+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A plant auf dem für den Publikumsverkehr geöffneten N-Platz einen 15-minütigen "Bierdosen-Flashmob für die Freiheit" gegen Alkoholverbote in der Öffentlichkeit. Teilnehmer sollen eine Bierdose trinken. Die private G-GmbH, Eigentümerin des N-Platzes, spricht ein Hausverbot gegen A aus.
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Einordnung des Falls
Versammlung auf fremdem Grundstück („Bierdosen-Flashmob“)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die G-GmbH ist als Eigentümerin des N-Platzes Trägerin des Grundrechts aus Art. 14 Abs. 1 GG. Als Eigentümerin ist sie befugt, Hausverbote zu erteilen.
Ja, in der Tat!
Inländische juristische Personen und Personenvereinigungen des Privatrechts können sich auf Grundrechte berufen, wenn diese "ihrem Wesen nach" auf sie anwendbar sind (Art. 19 Abs. 3 GG). Dies ist der Fall, wenn das Grundrecht kollektiv ausgeübt werden kann. Maßgeblich ist hierbei, welche Freiheitsräume die Grundrechte schaffen sollen und ob die juristische Person diese Freiheitsräume auch nutzen kann. Juristische Personen können Inhaber von Eigentumspositionen sein, das Eigentumsrecht kann also kollektiv ausgeübt werden. Ausfluss des Eigentumsrechts ist das Hausrecht (§ 903 BGB) sowie das damit verbundene Recht, Hausverbote auszusprechen.
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2. Der Bierdosen-Flashmob für die Freiheit ist eine Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG.
Ja!
Der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG setzt eine Versammlung voraus. Nach dem Versammlungsbegriff ist eine Versammlung
(1) eine örtliche Zusammenkunft
(2) mehrerer Personen
(3) zu einem gemeinsamen Zweck.
Zu 3: Der gemeinsame Zweck der Versammlung muss nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung liegen. Die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung umfasst auch nonverbale Ausdrucksformen.
Das Austrinken einer Dose Bier soll auf die zunehmenden Alkoholverbote in der Öffentlichkeit aufmerksam machen. Der Versammlungsbegriff ist erfüllt.
3. A kann sich gegenüber dem Hausverbot der G-GmbH auf die Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) berufen, weil die G-GmbH unmittelbar an Grundrechte gebunden ist.
Nein, das ist nicht der Fall!
Nach dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 3 GG sind Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung an Grundrechte gebunden. Grundrechte sind ihrem Sinn und Zweck primär Abwehrrechte des Einzelnen gegenüber dem Staat. Die Auffassung, dass Grundrechte über Wortlaut sowie Sinn und Zweck des Art. 1 Abs. 3 GG hinaus unmittelbar zwischen Privaten wirken (unmittelbare Drittwirkung), wird vom BVerfG und der ganz h.M. abgelehnt.
Die G-GmbH ist eine juristische Person des Privatrechts. A kann sich ihr gegenüber nicht unmittelbar auf Grundrechte berufen. 4. Die Reichweite der mittelbaren Grundrechtsbindung Privater beschränkt sich auf das Mindestmaß der unmittelbaren Grundrechtsbindung, die den Staat in einer vergleichbaren Lage träfe.
Nein, das trifft nicht zu!
BVerfG: Die Reichweite der mittelbaren Grundrechtsbindung bestimmt sich nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz in Ausgleich der sich gegenüberstehenden Grundrechte im jeweiligen Einzelfall. Dabei können Private im Wege der mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten unbeschadet ihrer eigenen Grundrechte auch ähnlich oder sogar genauso weit wie der Staat durch die Grundrechte in Pflicht genommen werden. Dies gilt insbesondere, wenn sie in tatsächlicher Hinsicht in eine vergleichbare Pflichten- oder Garantenstellung hineinwachsen wie traditionell der Staat (RdNr. 6).
5. A's Versammlungsfreiheit ist angesichts des Hausverbots der privaten G-GmbH zu berücksichtigen, weil Grundrechte in den Rechtsbeziehungen zwischen Privaten mittelbare Wirkung entfalten.
Ja!
Als private Grundstückseigentümerin ist die G-GmbH nicht unmittelbar an Grundrechte gebunden. Grundrechte entfalten gleichwohl als objektive Prinzipien Wirkung in den privatrechtlichen Rechtsbeziehungen zwischen Grundrechtsträgern (
mittelbare Drittwirkung der Grundrechte). Die in den Grundrechten festgelegten objektiven Wertentscheidungen der Rechtsordnung unter dem Grundgesetz finden in der Auslegung und Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe und Generalklauseln des Privatrechts Berücksichtigung und gebieten, dass diese grundrechtskonform ausgelegt werden.
6. Die Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) gewährt ein Recht darauf, über den Ort der Versammlung zu bestimmen.
Genau, so ist das!
Der sachliche Schutzbereich der Versammlungsfreiheit erstreckt sich auf die Durchführung der Versammlung, die Vorbereitung und Organisation sowie die Auswahl des Gegenstands, des Orts und der Zeit. Das Selbstbestimmungsrecht über den Ort der Versammlung soll den Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen, selbst entscheiden zu können, wo sie ihr Anliegen - auch mit Blick auf Bezüge zu bestimmten Orten oder Einrichtungen - am wirksamsten zur Geltung bringen können (RdNr. 9).
7. Das Recht darauf, den Ort der Versammlung zu bestimmen, verschafft ein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten.
Nein, das trifft nicht zu!
Das Selbstbestimmungsrecht über den Ort der Veranstaltung unterliegt Beschränkungen. Insbesondere gewährt das Versammlungsrecht dem Bürger keinen Zutritt zu Orten, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird. Dies folgt einerseits aus dem Zweck der Versammlungsfreiheit, an der öffentlichen Meinungsbildung teilzuhaben. Andererseits folgt dies aus der Berücksichtigung berechtigter Interessen des Staates und zum Schutz der Rechte Dritter (RdNr. 5).
8. Das Recht darauf, den Ort der Versammlung zu bestimmen, erstreckt sich auf Orte, die zum allgemeinen kommunikativen Verkehr eröffnet sind.
Ja!
Die Versammlungsfreiheit verbürgt die Durchführung von Versammlungen dort, wo ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet ist. BVerfG: Im Privateigentum befindliche Einkaufszentren, Ladenpassagen, Plätze und sonstige Orte des Verweilens, der Begegnung, des Flanierens, des Konsums und der Freizeitgestaltung - moderne Foren - ergänzen zunehmend die Kommunikationsfunktion der öffentlichen Straßen, Wege und Plätze. Deshalb kann die Versammlungsfreiheit für die Verkehrsflächen solcher privaten Einrichtungen nicht ausgenommen werden, soweit die privaten Eigentümer im Wege der mittelbaren Drittwirkung in Anspruch genommen werden können.
Dies gilt vorliegend, da der N-Platz für den öffentlichen Publikumsverkehr geöffnet ist (RdNr. 5).
9. Zur Herstellung praktischer Konkordanz zwischen dem Eigentumsrecht der G-GmbH und der Versammlungsfreiheit des A muss vorliegend das Eigentumsrecht zurücktreten.
Genau, so ist das!
Im Ausgangsfall (Eilverfahren, § 32 Abs. 1 BVerfGG) hatte das BVerfG eine Folgenabwägung vorzunehmen. Danach wiege die Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit bei Verbot des Bierdosenflashmobs deutlich schwerer als die Beeinträchtigung des Eigentumsrechts bei Durchführung der Versammlung. Maßgeblich waren dafür insbesondere die kurze Dauer (15 Minuten) und örtliche Beschränkung der Veranstaltung, Selbstverpflichtungen des Veranstalters, einer „Vermüllung“ des N-Platzes und dem Auftreten alkoholisierter Versammlungsteilnehmer entgegenzuwirken, und eine überschaubare Teilnehmerzahl (RdNr. 9f.). Nach welchen konkreten Grundsätzen diese Grundrechtskollision der Privaten allgemein aufzulösen ist, hat das BVerfG bislang nicht entschieden.