+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

V bietet Silber "800 fein" zu €320 pro Kilo an. Da K aber Silber "1000 fein" haben will, rechnet V den Preis in Ks Anwesenheit um. Durch einen Rechenfehler kommt er zu einem viel zu günstigen Kilopreis von €360 (anstatt richtigerweise €400).

Einordnung des Falls

Offener Kalkulationsirrtum („Silberfall“)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der „offene Kalkulationsirrtum“ berechtigt immer zur Anfechtung.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Ein offener Kalkulationsirrtum liegt vor, wenn die Kalkulation nicht verborgen bleibt (verdeckter Kalkulationsirrtum), sondern zum Gegenstand der Vertragsverhandlungen gemacht wird. Das Reichsgericht ging davon aus, dass beim offenen Kalkulationsirrtum ein zur Anfechtung berechtigender „erweiterter Inhaltsirrtum“ vorliege. Dem ist der BGH entgegengetreten: Auch ein offener Kalkulationsirrtum sei grundsätzlich unbeachtlicher Motivirrtum. Allerdings kann die Auslegung (§ 157 BGB) ergeben, dass der rechnerisch richtige Preis Vertragsbestandteil geworden ist (und eine Anfechtung deshalb gar nicht nötig ist).

2. Zwischen K und V ist ein Kaufvertrag über Silber "1000 fein" zu einem Kilopreis von €360 zustande gekommen.

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Nein, das trifft nicht zu!

Das Angebot des V ist so auszulegen, wie es aus der Sicht eines objektiven Empfängers in der Position des K verstanden werden konnte (§ 157 BGB). Wegen der objektiven Widersprüchlichkeit der Preisbestimmung kann V nicht darauf vertrauen, dass sein Wille zu €400 anzubieten zum Ausdruck kam. Auch K kann nicht auf einen Vertragsschluss zu €360 vertrauen, weil er die Widersprüchlichkeit der Äußerung seines Vertragspartners bei einiger Aufmerksamkeit hätte erkennen müssen. Somit liegt Mehrdeutigkeit der Erklärung in Bezug auf die essentialia negotii vor, die zu einem Totaldissens und zur Nichtigkeit der WE führt.

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MO

Milena Ortac

9.6.2021, 16:08:52

War hier nicht das Angebot erst wirksam und hinterher hätte die WE durch eine Anfechtung vernichtet werden können? Somit wäre ja zunächst ein Kaufvertrag zustande gekommen.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

8.10.2021, 15:25:00

Hallo Juan, das Angebot des V war hier doppeldeutig. Etwas lebensnäher kann man sich das Beispiel auch mit Äpfeln vorstellen. Der Verkäufer auf dem Markt bietet 8kg Bio-Äpfel für 32 € an (also 1kg = 4 €). Nun sagt der Käufer aber, er wolle 10kg haben. Daraufhin erwidert der Verkäufer basierend auf dem ursprünglichen Angeobt, das koste 36€ (also 1kg = 3,60€). Das heißt es ist eben aus objektiver Sicht nicht klar, was nun eigentlich der Kilopreis sein soll. Deswegen kommt schon kein Kaufvertrag zustande und dieser muss somit auch nicht rückwirkend vernichtet werden. Ist es so nun etwas klarer? Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Finanztante

Finanztante

20.4.2022, 09:08:05

Gerade wenn sich die nachgefragte Menge erhöht, wird kann der Preis niedriger, oder bei geringerer Abnahme der Preis höher werden. Dazu benötigt man konkretere Angaben im Sachverhalt. Ich würde am Obststand davon ausgehen, aufgrund höherer Menge einen niedrigeren Preis zu erhalten und dies nicht als Fehler betrachten.

MI

MissKina

17.1.2022, 09:32:22

Und weshalb kommt man hier nicht, wie in dem Fall zuvor, durch Auslegung zu dem Ergebnis, dass ein unbeachtlicher Motivirrtum vorliegt und somit der richtig gerechnete Preis zum Vertragsgegenstand wird?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

17.1.2022, 18:37:42

Hallo MissKina, den entscheidenden Unterschied hat das Reichsgericht hier darin gesehen, dass die Umrechnung Teil der Vertragsverhandlungen waren (zunächst 800 fein, dann aber lieber 1000 fein). Insofern sei dieser Fall anders zu beurteilen, als der, bei dem lediglich Einzelposten zusammengerechnet werden und im Ergebnis deshalb eine Anfechtung möglich. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

JO

Jone

23.5.2022, 07:37:49

Meine Frage geht in dieselbe Richtung wie die bisherigen Kommentare: ich tue mir etwas schwer damit einzuordnen, wann die Kalkulation Vertragsbestandteil wird. Reicht hier die bloße Anwesenheit aus, während man beobachtet, dass der Verkäufer auf einem Taschenrechner „herumtippt“? Es kann doch als Käufer kaum von mir verlangt werden, die Kalkulation des Verkäufers zu hinterfragen - außer es gäbe wirklich offensichtliche Unstimmigkeiten…?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

23.5.2022, 19:50:14

Hallo Jone, vielen Dank für Deine Nachfrage. Das bloße Zuschauen bei der Kalkulation würde in der Tat nicht reichen, wenn dies bedeutet, dass V einfach eine Zahl ausspuckt. Es muss vielmehr wirklich nachvollziehbar geschehen, das heißt zB wenn er dies kommentiert, nach dem Motto: "2 x 3 macht vier". Der Käufer muss also die Chance haben zu erkennen, dass hier ein Rechenfehler vorliegt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

QU

QuiGonTim

12.9.2023, 08:30:25

Liebes Jurafuchs-Team, ihr schreibt einleitend, dass nach Ansicht des BGH der rechnerisch richtige Preis Vertragsbestandteil werden könne. Vorliegend kommt jedoch aufgrund des Dissens gar kein Vertrag zustande. Unter welchen Voraussetzungen wird denn der nicht angegebene richtige Preis Vertragsbestandteil und warum ist dies im vorliegenden Fall gerade nicht so?

MA

Markus

19.9.2023, 18:57:29

Was meinst du denn mit "der nicht angegebene richtige Preis"?


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