Deckungskauf nach Mahnung, aber vor Fristablauf

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Influencer K bestellt bei Versandhändlerin V am Black Friday (26.11.) ein Ringlicht für €10. Da V nicht liefert, mahnt er V am 6.12. und setzt eine Nachfrist bis zum 12.12. Da ihm ein Verdienstausfall von €500 droht, besorgt er sich bereits am 10.12. für €50 ein anderes Ringlicht und verlangt hierfür am selben Tag Schadensersatz.

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Einordnung des Falls

Deckungskauf nach Mahnung, aber vor Fristablauf

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Indem V das Ringlicht nicht an K geliefert hat, hat sie ihre kaufvertraglichen Pflichten verletzt.

Genau, so ist das!

Bei einem Kaufvertrag schuldet der Verkäufer Übergabe und Übereignung des Kaufgegenstandes (§ 433 Abs. 1 BGB). Sofern die Parteien keine Vereinbarung bezüglich der Fälligkeit getroffen haben, ist die Leistung sofort fällig (§ 271 BGB). Dem Schuldner ist jedoch nach Treu und Glauben eine angemessene Zeitspanne für die Leistungserbringung einzuräumen (§ 242 BGB)V war aufgrund des abgeschlossenen Vertrages verpflichtet, das Ringlicht sofort nach Hause zu schicken. Die Leistung war somit fällig. Da sie das Ringlicht nicht versandt hat, hat sie ihre Leistungspflicht verletzt.
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2. Nach der herrschenden Meinung kann K die Kosten des „verfrühten“ Deckungskaufs nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen der §§ 280 Abs. 1, 3, 281 BGB verlangen.

Ja, in der Tat!

Nach der herrschenden Auffassung liegt beim Deckungskauf ein Schaden statt der Leistung dar, da sie funktional an die Stelle der Leistung treten bzw. der Schaden in Form der Nichtleistung durch eine rechtzeitige Nacherfüllung entfiele.

3. Als K am 10.12. Schadensersatz verlangt, liegen die Voraussetzungen des Schadensersatzes wegen Nichtleistung vor (§§ 280 Abs. 1, 3, 281 Abs. 1 BGB).

Nein!

Der Schadensersatzanspruch wegen Nichtleistung (§§ 280 Abs. 1, 3, 281 BGB) setzt voraus, dass der Gläubiger dem Schuldner eine Nachfrist setzt - sofern diese nicht entbehrlich ist - und diese erfolglos abläuft.Zum Zeitpunkt als K das andere Ringlicht gekauft hat (10.12.), war die von ihm gesetzte Nachfrist (12.12.) noch nicht abgelaufen. Da die Fristsetzung auch nicht entbehrlich war (§ 281 Abs. 2 BGB), liegen die Voraussetzungen des Schadensersatzes wegen Nichtleistung nicht vor. K kann die Kosten (noch) nicht ersetzt verlangen. Leistet der Schuldner innerhalb der Frist, so trägt der Gläubiger die Kosten des Deckungskaufes. Läuft die gesetzte Frist (hier: 12.12.) aber erfolglos ab, so kann der Gläubiger die Kosten zumindest ab diesem Zeitpunkt ersetzt verlangen.

4. Sofern man darauf abstellt, dass ein Deckungskauf vor dem endgültigen Erlöschen der Leistungspflicht einen Verzögerungsschaden darstellt, müssten die Voraussetzungen der §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB erfüllt sein.

Genau, so ist das!

Ein Teil der Literatur grenzt den Schaden statt und neben der Leistung rein zeitlich ab und stellt beim verfrühten Deckungskauf hierfür auf die Mehrkosten als Schaden ab. Da diese auch durch eine spätere Erfüllung nicht mehr entfallen, handele es sich insoweit um Schäden, die nur neben dem Erfüllungsanspruch geltend gemacht werden könnten. Es bedürfe insoweit in erster Linie des Vorliegens des Schuldnerverzuges (§ 286 BGB).

5. Als K das andere Ringlicht gekauft hat, lagen die weiteren Voraussetzungen des Schuldnerverzuges vor (§ 286 BGB).

Ja, in der Tat!

Schuldnerverzug liegt vor, wenn die Forderung wirksam, durchsetzbar und fällig ist, angemahnt (sofern nicht entbehrlich, § 286 Abs. 2 BGB) wurde und noch möglich ist. Der Schuldner muss die Verzögerung zu vertreten haben.K stand eine eine wirksame, durchsetzbare und sofort fällige Forderung zu. Am 6.12 hat K die V gemahnt und das Vertretenmüssen wird nach § 286 Abs. 4 BGB vermutet. Damit liegen die Voraussetzungen des Schuldnerverzugs vor

6. Wenn K am 10.12. den Verzögerungsschaden verlangen könnte, stünde er besser da, als wenn V ordnungsgemäß geleistet hätte.

Ja!

Bei ordnungsgemäßer Leistung des V hätte K ein Ringlicht zum Preis von günstigen €10 erhalten. Macht K nun Schadensersatz neben der Leistung geltend, könnte er weiterhin die Erfüllung der geschuldeten Leistung, also die Lieferung des Ringlichts zum Preis von €10, verlangen. Zusätzlich könnte K sich ein zweites Ringlicht kaufen und die Mehrkosten von €40 (€50-€10) als Schadensersatz neben der Leistung von V verlangen. Damit könnte K im Ergebnis an zwei Ringlichter zum Preis von jeweils nur €10 gelangen.Beim Schadensersatz statt der Leistung ist dies von vornherein ausgeschlossen. Nach § 281 Abs. 4 BGB kann entweder Schadensersatz oder die Leistung verlangt werden.

7. Die Besserstellung des Gläubigers ist nach Ansicht derer, die die Mehrkosten des „verfrühten Deckungskauf“ als Verzögerungsschaden qualifizieren, hinzunehmen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Um die übermäßige Besserstellung des Gläubigers zu vermeiden, werden zwei Korrekturansätze vertreten. So wird einerseits vertreten (Faust), dass den Gläubiger ein überwiegendes Mitverschulden treffe, wenn er schon vor Ablauf der Nacherfüllungsfrist sich anderweitig eindecke. Der Schadensersatzanspruch sei deshalb nach § 254 Abs. 1 BGB auf Null zu reduzieren. Andererseits wird die über die (psychisch vermittelte) Kausalität gelöst (Lorenz). Der Gläubiger durfte sich bis zum Ablauf der Nachfrist nicht herausgefordert fühlen, den Deckungskauf zu tätigen. Der erlittene Schaden beruhe demnach nicht kausal auf der Pflichtverletzung und ist somit nicht erstattungsfähig.Im Ergebnis sind die Mehrkosten des „verfrühten Deckungskaufes“ damit im Regelfall nach allen Ansichten abzulehnen. Die Lösungswege unterscheiden sich dagegen deutlich.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

🔥1312

🔥1312🔥

17.3.2023, 12:45:19

Danke für den Fall! Ich hatte immer Schwierigkeiten die verschiedenen Lösungen und den Streit um SE statt bzw. Neben der Leistung im Rahmen des verfrühten

Deckungskauf

s zu verstehen. Jetzt hats endlich geklappt!

Nora Mommsen

Nora Mommsen

20.3.2023, 12:35:41

Hallo 1312, Danke dir für das tolle Feedback. Wir freuen uns, dass du einen riesen Schritt machen konntest. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

RAP

Raphaeljura

4.6.2023, 13:05:00

Letztendlich würde eine Besserstellung des Gläubigers vorliegend doch Sinn machen. Zwar würde er für 10 Euro zwei Lichter bekommen. Aber im Gegenzug würde der Schuldner nicht einen weiteren Schaden aufgrund des Verdienstausfalls von 500 Euro bezahlen müssen.

LI

Lisa

12.12.2023, 18:55:21

Genau bei der Frage hänge ich gerade auch gedanklich: Der Verdienstausfall wäre doch als Verzögerungsschaden ganz normal ersatzfähig gewesen? Dh durch den Ersatzkauf wäre dann ja eigentlich der Schadensminderungspflicht entsprochen worden?

FRA

Franz

15.1.2024, 13:31:25

Das würde mich auch interessieren :)

FRA

Franz

15.1.2024, 13:40:02

Wie bereits von jemandem in einem anderen Thread gefragt, aber noch nicht beantwortet wurde, ist hier der

Deckungskauf

vor Fristablauf mit 10 EUR deutlich günstiger als der entstandene Schaden durch Verdienstausfall i. H. von 500 EUR. Entspricht der verfrühte

Deckungskauf

hier nicht der Schadenminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 BGB? Oder führt das Verhältnis 10 EUR gegen 500 EUR nicht zumindest zu einer

Entbehrlichkeit der Fristsetzung

wegen besonderer Umstände unter Abwägung der beiden Interessen nach § 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB?

LS2024

LS2024

17.5.2024, 15:30:53

Hier dürfte sich der K doch zu einem verfrühten

Deckungskauf

herausgefordert gefühlt haben. Denn durch die 50 € konnte er 500 € Schaden verhindern. Das dürfte doch für eine

psychisch vermittelte Kausalität

genügen, sodass jedenfalls nach dieser Ansicht SE verlangt werden könnte, oder?

LS2024

LS2024

18.5.2024, 12:47:29

Habe nochmal recherchiert: Wie ich mir bereits dachte, wäre das nach Auffassung Lorenz eine

psychisch vermittelte Kausalität

. K hätte also einen Anspruch auf Verzögerungsschadens wegen des

Deckungskauf

s nach dieser Ansicht. Die Lösung von Jurafuchs ist somit falsch.

Falsus Prokuristor

Falsus Prokuristor

20.5.2024, 17:06:51

Das sehe ich genauso! Die wertenden Korrekturen durch die Vertreter des zeitlichen Ansatzes auf Rechtsfolgen Seite durch Mitverschulden beziehungsweise Kausalität dienen ja gerade dazu, billige Ergebnisse im Einzelfall zu erzielen. Das ist hier ganz und gar nicht der Fall. Durch den

Deckungskauf

kommt der Gläubiger hier seiner Schadensminderung

obliegenheit

nach, aber würde nach der hier vertreten Lösung schlechter gestellt, als wenn er dies nicht getan hätte. Das hätte zum Ergebnis, dass der Gläubiger die Mehrkosten des

Deckungskauf

trägt bzw. darauf sitzenbleibt und der Schuldner gleichzeitig Schadensersatz statt der Leistung für den entgangenen Gewinn in Höhe von 500 € zu leisten hat. Es gebe vereinfacht gesagt nur Verlierer.

LNA

LNA

19.8.2024, 15:35:55

Meines Verständnisses nach passt die Lösung nicht zwangsläufig, wenn der verfrühte

Deckungskauf

der Schadensminderung dient 1. Betrachtet man §§ 280 I, III, 281 BGB als einschlägige AGL, ist die

Fristsetzung

gem. § 281 II Alt. 2 BGB entbehrlich 2. Betrachtet man §§ 280 I, II, 286 BGB als einschlägig, liegt nach Faust ausnahmsweise kein Mitverschulden gem. § 254 BGB vor, nach Lorenz darf sich der Gläubiger zu dem

Deckungskauf

herausfordert fühlen

G0D0FM

G0d0fMischief

27.9.2024, 14:09:15

Wären denn aber die 500€ Verdienstausfall nach §§ 280 I, II, 286 BGB ersatzfähig? Diese stellen ja dennoch einen

Schadensersatz neben der Leistung

dar (da sie auch dann noch Bestehen würden, wenn V leisten würde) oder verstehe ich da etwas falsch?

BLAC

Blackiel

23.10.2024, 13:27:00

@[G0d0fMischief](217996) Im vorliegenden Fall sind die 500€ Verdienstausfall nach beiden Ansichten nicht zu ersetzen, da sich der Schaden nicht realisiert hat. Schäden sind unfreiwillige Vermögenseinbußen. Der Schaden besteht in dem (Ersatz)-kauf des Ringlichts für 50€. Hätte K kein neues Ringlicht gekauft und den Verdienstausfall tatsächlich erlitten, so stellt sich die Frage, ob dieser auch bei hypothetischer (Nach)-erfüllung eingetreten wäre. Hier fehlt es an Angaben im Sachverhalt, an welchem Tag der Verdienstausfall eintreten würde.


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