„Zwergenweitwurf“

19. Januar 2025

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Gastwirt G will einen „Zwergenweitwurf“ veranstalten. Hierfür erklärt sich der kleinwüchsige K bereit, von Gästen durch Gs Lokal geschleudert zu werden. Die Behörde versagt die Erlaubnis nach § 33 a Abs. 1 GewO. Die Veranstaltung verletze Ks Menschenwürde und sei daher nach § 33 a Abs. 2 Nr. 2 GewO sittenwidrig.

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Einordnung des Falls

„Zwergenweitwurf“

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ist für die von G geplante Veranstaltung des „Zwergenweitwurfs“ gemäß § 33a Abs. 1 S. 1 GewO grundsätzlich eine Erlaubnis erforderlich?

Ja!

Nach § 33a Abs. 1 S. 1 GewO bedarf derjenige, der gewerbsmäßig Schaustellungen von Personen in seinen Geschäftsräumen veranstaltet, der Erlaubnis der zuständigen Behörde. Der Zwergenweitwurf soll Publikum gerade aufgrund der Kleinwüchsigkeit des geworfenen K anziehen. K wird somit zur Schau gestellt. Da dies gewerbsmäßig in den Geschäftsräumen des G stattfinden soll, ist eine Erlaubnis erforderlich.
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2. Entfällt die Erlaubnispflicht für Gs Veranstaltung ausnahmsweise gemäß § 33a Abs. 1 S. 2 GewO?

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine Ausnahme für die Erlaubnispflicht gemäß § 33a Abs. 1 S. 1 GewO besteht gemäß § 33a Abs. 1 S. 2 GewO nur, wenn der sportliche, künstlerische oder artistische Charakter der Darstellung überwiegt. Zwar werden für den „Zwergenweitwurf“ gewisse artistische Fähigkeiten benötigt. Allerdings stehen diese nicht im Vordergrund. Vielmehr erfolgt das Werfen zur allgemeinen Belustigung. Diese Belustigung wird gerade durch die Kleinwüchsigkeit der Geworfenen und nicht durch dessen artistische Fähigkeiten erreicht. Der artistische Charakter überwiegt somit nicht. Die Erlaubnispflicht entfällt somit nicht gemäß § 33a Abs. 1 S. 2 GewO.

3. Die Menschenwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 GG bindet G nach überwiegender Ansicht unmittelbar als Privatperson.

Nein, das trifft nicht zu!

Nach der wohl überwiegenden Ansicht wird unter Verweis auf Art. 1 Abs. 3 GG auch hinsichtlich der Menschenwürde allenfalls eine mittelbare Drittwirkung zugelassen (zB Jarass, Schmidt am Busch). Nach ebenfalls vertretener Ansicht beinhalte die absolute Geltung der Menschenwürde dagegen auch, dass die Menschenwürde unmittelbare Geltung gegenüber privaten Dritten entfaltet (zB Herdegen, Hillgruber).Nach überwiegender Ansicht wird G hier zwar nicht unmittelbar gebunden. Allerdings ist die Erlaubnis nach § 33a Abs. 2 Nr. 2 GewO zu versagen, wenn die Schauleistungen gegen die „guten Sitten“ verstößt. Über diesen unbestimmten Rechtsbegriff entfaltet die Menschenwürde also auch hier zumindest mittelbare Drittwirkung.Das BVerfG lässt den Streit offen und spricht regelmäßig von „Ausstrahlungswirkung“ des Art. 1 Abs. 1 GG und von „Abwägung“ im Privatrecht (BVerfGE 96, 375 (398 f)).

4. Verletzen sog. „Zwergenweitwürfe“ die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) der zu werfenden kleinwüchsigen Personen?

Ja!

Art. 1 Abs. 1 GG schützt den personalen Eigenwert des Menschen. Zur Bestimmung des konkreten Gehalts der Menschenwürde wird überwiegend eine negative Abgrenzung nach der sog. Objektformel vorgenommen: Danach ist die Menschenwürde verletzt, wenn die einzelne Person zum Objekt des – typischerweise staatlichen – Handelns gemacht wird. Beim„Zwergenweitwurf“ wird der Geworfene wie ein Sportgerät gehandhabt. Dadurch wird ihm eine objekthafte Rolle zugewiesen. Diese Wirkung wird zudem durch die abwertende Bezeichnung des Geworfenen als „Zwerg“ verstärkt. Der „Zwergenweitwurf" würdigt den Geworfenen somit zum Objekt herab. Der „Zwergenweitwurf" stellt mithin eine Menschenwürdeverletzung dar.

5. Beseitigt die Einwilligung des K in den Weitwurf im konkreten Fall die Menschenwürdeverletzung?

Nein, das ist nicht der Fall!

Gemäß Art. 1 Abs. 1 GG ist die Menschenwürde unantastbar. Unantastbarkeit der Menschenwürde bedeutet, dass die Menschenwürde absolut gilt. Die absolute Geltung umfasst auch, dass die Menschenwürde unverfügbar ist. Der Einzelne kann nicht auf ihre Geltung verzichten. Auch für K ist die Menschenwürde unverfügbar. Seine Einwilligung ändert somit nichts an dem Vorliegen einer Menschenwürdeverletzung.

6. Ist die Veranstaltung des G ist im Sinne von § 33a Abs. 2 Nr. 2 GewO sittenwidrig?

Ja, in der Tat!

Ein Verhalten verstößt gegen die guten Sitten, wenn es dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspricht. Danach verstößt jedenfalls ein Verhalten, das einer im Grundgesetz verankerten grundlegenden Wertvorstellung widerspricht, gegen die guten Sitten. Bei der Menschenwürde handelt es sich um die zentrale Wertvorstellung des Grundgesetzes. Der „Zwergenweitwurf“ verletzt die Menschenwürde. Somit liegt mit Gs Veranstaltung ein sittenwidriges Verhalten vor. Die Veranstaltung eines „Zwergenweitwurfs“ durch G ist mithin sittenwidrig und nach §§ 33a Abs. 2 Nr. 2 GewO nicht genehmigungsfähig.
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