Öffentliches Recht

Verwaltungsrecht AT

Rücknahme und Widerruf von Verwaltungsakten

Rücknahme eines begünstigenden VAs: Verwirkung der Rücknahmebefugnis

Rücknahme eines begünstigenden VAs: Verwirkung der Rücknahmebefugnis

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Stadt S bewilligt G Wirtschaftshilfen (€ 20.000). 40 Jahre später bemerkt S, dass G keinen Anspruch auf die Zahlungen hatte. S nimmt die Bewilligung innerhalb eines Jahres zurück. G wusste nichts von seiner fehlenden Berechtigung und hat das Geld bereits ausgegeben.

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Einordnung des Falls

Rücknahme eines begünstigenden VAs: Verwirkung der Rücknahmebefugnis

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. S hat die Rücknahmefrist des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG eingehalten.

Genau, so ist das!

Die Behörde kann einen begünstigenden Verwaltungsakt nur innerhalb eines Jahres, nachdem dem zuständigen Sachbearbeiter alle für die Rücknahme relevanten Tatsachen bekannt sind, zurücknehmen (Entscheidungsfrist, § 48 Abs. 4 VwVfG). S hat den Bescheid über die Gewährung der Wirtschaftshilfen (= begünstigender Verwaltungsakt) innerhalb eines Jahres zurückgenommen, nachdem ihm bekannt wurde, dass G nicht nicht berechtigt war, den Bescheid zu erhalten.
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2. Die Rücknahme unterliegt den allgemeinen Verjährungsfristen. S' Rücknahmebefugnis ist verjährt.

Nein, das trifft nicht zu!

Eine Rücknahme könnte auch daran scheitern, dass die Rücknahmebefugnis der Behörde nicht bestand. Bei längerem Zeitablauf nach Erlass des Verwaltungsakt kommt dabei vor allem die Verjährung der Befugnis in Betracht. § 48 VwVfG trifft hierzu allerdings keine Regelungen. Auch scheidet eine analoge Anwendung der allgemeinen Vorschriften aus dem Zivil- oder Strafrecht aus. S' Rücknahmebefugnis ist nicht verjährt.

3. Weil S's den Verwaltungsakt bereits vor 40 Jahren erlassen hat und G nicht mehr mit der Rücknahme rechnen musste, kommt eine Verwirkung der Rücknahmebefugnis in Betracht.

Ja!

Weil die Behörde nach herrschender Meinung die Jahresfrist nach § 48 Abs. 4 VwVfG sehr lange hinauszögern kann, hat die Rechtsprechung die Möglichkeit der Verwirkung der Rücknahmebefugnis entwickelt. Unter dem Aspekt von Treu und Glauben (§ 242 BGB) kommt die Verwirkung als Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung in Betracht, wenn sich die Behörde mit der Rücknahme zu viel Zeit lässt und der Begünstigte mit der Rücknahme schlechthin nicht mehr rechnen musste. S hat den Verwaltungsakt 40 Jahre nach Erlass zurückgenommen. In Betracht kommt daher die Verwirkung der Rücknahmebefugnis nach § 242 BGB.

4. Bereits die schlichte Untätigkeit der Behörde seit 40 Jahren begründet vorliegend die Verwirkung der Rücknahmebefugnis.

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach dem BVerwG bedarf es für die Annahme der Verwirkung ein Zeitmoment, das heißt die Möglichkeit der Rechtsausübung seit längerer Zeit, sowie ein Umstandsmoment. Dieser Umstandsmoment besteht daraus, dass (1) der Begünstigte darauf vertrauen durfte, dass die Behörde ihre Befugnis nach so langer Zeit nicht mehr geltend macht (Vertrauensgrundlage), (2) der Begünstigte auch tatsächlich darauf vertraut hat (Vertrauenstatbestand) und (3) dem Begünstigten durch die Rücknahme ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (Vertrauensbetätigung). Es ist nicht ausreichend, dass S seit 40 keinen Gebrauch von der Rücknahmebefugnis gemacht hat.

5. In der Praxis nimmt die Rechtsprechung das Vorliegen der Verwirkung selten an. Im vorliegenden Fall kann sie aber gut begründet werden.

Ja, in der Tat!

Das öffentliche Interesse an der Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakt überwiegt oftmals auch nach längerer Zeit dem Interesse des Begünstigten. Die Verwirkung muss besonders begründet werden. Hier spricht für die Annahme der Verwirkung, dass 40 Jahre eine extrem lange Zeit sind und dass G nicht wusste, dass er nicht berechtigt war und in diesem guten Glauben das Geld ausgegeben hat. Wenn du diese Konstellation überhaupt thematisierst, ist das Ergebnis (wie so oft) nicht entscheidend. Erläutere die Kriterien der Rspr., werte die Angaben des Sachverhalts kreativ aus, wäge die Postionen ab und begründe deine Entscheidung.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

ri

ri

8.3.2022, 01:55:54

Merkhilfe Verwirkung: Zeit ist um - vertraut mir! Zeit = Zeitmoment Um = Umstandsmomet Vertraut mir = Vertrauensschutz

M0NAC0

M0NAC0

20.6.2022, 12:28:28

Selbst die Verwirrung ist verwirrt

Respektive

Respektive

30.3.2023, 20:35:24

Warum nutzt man den Umstand mit den 40 Jahren (und die weiteren Gründe) nicht einfach, um in der Prüfung von § 48 Abs. 2 VwVfG zu dem Ergebnis zu kommen, dass das öffentliche Interesse an der Rücknahme den Vertrauensschutz nicht überwiegt?

BENED

Benedikt

16.8.2023, 13:30:16

Frage mich das auch. Meine Vermutung ist, dass durch die Frist in § 48 IV abschließend festgelegt ist, wann der Vertrauensschutz das öffentliche Interesse überwiegt. Was den vorliegenden Fall angeht verstehe ich nicht, wieso nicht unabhängig von der abgelaufenen Zeit ein Rücknahmeverbot nach § 48 II S. 2 angenommen wird, da der G das Geld ausgegeben hat.

PAT

Patrick4219

2.2.2024, 13:54:16

Ein Rücknahme Verbot liegt nicht vor, da bei § 48 II S.2 VwVfG auf den Rechtsgedanken der zivilrechtlichen

Entreicherung

abgestellt wird. Eine

Entreicherung

liegt daher nur vor, wenn das Erlangen etwas (Subvention) nicht mehr im Vermögen der G vorhanden ist. Dies ist insbesondere bei

Luxusaufwendungen

, also solchen Aufwendungen, die man ohne die Subvention nicht getätigt hätte der Fall. Hierzu gibt der SV jedoch keine Auskunft, sodass eine

Entreicherung

nicht angenommen werden kann.

ST

Strukturjonas

28.4.2024, 15:05:10

Ich habe mich das gleiche gefragt. Eine

Entreicherung

ist ja nicht mal zwingend notwendig für ein Rücknahmeverbot, man könnte doch auch allgemein über § 48 II S. 1 BVwVfG gehen und sagen, dass das Vertrauen in den Bestand des Verwaltungsaktes überwiegt?

Felix_99

Felix_99

13.9.2023, 18:53:02

Wie würde der Lösungsweg bei Kenntnis der Nicht vorhandenen Berechtigung aussehen ?

PAT

Patrick4219

2.2.2024, 13:49:32

In diesem Fall könnte sich der G nicht auf ein schutzwürdiges Vertrauen berufen und die Verwirkung würde ausscheiden. Die Rücknahme wäre daher weiterhin auch nach 40 Jahren möglich.

BAY

bayilm

24.4.2024, 10:48:03

An welcher Stelle würde ich denn sowas am ehesten in der Klausur ansprechen. Mich hat die Ausführung aus der letzten Aufgabe mit der Verjährung etwas verwirrt. Dort hieß es, dass die Verjährung dazu führen würde, dass keine Rücknahmebefugnis mehr besteht und denklogisch dies schon vor der Frage nach der Einhaltung der Frist geprüft werden muss. Heißt das dann auch, dass ich eine mögliche Verwirkung auch schon vor einem möglichen Fristablauf in der Klausur prüfen müsste?


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