Strafrecht
BT 5: Verkehrsdelikte
Verbotene Kraftfahrzeugrennen, § 315d StGB
§ 315d StGB: Erfolgsqualifizierter Versuch?
§ 315d StGB: Erfolgsqualifizierter Versuch?
14. Juli 2025
8 Kommentare
4,8 ★ (9.530 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Motorradfahrer T fährt auf einer Landstraße mit 250 km/h auf A zu und will kurz vorher ausweichen. Er geht davon aus, dass A in konkrete Gefahr geraten wird. Bevor T den A erreicht, überfährt er aber versehentlich den P, der unbemerkt von T die Straße überqueren wollte. P stirbt.
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Einordnung des Falls
§ 315d StGB: Erfolgsqualifizierter Versuch?
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. T hat den objektiven Tatbestand des § 315d Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 3 StGB in Bezug auf P verwirklicht.
Ja!
2. Es liegt ein sog. „error in persona vel objecto“ vor, weil T den P statt A konkret gefährdet hat.
Nein, das ist nicht der Fall!
3. Rspr. und h.L. halten § 16 Abs. 1 StGB für einschlägig (sog. Konkretisierungstheorie).
Ja, in der Tat!
4. Da T das Grunddelikt des § 315d Abs. 2 StGB versucht hat und die schwere Folge des § 315d Abs. 5 StGB eingetreten ist, liegt nach h.M. ein strafbarer erfolgsqualifizierter Versuch vor.
Nein!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
agi
16.10.2024, 00:00:33
finde es schön, dass hier nochmal die Abgrenzung zwischen
error in personas und
aberratio ictuswiederholt wird, sowie die unterschiedlichen Lösungsansätze

Linne Hempel
17.10.2024, 16:33:48
Hallo agi, vielen Dank für dein Lob! Deine positive Rückmeldung motiviert uns, weiterhin unser Bestes zu geben. Beste Grüße, Linne_Karlotta_, für das Jurafuchs-Team
Niro95
8.11.2024, 00:01:58
Ich denke nicht, dass hier ein
aberratio ictusvorliegt, weil das versehentliche Überfahren des P hier dem Gefährdungsvorsatz für das eigentliche Ziel nach SV zeitlich vorgelagert ist. Der
aberratio ictusist aber nur anwendbar, wenn tatsächlich ein verfehlen in dem Sinne vorliegt, dass das eigentlich mit Vorsatz anvisierte Objekt (unter welchen Umständen auch immer) verfehlt und stattdessen ein anderes Gleichwertiges getroffen wird. Kein Fall des
Aberratio ictus(hier müsste man den Versuchsbeginn problematisieren) ist es, wenn vor der eigentlichen Tat ein zufälliges Opfer mit einer dem geplanten Taterfolg gleichartigen Handlung getroffen wird, wie hier.

pio1sn
16.1.2025, 13:07:06
Ich habe es mir so hergeleitet, indem ich es aus der Sicht des
error in personamal vorgestellt habe. Theoretisch müsste sich der Vorsatz dann auf das konkret überfahrene Opfer richten. Hier war der P aber nicht in seinem „Blickfeld“ bzw. der konkrete Vorsatz richtete sich nicht auf den P, weil dieser nicht wahrnehmbar für den T war. Dementsprechend „verfehlte“ der T seinen „Überfahrvorgang“. Man sollte dabei den SV auch genau nehmen bei Jurafuchs, weil hier nicht umsonst „versehentlich“ und „unbemerkt“ im SV steht. Ich hoffe, ich konnte dir helfen :0

Tim Gottschalk
25.6.2025, 19:29:53
Hallo @[Niro95](239383), du hast Recht, dass bei einem Eintreten des Erfolgs vor Versuchsbeginn kein
aberratio ictusvorliegt. Vielmehr würde dann eher ein
dolus subsequensvorliegen, wenn der Versuchsbeginn noch nicht erreicht war und das Verhalten straflos sein. So ist der Sachverhalt hier aber nicht. Laut Sachverhalt fährt der T bereits auf den A zu. Er hat also bereits unmittelbar zum Versuch angesetzt. Ich würde den Sachverhalt jetzt aber nicht so lesen, als wäre der P kilometerweit vor dem A überfahren worden. Dann würde man nicht davon sprechen, dass der T auf den A zufährt. Das impliziert meines Erachtens, dass der A zumindest bereits in Sichtweite war. Dann liegt auch ein ganz klassischer Fall des
aberratio ictusvor. Es ist genau der gleiche Fall, wie wenn der T einen Pfeil auf den A schießen würde und der P unvermittelt in die Schussbahn läuft und getroffen wird. Auch hier tritt der Erfolg früher ein, da der Pfeil nicht erst die ganze Strecke bis zum A fliegen musste. Dennoch ist es ein
aberratio ictus. Liebe Grüße Tim - für das Jurafuchs-Team
Vincent
16.1.2025, 13:53:46
Wie wird die Anwendung des o.g. Paragraphen weiter begründet ? 16 Abs.1 spricht doch vom "nicht kennen eines Umstandes der zum Tatbestand gehört. Legt man genau nach dem Wortlaut aus, ist dies hier nicht einschlägig.
Leo Lee
17.1.2025, 10:40:08
Hallo Vincent, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! Du hast Recht damit, dass streng nach dem Wortlaut in der Tat ein Nichtwissen erforderlich ist. Allerdings ist es in der Rspr., Literatur und vor allem Klausurpraxis so, dass unter 16 I auch das fehlende Vorsatz erfasst wird, solange Wissen und/oder Wollen bzgl. eines obj. TBMs fehlt. Deshalb kannst du mir merken, dass 16 I StGB allgemein angewendet wird, wenn der Vorsatz fehlt und nicht nur dann, wenn das Wissen nicht vorliegt. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-StGB 5. Auflage, Kulhanek § 16 Rn. 7 sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Findet Nemo Tenetur
25.3.2025, 21:59:24
ich verstehe die
Konkretisierungstheorie so, dass sie sagt wenn sich der Vorsatz auf das Tatobjekt so weit konkretisiert hat, dass nur noch dieses eine Objekt/Individuum vom Vorsatz des Täters erfasst ist, dann zum Tatbestand eben nur noch dieses konkretisierte Objekt gehört. Konkretisiertes Tatobjekt war hier A. Und wenn an dessen Stelle nun ein anderes tritt (P), ohne dass T das weiß, dann ist P sozusagen ein zum Tatbestand gehörender Umstand, den T aber nicht kennt. @[Leo Lee](213375) kannst du das bestätigen? Vielleicht beantwortet das dann teilweise auch deine Frage @[Vincent](211990) .