Schweigen auf kaufmännisches Bestätigungsschreiben
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Kaufmann K bestellt bei V telefonisch 50 Kameras zu je 140 €. V denkt, dass sie sich auf einen Kaufpreis von 150 € geeinigt hätten. V schickt K kurz darauf eine "Auftragsbestätigung" für 50 Kameras zu je 150 €. K reagiert nicht. V liefert die 50 Kameras und begehrt Zahlung von 7.500 €.
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Einordnung des Falls
Schweigen auf kaufmännisches Bestätigungsschreiben
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. K und V haben telefonisch einen Kaufvertrag über 50 Kameras zu je 140 € geschlossen.
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Nach den Grundsätzen über das kaufmännische Bestätigungsschreiben (KBS) kann ein Vertrag zustande kommen oder ein bestehender Vertrag abgeändert werden, wenn ein Kaufmann auf ein KBS schweigt.
Ja!
3. Indem K auf die Auftragsbestätigung des V nicht reagierte, hat er über die Grundsätze des kaufmännischen Bestätigungsschreibens der Änderung des Preises zu je 150 € pro Kamera zugestimmt.
Genau, so ist das!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Manuelpohle
14.11.2019, 07:17:40
Ich denke auch, dass wer ein Kaufmann am Geschäftsleben teilnimmt widersprechen kann, da er schließlich mit den Folgen des Unterlassens vertraut sein sollte...
Vulpes
10.3.2021, 18:38:19
Genau, sehe ich auch so! 👍
CD
11.1.2020, 11:59:26
Müsste die erste Frage nicht eigentlich mit "Stimmt nicht" beantwortet werden? Durch die Bestellung allein kommt doch schließlich kein KV zustande, da mEn ein versteckter Dissens bestand,so wie der Sachverhalt formuliert ist. Ich denke, dass es klarer wäre, wenn im SV stünde, dass V die Bestellung von K auch
tatsächlich angenommen hat.
gelöscht
1.4.2020, 19:23:43
Hier handelt es sich um zwei Kaufleute, bei denen gem.
§ 362 HGBein Vertrag auch nur durch eine Bestellung, also dem Zugang einer WE zustande kommt. Die WE wurde durch das Telefonat übermittelt und ist damit sofort wirksam.
gelöscht
9.7.2021, 14:44:42
Verstehe, danke :)
Dogu
22.5.2023, 13:54:50
ist doch auf Kaufverträge gar nicht anwendbar. Die Vorschrift gilt für
Geschäftsbesorgungen. Ein reiner Kaufvertrag fällt nicht darunter (BeckOK HGB/Moussa, HGB § 362 Rn. 20).
sinaaaa
2.1.2023, 16:40:21
Was ist mit der Abkürzung KBS gemeint
Lukas_Mengestu
2.1.2023, 16:50:08
Vielen Dank für die Nachfrage, sinaaaa. Hinter der Abkürzung verbirgt sich das "kaufmännische Bestätigungsschreiben", das in der zweiten Frage eingeführt wird :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
sinaaaa
2.1.2023, 16:51:49
In dem Fall davor wurde ein anderes Schema gezeigt welches eine Annahme durch Schweigen unter Kaufleuten darstellt. Welches ist nun richtig ? (Es geht um den Paragraphen 362 )
Lukas_Mengestu
2.1.2023, 17:02:42
Hallo sinaaaa, vielen Dank für die Nachfrage. Hier musst Du etwas aufpassen. In dem hier behandelten Fall geht es um das kaufmännische Bestätigungsschreiben, welches im Nachgang an einen bereits abgeschlossenen Vertrag geschickt wird. Das heißt es liegen bereits zwei ausdrückliche Erklärungen, Angebot und Annahme vor. Diese werden nur noch einmal verschriftlicht. Davon zu unterscheiden ist die Regelung in
§ 362 HGB. Hier liegt nur ein Angebot vor und der Kaufmann reagiert auf dieses durch Schweigen. In dieser Konstellation wird das Schweigen unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise als Annahmeerklärung gewertet. Es geht also nicht bloß um eine Verschriftlichung eines bereits geschlossenen Vertrages, vielmehr kommt durch das Schreiben erstmals ein Vertrag zustande. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
QuiGonTim
6.9.2023, 20:57:14
Wichtig ist in dem Zusammenhang auch, dass das KBS nicht normiert ist/nicht im Gesetz steht. Es handelt sich beim KBS um Gewohnheitsrecht, das aus einem Handelsbrauch entstanden ist.
Raphaeljura
7.5.2023, 03:54:24
Das würde bedeuten, dass es jetzt zwei Verträge über die Kameras gibt? Das geht doch nicht ?
Carl Wagner
21.5.2023, 17:52:50
Vielen Dank für deine Frage Raphaeljura! In der
Tatkam es nicht zu zwei Verträgen über die Kameras. Das KBS ändert den ursprünglichen Vertragsschluss nur ab. In der Praxis gestaltet es sich oft so, dass unklar ist, ob es zu einem Vertragsschluss kam bzw. zu welchen Bedingungen. Gerade das muss beim KBS geprüft werden (Kontakt, der ein Klarstellungsbedürfnis hinterlässt). Daher wird dann offen gelassen, ob und was für ein Vertrag mündlich geschlossen wurde. Grundsätzlich dient das KBS als Beweismittel für den geschlossenen Vertrag. Wenn aber behauptet wird, dieser gar nicht oder zumindest so nicht zustandegekommen sei, entfaltet das KBS auch eine konstitutive Wirkung. Dann folgt der Vertrag (was ggf. mit Änderungen einhergeht) unmittelbar aus dem KBS (nicht aus den Verhandlungen vorher) (vgl. siehe dazu Schärtl, JA 2007, 567, 571 unter III. Rechtsfolgen). Viele Grüße - Carl für das Jurafuchs-Team
silasowicz
19.8.2023, 13:28:00
Ich verstehe trotzdem nicht, dass es hier überhaupt noch ein Klarstellungsbedürfnis gibt, wenn die erste Frage ungeachtet der Beweisbarkeit doch eigentlich davon ausgeht, dass ein Vertrag über die Kameras zu je 140 € geschlossen wurde. Folgt man der eingeschränkten Vernehmenstheorie wäre es hier ja ohne weitere Angaben doch
tatsächlich so, dass das Angebot so angenommen wird, wenn der Erklärende (hier K) davon ausgehen durfte, dass die Willenserklärung (hier Kameras zu 140 €) richtig vernommen wurde. Mangels anderer Angaben ist das doch eigentlich der Fall. Dann verstehe ich
tatsächlich auch nicht, warum die KBS-Grundsätze überhaupt angewendet werden, da es ja bereits einen Vertragsschluss und somit kein Klarstellungsbedürfnis mehr gibt (also die Frage ist jetzt eher dogmatischer und weniger praktischer Natur). Verneint man dieses, gäbe es doch eigentlich nur den Vertrag über 50 Kameras zu je 140 €, oder?
mwally
30.12.2023, 23:36:06
Ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben fasst quasi die vorangegangene telefonische/mündliche Vertragsbesprechung zusammen. Das KBS hat damit auch eine Nachweisfunktion. Unter Kaufleuten ist das durchaus üblich.
Captain Stupid
29.1.2024, 00:31:50
Dann verstehe ich aber nicht, wieso bei Frage 1 die richtige Antwort sein soll, dass ein Vertrag über 50 Kameras zu je 140€ bereits zustande gekommen ist. K "bestellt" doch nur, und V irrt sich in seinem KBS, auf das K nicht reagiert. Also kommt ein Vertrag (über 150€ je Kamera) doch erst zustande, durch die Anwendung der Regelungen über das KBS!? Wäre das Telefonat jetzt nur die vorvertragliche Verhandlung gewesen, würde das in meinen Augen auch alles passen. Das der Vertrag durch das Telefonat bereits geschlossen sein soll, ergibt sich jedoch mE zum Einen nicht unbedingt aus dem Sachverhalt, und zum Anderen verwirrt mich das auch in Bezug auf die Anwendung der Regelungen über das KBS.
Kind als Schaden
12.4.2024, 11:45:38
Dass ein Vertrag beim Telefonat geschlossen sein soll, lässt sich nicht dem Sachverhalt entnehmen. Auch die Ausführungen in der Lösung sind zu knapp. Ich vermute jetzt einfach mal, dass der Vertrag beim Telefonat dadurch zustande kommen soll, dass Vs Wille einen Vertrag über 140€ abzuschließen iSd § 133 nicht von K erkannt wird beim Telefonat und daher über § 157 Vs telefonische Annahme als Annahme zum Preis von 150€ auszulegen ist. Problem dabei: Das ergibt sich irgendwie alles nicht aus dem Sachverhalt und auch nicht aus der Lösung.
Paulah
13.4.2024, 13:27:22
Im Sachverhalt steht "K bestellt", spätestens mit dem Bestätigungsschreiben wird klar, dass ein Kaufvertrag zustande gekommen ist (sonst hätte V ja nichts b e s t ä t i g e n können). Es geht in dem Sachverhalt nicht um den Vertragsschluss an sich, sondern um die Preisänderung und die Bestätigung derselben durch Schweigen auf das kaufmännische Bestätigungsschreiben unter Kaufleuten. K hätte widersprechen müssen und sagen müssen "wir hatten aber 140 € vereinbart". Das hat er nicht getan, deshalb ist die Preisänderung wirksam geworden und der Kaufvertrag zum Preis von 150 € zustande gekommen.
Kind als Schaden
13.4.2024, 14:09:30
Ich kann ja auch etwas bestätigen ohne, dass ein Vertragsschluss vorliegt, indem ich etwa völlig Fernliegendes bestätige. Dass es bei der Aufgabe nicht um den Vertragsschluss gehen soll "als Lerninhalt" ist offenkundig, dennoch sehe ich den Sachverhalt und die Lösung des Falls an dieser Stelle als lückenhaft an.
Nora Mommsen
19.4.2024, 12:43:22
Hallo Kind als Schaden, ich stimme Paulah an dieser Stelle zu. Bei den gegebenen Sachverhaltsinformationen kannst du davon ausgehen, dass es zu einem Vertragsschluss gekommen ist und weder ein offener noch versteckter Dissens oder ähnliches vorliegt. Etwas derartiges müsste extra dargestellt sein und, da es in der Regel Auslegung erfordert wird dann in der genauen Formulierung abgedruckt. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
juramen
31.10.2024, 16:27:57
sächlich war das aber auch ein Punkt, der mich sehr verwirrt hat... Das es am Ende wegen des Bestätigungsschreibens nicht darauf ankommt ist eine Sache. Aber hätte ich in einer Klausur prüfen müssen, ob ein Vertragsschluss vorliegt, hätte ich mich damit schwer getan, wenn V davon ausgeht, dass sie sich zu einem Preis von 150€ geeinigt hätten... Vlt. Lässt sich das in der Aufgabe einfach noch etwas präzisieren?
Antoniusius
1.11.2024, 11:31:59
Ich hatte den Sachverhalt auch zuerst so verstanden, dass schon am Telefon keine inhaltlich übereinstimmenden Willenserklärungen vorlagen. Vielleicht könnte man ja schreiben „Später irrt sich V und denkt[/erinnert], sie hätten sich auf einen Stückpreis von 150€ geeinigt.“
Dogu
7.12.2024, 15:30:59
Ich halte den Sachverhalt in der vorliegenden Form auch für missverständlich hinsichtlich dieses Punkts.
cornelius.spans
4.11.2024, 21:12:18
Widersprechen sich nicht die Voraussetzungen (4) und (6)? Einerseits wird vorausgesetzt, dass der Erklärende redlich ist, also nur unwissentlich vom Vereinbarten abweicht. Andererseits wird vorausgesetzt, dass der Inhalt des KBS nicht so stark vom
tatsächlichen Verhandlungsergebnis abweicht, dass der Erklärende vernünftigerweise nicht mehr erwarten kann, dass der andere dem zustimmt. Wenn jemand redlich ist, also nicht wissentlich abweicht kann man doch nie behaupten, dass der Erklärende vernünftigerweise nicht erwarten darf, dass der andere zustimmt. Denn der Erklärende glaubt ja, nur das bereits Vereinbarte zu bestätigen. LG
hannabuma
20.11.2024, 18:31:46
Ich vermute dieser Widerspruch lässt sich auflösen indem du in der Frage danach, ob der Absender vernünftigerweise nicht mit dem Einverständnis des Empfängers rechnen konnte, den Zeitpunkt deiner Betrachtung auf eine nachträgliche Betrachtung änderst bzw. die Frage eher als theoretische Frage siehst. Wie du schon richtig sagst, liegt keine Redlichkeit des Absenders vor, wenn er Kenntnis von der Preisabweichung zwischen Verhandlung und KBS hat. Dann kommt man auch gar nicht erst zum Prüfungspunkt (6). Wenn sich der Absender aber wie im vorliegenden Fall schlichtweg über den vereinbarten Preis irrt und damit redlich ist, kommt man zum Prüfungspunkt (6). Darunter muss dann geprüft werden, ob das Bestätigungsschreiben inhaltlich so weit vom Verhandlungsergebnis abweicht, dass der Absender vernünftigerweise nicht mit dem Einverständnis des Empfängers rechnen konnte. Bei (6) geht es aber nicht darum, ob der Absender Kenntnis von der Abweichung hat und deswegen zum ZP der Absendung des KBS aktiv und bewusst mit dem Einverständnis des Empfängers rechnet oder nicht. Vielmehr muss man das Ganze im Hinblick auf den Empfänger sehen und sich die Frage stellen, ob der abgeänderte Preis im KBS für ihn zumutbar ist oder nicht. Je nachdem, ergibt sich dann in der Argumen
tation in (6) folgendes: abgeänderter Preis im KBS ist dem Empfänger zumutbar -> Absender konnte/könnte vernünftigerweise mit Einverständnis des Empfängers rechnen (obwohl Kenntnis über Abweichung (-)) -> kein Ausschluss des KBS oder abgeänderter Preis im KBS ist dem Empfänger
nicht zumutbar, weil er zu stark vom originären Preis abweicht -> Absender konnte/könnte dann auch nicht vernünftigerweise mit Einverständnis des Empfängers rechnen -> dann Ausschluss des KBS Ich hoffe ich habe dich richtig verstanden und bin verständlich darauf eingegangen!
cornelius.spans
10.12.2024, 21:00:01
Hallo @[hannabuma](171851), vielen Dank für deine Antwort;) Ich finde den Gedanken gut, auf den Empfänger abzustellen. So könnte man die Punkte stringent prüfen. Mich stört nur weiterhin der Wortlaut zu Punkt (6), nach dem es darauf ankommt, was der Erklärende erwarten darf. Daraus ergibt sich für mich, dass man auf den Erklärenden abzustellen hat. LG
Deno
11.12.2024, 16:17:43
Ich ging irgendwie davon aus, dass Änderungen, die die essentialia negotii betreffen, nicht unerheblich sein können. Gerade bei der Anzahl an Kameras, die bestellt wurden, macht 10 Euro doch schon was aus, oder nicht? Oder kann man weiterhin davon ausgehen, dass V hier schutzbedürftig ist?
Paulah
13.12.2024, 12:13:00
V ist hier nicht schutzbedürftig, weil zwei Kaufleute den Kaufvertrag geschlossen haben. Da gelten besondere Regelungen und hier konkret, dass Schweigen auf ein Kaufmännisches Bestätigungsschreiben nach §
346 HGB als Zustimmung zu einem geänderten Antrag bedeutet.
Deno
16.12.2024, 19:12:43
Danke für die Antwort :) Ich hatte gefragt, weil ich es so gelernt hatte, dass einer der Voraussetzungen dafür, dass das Schweigen auf ein KBS eine Zustimmung darstellt, ist, dass eine wesentliche Änderung des Inhalts des
tatsächlich oder vermeintlich geschlossenen Vertrags dem Absender nicht ges
tattet ist. Deswegen war ich mir bei einer Kaufpreisänderung unsicher, weil ich sie als wesentlich einstufte.
shuckfacex
20.12.2024, 11:39:41
Mich würde
tatsächlich auch interessieren, wo die Grenze bei einer Kaufpreisänderung gezogen wird. Ist bestimmt
Einzelfallabhängig, aber es gibt doch bestimmt auch einen Richtwert?