Abgrenzung zur fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB)

22. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A überholt den B unmittelbar vor einer Bergkuppe. Die Gefahr des Zusammenstoßes mit entgegenkommenden Fahrern erkennt er. A vertraut aber auf seine durch jahrzehntelanges Pendeln erworbenen Fahrkünste. Er stößt mit dem entgegenkommenden C zusammen, der dabei getötet wird.

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Einordnung des Falls

Abgrenzung zur fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A hat den objektiven Tatbestand des Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) erfüllt.

Genau, so ist das!

Der Tatbestand des Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) erfordert die Tötung eines Menschen. Töten bedeutet das ursächliche Herbeiführen des Todes. Das Verb "tötet" beinhaltet zugleich die Umschreibung von Tathandlung und Taterfolg. Indem A mit C zusammengestoßen ist, hat er kausal und objektiv zurechenbar dessen Tod herbeigeführt.
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2. A hatte Vorsatz bezüglich einer Tötung des C (§ 212 Abs. 1 StGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Die h.M. nimmt die Abgrenzung Vorsatz / Fahrlässigkeit anhand des voluntativen (= Willens-)Elements vor: Der Täter hat bedingten Vorsatz, wenn er sich mit dem als möglich erkannten Erfolg abfindet (Ernstnahmetheorie (h.L.)) bzw. den als möglich erkannten Erfolg billigend in Kauf nimmt (Billigungstheorie (Rspr.)). Er handelt dagegen bewusst fahrlässig, wenn er mit dem als möglich erkannten Erfolg nicht einverstanden ist und ernsthaft darauf vertraut, dass er nicht eintritt. Indem A auf seine Fahrkünste vertraute, hat er ernsthaft und nicht nur vage auf das Ausbleiben des Erfolges vertraut. In Betracht kommt allein fahrlässiges Handeln (§ 222 StGB).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Real Thomas Fischer Fake 🐳

Real Thomas Fischer Fake 🐳

9.3.2020, 14:33:20

Eine bewusste Fahrlässigkeit wird hier angenommen, wenn (1) bewusst auf das Ausbleiben des Erfolges vertraut wird UND (2) der Täter mit dem Taterfolg nicht einverstanden ist. Ich meine, dass das nicht zutrifft. (2) ist keine Voraussetzung. Solange der Täter auf ein Ausbleiben des Erfolges sicher vertraut, kann ihm der Eintritt des Erfolges noch so erwünscht sein, es liegt trotzdem bewusste Fahrlässigkeit vor.

DC20

dC20

13.3.2020, 12:55:15

Wenn dem Täter der Eintritt des Erfolges erwünscht ist, auch wenn er nicht darauf vertraut (er es also für möglich hält, dass der Erfolg Eintritt), dann liegt meines Erachtens sogar schon

dolus directus 1. Grades

vor?!🤔

Real Thomas Fischer Fake 🐳

Real Thomas Fischer Fake 🐳

13.3.2020, 15:01:00

Es geht darum, dass er auf das Ausbleiben vertraut. Also liegt kein

Vorsatz

vor. Desweiteren verwechselst du Absicht (dd1) mit bloßem Erwünschtsein. Ich kann denken "hoffentlich stirbt meine Ex bald" und dabei mit zu hoher Geschwindigkeit durch eine Straße fahren. Wenn ich dann ein paar Sekunden später meine ex anfahre die zwischen zwei Autos hervorgerufen kommt, ich diese aber gar nicht wahrgenommen habe, dann liegt Fahrlässigkeit vor, obwohl ich mit dem Erfolgseintritt einverstanden war.

🦊LEXD

🦊LEXDEROGANS

13.3.2020, 21:38:56

Interessanter Gedanke Real Thomas Fischer Fake! Gesinnungsstrafrecht ist ja abzulehnen. (2) könnte vllt. einfach als Verstärkung i. S. d. voluntativen Theorien mit in die Definition aufgenommen worden sein, zumal es hier gerade um die Abgrenzung zum

Eventualvorsatz

geht. (Wäre klasse, wenn sich auch die Jurafuchs Mitarbeiter kurz hierzu äußern könnten...)

🦊LEXD

🦊LEXDEROGANS

13.3.2020, 21:54:57

Achtung! Das eine ist ein typischer Fall von

dolus subsequens

, das andere aber auch nicht unrichtig: Bei Für-möglich-Halten und Erwünscht-Sein (m. a. W. Wollen) liegt, wenn “es dem Täter auf den Erfolg ankommt”, durchaus Absicht vor (vgl. Krey/Esser, Deutsches Strafrecht Allgemeiner Teil, 6. Aufl., Stuttgart 2016, Rn. 379)

Real Thomas Fischer Fake 🐳

Real Thomas Fischer Fake 🐳

13.3.2020, 22:07:18

@LEXDEROGANS - Perfekt, das ist die Lösung. Jetzt verstehe ich die Verwirrung. Die Lösung sollte statt "nicht einverstanden sein" die Begrifflichkeit "nicht darauf ankommen / nicht durch die getätigte Handlung (oder das Unterlassen) auf den Erfolg abzielen" benutzen. Danke für die Aufklärung! :)

Marilena

Marilena

14.3.2020, 19:02:59

Vielen Dank für Eure interessanten Beiträge! Die Formulierung: „Der Täter handelt

bewusst fahrlässig

, wenn er mit dem als möglich erkannten Erfolg nicht einverstanden ist und ernsthaft – nicht nur vage – darauf vertraut, der Erfolg werde nicht eintreten“ wird tatsächlich so vom BGH in st.Rspr. verwendet, siehe zB BGH NStZ 2011, 699 (v. 27.01.2011 - Az. 4 StR 502/10). Das „nicht einverstanden sein“ sehen wir genau wie das „ernsthaft auf das Ausbleiben vertrauen“ als Gegensatz zu „sich mit dem Erfolg abfinden, den Erfolg billigend in Kauf nehmen“.

Susan

Susan

10.4.2024, 23:41:02

Zur Abgrenzung

Eventualvorsatz

/(bewusste) Fahrlässigkeit hilft die Frank'sche Formel: "Wird schon gut gehen" (bewusste Fahrlässigkeit) vs. "Na wenn schon" (dolus eventualis)


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