Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
BT 2: Diebstahl, Betrug, Raub, u.a.
Schlüssel als Raubmittel?
Schlüssel als Raubmittel?
26. Juli 2023
17 Kommentare
4,7 ★ (78.995 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T will die O in ihrer Wohnung ausrauben. Dazu hält er ihr einen in seiner Jackentasche verborgenen Schlüssel vor. O soll ihn für ein Messer halten und tut das auch. Bei Widerstand würde T das "Messer" benutzen. O deutet auf ihre Geldbörse, aus der T sich 15 € nimmt und verschwindet.
Diesen Fall lösen 92,0 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Schon der „Labellofall“ hat uns gelehrt, dass ein offensichtlich ungefährlicher Gegenstand nicht zur Überwindung des Widerstands eines Dritten genügt. Aber wie sieht es bei einem Schlüssel aus? Der Schlüssel sei keine Waffe im technischen Sinne. Dieser sei vielmehr zur Bedienung von Verschlussmechanismen und nicht als Angriffsmittel bestimmt. Auch sei ein Schlüssel nicht geeignet, erhebliche Verletzungen herbeizuführen und sei somit auch kein gefährliches Werkzeug. Allerdings sei ein Schlüssel geeignet, eine Drohwirkung zu erzeugen, da er als Schlag- oder Stoßwerkzeug eingesetzt werden könne. Der Schlüssel sei deshalb ein sonstiges Werkzeug.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Sind die 15€ aus der Geldbörse der O für T fremde bewegliche Sachen (§ 249 Abs. 1 StGB)?
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Stellt der Raub (§ 249 Abs. 1 StGB) ein zusammengesetztes Delikt dar?
Ja, in der Tat!
3. Hat T die 15€ weggenommen (§ 249 Abs. 1 StGB)?
Ja!
4. O deutete auf ihre Geldbörse und leistete keinerlei Widerstand. Was sie war mit der Wegnahme einverstanden?
Nein, das ist nicht der Fall!
5. Setzte T das Nötigungsmittel zum Zweck der Wegnahme ein (§ 249 Abs. 1 StGB)?
Ja, in der Tat!
6. Hat T ein Nötigungsmittel eingesetzt (§ 249 Abs. 1 StGB)?
Ja!
7. Hat T auch den subjektiven Tatbestand erfüllt (§ 249 Abs. 1 StGB)?
Genau, so ist das!
8. Ist der Schlüssel eine Waffe im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 1a StGB?
Nein, das trifft nicht zu!
9. Ist der Schlüssel nach Ansicht des BGH ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 1a StGB?
Nein!
10. Ist der Schlüssel nach Ansicht des BGH ein sonstiges Werkzeug oder Mittel im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB?
Genau, so ist das!
11. Erfüllt T auch subjektiv den § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB?
Ja, in der Tat!
Fundstellen
Prüfungsschema
Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen schweren Raubes (§ 250 Abs. 1 StGB)?
- Objektiver Tatbestand
- Verwirklichung des Grundtatbestandes § 249 StGB
- Qualifikation des § 250 Abs. 1 StGB:
- Nr. 1a: Beisichführen einer Waffe oder eines sonstigen gefährlichen Werkzeuges
- Nr. 1b: Beisichführen eines sonstigen Werkzeugs oder Mittels
- Nr. 1c: Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung
- Nr. 2: Bandenraub
- Subjektiver Tatbestand
- Vorsatz
- Nr. 1b: Verwendungsabsicht
- Nr. 1c: Gefährdungsvorsatz
- Rechtswidrigkeit
- Schuld
- § 250 Abs. 3 StGB: Minder schwerer Fall
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
18 Punkte Kandidat
21.3.2022, 02:43:07
Man könnte hier noch darauf hinweisen, dass ein Betrug trotz Täuschung nicht vorliegt, da durch die Täuschung die
Drohungerst erfolgt und die Täuschung nicht etwa neben die
Drohungtritt.

Lukas_Mengestu
22.3.2022, 11:07:32
Hallo 18 Punkte Kandidat, der Betrug ist hier in der Tat aus vielerlei Gründen fernliegend. Insbesondere handelt es sich dabei um ein Selbstschädigungsdelikt, da er eine
Vermögensverfügungdes Opfers voraussetzt. Auch daran fehlt es hier. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Juraluchs
1.7.2023, 12:35:04
Dass die Freiwilligkeit bei jedem
Nötigungsmittel ausscheidet, wie suggeriert, stimmt nicht. Vielleicht müsste man hier nochmal die Formulierung anpassen.
gottloser Vernunftsjurist
8.11.2023, 22:09:14
Hallo, wäre es nicht angebracht, in der Frage noch eine Vertiefung zu den vertretenden Ansichten zur Qualifizierung eines gefährlichen Werkzeuges hinzufügen? Immerhin ist das doch nun wirklich ein Standardproblem und kommt mir hier zu kurz. Oder ist das bei Jurafuchs normal, dass keine anderen Ansichten außer der hM besprochen werden?
studyfuchs2
29.11.2023, 20:30:30
Wenn ich mich nicht irre, ist ein solcher Vertiefungshinweis jetzt vorhanden, aber ja, in der Regel findet man hier nur h.M., alles andere würde vermutlich sonst auch den Rahmen sprengen 😅
ehemalige:r Nutzer:in
2.2.2024, 08:27:33
Sorry für die dumme Frage, aber wieso liegt hier eine Wegnahme vor? Nach Rspr.-Ansicht hat das Opfer die
Geldbörse doch viel mehr weggegeben. Und nach der Lit. bestand doch auch noch eine „Restfreiwilligkeit“, sodass eine Wegnahme ausscheiden würde. Kann‘s mir jemand erklären?
Leo Lee
3.2.2024, 21:00:10
Hallo LKWeisser, überhaupt keine dumme Frage, sondern eine SEHR GUTE und WICHTIGE; denn das Problem mit Wegnahme-Weggabe für die Abgrenzung Raub-räuberische
Erpressungist eins, was Juristen fast ein Leben lang begleitet :)! Zunächst mal ist deine Ansicht sehr gut nachvollziehbar: Opfer „deutet“ auf die
Geldbörse hin, weshalb sie dafür „mitsorgt“, dass der Täter die Börse wegnehmen kann, weshalb eine WegGABE vorliegt. Allerdings argumentiert die Rechtsprechung an dieser Stelle weniger „sophistiziert“ als du. Der BGH guckt sich nämlich „stumpf“ nur das äußere Geschehen an. Hier zählt nur, ob das Opfer die Sache PHYSISCH weggibt oder der Täter die Sache PHYSISCH wegnimmt. Hier schauen wir uns also an: Hat der Täter die
Geldbörse GENOMMEN, oder hat die Oma diese GEGEBEN (also rein physisch)! Vorliegend hat zwar die Oma auf die
Geldbörse gezeigt; PHYSISCH allerdings hat der Täter diese
Geldbörse genommen, weshalb eine WegNAHME vorliegt. Hätte die Oma die
Geldbörse selbst geholt und gegeben, läge nach der Rspr. wiederum eine WegGABE vor (weil das Opfer PHYSISCH die Börse weggibt). Hinsichtlich der Restfreiwilligkeit: Damit diese vorliegt, muss das Opfer denken, dass der Täter ohne dessen Hilfe sein Ziel nicht erreichen wird (etwa dann, wenn die Sache im Tresor liegt und der Täter das Passwort braucht oder die Sache sehr gut versteckt ist und deshalb nur das Opfer wissen kann, wo sich diese befindet). Hier hingegen liegt die Börse auf dem kleinen Tisch neben der Oma und dem Täter, weshalb der Täter im Zweifel auch ohne die Oma die Sache nehmen wird (womit es keine Restfreiwiligkeit gibt – Oma ist „nicht wichtig“ für die Wegnahme durch den Täter). Folglich läge auch nach der Literaturansicht eine Wegnahme vor. Um nochmal auf die erste Frage zurückzukommen: Weil der Täter also die
Geldbörse letztlich physisch selbst GENOMMEN hat, liegt eine Wegnahme vor. Zu diesem Streitstand gibt es bei uns ein tolles Kapitel, das du hier findet: https://applink.jurafuchs.de/D7ygQGMTSGb! Wie du siehst, ist die Sache sehr kompliziert, weshalb deine Frage sehr berechtigt und vor allem ÜBERHAUPT NICHT „dumm“ war! Falls dir mehr Fragen aufkommen: Her damit! Ergänzend kann ich i.Ü. die Lektüre von MüKo-StGB 4. Auflage, Sander § 249 Rn. 7 ff. sehr empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

sy
4.10.2024, 18:03:53
Hey Leo, super erklärt erst mal :) jetzt aber noch eine aufbauende Frage: wenn du in deinem Beispiel aufführst, dass die Rspr. dann ein WegGeben vorsieht, wenn die Omi physisch das
Geldin die Hand nimmt und es dem T übergibt, wie sieht es denn an dieser Stelle mit der Prüfung aus ? Würde ich hier dann bei 249 rausfliegen, weil der BGH ja sagt, dafür muss eine wegnahme vorliegen, und würde dann aber den 253,255 annehmen, weil der BGH in jedem Raub ein 253 sieht ? Und wie würde die h.L es hier lösen.. also ich bin in Paar Tagen Volljuristin aber dieser blöde blöde Meinungsstreit will mich einfach nicht in Frieden lassen :D
agi
17.10.2024, 01:33:15
@[sy](30718) genau die Rspr. Würde dann aufgrund der fehlenden Wegnahme den 249 ablehnen und mit der Prüfung des 253,255 starten, die h.L. Geht ja nach der inneren Willensrichtung des O aus, dachte sich das O es hat keine andere Alternative, dann liegt eine Wegnahme vor, sieht sich das O als Schlüsselperson und sieht ne Alternative, dann liegt eine Weggabe 253,255 vor.

Kiara256
22.10.2024, 13:57:45
Einmal ein dickes Danke an die Fragen und Antworten unter der Aufgabe! Hat das ganze nochmal schön illustriert! Habe es gleich besser verstanden :)

Major Tom(as)
21.11.2024, 10:52:23
Ist zwar nichts inhaltliches, aber @[sy](30718): Herzlichen Glückwunsch zum 2. Examen! :)

Juliaaaaaaaaaaaa
9.10.2024, 14:49:14
Warum ist § 250 II Nr. 1 nicht erfüllt, wenn man, nach dem BGH, annimmt, dass der Schlüssel geeignet ist Verletzungen hervorzurufen?
agi
17.10.2024, 01:26:59
@[Juliaaaaaaaaaaaa](261022) weil es sich bei einem Schlüssel „nur“ um ein „sonst ein Werkzeug oder Mittel“ handelt. Für den Abs.2 benötigt man aber eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug
Roxxin
24.3.2025, 12:07:38
Wieso ist es kein anderes gefährliches Werkzeug?
Rechtsanwalt B. Trüger
12.2.2025, 10:41:32
Ist hier in Bezug auf den Schlüssel als sonstiges Mittel auch eine a.A. vertretbar? Ich sehe es nicht wirklich so, dass ein herkömmlicher Schlüssel dazu geeignet ist als Schlag- oder Stoßmittel eingesetzt zu werden, insbesondere, wenn er nicht an einem Schlüsselbund oder ähnlichem hängt

JulyLande
3.3.2025, 16:09:44
Ich sehe das genauso bzw. würde sogar soweit gehen zu sagen, dass die Rpr. im zitierten Urteil verfehlt ist. Sie zeigt einmal wieder die Problematik des ausufernden abstrakt-objektiven Verständnisses der Rpr. Das Holzstück, bei dem man hier nicht zur Bejahung des Tatbestands gekommen wäre, ist sicherlich auch als Schlagmittel gefährlich, wenn man nur hart genug zuhaut.. Nach der Labello-Rpr. sind Gegenstände vom Tatbestand auszunehmen, "deren Täuschungseffekt nicht im Erscheinungsbild des wahrgenommenen Gegenstandes selbst besteht und die daher den "Schein einer Waffe nicht begründen" können", sondern allein durch die Täuschungswirkung erzielen, dass das Opfer (unwahre) Erklärungen oder konköudente Vorspiegelungen des Täters über die Eigenschaften des Gegenstands ernst nimmt (Fischer, § 250 Rz. 10a). Wenn man unseren Fall darunter subsumieren würde, muss man doch zu dem Ergebnis kommen, dass der Tatbestand eben NICHT erfülllt ist. Von der Gefährlichkeit des Schlüssels hätte sich das Opfer wohl nicht einschüchtern lassen, deshalb wurde ja vom Täter gerade getäuscht, es sei ein Messer. Dann trotzdem den Tatbestand zu bejahen, obwohl der Schlüssel für sich genommen bei lebensnaher Betrachtung wohl auf keinen Fall als bedrohlich empfunden worden wäre, weil der Schlüssel abstrakt-objektiv gefährlich sein soll? Für mich überhaupt nicht nachvollziehbar. Solche vollkommen unintuitive und lebensfremde Rechtsprechung sind der Grund, warum Strafrecht dann auch mal keinen Spaß machen kann (natürlich nur meine Meinung). LG
lexspecialia
18.3.2025, 17:57:05
ich sehe das genau so wie mein Vorgänger @[JulyLande](275260) und würde den Schlüssel eher als scheinuntaugliche Waffe qualifizieren. Also Ein gegenstand, der nicht aussieht wie eine Waffe und dessen Be
drohungswirkung nur aus Täuschung, Schauspielerischen Talent des Täters folgt. Würde das Opfer den Schlüssel sehen hätte es keine objektive Be
drohungswirkung wie zbsp eine echt aussehende spielzeugwaffe, die als scheinwaffe schon unter § 250 I Nr. 1b StGB als sonst ein werkzeug angesehen werden könnte.