwagen auf Kosten der K anrücken müssen. Insofern ist der Transport auch in ihrem Interesse. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

JUL

juliavdb

27.7.2023, 11:10:35

Hallo, warum hat A gegen M und K als Gesamtschuldner einen Ersatzanspruch? Ich hätte gedacht, dass grds. M Schuldner ist und er dann einen Regressanspruch oder so gegen seine Krankenkasse hat. Jedenfalls verstehe ich das Versichert-Sein so, dass nur einer schuldet - grds. man selbst und wenn die Versicherung den Sachverhalt abdeckt, dann die Versicherung. Über eine Erklärung wäre ich sehr dankbar!

MAS

Mar St

26.9.2024, 19:04:04

§ 115 I VGG ist da - glaube ich - die Vorschrift🤔 Auch wenn grds erstmal nichts dagegen spricht, habe ich gerade in diesem Fall ein Störgefühl, dass die KK direkter

Anspruchsgegner

sein soll, das ich nicht mal genau beschreiben kann. Wäre toll, wenn noch jemand, der mehr Ahnung hat, was dazu sagt!😅

KP1807

KP1807

1.10.2024, 15:02:19

Ich schließe mich @[juliavdb](175409) an und würde um kurze Info bitten :)

MAL

Malwine

22.6.2024, 10:58:27

Hallo, müsste da sich der Aufwendunfgsersatzanspruch des A auf den Ersatz seiner Designerschuhe richtet, die Ansprüche auf Aufwendungsersatz des A gegen M und K nicht aus §§ 677, 683 S. 1, 670 analog ergeben, weil die Designerschuhe hier einen risikotypischen Begleitschaden darstellen? Vielen Dank im Voraus.


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