Mittäterschaft durch Unterlassen 2
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
O ist am Strand. Da er baden möchte, bittet er M2 auf seinen Rucksack samt Geldbörse aufzupassen. M2 willigt ein. Später macht sich M1 an dem Rucksack zu schaffen. M2 will sie erst aufhalten, was ihm auch gelungen wäre. Doch als sie ihn anlächelt, lässt er den Diebstahl der Geldbörse zu.
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Einordnung des Falls
Mittäterschaft durch Unterlassen 2
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. M2 hat sich wegen Diebstahls in Mittäterschaft (§§ 242 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB) durch aktives Tun strafbar gemacht, indem er die M1 nicht aufhielt.
Nein, das trifft nicht zu!
Jurastudium und Referendariat.
2. Eine Strafbarkeit des M2 wegen mittäterschaftlichen Diebstahls durch Unterlassen (§§ 242 Abs. 1, 25 Abs. 2, 13 Abs. 1 StGB) scheitert bereits an den Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 StGB.
Nein!
3. Auf Grundlage der Lehre von den Pflichtdelikten hat M2 einen mittäterschaftsbegründenden Tatbeitrag erbracht (§§ 242 Abs. 1, 25 Abs. 2, 13 Abs. 1 StGB).
Genau, so ist das!
4. Auf Grundlage der Garantentheorie hat M2 einen mittäterschaftsbegründenden Tatbeitrag erbracht (§§ 242 Abs. 1, 25 Abs. 2, 13 Abs. 1 StGB).
Ja, in der Tat!
5. Auf Grundlage der Tatherrschaftslehre hat M2 einen mittäterschaftsbegründenden Tatbeitrag erbracht (§§ 242 Abs. 1, 25 Abs. 2, 13 Abs. 1 StGB).
Nein!
6. Auf Grundlage der gemäßigt subjektiven Theorie der Rspr. hat M2 einen mittäterschaftsbegründenden Tatbeitrag erbracht (§§ 242 Abs. 1, 25 Abs. 2, 13 Abs. 1 StGB).
Nein, das ist nicht der Fall!
Jurastudium und Referendariat.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Jose
11.8.2021, 12:32:19
Inwiefern wird der Aktivbeteiligte von der Theorie der Pflichtdelikte gerade ggü. dem Unterlassenden privilegiert?
jomolino
22.10.2021, 12:32:47
Ich meine dass das damit zusammenhängt das, wer in jedem Fall Täter ist auf keinen Fall Teilnehmer sein kann. Dadurch kann ein unterlassungstäter entgegen dem Begehungstäter nie in den “Genuss” der Strafmilderung für den Gehilfen kommen.
evanici
26.8.2023, 17:41:01
An welcher Stelle bringt man diese Theorien denn im Prüfungsaufbau? Ist das abhängig davon, ob man eher den subjektiven oder objektiven Lehren folgt? Irgendwie muss man subjektiv (eher gemeinsamer Tatentschluss) und objektiv (eher gemeinsame Tatausführung) ja "vermischen", wenn man die Ansichten präsentiert...
Leo Lee
9.9.2023, 11:39:48
3016 Hallo evanici, da diese Frage letztlich nur die Abgrenzung der Täterschaft und Teilnahme i.R.d. Unterlassung betrifft, wäre dies – wie beim Tun – i.R.d. gemeinsamen Ausführungen (also in deinen Worten bei dem „obj. TB“) zu bringen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Tinki
16.9.2024, 15:53:53
Hi! Leider habe ich auch Aufbau-Probleme... Nachdem ich den Aktivtäter geprüft habe, prüfe ich ja denjenigen, der eine Handlung unterlassen hat und dessen Strafbarkeit nach bspw. §§ 212 I, 13 I, 25 II. Prüfe ich innerhalb dieser Prüfung dann erstmal quasi §§ 212 I, 13 I normal durch und dann, ob Unterlassen quasi "auch" einen mittäterschaftlichen Beitrag darstellt und deswegen die Aktivhandlung dem anderen zuzurechnen ist? Nur stellt sich mir da die Frage, warum ich das überhaupt "brauche". Schon wg. §§ 212 I, 13 I allein wäre der Unterlassende doch schon strafbar. Eigentlich brauche ich die Zurechnung ja nicht, oder übersehe ich etwas? Danke vorab!! @[Leo Lee](213375)
Skywalker
10.2.2024, 14:17:27
Ich finde um die Problematik (auch Klausurtechnisch) noch zu verdeutlichen würde es sich sehr anbieten hier im Anschluss noch die Strafbarkeit durch unterlassene Beihilfe zu prüfen. Außerdem ist noch gut zu wissen, dass die wohl h.M. einen
Diebstahl durch Unterlassengrundsätzlich anerkennt und man deshalb nicht unbedingt die etwas komplizierte Konstellation der Unterlassenen Mittäterschaft prüfen muss sondern auch eine einfach Prüfung des unterlassenen Diebstahls möglich ist.
MenschlicherBriefkasten
26.3.2024, 09:12:17
Der
Tatherrschaftslehrenach könnte man hier doch eine Täterschaft bejahen, weil es eben doch in den Händen des M1 lag, die Tat zu hemmen oder zu unterbinden, was er bewusst unterließ.
Falsus Prokuristor
30.5.2024, 01:54:38
Allein die Möglichkeit der Erfolgsabwendung kann für die Begründung eines mittäterschaftlichen Tatbeitrages allerdings noch nicht ausreichen. Dafür spricht folgendes systematisches Argument: Die Möglichkeit der Erfolgsabwendung ist bereits Voraussetzung für die Unterlassensstrafbarkeit, § 13. Damit wäre der unterlassende Beteiligte, stets Mittäter und niemals Gehilfe, es bestünde nie die Möglichkeit der Strafmilderung gemäß § 27 II 2. Dies wäre eine unbillige Benachteiligung gegenüber dem aktiv handelnden Beteiligten, der ohne Tatherrschaft sehr wohl Teilnehmer ist. Das wären die gleichen Ergebnisse wie bei der
Lehre von den Pflichtdelikten, welche aus dem gleichen Grund abzulehnen ist.
Falsus Prokuristor
30.5.2024, 02:00:39
Daher wird zum Beispiel vertreten, dass der Unterlassende Tatherrschaft erlangt, wenn der aktiv handelnde Täter vor Erfolgseintritt den Tatort verlässt. Man könnte argumentieren, dass er nun als einzig anwesender Beteiligter den Erfolg abwenden kann, was Tätherrschaft begründet, und dass ihn daher eine besonders schwerwiegende Pflicht zu Erfolgsabwendung trifft, so dass sein weiteres Unterlassen Täterqualität hat.