Durchlieferung 1: Zweitkäufer ist Unternehmer

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Großhändler G kauft von Hersteller H 500 Fernseher. Wegen Gs begrenzten Lagerkapazitäten liefert H für G direkt 50 Fernseher an Gs Kunden, Elektrogeschäft-Inhaber I. I meldet drei Wochen später die mangelnde Funktionstüchtigkeit bei G. G meldet dies H sofort.

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Einordnung des Falls

Durchlieferung 1: Zweitkäufer ist Unternehmer

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ein Verstoß des G gegen seine Rügeobliegenheit gegenüber H liegt bereits darin, dass G die Ware nicht untersucht hat (§ 377 Abs. 2 HGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Kommt der Käufer seiner Untersuchungsobliegenheit nicht nach, so knüpft das Gesetz daran erst einmal keine Rechtsfolgen. Lediglich die verspätete Rüge, also der Verstoß gegen die Rügeobliegenheit, führt zur Genehmigung der Ware (§ 377 Abs. 2 BGB), nicht aber die unterlassene Untersuchung.Im Falle der offenen Mängeln ist eine rechtzeitige Rüge ohne vorherige Untersuchung der Ware in der Regel allerdings schwer vorstellbar. Hier führt die Verletzung der Untersuchungsobliegenheit regelmäßig zumindest mittelbar zur Präklusion.
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2. Maßgeblich für die Bestimmung der Rügefrist ist die Frage, ob ein offener oder ein versteckter Mangel vorliegt.

Ja, in der Tat!

Offene Mängel treten bei einer Untersuchung, die den Anforderungen des § 377 Abs. 1 HGB entspricht, sofort zutage. Sie sind deshalb regelmäßig innerhalb von bis zu einer Woche zu rügen (§ 377 Abs. 1 HGB). Verdeckte Mängel sind dagegen solche, die bei einer ordnungsgemäßen Untersuchung nicht entdeckt worden sind bzw. bei einer hypothetischen Untersuchung mit Sicherheit nicht entdeckt worden wären. Sie sind unverzüglich (vgl. § 121 Abs. 1 S. 1 BGB) nach der tatsächlichen Entdeckung zu rügen (§ 377 Abs. 3 HGB). Hier lag ein Mangel in der Funktionstüchtigkeit der Fernseher vor. Diesen Mangel hätte K bei einer eigenen Untersuchung entdeckt. Es liegt ein offener Mangel vor.

3. Da H die Ware direkt an I geliefert hat, hatte G diese zu keinem Zeitpunkt selbst in der Hand. Ändert dies etwas an dem relevanten Startzeitpunkt der Frist?

Nein!

Bei einem offenen, nur mit Untersuchung erkennbaren Mangel, umfasst die Gesamtfrist für den Käufer grundsätzlich (1) den erforderlichen Zeitraum für die Untersuchung und (2) den erforderlichen Zeitraum zur Übermittlung der Mängelanzeige. Die Untersuchungsfrist als erster Bestandteil der Gesamtfrist beginnt mit Ablieferung der Sache, soweit dies nach ordnungsmäßigem Geschäftsgang tunlich ist, § 377 Abs. 1 HGB. Beim Streckengeschäft, bei dem der Verkäufer die Ware unmittelbar an den Abnehmer des Käufers liefert, liegt Ablieferung vor, wenn die Kaufsache an den Zweitkäufer als Empfänger ausgeliefert worden ist. Die Untersuchung ist beim Streckengeschäft auch nach ordnungsmäßigem Geschäftsgang tunlich. Da die Ablieferung an den Zweitkäufer im Interesse und auf Bitten des Erstkäufers erfolgt, wäre es unbillig, hieran ein Entfallen der Untersuchungs- und Rügeobliegenheiten des Erstkäufers anzuknüpfen. Ein Streckengeschäft ändert damit nichts am Bestehen der Untersuchungs- und Rügeobliegenheiten zwischen Erstverkäufer und Erstkäufer. Der Erstkäufer ist also darauf angewiesen, dass der Zweitkäufer die Ware rechtzeitig untersucht und ihm Mängel meldet, sodass er diese noch rechtzeitig an den Erstverkäufer weitergeben kann. Nach Lieferung des H an I begann Gs Untersuchungsfrist zu laufen. Nach deren Ende startete die Frist zur Übermittlung der Mängelanzeige. Bestehen und Startzeitpunkt der Rügefrist sind somit durch das Streckengeschäft unverändert.

4. Kann G gegenüber H noch Mängelgewährleistungsrechte geltend machen?

Nein, das ist nicht der Fall!

G hat den Mangel an den Fernsehern erst drei Wochen nach der Lieferung an I gemeldet. Hier liegt ein offener Mangel vor. Dies ist im Interesse der Schnelligkeit des Handelsverkehrs für die Untersuchung und zur Übermittlung der Mängelanzeige zu lang. Auch unter Berücksichtigung der zusätzlichen Zeit aufgrund der Doppelung der Informationswege beim Streckengeschäft lässt sich zusammengerechnet keine Fristdauer von drei Wochen rechtfertigen. Die Meldung war damit nicht rechtzeitig i.S.d. § 377 Abs. 1 HGB. Die Meldung erfolgte zwar nur deshalb so spät, weil Gs Abnehmer I den Mangel seinerseits nicht rechtzeitig an G gemeldet hatte. Diese Obliegenheitsverletzung des I ist G aber nach h.M. als eigene zuzurechnen (§ 278 BGB analog). Dem Lieferanten sollen nicht dadurch Nachteile erwachsen, dass er dem Zwischenhändler mit der Direktlieferung an den Zweitkäufer entgegengekommen ist.

5. Kann G seinerseits von I in Anspruch genommen werden?

Nein, das trifft nicht zu!

Es handelt sich hier um einen offenen Mangel, der nach § 377 Abs. 1 HGB unverzüglich zu rügen ist. I hat erst drei Wochen nach Ablieferung gerügt und damit ebenfalls verspätet. Damit sind auch seine Gewährleistungsansprüche gegenüber G nach § 377 Abs. 2 HGB erloschen.

6. Auch für die Dauer der Rügefrist spielt das Streckengeschäft keine Rolle.

Nein!

Bei einem offenen, nur mit Untersuchung erkennbaren Mangel, umfasst die Gesamtfrist für den Käufer grundsätzlich (1) den erforderlichen Zeitraum für die Untersuchung und (2) den erforderlichen Zeitraum zur Übermittlung der Mängelanzeige. Beim Streckengeschäft ist aber zu bedenken, dass zunächst der Zweitkäufer den Erstkäufer von dem Mangel in Kenntnis setzen muss und der Erstkäufer sich erst dann mit der Mängelrüge an den Erstverkäufer wenden kann. Diese Doppelung der Informationswege kostet zusätzliche Zeit. Selbst wenn der Zweitkäufer also rasch untersucht und rügt, kann die Absendung der Anzeige an den Erstverkäufer regelmäßig nicht so früh erfolgen wie ohne Streckengeschäft. Da sich der Erstverkäufer auf dieses eingelassen hat, würde er widersprüchlich handeln, wenn er gleichwohl eine ebenso schnelle Mängelrüge erwarten würde. Daher ist für die Gesamtfrist neben (1) und (2) die durch die Doppelung der Informationswege erforderliche zusätzliche Zeit als dritter Punkt in die Gesamtfrist mit einzuberechnen. Die Anzeige des Erstkäufers ist deshalb auch dann noch unverzüglich, wenn der Zweitkäufer die Anzeige unverzüglich an den Erstkäufer absendet und dieser dann seinerseits unverzüglich gegenüber dem Erstverkäufer rügt. Dabei ist dem Erstkäufer im Interesse der Schnelligkeit des Handelsverkehrs keine zu große Zeitspanne einzuräumen. Er muss grundsätzlich auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der Anzeige des Zweitkäufers vertrauen und sie zur Grundlage seiner eigenen Mängelrüge machen. Weitere Nachfragen, Ergänzungen oder gar eine eigene Untersuchung des Erstkäufers sind nur in Ausnahmefällen erforderlich. Regelmäßig wird sich die Frist daher nur um 1-2 Werktage verlängern.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

BE

Bioshock Energy

27.8.2024, 14:44:45

Hat hier der Zweitkäufer nicht seinerseits eine Rügeobliegenheit gegenüber dem Verkäufer? Dieser ist er (Zweitkäufer) hier vorliegend ja nicht nachgekommen, weshalb er selbst keine Gewährleistungsrechte gegenüber dem Verkäufer geltend machen kann und der Verkäufer somit nicht beim Lieferanten Regress nehmen kann. Somit entstehen dem Lieferanten auch kein Nachteile im konkreten Fall, selbst wenn man einen Verstoß des Verkäufers gegen die Rügeobliegenheit verneinen würde. Das Argument für die analoge Anwendung des § 278 BGB würde somit nicht passen. kann jemand meine Bedenken Teilen oder habe ich einen Gedankenfehler?

Tobias Krapp

Tobias Krapp

2.9.2024, 23:07:13

Hallo Bioshock Energy, danke für deine Nachfrage. Zwar ist es richtig, dass der Zweitkäufer (I) sich an den Erstkäufer (G) hier nicht halten kann, da er selbst Kaufmann ist und seinerseits die Rügeobliegenheit verletzt hat. Das würde aber nicht zwingend dazu führen, dass der Erstkäufer G keine Ansprüche gegen den ursprünglichen Verkäufer (H) hätte. Die hier nicht gegebenen Regressansprüche sind nur ein denkbarer Ersatzposten, ebenso denkbar für G wäre zB ganz "normale" Minderung nach § 437 Nr. 2,

441 BGB

gerichtet auf den Minderwert der Sache. Dass der Erstkäufer G den Gegenstand selbst weiterverkauft hat wäre insoweit irrelevant. Es besteht also dennoch durchaus ein Schutzbedürfnis für den ursprünglichen Verkäufer, auch hier trägt daher das Argument für die analoge Anwendung von § 278 BGB. Ich hoffe, das hat weitergeholfen! Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias


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