Fall 3
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A befährt im Jahr 2021 mit seinem Auto eine ruhige und übersichtliche Landstraße. Er fährt vorschriftsgemäß 50 km/h. Es kommt ihm B entgegen, der ebenfalls vorschriftsmäßig fährt. Aufgrund einer - weder für A noch für B erkennbaren - Ölspur auf der Fahrbahn des B, gerät B's Fahrzeug auf die Fahrbahn des A. B kann den Wagen nicht unter Kontrolle bekommen. Um einen Unfall zu vermeiden, reißt A das Steuer seines Wagens herum und prallt gegen einen Baum.
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Einordnung des Falls
Fall 3
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 12 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. A kann von B Ersatz für die Schäden am Auto verlangen, wenn er einen Anspruch auf Schadensersatz nach § 7 Abs. 1 StVG hat.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Der Unfall ist dem Betrieb des Fahrzeugs des B zuzurechnen (§ 7 Abs. 1 StVG), obwohl sich die Fahrzeuge nicht berührt haben.
Ja, in der Tat!
3. Von der Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG kann man sich nach aktueller Rechtslage nicht befreien.
Nein!
4. Der Unfall war für B unabwendbar (§ 17 Abs. 3 StVG).
Genau, so ist das!
5. A kann von B Ersatz für die Schäden am Auto nach § 7 Abs. 1 StVG verlangen.
Nein, das trifft nicht zu!
6. A kann von B Ersatz für die Schäden am Auto verlangen, wenn er einen Anspruch auf Aufwendungsersatz nach §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB hat.
Ja!
7. Indem A das Steuer herumgerissen hat, hat er "ein Geschäft besorgt" (§ 677 BGB).
Genau, so ist das!
8. Der Geschäftsführer besorgt das Geschäft "für einen anderen" (§ 677 BGB), wenn er das Geschäft jedenfalls nicht nur als eigenes, sondern auch als fremdes Geschäft führt.
Ja, in der Tat!
9. Indem A das Steuer herumgerissen hat, hat er ein objektiv fremdes Geschäft besorgt. Der Fremdgeschäftsführungswille wird vermutet.
Nein!
10. Ein Kraftfahrer, der durch Ausweichen versucht, einen Unfall mit einem anderen zu verhindern, besorgt ein auch-fremdes Geschäft. Daran ändert sich auch nichts, wenn er für die Verletzungen des anderen bei einer hypothetischen Kollision haften würde.
Nein, das ist nicht der Fall!
11. Indem A das Steuer herumgerissen hat, hat er ein auch- fremdes Geschäft besorgt. Der Fremdgeschäftsführungswille wird vermutet.
Ja, in der Tat!
12. Erfolgte der Unfall infolge höherer Gewalt (§ 7 Abs. 2 StVG)?
Nein!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Vincent
10.11.2021, 14:23:12
Würde man in der Klausur dann mit der GoA anfangen und beim „auch fremden Geschäft“ §
7 StVGquasi inzident prüfen?
Lukas_Mengestu
12.11.2021, 09:20:23
Hallo Vincent, das kannst Du so machen. Übersichtlicher ist es aber, wenn Du - wie hier - zunächst mit der straßenverkehrsrechtlichen Halterhaftung beginnst und erst im Anschluss auf die GoA eingehst. Das erspart die Inzidentprüfung. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
w.laura.l
16.8.2023, 07:41:58
Weshalb wird hier im Rahmen von § 7 I StVG der Ausschluss nach § 17 III StVG geprüft und nicht der nach § 7 II StVG? Bzw. hätte ich sowohl §
7 StVGals auch § 1
7 StVGgeprüft, aber mit ihren jeweiligen Ausschlussgründen. Ich würde mich freuen, wenn ihr darauf kurz eingehen könntet.
Leo Lee
23.8.2023, 11:05:19
Hallo w.laura.l, vielen Dank für dein Feedback! Wir haben nun eine Frage zur höheren Gewalt eingefügt. Beachte noch, dass § 1
7 StVG- falls du diese als Anspruch prüfen wolltest - keine eigene Anspruchsgrundlage ist, sondern nur ein Einschränkungsgrund. D.h., § 17 III StVG prüfst du - nach § 7 II StVG - ebenfalls als Ausschlussgrund und nicht "selbstständig" :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo
ehemalige:r Nutzer:in
25.8.2023, 11:23:46
Ich schließe mich der Frage an: Ich verstehe auch nicht, wieso der § 17 IIl als Ausschlussgrund für den § 7 I herangezogen wird. Der Wortlaut des § 17 I'll bezieht sich eindeutig nur auf Abs. 1+2. Ist das so anerkannt, dass kein Wort dazu gesagt werden müsste in der Klausur?
CR7
4.9.2023, 19:09:07
@[clarafröhlich](199110) im Kommentar (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Heß StVG § 17 Rn. 8) heißt es, dass § 17 III S. 1 nahezu dem § 7 II StVG a.F. entspricht und die dazu entwickelten Rechtssätze übernommen werden können. Wenn ich mir die Novellierung anschaue und die veränderte Systematik dann scheint es, als wollte der Gesetzgeber lediglich Kinder privilegieren, um ihnen keine GoA aufzubrummen. Heißt konkret: Der 17 III S. 1 gilt als Ausschlussgrund auch für § 7 I StVG und würde bei der isolierten Prüfung von §
7 StVGnur beim Punkt „Kein Ausschluss“ zur Sprache kommen.
Sophix58
6.12.2023, 10:40:15
Ich hätte hier eine kleine Verständnisfrage zur Haftung gem. § 7 I StVG: weshalb kann hier Schadensersatz für die Schäden am gefahrenen Auto verlangt werden? Ich dachte, dass das Auto selbst aus teleologischen Erwägungen nicht als Sache iSd. § 7 I StVG angesehen wird. Deshalb frage mich, wann ein Anspruch gem. § 7 I StVG wegen Schäden am Auto selbst ausgeschlossen ist bzw. wann er durchgeht? Gibt es da eine Unterscheidung oder habe ich das falsch verstanden? Vielen Dank auf jeden Fall!
Leo Lee
10.12.2023, 12:28:51
Hallo Sophix58, vielen Dank für die Frage! In der Tat ist es so, dass in gewissen Fällen eine teleologische Reduktion des §
7 StVGvorgenommen wird. Dies betrifft aber den Fall, in dem ein INNENVERHÄLTNIS vorliegt, meistens zwischen Leasingnehmer und Leasinggeber (hier war dann die Frage, ob der Leasingnehmer verschuldensunabhängig ggü. dem Leasinggeber wegen Beschädigung des Autos haften sollte). Allerdings liegt hier gerade kein solcher Fall vor, da zwei „Dritte“ und nicht solche, die sich miteinander in einem Innenverhältnis befinden, Ansprüche geltend machen. Der A macht ggü. dem B (der „fremd“ ist), den Anspruch gem. § 7 I StVG geltend, weil wegen Bs Nachlässigkeit sein Auto jetzt zerstört sei. Ob jetzt der Wagen wirklich dem A gehört oder nicht gehört, braucht den B als Außenstehender nicht zu interessieren :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Sophix58
10.12.2023, 12:46:42
Ah okay, das ergibt Sinn! Super vielen Dank für die Antwort :)
LaulauAC
11.4.2024, 00:53:26
Ich habe hier ein kleines Störgefühl. Muss der B am Ende die gesamten Aufwendungen des A tragen oder findet auf irgendeiner Ebene noch eine Kostenteilung statt? Ich sehe auf den ersten Blick nämlich keine. Es ließen sich sicherlich auch Fälle konstruieren, in denen ein Unfall zwar auf einem für beide Parteien unabwendbaren Ereignis beruht, beiden Parteien aber die Möglichkeit der Selbstaufopferung verbleibt. Es würde in solchen Fällen vom Zufall abhängen, wer ausweicht, sich dadurch selbst schädigt, andererseits dem anderen aber die gesamten dadurch entstehenden Kosten auferlegen kann. Das kann für mein Empfinden nicht richtig sein.
Lukas_Mengestu
11.4.2024, 11:15:29
Hallo LaulauAC, mit Deinem Störgefühl bist Du tatsächlich in sehr guter Gesellschaft. Der BGH hat in seiner Rechtsprechung zur Selbstaufopferung zum Straßenverkehr ebenfalls ausgeführt, dass in diesen Konstellationen eine volle Kostenlast unbillig ist, wenn der Schaden für beide Beteiligte durch eine zufällige Gefahrenlage ausgelöst worden ist. Unter anderem auch deshalb, weil den Kraftfahrer grundsätzlich auch die allgemeine Betriebsgefahr trifft. Im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung hat er deshalb für den Sonderfall der
Selbstaufopferung im Straßenverkehrfestgestellt, dass die "Aufwands"entschädigung des Geschäftsführers in diesen Fällen zu kürzen ist und dabei auch eine hälftige Kürzung unbeanstandet gelassen (vgl. BGHZ 38, 270 - http://lorenz.userweb.mwn.de/urteile/bghz38_270.htm). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
CR7
26.6.2024, 17:33:44
Liebes Team, ich würde mich freuen, wenn man hier aber bis zum Ende prüfen würde. Also Ohne Berechtigung und noch die Rechtsfolge.
fuchs_
19.8.2024, 20:33:33
Ja, fände ich auch hilfreich. Man hat sich eh schon in den Fall reingedacht. Da wäre es besser, ihn auch komplett lösen zu können oder dass ihr zumindest ganz am Ende noch als Kommentar schreibt, was aus den nächsten Schritten geworden wäre und ob der Anspruch durchgeht.
Juraddicted
30.10.2024, 20:53:05
Mich interessiert es auch, wie dieser Fall zu Ende geprüft werden würde :)
Niro95
12.11.2024, 09:05:46
Würde mich auch freuen, wenn das noch beantwortet werden würde.
judith
6.8.2024, 18:41:51
Wäre die Prüfung der Ansprüche aus StVG vor den Ansprüchen aus GoA dogmatisch richtig?
K.Attalla
18.8.2024, 19:37:01
Hey @[judith ](160833), also meine Professorin im Unirep (Prof. Dr. Wellenhofer) meint in einem Bearbeitervermerk einer Lösungsskizze zu einem ähnlichen Fall, dass es in Fällen, in denen man eine Anrechnung der eigenen Betriebsgefahr verneint, möglich sei den Anspruch aus dem § 7 I StVG zur Vermeidung von Inzidentprüfungen der GoA vorzuziehen. Danach muss man bei der Prüfung der GoA nur nach oben verweisen. Dogmatisch sauber ist das dennoch nicht. Mache deshalb eigentlich nur meine Lösungsskizze zum Überblick so. Runterschreiben kann man das Ganze dann immer noch in der üblichen Reihenfolge. LG!