Referendariat

Die zivilrechtliche Urteilsklausur

Widerklage

Verkehrsunfall – Drittwiderklage des Beklagten gegen Kläger und dessen Versicherung - § 20 StVG

Verkehrsunfall – Drittwiderklage des Beklagten gegen Kläger und dessen Versicherung - § 20 StVG

21. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K (Wohnsitz: X) und B (Wohnsitz: Y) sind mit ihren Autos im Straßenverkehr in Y zusammengestoßen. K erhebt Klage gegen B auf Schadensersatz in Y. B erhebt eine ebenfalls auf Schadensersatz gerichtete Widerklage gegen K und dessen Versicherung V (Sitz: Z). V hat nichts dagegen.

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Einordnung des Falls

Verkehrsunfall – Drittwiderklage des Beklagten gegen Kläger und dessen Versicherung - § 20 StVG

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ks Klage ist zulässig.

Ja!

Nach §§ 12, 13 ZPO ist grundsätzlich das Gericht, bei dem eine Person ihren allgemeinen Gerichtsstand hat, für alle gegen sie gerichteten Klagen zuständig. Der allgemeine Gerichtsstand einer natürlichen Person befindet sich an deren Wohnsitz. Der Wohnsitz des B ist in Y. Das Gericht in Y ist örtlich zuständig.
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2. Das Gericht in Y ist für die Widerklage gegen K örtlich unzuständig.

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach §§ 12, 13 ZPO ist grundsätzlich das Gericht, bei dem eine Person ihren allgemeinen Gerichtsstand bzw. ihren Wohnsitz hat, für alle gegen sie gerichteten Klagen zuständig. Nach § 33 ZPO ist bei einer Widerklage zusätzlich das Gericht der Klage zuständig, wenn der Gegenanspruch mit dem in der Klage geltend gemachten Anspruch oder mit den gegen ihn vorgebrachten Verteidigungsmitteln in Zusammenhang steht (= Konnexität). Der Klage- und der Widerklageanspruch basieren beide auf dem gleichen Verkehrsunfall. Der nötige Zusammenhang besteht daher, weshalb das Gericht in Y auch für die Widerklage örtlich zuständig ist.

3. Die Widerklage gegen K ist zulässig.

Ja, in der Tat!

Eine Widerklage ist zulässig, wenn neben den allgemeinen auch die besonderen Prozessvoraussetzungen vorliegen. Diese sind (1) die Rechtshängigkeit der Klage, (2) die gleiche Prozessart von Klage und Widerklage, (3) die Parteiidentität bei Klage und Widerklage, (4) die Konnexität zwischen Klage und Widerklage und (5) das Nichtbestehen eines gesetzlichen Verbots der Widerklage. Das Gericht in Y ist örtlich zuständig. Die Klage des K war bei Erhebung der Widerklage rechtshängig. Klage und Widerklage sind konnex und unterliegen der gleichen Prozessart. Ferner sind ihre Parteien identisch. Ein gesetzliches Verbot der Widerklage besteht nicht.

4. Das Gericht in Y ist auch für die Drittwiderklage gegen die V örtlich zuständig.

Ja!

Nach §§ 12, 13 ZPO ist grundsätzlich das Gericht, bei dem eine Person ihren allgemeinen Gerichtsstand bzw. ihren Wohnsitz hat, für alle gegen sie gerichteten Klagen zuständig. Nach § 20 StVG ist für Klagen, die auf Grund des StVG erhoben werden, auch das Gericht zuständig, in dessen Bezirk das schädigende Ereignis stattgefunden hat. Mit seiner Widerklage möchte B Ansprüche geltend machen, die auf dem StVG basieren (§§ 7, 18 StVG iVm § 115 Abs. 1 VVG). Das schädigende Ereignis war der Zusammenstoß. Dieser ereignete sich in Y. Ob § 33 ZPO analog einen besonderen Gerichtsstand für die Drittwiderklage begründet, ist umstritten und wird überwiegend abgelehnt. Sofern bereits nach anderen Vorschriften die örtliche Zuständigkeit begründet ist, solltest Du hierauf nicht eingehen (Schwerpunktsetzung!).

5. Im Hinblick auf die parteierweiternde Drittwiderklage gegen V müssten auch die besonderen Prozessvoraussetzungen vorliegen.

Genau, so ist das!

Die besonderen Prozessvoraussetzungen liegen bei einer parteierweiternden Widerklage vor, wenn sie (1) sich zumindest auch gegen den Kläger richtet (Parteiidentität), (2) die Voraussetzungen einer Parteierweiterung auf Beklagtenseite erfüllt und (3) konnex zur Klage ist (§ 33 ZPO analog). Eine Parteierweiterung auf Beklagtenseite ist zulässig, wenn (a) nach §§ 263, 267 ZPO analog der neue Beklagte zustimmt oder das Gericht sie für sachdienlich hält (=Klageänderung) und (b) die dadurch entstehende Streitgenossenschaft zwischen Kläger und Drittwiderbeklagtem nach §§ 59, 60 ZPO analog und (c) die ebenfalls entstehende Klagehäufung nach § 260 ZPO analog zulässig ist.

6. Ist die parteierweiternde Drittwiderklage gegen V zulässig.

Ja, in der Tat!

Eine parteierweiternde Drittwiderklage ist zulässig, wenn auch die besonderen Prozessvoraussetzungen vorliegen. Sie muss (1) sich zumindest auch gegen den Kläger richtet, (2) die Voraussetzungen einer Parteierweiterung auf Beklagtenseite erfüllen und (3) konnex zur Klage sein (§ 33 ZPO analog). Die Widerklage des B richtet sich auch gegen K. Die Zustimmung des V liegt vor (§ 263 ZPO analog). Die so entstandene Streitgenossenschaft zwischen K und V ist nach § 59 ZPO analog zulässig, da beide aufgrund desselben Unfalls haften. Ferner ist für beide Widerklagen dasselbe Prozessgericht zuständig und dieselbe Prozessart einschlägig (§ 260 ZPO). Klage und Drittwiderklage sind zudem konnex (§ 33 ZPO analog).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

TAT

Tat

5.4.2024, 00:49:13

In Frage 2 wird die örtliche Zuständigkeit des Gerichts auf die Konnexität (§ 33 ZPO) gestützt anstatt auf § 20 StVG, obwohl ja nur „im Notfall“ auf § 33 ZPO zurückgegriffen werden soll.

TI

Timurso

5.4.2024, 10:43:45

Woher entnimmst du, dass man nur im Notfall auf § 33 ZPO zurückgreifen soll? § 33 ZPO steht als besonderer Gerichtsstand gleichwertig neben dem besonderen Gerichtsstand aus § 20 StVG. Das sagt § 35 ZPO.

TAT

Tat

5.4.2024, 10:56:12

„Im Notfall“ ist etwas überspitzt formuliert. Im letzten Fall bei Level 123 ist im vergleichbaren Fall darauf hingewiesen worden, dass sich die örtliche Zuständigkeit aus § 20 StVG ergebe. Ein Rückgriff auf 33 ZPO (zumal nicht unumstritten) bedürfe es nicht. Auf die Konnexität sei also erst bei den besonderen Prozessvoraussetzungen einzugehen. Und auch sonst wird durchgehend suggeriert, dass lediglich dann auf 33 ZPO als örtliche Zuständigkeitsvorschrift zurückgegriffen werden soll, wenn sich die örtliche Zuständigkeit aus keiner anderweitigen Vorschrift ergibt. Deshalb bin ich in diesem Fall darüber gestolpert. :-)

PI

Pit

28.7.2024, 10:50:02

Ich verstehe es auch so wie @[Tat](225189). Bei Verkehrsunfällen ist § 20 StVG als lex specialis hinsichtlich des Gerichtsstands vorrangig gegenüber § 33 ZPO.


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