Abgrenzung zur fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A überholt den B unmittelbar vor einer Bergkuppe. Die Gefahr des Zusammenstoßes mit entgegenkommenden Fahrern erkennt er. A vertraut aber auf seine durch jahrzehntelanges Pendeln erworbenen Fahrkünste. Er stößt mit dem entgegenkommenden C zusammen, der dabei getötet wird.
Einordnung des Falls
Abgrenzung zur fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. A hat den objektiven Tatbestand des Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) erfüllt.
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Genau, so ist das!
2. A hatte Vorsatz bezüglich einer Tötung des C (§ 212 Abs. 1 StGB).
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Nein, das trifft nicht zu!
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Real Thomas Fischer Fake 🐳
9.3.2020, 14:33:20
Eine bewusste Fahrlässigkeit wird hier angenommen, wenn (1) bewusst auf das Ausbleiben des Erfolges vertraut wird UND (2) der Täter mit dem Taterfolg nicht einverstanden ist. Ich meine, dass das nicht zutrifft. (2) ist keine Voraussetzung. Solange der Täter auf ein Ausbleiben des Erfolges sicher vertraut, kann ihm der Eintritt des Erfolges noch so erwünscht sein, es liegt trotzdem bewusste Fahrlässigkeit vor.
dC20
13.3.2020, 12:55:15
Wenn dem Täter der Eintritt des Erfolges erwünscht ist, auch wenn er nicht darauf vertraut (er es also für möglich hält, dass der Erfolg Eintritt), dann liegt meines Erachtens sogar schon dolus directus 1. Grades vor?!🤔

Real Thomas Fischer Fake 🐳
13.3.2020, 15:01:00
Es geht darum, dass er auf das Ausbleiben vertraut. Also liegt kein Vorsatz vor. Desweiteren verwechselst du Absicht (dd1) mit bloßem Erwünschtsein. Ich kann denken "hoffentlich stirbt meine Ex bald" und dabei mit zu hoher Geschwindigkeit durch eine Straße fahren. Wenn ich dann ein paar Sekunden später meine ex anfahre die zwischen zwei Autos hervorgerufen kommt, ich diese aber gar nicht wahrgenommen habe, dann liegt Fahrlässigkeit vor, obwohl ich mit dem Erfolgseintritt einverstanden war.
🦊LEXDEROGANS
13.3.2020, 21:38:56
Interessanter Gedanke Real Thomas Fischer Fake! Gesinnungsstrafrecht ist ja abzulehnen. (2) könnte vllt. einfach als Verstärkung i. S. d. voluntativen Theorien mit in die Definition aufgenommen worden sein, zumal es hier gerade um die Abgrenzung zum Eventualvorsatz geht. (Wäre klasse, wenn sich auch die Jurafuchs Mitarbeiter kurz hierzu äußern könnten...)
🦊LEXDEROGANS
13.3.2020, 21:54:57
Achtung! Das eine ist ein typischer Fall von dolus subsequens, das andere aber auch nicht unrichtig: Bei Für-möglich-Halten und Erwünscht-Sein (m. a. W. Wollen) liegt, wenn “es dem Täter auf den Erfolg ankommt”, durchaus Absicht vor (vgl. Krey/Esser, Deutsches Strafrecht Allgemeiner Teil, 6. Aufl., Stuttgart 2016, Rn. 379)

Real Thomas Fischer Fake 🐳
13.3.2020, 22:07:18
@LEXDEROGANS - Perfekt, das ist die Lösung. Jetzt verstehe ich die Verwirrung. Die Lösung sollte statt "nicht einverstanden sein" die Begrifflichkeit "nicht darauf ankommen / nicht durch die getätigte Handlung (oder das Unterlassen) auf den Erfolg abzielen" benutzen. Danke für die Aufklärung! :)

Marilena
14.3.2020, 19:02:59
Vielen Dank für Eure interessanten Beiträge! Die Formulierung: „Der Täter handelt bewusst fahrlässig, wenn er mit dem als möglich erkannten Erfolg nicht einverstanden ist und ernsthaft – nicht nur vage – darauf vertraut, der Erfolg werde nicht eintreten“ wird tatsächlich so vom BGH in st.Rspr. verwendet, siehe zB BGH NStZ 2011, 699 (v. 27.01.2011 - Az. 4 StR 502/10). Das „nicht einverstanden sein“ sehen wir genau wie das „ernsthaft auf das Ausbleiben vertrauen“ als Gegensatz zu „sich mit dem Erfolg abfinden, den Erfolg billigend in Kauf nehmen“.