+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

O liegt todkrank und nicht ansprechbar auf der Intensivstation. Ihr Ehemann E sitzt am Bett. Krankenschwester T spritzt O ein tödliches Medikament, da sie das Leben der O als nicht mehr lebenswert betrachtet. E weiß nicht, dass die Spritze Gift enthält.

Einordnung des Falls

Schutzbereite Dritte

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. O war im Zeitpunkt der Tötung "arglos".

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Nein, das trifft nicht zu!

Arglos ist, wer sich bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs (= Zeitpunkt des Versuchs (§ 22 StGB)) keines Angriffs auf sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit versieht. BGH: Die unansprechbare Patientin O sei aufgrund ihres Zustands zu keinerlei Argwohn und Gegenwehr fähig (RdNr. 18).

2. T hat O heimtückisch (§ 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 1 StGB) getötet, wenn sie die Arg- und Wehrlosigkeit des E ausgenutzt hat.

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Ja!

Wenn eine Person getötet wird, die keinen Argwohn bilden kann, komme jedoch trotzdem das Mordmerkmal Heimtücke in Betracht, wenn der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit schutzbereiter Dritter bewusst ausnutzt. BGH: Schutzbereiter Dritter sei jede Person, die den Schutz eines Besinnungslosen vor Leib- und Lebensgefahr dauernd oder vorübergehend übernommen hat und diesen im Augenblick der Tat entweder tatsächlich ausübt oder es deshalb nicht tut, weil sie dem Täter vertraut (RdNr. 18). E war in diesem Sinne ein schutzbereiter Dritter. Offen geführte Angriffe auf das Leben der O hätte er bemerkt und wäre diesen entgegengetreten.

3. E war zum Zeitpunkt der Tötung "arg- und wehrlos".

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Genau, so ist das!

Arglos ist ein schutzbereiter Dritter, wenn er bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs (= Zeitpunkt des Versuchs (§ 22 StGB)) mit keinem Angriff auf das Leben oder die körperliche Unversehrtheit des zu Schützenden rechnet. Wehrlos ist, wer infolge seiner Arglosigkeit zur Verteidigung außerstande oder in seiner natürlichen Abwehrbereitschaft und Abwehrfähigkeit stark eingeschränkt ist. E war arglos, da er im Vertrauen auf die pflichtbewusste Behandlung durch T nicht mit einem Angriff rechnete. E war aufgrund seiner Arglosigkeit nicht in der Lage, dem Angriff der T entgegenzutreten oder die O in sonstiger Weise zu verteidigen.

4. T handelte in "feindseliger Willensrichtung".

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Ja, in der Tat!

Die Rechtsprechung hat den Tatbestand der Heimtücke durch das Merkmal der "feindseligen Willensrichtung" (oft auch: "feindliche Willensrichtung") eingeschränkt. An einer solchen feindseligen Willensrichtung kann es nur dann fehlen, wenn die Tat dem ausdrücklichen Willen des Getöteten entspricht oder – aufgrund einer objektiv nachvollziehbaren und anzuerkennenden Wertung – mit dem mutmaßlichen Willen des zu einer autonomen Entscheidung nicht fähigen Opfers geschieht (etwa bei Tötungen aus Mitleid und bei missglücktem Mitnahmesuizid). BGH: T handele in feindseliger Willensrichtung, da sie ihre Vorstellung über Würde und Wert des Lebens der O durchsetze (RdNr. 21).

5. T hatte Vorsatz bezüglich der heimtückischen Ausführung der Tötung (§ 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 1 StGB).

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Ja!

Der Vorsatz muss sich auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale beziehen (Umkehrschluss aus § 16 StGB). Das Mordmerkmal der "Heimtücke" ist ein tatbezogenes, objektives Mordmerkmal. T war bewusst, dass der E davon ausgeht, dass sie die O nach den Regeln der ärztlichen Kunst behandelt und dementsprechend arg- und wehrlos ist.

6. T hat die Arglosigkeit des E bewusst ausgenutzt.

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Genau, so ist das!

Zusätzlich ist erforderlich, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit erkennt und diese zur Tatbegehung ausnutzt (Ausnutzungsbewusstsein als subjektives Merkmal der Heimtücke). T hat die Arg- und Wehrlosigkeit des E erkannt und dies bewusst zur konkreten Tatbegehung ausgenutzt.

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