+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Comicfan C besitzt die Originalausgabe des ersten "Enten-Krimi". Dieb D stiehlt diese und veräußert sie an Sammlerin S. S glaubt, D sei der Eigentümer. S stellt die Ausgabe in ihrem Comic-Museum auf. 12 Jahre später entdeckt C diese zufällig. Er fragt sich, ob sie ihm noch gehöre.

Einordnung des Falls

Grundfall: Ersitzung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. S hat von D Eigentum an dem Comicheft erworben (§§ 929 S.1, 932 BGB).

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Nein, das trifft nicht zu!

Der Eigentumserwerb nach §§ 929 S. 1, 932 BGB setzt voraus: (1) Übereignung nach § 929 S. 1 BGB durch Übergabe vom Veräußerer, (2) Verkehrsgeschäft, (3) Fehlende Berechtigung des Veräußerers, (4) Gutgläubigkeit des Erwerbers bzgl. der Eigentümerstellung des Veräußerers (§ 932 Abs. 2 BGB), (5) Kein Abhandenkommen der Sache (§ 935 BGB). Mit Ausnahme der Verfügungsbefugnis liegen die Voraussetzungen des § 929 S. 1 BGB vor. Es besteht keine Personenidentität zwischen Erwerber (S) und Veräußerer (D) vor. Mithin ist auch ein Verkehrsgeschäft gegeben. S hat bei der Veräußerung angenommen, dass D Eigentümer sei. Allerdings wurde das Comicheft dem C gestohlen. Ein gutgläubiger Erwerb scheidet daher aus (§ 935 BGB).

2. S könnte das Eigentum an dem Comicheft durch Ersitzung erworben haben (§ 937 BGB).

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Ja!

Eigentum kann nicht nur rechtsgeschäftlich, sondern auch durch gesetzlichen Eigentumsübergang erlangt werden (§§ 937ff. BGB). Der Eigentumserwerb durch Ersitzung nach § 937 BGB setzt voraus, dass es sich (1) um eine bewegliche Sache handelt, (2) die der Erwerber der Sache mindestens zehn Jahre (3) im Eigenbesitz hat. (4) Der Erwerber muss darüber hinaus bei Erwerb des Eigenbesitzes in gutem Glauben gewesen sein und darf (5) während der zehn Jahre des Eigenbesitzes keine Kenntnis davon erlangen, dass ihm das Eigentum nicht zusteht.

3. Das Comicheft ist eine bewegliche Sache, die S für mindestens zehn Jahre im Eigenbesitz hatte (§ 937 BGB).

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Genau, so ist das!

Eine Sache ist ein körperlicher Gegenstand (§ 90 BGB). Eigenbesitz bedeutet, dass jemand eine Sache als ihm gehörend besitzt (§ 872 BGB). Eigenbesitz kann dabei sowohl in Form des unmittelbaren (§ 854 Abs. 1 BGB) als auch des mittelbaren Besitzes (§ 868 BGB) vorliegen. Bei dem Comicheft handelt es sich um eine bewegliche Sache. S hat die Sache von D erworben und sie in dem Glauben Eigentümerin zu sein in ihrem Museum ausgestellt. Sie hatte das Comicheft mithin in Eigenbesitz. Der Eigenbesitz bestand sogar nicht nur 10, sondern 12 Jahre lang.

4. S war gutgläubig, als sie den Eigenbesitz erworben hat.

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Ja, in der Tat!

Der gesetzliche Eigentumserwerb durch Ersitzung setzt voraus, dass der Erwerber bei Erwerb des Eigenbesitzes in gutem Glauben ist. Jemand ist nicht in gutem Glauben, wenn er positiv weiß oder aufgrund grobfahrlässiger Unkenntnis nicht weiß, dass ihm das Eigentum an der Sache nicht zusteht (§ 932 Abs. 2 BGB). Vorliegend war S nicht bekannt, dass D nicht Eigentümer war. Auch sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die darauf schließen lassen, dass sie dies hätte wissen müssen. Beim Erwerb des Eigenbesitzes war S daher gutgläubig.

5. S hat innerhalb der Zehn-Jahresfrist erfahren, dass ihr das Eigentum nicht zusteht.

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Nein!

Die Ersitzung ist auch bei anfänglicher Gutgläubigkeit ausgeschlossen, wenn der Erwerber zu einem späteren Zeitpunkt erfährt, dass ihm das Eigentum an der Sache nicht zusteht. Zu dem späteren Zeitpunkt schadet ausweislich des Wortlauts von § 937 Abs. 2 BGB nur positive Kenntnis. S hat während der zehnjährigen Frist nicht erfahren, dass ihr das Comicheft in Wahrheit nicht gehört.

6. S hat Eigentum an dem Comicheft durch Ersitzung (§ 937 BGB) erlangt.

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Genau, so ist das!

Der Eigentumserwerb durch Ersitzung nach § 937 BGB setzt voraus, dass es sich (1) um eine bewegliche Sache handelt, (2) die der Erwerber der Sache mindestens zehn Jahre (3) im Eigenbesitz hat. (4) Der Erwerber muss darüber hinaus bei Erwerb des Eigenbesitzes in gutem Glauben gewesen sein und darf (5) während der zehn Jahre des Eigenbesitzes keine Kenntnis davon erlangen, dass ihm das Eigentum nicht zusteht. Das Comicheft ist eine bewegliche Sache, die S zwölf Jahre lang im Eigenbesitz hatte. S war dabei weder bei Erwerb des Eigenbesitzes bösgläubig, noch hat sie während der Ersitzungszeit Kenntnis davon erlangt, dass ihr das Eigentum nicht zusteht. Sie hat das Eigentum an dem Comic daher durch Ersitzung (§ 937 BGB) erlangt.

7. Kann C von S Herausgabe des Comichefts verlangen (§ 985 BGB)?

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Nein, das trifft nicht zu!

§ 985 BGB setzt voraus, dass der Anspruchsteller Eigentümer und der Anspruchgegner Besitzer ohne Recht zum Besitz ist. Vorliegend hat C sein Eigentum dadurch verloren, dass S das Eigentum durch Ersitzung (§ 937 BGB) erlangt hat. C kann daher die Herausgabe des Comichefts nicht verlangen.

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FU

Fuchsfrauchen

12.11.2022, 23:50:44

D.h. 937 II Alt. 2 BGB gilt nur innerhalb der 10 Jahre? Weil sonst hätte S es ja "später erfahren", dass ihr das Eigentum nicht zusteht. (?)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

14.11.2022, 11:00:58

Hallo Fuchsfrauchen, nach 10 Jahren Eigenbesitz ist S Eigentümerin des Comics geworden. Folglich greift § 937 Abs. 2 Alt. 2 BGB hier nicht mehr, denn nun steht ihr das Eigentum ja aufgrund des gesetzlichen Eigentumsübergangs zu. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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