§ 315d StGB: Erfolgsqualifizierter Versuch?

16. Februar 2025

6 Kommentare

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Motorradfahrer T fährt auf einer Landstraße mit 250 km/h auf A zu und will kurz vorher ausweichen. Er geht davon aus, dass A in konkrete Gefahr geraten wird. Bevor T den A erreicht, überfährt er aber versehentlich den P, der unbemerkt von T die Straße überqueren wollte. P stirbt.

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Einordnung des Falls

§ 315d StGB: Erfolgsqualifizierter Versuch?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T hat den objektiven Tatbestand des § 315d Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 3 StGB in Bezug auf P verwirklicht.

Ja!

T hat sich als Kfz-Führer im Straßenverkehr fortbewegt. Nicht angepasst ist vor allem eine Geschwindigkeit, die eine Geschwindigkeitsbegrenzung verletzt. Da die grobe Verkehrswidrigkeit insbesondere bei der doppelten Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit anzunehmen ist und T 250 km/h statt der erlaubten 100 km/h fuhr, hat er sich mit nicht angepasster Geschwindigkeit grob verkehrswidrig fortbewegt (§ 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB). Konkret gefährdet - sogar getötet - wurde P als anderer Mensch. Schließlich hat sich in diesem Gefahrerfolg auch das für eine Geschwindigkeitsjagd typische Risiko niedergeschlagen (§ 315d Abs. 2 StGB).
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2. Es liegt ein sog. „error in persona vel objecto“ vor, weil T den P statt A konkret gefährdet hat.

Nein, das ist nicht der Fall!

§ 315d Abs. 2 StGB setzt Vorsatz hinsichtlich der Tathandlung und des Gefahrerfolgs voraus. Bei einem „error in persona vel objecto“ irrt der Täter über die Person oder das Objekt. T raste vorsätzlich und verfolgte rücksichtslos das Anliegen, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen (überschießende Innentendenz des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB). Problematisch ist aber, dass T gar nicht den konkret gefährdeten P, sondern den A gefährden wollte, dessen Gefährdung aber nicht eingetreten ist. Damit liegt die Konstellation einer sog. aberratio ictus vor, bei welcher der Täter das anvisierte Ziel verfehlt und ein anderes trifft. Die Rechtsfolgen sind umstritten, wenn - wie hier - verfehltes und getroffenes Ziel gleichwertig sind.

3. Rspr. und h.L. halten § 16 Abs. 1 StGB für einschlägig (sog. Konkretisierungstheorie).

Ja, in der Tat!

Nach h.M. schließt die Konkretisierung des Vorsatzes auf ein bestimmtes Tatopfer den Vorsatz aus, wenn stattdessen ein anderes verletzt wird. Hiernach kommt lediglich eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit am getroffenen Opfer und eine Versuchsstrafbarkeit am verfehlten Opfer in Betracht. Dies bedeutet, dass T in Bezug auf P § 315d Abs. 4 StGB verwirklicht hat. Zu Lasten des A kommt ein Versuch des § 315d Abs. 2 StGB aber schon deshalb nicht infrage, weil dessen Versuch nicht strafbar ist. Da T aber an sich das Versuchsstadium erreicht hat und ein Todeserfolg eingetreten ist, fragt sich, ob ein erfolgsqualifizierter Versuch möglich ist.

4. Da T das Grunddelikt des § 315d Abs. 2 StGB versucht hat und die schwere Folge des § 315d Abs. 5 StGB eingetreten ist, liegt nach h.M. ein strafbarer erfolgsqualifizierter Versuch vor.

Nein!

Ein sog. erfolgsqualifizierter Versuch liegt vor, wenn das Grunddelikt lediglich versucht, die qualifizierende Folge aber eingetreten ist. Ungeachtet der grundsätzlichen Kontroverse um die Strafbarkeit eines solchen Versuchs stellt sich hier das Sonderproblem, dass bereits der Versuch des Grunddeliktes für sich gesehen nicht mit Strafe bedroht ist. Nach e.A. soll dabei die Versuchsstrafbarkeit auch in solchen Fällen aus dem Verbrechenscharakter der Erfolgsqualifikation folgen. Die h.M. lehnt dies jedoch ab, da ein strafloses Geschehen sonst strafbegründende Wirkung hätte, weshalb die Minderansicht in Konflikt mit dem Analogieverbot gerät. T hat sich nicht wegen §§ 315d Abs. 2, Abs. 5, 22, 23 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

AG

agi

16.10.2024, 00:00:33

finde es schön, dass hier nochmal die Abgrenzung zwischen

error in persona

s und

aberratio ictus

wiederholt

wird, sowie die unterschiedlichen Lösungsansätze

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

17.10.2024, 16:33:48

Hallo agi, vielen Dank für dein Lob! Deine positive Rückmeldung motiviert uns, weiterhin unser Bestes zu geben. Beste Grüße, Linne_Karlotta_, für das Jurafuchs-Team

NI

Niro95

8.11.2024, 00:01:58

Ich denke nicht, dass hier ein

aberratio ictus

vorliegt, weil das versehentliche Überfahren des P hier dem Gefährdungs

vorsatz

für das eigentliche Ziel nach SV zeitlich vorgelagert ist. Der

aberratio ictus

ist aber nur anwendbar, wenn tatsächlich ein verfehlen in dem Sinne vorliegt, dass das eigentlich mit

Vorsatz

anvisierte Objekt (unter welchen Umständen auch immer) verfehlt und stattdessen ein anderes Gleichwertiges getroffen wird. Kein Fall des

Aberratio ictus

(hier müsste man den Versuchsbeginn problematisieren) ist es, wenn vor der eigentlichen Tat ein zufälliges Opfer mit einer dem geplanten Taterfolg gleichartigen Handlung getroffen wird, wie hier.

pio1sn

pio1sn

16.1.2025, 13:07:06

Ich habe es mir so hergeleitet, indem ich es aus der Sicht des

error in persona

mal vorgestellt habe. Theoretisch müsste sich der

Vorsatz

dann auf das konkret überfahrene Opfer richten. Hier war der P aber nicht in seinem „Blickfeld“ bzw. der konkrete

Vorsatz

richtete sich nicht auf den P, weil dieser nicht wahrnehmbar für den T war. Dementsprechend „verfehlte“ der T seinen „Überfahrvorgang“. Man sollte dabei den SV auch genau nehmen bei Jurafuchs, weil hier nicht umsonst „versehentlich“ und „un

bem

erkt“ im SV steht. Ich hoffe, ich konnte dir helfen :0

Vincent

Vincent

16.1.2025, 13:53:46

Wie wird die Anwendung des o.g. Paragraphen weiter begründet ? 16 Abs.1 spricht doch vom "nicht kennen eines Umstandes der zum

Tatbestand

gehört. Legt man genau nach dem Wortlaut aus, ist dies hier nicht einschlägig.

LELEE

Leo Lee

17.1.2025, 10:40:08

Hallo Vincent, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! Du hast Recht damit, dass streng nach dem Wortlaut in der Tat ein Nichtwissen erforderlich ist. Allerdings ist es in der Rspr., Literatur und vor allem Klausurpraxis so, dass unter 16 I auch das fehlende

Vorsatz

erfasst wird, solange Wissen und/oder Wollen bzgl. eines obj. TBMs fehlt. Deshalb kannst du mir merken, dass 16 I StGB allgemein angewendet wird, wenn der

Vorsatz

fehlt und nicht nur dann, wenn das Wissen nicht vorliegt. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-StGB 5. Auflage, Kulhanek § 16 Rn. 7 sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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