Verbotene Eigenmacht mittels Einschaltung der Polizei, § 858 Abs. 1 BGB


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E und B sind ein Paar. E ist Eigentümer eines Autos, das B besitzt und in Benutzung hat. Als E auszieht, bleibt der PKW zunächst bei B. E ruft die Polizei und behauptet, B habe seinen Pkw unterschlagen. Aufgrund des Vortrags des E stellt die Polizei den PKW bei B sicher und gibt ihn an E heraus. B möchte den PKW zurück.

Einordnung des Falls

Verbotene Eigenmacht mittels Einschaltung der Polizei, § 858 Abs. 1 BGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. B hat den unmittelbaren Besitz an dem PKW verloren, als die Polizei ihn abschleppen ließ.

Genau, so ist das!

Besitz (§ 854 Abs. 1 BGB) ist die von einem natürlichen Herrschaftswillen (subjektives Element) getragene tatsächliche Sachherrschaft (objektives Element) über eine Sache. Tatsächliche Sachherrschaft setzt voraus, dass die Person eine realisierbare Möglichkeit zur Einwirkung auf die Sache hat. B hatte keine Möglichkeit mehr, auf den Wagen einzuwirken, nachdem die Polizei ihn sicherstellte.

2. E hat B den PKW mit verbotener Eigemacht entzogen, indem er ihn von der Polizei sicherstellen ließ.

Ja, in der Tat!

Verbotene Eigenmacht (§ 858 Abs. 1 BGB) ist jede widerrechtlich vorgenommene Beeinträchtigung des unmittelbaren Besitzers in der Ausübung seiner tatsächlichen Sachherrschaft. Widerrechtlich ist die Besitzbeeinträchtigung, wenn sie ohne den Willen des Besitzers erfolgt und gesetzlich nicht besonders gestattet ist. Nicht nötig ist eine eigenhändige Vornahme der Besitzbeeinträchtigung. E hat der Polizei eine Unterschlagung vorgespiegelt. Er hat damit ein staatliches Organ als sein Werkzeug eingesetzt, um sich Besitz am PKW zu verschaffen. Dies erfolgte auch gegen den Willen der B.

3. B hat einen Herausgabeanspruch aus § 861 Abs. 1 BGB gegen E.

Ja!

Der Herausgabeanspruch aus § 861 Abs. 1 BGB setzt voraus: (1) Besitzentzug beim Anspruchsteller durch verbotene Eigenmacht, (2) fehlerhafter Besitz des Anspruchsgegners, (3) kein Ausschluss nach § 861 Abs. 2 BGB, (4) kein Erlöschen nach § 864 BGB. E entzog B den Besitz mit verbotener Eigenmacht (§ 858 Abs. 1 BGB). E besitzt auch fehlerhaft gegenüber B, da er die verbotene Eigenmacht selbst begangen hat (§ 858 Abs. 2 BGB). Der Anspruch ist auch nicht ausgeschlossen nach § 861 Abs. 2 BGB (kein Fall von verbotener Eigenmacht des E als Reaktion auf verbotene Eigenmacht der B), da B keine Unterschlagung und damit keine verbotene Eigenmacht begangen hat. Der Anspruch ist auch nicht erloschen nach § 864 BGB (Jahresfrist ab Verübung der verbotenen Eigenmacht).

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🦊LEXD

🦊LEXDEROGANS

17.1.2020, 08:47:32

Eine genauere Erläuterung zum mittelbaren Besitzentzug wäre nice...

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

22.1.2020, 10:23:05

Hi, machen wir sehr gern! Aber in welcher Hinsicht wünschst Du eine Vertiefung? Im Hinweis heißt es: "Nicht nötig ist eine eigenhändige Vornahme der Besitzbeeinträchtigung. E hat der Polizei eine Unterschlagung vorgespiegelt. Er hat damit ein staatliches Organ als sein Werkzeug eingesetzt, um sich Besitz am PKW zu verschaffen." Das Besondere an dem Fall hier ist, dass B nicht selbst den PKW mitgenommen hat, sondern sich eines "Werkzeugs" (der Polizei) bedient hat.

🦊LEXD

🦊LEXDEROGANS

23.4.2020, 15:28:56

@Christian Leupold-Wendling, Danke für Ihr Angebot; sehe Ihre Antwort leider erst jetzt. M. E. wäre u. a. interessant zu wissen, ob man für die Zurechnung des Besitzentzuges einer anderen Person als eigenen mittelbaren Besitzentzug ähnlicher Voraussetzungen bedarf wie für die mittelbare Täterschaft im Strafrecht.

SY

Sylvie

23.4.2020, 08:33:16

Warum ist E nicht durch seine Eigentümerstellung zum Besitzentzug berechtigt?

SNEU

Stefan Thomas Neuhöfer

23.4.2020, 10:53:35

Hi, hier geht es rein um Besitzschutzansprüche. Das Eigentum spielt (außer in der Sonderkonstellation der petitorischen Widerklage) keine Rolle. Das ergibt sich aus § 863 BGB - gegen possesorische Ansprüche können Einwendungen aus materiellem Recht nicht geltend gemacht werden (weil die Ansprüche aus §§ 861, 862 BGB der schnellen Wiederherstellung der Besitzlage dienen). Viele Grüße Für das Jurafuchs-Team - Stefan

AJT

AJT

22.3.2022, 18:26:40

Wär nicht der E durch sein Eigentum bei 'Wegnahme' des Autos gerechtfertigt, so dass schon gar keine verbotene Eigenmacht vorliegt?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

23.3.2022, 15:36:56

Hallo AJT, allein der Umstand, dass E Eigentümerin ist, berechtigt sie hier nicht, das Auto einfach wegzunehmen. Sofern B kein Besitzrecht mehr hat, kann E den Wagen herausverlangen (zB § 985 BGB). Der Anspruch auf Herausgabe der Sache ändert aber nichts daran, dass der eigenmächtige Besitzentzug widerrechtlich erfolgt. Kommt B dem Anspruch nicht nach, so wäre E vielmehr verpflichtet, ihren Anspruch gerichtlich geltend zu machen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

DIAA

Diaa

15.10.2023, 12:54:46

Es verwirrt manchmal, wenn auf der Zeichnung eine Frau zu sehen ist, aber hier als "er" bezeichnet wird, wenn im Fall die andere Partei eine männliche ist..


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