Gutgläubiger Geheißerwerb

23. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

H produziert Hemden. Schneider S hat schon mehrfach Hemdengeschäfte für H vermittelt. S schließt mit K einen Kaufvertrag in eigenem Namen über die Lieferung von Hemden und einigt sich über den Eigentumsübergang. Wie mit S abgesprochen, holt sich K die Hemden bei H ab. K verkauft die Hemden weiter.

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Einordnung des Falls

Gutgläubiger Geheißerwerb

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. H hat gegen K einen Zahlungsanspruch aus Kaufvertrag (§ 433 Abs. 2 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Zwischen H und K ist unmittelbar keine vertragliche Einigung zustande gekommen. Es kommt aber ein Vertragsschluss im Wege der Stellvertretung (§ 164 Abs. 1 BGB) in Betracht. Voraussetzung dessen ist (1) eine eigene Willenserklärung des Vertreters, (2) das Handeln des Vertreters im Namen des Vertretenen und (3) die Vertretungsmacht des Vertreters. S hat eine eigene Willenserklärung abgegeben. Allerdings handelte S nicht in Hs Namen (§ 164 Abs. 1 S. 1 BGB). S schloss ein Eigengeschäft ab (§ 164 Abs. 2 BGB). Eine wirksame Vertretung scheidet aus.
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2. H hat sein Eigentum an den Hemden dadurch verloren, dass K diese nach § 929 S. 1 BGB erworben hat.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Eigentumserwerb nach § 929 S. 1 BGB setzt voraus, dass (1) eine dingliche Einigung vorliegt, (2) die Sache übergeben wurde, (3) Einigsein zum Zeitpunkt dieser Übergabe und (4) die Verfügungsberechtigung. Eine dingliche Einigung liegt vor. Zwischen Veräußerer S und Käufer K fand zwar direkt keine Übergabe statt. Die Hemden wurden aber mithilfe der Geheißperson H an K übergeben. S und K waren sich auch über den Eigentumserwerb zum Zeitpunkt der Übergabe einig. Allerdings war S nicht der Eigentümer der Hemden, sondern H. S fehlt somit die Verfügungsberechtigung. Dass H die Hemden nicht wirklich auf Geheiß des S übergibt, spielt nach hM keine Rolle. Maßgeblich ist die Sicht des Empfängers, also des Käufer K.

3. K hat das Eigentum aber im Wege des gutgläubigen Geheißerwerbs erworben (§§ 929 S. 1, 932 Abs. 1 S. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Die Voraussetzungen des gutgläubigen Geheißerwerbs entsprechen weitgehend denen des § 929 S. 1 BGB. An die Stelle der Verfügungsberechtigung treten die Voraussetzungen des gutgläubigen Erwerbs (Verkehrsgeschäft, guter Glaube des Erwerbers, kein Abhandenkommen). Der gute Glaube rechtfertigt sich zwar grundsätzlich durch den Besitz des Verfügenden (vgl. Eigentumsvermutung aus § 1006 Abs. 1 BGB. An die Stelle des Besitzes tritt beim gutgläubigen Geheißerwerb die Besitzverschaffungsmacht des Verfügenden mittels der (Schein-)Geheißperson. Die Voraussetzungen des § 929 S. 1 BGB liegen bis auf die Verfügungsberechtigung vor. Es liegt ein Rechtsgeschäft im Sinne eines Verkehrsgeschäfts vor. S konnte K mittels H den Besitz an den Hemden verschaffen. K war insoweit zum Zeitpunkt der Übergabe in gutem Glauben an das Eigentum des S.

4. Steht H gegen K wegen der Veräußerung der Hemden ein Schadensersatzanspruch aus EBV zu (§§ 990 Abs. 1, 989 BGB)?

Nein!

Voraussetzung des Schadensersatzanspruchs ist zunächst, dass im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses ein Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (EBV, §§ 985 f. BGB) vorliegt. K ist Eigentümer der Hemden geworden. Zu dem Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses (Veräußerung der Hemden an Dritte durch K) hatte H sein Eigentum also bereits verloren. Damit liegt kein Eigentümer-Besitzer-Verhältnis vor und ein Anspruch aus EBV scheidet aus.

5. Hemdenfabrikbetreiber H hat gegen Hemdenkäufer K einen Anspruch aus Leistungskondiktion (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Leistungskondiktion setzt voraus, dass der Bereicherungsgläubiger etwas ohne rechtlichen Grund an den Bereicherungsschuldner geleistet hat. Eine Leistung ist jede bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens.Aus Sicht des (Zuwendungs-)Empfängers liegt eine Leistung des Schneiders S vor, nicht des H. S wollte durch die scheinbar veranlasste Herausgabe der Hemden durch H eine eigene Kaufvertragsschuld erfüllen. H ist aus Sicht des K nur Leistungsvermittler/Angewiesener/Geheißperson. Ein Anspruch scheidet also mangels Leistung des H aus.

6. K hat die Hemden an Dritte veräußert. Hemdenfabrikbetreiber H hat gegen Hemdenkäufer K einen Anspruch auf Herausgabe des Erlangten aus § 816 Abs. 1 S. 1 BGB.

Nein, das trifft nicht zu!

Ein Anspruch aus § 816 Abs. 1 S. 1 BGB ist gegeben, wenn eine (1) Verfügung (2) eines Nichtberechtigten vorliegt. Diese Verfügung muss (3) gegenüber dem Berechtigten wirksam sein. Hierbei kann sich eine Wirksamkeit der Verfügung ausschließlich aus einem gutgläubigen Erwerb des Verfügungsempfängers (§§ 929 S. 1, 932 BGB) oder aus einer Genehmigung (§ 185 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 BGB) der Verfügung durch den Berechtigten ergeben. Als K die Hemden an Dritte verkauft hat, hat K als Berechtigter verfügt. Schließlich hatte K zuvor gutgläubig Eigentum erworben. Der Anspruch scheidet also aus.

7. Hemdenfabrikbetreiber H hat gegen Hemdenkäufer K einen Anspruch aus Nichtleistungskondiktion (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB).

Nein!

Voraussetzungen der Nichtleistungskondiktion sind, dass der Anspruchsgegner (Bereicherungsschuldner) (1) etwas, (2) in sonstiger Weise, also nicht durch Leistung, (3) ohne Rechtsgrund erlangt hat. K hat Eigentum auf Kosten des H (durch Eingriff) und ohne Rechtsgrund erlangt. Zur Ermittlung der Leistung ist auf den Empfängerhorizont abzustellen. K hat die Hemden aus seiner Sicht durch Leistung des Schneider S erlangt. Diese vorrangige Leistungsbeziehung schließt eine Eingriffskondiktion aus. Ein Rückgriff auf K wäre nur nach den §§ 816, 822 BGB möglich, welche – wie oben gesehen – ausscheiden. Diese Subsidiarität entspricht auch den Wertungen aus §§ 932 ff., 816 BGB, § 366 HGB.
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