Offener Kalkulationsirrtum 1

5. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

V bietet K seinen gebrauchten Fiat 500 zu einem Preis von €9.000 und zusätzlich vier passende Reifen zu je €60 zum Kauf an (insgesamt €9.240). Als Gesamtpreis gibt V €9.180 an. K nimmt an. Sie hat nur die Endsumme auf dem Preisschild gelesen.

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Einordnung des Falls

Offener Kalkulationsirrtum 1

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der „offene Kalkulationsirrtum“ berechtigt immer zur Anfechtung.

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein offener Kalkulationsirrtum liegt vor, wenn die Kalkulation nicht verborgen bleibt (verdeckter Kalkulationsirrtum), sondern zum Gegenstand der Vertragsverhandlungen gemacht wird.Das Reichsgericht ging davon aus, dass beim offenen Kalkulationsirrtum ein zur Anfechtung berechtigender „erweiterter Inhaltsirrtum“ vorliege. Dem ist der BGH entgegengetreten: Auch ein offener Kalkulationsirrtum sei grundsätzlich unbeachtlicher Motivirrtum. Allerdings kann die Auslegung (§ 157 BGB) ergeben, dass der rechnerisch richtige Preis Vertragsbestandteil geworden ist (und eine Anfechtung deshalb gar nicht nötig ist).
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2. Zwischen K und V ist ein Kaufvertrag über Auto und Reifen zu €9.180 zustande gekommen.

Nein, das trifft nicht zu!

Das Angebot des V ist als empfangsbedürftige Willenserklärung so auszulegen, wie es aus der Sicht eines objektiven Empfängers in der Position des K verstanden werden konnte (§§ 133, 157 BGB).Dabei war für K eindeutig erkennbar, dass sich V bei der Berechnung des Gesamtpreises verrechnet hat. Dass V in Wirklichkeit €9.240 verlangt, ist seiner Erklärung ebenfalls zweifelsfrei zu entnehmen. Dass K nur einen Teil des Angebots (die Endsumme) wahrgenommen hat, ist hierbei unbeachtlich. Indem K das Angebot bei dieser Sachlage annimmt, kommt ein Kaufvertrag zu dem wirklich gewollten Preis (€9.240) zustande. Bei dem genannten falschen Preis handelt es sich um eine unschädliche falsa demonstratio.

3. K kann ihre Annahmeerklärung wegen eines Inhaltsirrtums anfechten (§§ 142 Abs. 1, 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB).

Ja!

K kann wegen Inhaltsirrtums anfechten, wenn Wille und Erklärung auseinander fallen. K muss also, ohne dies zu bemerken, gegenüber V aus dessen Sicht etwas anderes zum Ausdruck gebracht haben, als sie tatsächlich erklären wollte. Dies gilt selbst dann, wenn K das Angebot nicht komplett wahrgenommen hat, solange sie sich von dessen Inhalt eine bestimmte, allerdings unrichtige Vorstellung gemacht hat und dadurch bei dessen Annahme einem Irrtum unterlag. K ging fälschlicherweise davon aus, ein Angebot i.H.v. €9.180 anzunehmen, wobei der Kaufpreis objektiv bei €9.240 lag. Sie kann daher nach §§ 142 Abs. 1, 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB ihre Annahmeerklärung anfechten.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

ALE

Alex1892

11.9.2020, 08:11:29

Ich glaube die Antwort bei der zweiten Frage „Kaufvertrag zustande gekommen über den höheren Preis“ ist falsch . Die richtige Antwort müsste doch „stimmt“ sein oder ?

Der BGBoss

Der BGBoss

13.2.2021, 16:17:41

Nein, der Antrag muss nach dem

objektiven Empfängerhorizont

gemäß §§133, 157 BGB ausgelegt werden. Für einen objektiven Dritten ist hier der Preis flagrant.

SI

sinaaaa

9.1.2023, 20:02:39

Liegt hier nicht ein

kalkulationsirrtum

im Rahmen eines erklärungsirrtums vor? Warum ist von einem Inhaltsirrtum die Rede?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

11.1.2023, 13:06:07

Hallo sinaaaa, danke für deine Frage. K hat nicht kalkuliert und sich auch nicht verrechnet. Sie hat das Angebot über 9180 € angenommen in der Annahme es handle sich um den richtig berechneten Preis. Das dieser Preis falsch war, stellt also einen Irrtum über den Inhalt der Erklärung dar. Ihre Erklärung war die Annahme des des Angebots von 9000 plus 4x60€ angenommen hat. Dieser Inhalt ist nach dem

objektiven Empfängerhorizont

ermittelt und somit nicht der vermeintliche Gesamtpreis von 9180 €. Viele Grüße Nora - für das Jurafuchs-Team

BE

Bioshock Energy

27.7.2023, 11:22:30

Hallo, Ich verstehe nicht wieso es für K offensichtlich ist dass V für den höheren Preis verkaufen will. K hat ja nur das Preisschild gesehen wo der niedrigere Betrag drauf steht. Also kann sie m.A.n. nicht ahnen geschweige denn wissen, dass V für einen anderen höheren Preis verkaufen möchte. LG

Blan

Blan

8.8.2023, 11:28:39

So wie es auf dem Bild dargestellt wird (K sieht nur das Schild und V denkt sich die Berechnungsgrundlage im Kopf) ist die Berechnungsgrundlage nicht mal Teil der Willenserklärung. Hätte V gegenüber der K gesagt oder schriftlich dargelegt: "Ich verkaufe dir das Auto für 9000€ und die 4 Reifen für je 60€= falscher Betrag" dann wäre das anders zu betrachten. In dem Fall würden die Ausführungen greifen und nach §§133,157 BGB wäre es für K ersichtlich gewesen, dass V sich verrechnet hat. Aufgrund dessen, dass K das hätte erkennen müssen wäre sie nicht schutzwürdig, sodass der Grundsatz der

falsa demonstratio non nocet

greifen würde und eben ein Kaufpreis iHv 9240€ zustande gekommen wäre. Ist in diesem Fall aber anders gelagert oder vom Verfasser nur unzureichend dargestellt. Für den Leser wird hier nicht deutlich, dass V gegenüber K "Ich verkaufe dir das Auto für 9000€ und die 4 Reifen für je 60€= 9180€" geäußert hat. Das Bild vermittelt eher ein: V hat sich das gedacht.

Blan

Blan

9.8.2023, 13:03:23

Ups. Ich merke grad, dass das eine Sprechblase ist und keine Gedankenblase. Macht die oben ausgeführte Erklärung nicht falsch, aber die Kritik dann unberechtigt. Sorry :)

SvzW

SvzW

9.8.2023, 11:20:22

Hallo, ich finde aus dem Sachverhalt geht nicht eindeutig hervor das die Berechnung des Preises für K erkennbar war und es sich hier um einen offenen

Kalkulationsirrtum

handelt. Wäre schön wenn der Sachverhalt etwas klar wäre.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

19.10.2023, 14:53:34

Hallo SvzW, vielen Dank für Dein Feedback. Um unsere Sachverhalte kurz und prägnant zu halten, besteht bei Jurafuchs die Besonderheit, dass auch die Illustrationen zum Sachverhalt gehören. Aus der Illustration geht hier hervor, dass V die Berechnung K mündlich mitteilt und damit offenlegt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

QUIG

QuiGonTim

12.9.2023, 08:24:24

Liebes Jurafuchs-Team, m.E. würde sich dieser Fall mit seinen zwei Angeboten sehr gut eignen, um nochmal auf das Angebot, dessen Widerruf und möglicherweise auf den Zugang unter Anwesenden einzugehen. Würdet ihr das noch ergänzen?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

19.4.2024, 14:12:22

Hi QuiGonTim, interessanter Gedanke. Hier lag letzlich allerdings nur ein verbindliches Angebot vor (Sprechblase). Der Preis am Auto kann allenfalls als unverbindliche

invitatio ad offerendum

angesehen werden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

CAS

Captain Stupid

17.1.2024, 17:11:25

Ich kann der Argumentation nicht ganz folgen. Habe ich einen Denkfehler?? Auf dem Schild steht der Gesamtpreis von 9.180 €! Das ist ja schonmal eine klare Aussage. Der V rechnet der K jetzt sogar nochmal ausdrücklich vor, dass er 9.180 € haben will. Woher soll K jetzt wissen, dass sich V in Bezug auf den Endpreis verrechnet hat? V könnte sich doch genauso in Bezug auf den Preis eines einzelnen Reifens versprochen oder irgendetwas verwechselt haben und statt 60 € pro Reifen eigentlich 45 € pro Reifen gemeint haben. Immerhin bringt er zwei mal deutlich zum Ausdruck, dass er 9.180 € für das Auto haben will. Nach dem

Empfängerhorizont

ausgelegt sehe ich hier ganz klar eine Willenserklärung in Form eines Angebotes über 9.180 €. Dieses Angebot hat K angenommen. Sehe ich das falsch?

Paulah

Paulah

23.3.2024, 12:39:48

Ich glaube, die Zeichnung hätte anders sein müssen - nämlich mit der Rechnung für die Reifen. Dort steht aber nur der Endpreis. Somit gebe ich dir recht!

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

19.4.2024, 13:13:22

Hallo ihr beiden, mit der entsprechenden Argumentation ist hier auch ein anderes Ergebnis vertretbar (gerade mit dem Argument, dass K aufgrund der Wiederholung des auf dem Auto angeschriebenen Preises davon ausgehen konnte, dass dies der richtige Preis ist). Legt man indes den Schwerpunkt auf die Vertragsverhandlungen, so gibt V da klar an, dass er ein Auto für €9000 und 4 Reifen für €60 verkaufen will. Diese Rechnung macht er transparent, weshalb in der Lösung das Angebot dahingehend ausgelegt wird, dass es sich auf den richtigen Preis bezieht. Da es sich aber um ein Auslegungsergebnis handelt, ist wie gesagt aber auch gut vertretbar, dass ein

objektiver Dritter

nach den Gesamtumständen davon ausgehen konnte, dass V ein Verkaufsangebot zum Preis von €9180 abgegeben hat. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

JuJu13406

JuJu13406

21.7.2024, 17:12:28

Ich habe eine Frage zur Auslegung der Annahmeerklärung der K und damit zum wirksamen Inhalt ihrer Zustimmung. Dass K hätte erkennen müssen, dass V 9.240€ meinte leuchtet mir ein und ich verstehe auch, wiese das Angebot des V deshalb mit einem Preis von 9.240€ wirksam wurde. K hat aber ja erstmal nur einem Preis von 9.180€ zugestimmt und ihr Verhalten lässt erstmal auch nicht erkennen, dass sie den Rechenfehler erkannt hatte und ebenfalls 9.240€ meinte. Aus Sicht des V würde ich daher sagen, dass K wirklich nur erklärt hat, mit 9.180€ zufrieden zu sein. Dann hätte man aber ja eine nicht zum Angebot passende Annahme und ein Vertrag wäre nicht zustande gekommen. Daher meine Frage: Wie kommt man darauf, dass die Annahme der K aus Perspektive des V als Annahme zum Preis von 9.240€ auszulegen ist?

LUC1502

luc1502

26.9.2024, 12:38:02

Hi @[JuJu13406](199613), vielleicht hilft dir der Thread von @[Captain Stupid ](227614)weiter; da dürfte deine Frage beantwortet sein. LG


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