Kleiner Kratzer, großer Schaden
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Mieter M zieht aus und transportiert Möbel in Es Aufzug. Dabei beschädigt er die Edelstahlkabine des Aufzugs. Es entstehen zwei deutlich sichtbare Kratzer, der Aufzug bleibt aber voll funktionsfähig und hat einen Zeitwert von €17.000. Die Beseitigung ist nur durch die Erneuerung der Verkleidung für €13.000 möglich.
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Einordnung des Falls
Kleiner Kratzer, großer Schaden
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. M hat Es Eigentum im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB rechtswidrig und schuldhaft durch sein Verhalten verletzt.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Die Rechtsgutverletzung ist kausal für den Schaden.
Ja, in der Tat!
3. Grundsätzlich hat der Geschädigte zunächst einen Anspruch auf Naturalrestitution.
Ja!
4. Eine Naturalrestitution scheidet immer nur dann aus, wenn die Wiederherstellung nicht möglich ist.
Nein, das ist nicht der Fall!
5. Da es sich um eine bloß optische Beeinträchtigung handelt, sind die Kosten in Höhe von €13.000 unverhältnismäßig.
Nein, das trifft nicht zu!
6. E hat sich jedoch im Wege der Vorteilsausgleichung einen Abzug “neu für alt” anrechnen zu lassen.
Nein!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
CR7
5.1.2024, 20:47:13
Warum hat das Gericht im Rahmen des Auszugs nicht den Anspruch aus §§ 280 I, 241 II BGB gestützt? War der MV schon abgelaufen? Das Gericht hat sich im Urteil auch direkt auf §§ 823, 249 BGB gestützt...
Lotta
6.1.2024, 15:18:58
Das habe ich mich auch gefragt und dazu im Urteil ebenfalls nichts gefunden. Selbst wenn der Mietvertrag schon beendet gewesen wäre, könnte an eine nachvertragliche Pflichtverletzung gedacht werden (culpa post contractum finitum). Vielleicht war der Eigentümer und Kläger im vorliegenden Fall nicht zugleich der Vermieter und somit Vertragspartner des Beklagten?
CR7
6.1.2024, 15:29:44
Ja, der Anspruch aus c.p.c.f ist nicht zu vergessen. Stimmt, das mit der unterschiedlichen Eigentümer/Vermieter-Konstellation müsste man noch im Blick haben. Könnte man hier dann nicht einen VSD konstruieren? Also §§ 280 I, 241 II i.V.m Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte?
Lotta
8.1.2024, 02:33:03
Mit Blick auf die Prüfung und ggf. Annahme eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter kommt es wohl sehr auf den konkreten Sachverhalt an. Ein Mietvertrag als vertragliches Schuldverhältnis zwischen Gläubiger (als Vermieter und bspw. Nießbraucher) und Schuldner (Mieter), in das der Eigentümer einbezogen sein könnte, dürfte wohl vorliegen. Ob eine Leistungsnähe des Eigentümers bejaht werden kann, erscheint mir klärungsbedürftig. Entscheidend ist, ob der Eigentümer als Dritter gerade mit der Leistung aus dem (Miet-)Vertrag bestimmungsgemäß in Berührung kommt. Er muss den Gefahren des Vertrages ebenso ausgesetzt sein wie der Gläubiger selbst. Darüberhinaus müsste der Gläubiger ein Interesse an der Einbeziehung des Dritten haben. Zur Annahme der Gläubigernähe ist auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen und/oder ob die Leistung des Schuldners auch dem Dritten zugutekommt. Die Erkennbarkeit von Leistungsnähe und Gläubigerinteresse für den Schuldner dürfte auch nicht ohne Weiteres anzunehmen sein, wenn der Mieter nicht weiß oder erkennen kann, dass der Vermieter nicht zugleich Eigentümer der
Mietsacheist. Die Schutzbedürftigkeit des Dritten ist schließlich mangels vertraglicher Ansprüche des Eigentümers leichter zu begründen. Vielleicht helfen diese Überlegungen etwas weiter, einen konkreten Fall zu einer solchen Konstellation habe ich nicht gefunden. Im Übrigen habe ich nochmal in das Urteil geschaut und dabei keinerlei Anhaltspunkte dafür gefunden, dass der Beklagte tatsächlich zu irgendeinem Zeitpunkt eine Wohnung im Haus des Eigentümers gemietet hatte. Vielleicht hat der Beklagte den Aufzug auch nur anlässlich eines Besuchs beschädigt oder eine Sache aus einer für ihn fremden Wohnung abgeholt und mit dem Aufzug transportiert. Nur hier im Fall in der Jurafuchs App ist von einem Auszug des Mieters die Rede.
CR7
10.1.2024, 22:46:55
Danke @Lotta für diese ausführlich Antwort. Ja genau, die Leistungsnähe hätte ich ebenfalls verneint, mir war es nur wichtig, mal alle in Betracht kommenden Ansprüche zu sammeln (im Hinblick auf den typischen Bearbeitervermerk "Wie ist die Rechtslage?"). Ein VSD wird wohl nicht bestehen. Wie du sagtest, im Urteil habe ich auch nichts gefunden und das Urteil habe ich eine KI mal lesen lassen, sie kommt zum gleichen Ergebnis. Wahrscheinlich wird es so sein, dass bestimmt ein Helfer oder jemand Anderes hier involviert war oder sich deine erste Theorie bestätigt, dass Eigentümer und Vermieter hier auseinander fallen!
Nora Mommsen
11.1.2024, 11:11:16
Hallo CR7, danke für deine Frage und danke allen für die rege Diskussion. Ansprüche aus Mietverträgen unterliegen einer besonderen Verjährung gem. § 548 Abs. 2 BGB. Daher kann auch nach Beendigung des Mietverhältnisses noch ein Anspruch aus Vertrag geltend gemacht werden für sechs Monate. Nimmt man hier an, dass der Mietvertrag bei Vornahme der schädigenden Handlung schon beendet war, gilt das natürlich nicht. Dann wäre ggfs. auf das nachvertragliche Verhalten abzustellen. Dort ist die Pflichtverletzung und die Ausgestaltung der nachvertraglichen Pflichten genau darzustellen und abzugrenzen. Das schädigende Ereignis ist im Originalfall unstreitig gewesen, es ging nur um Form und Höhe des Schadensersatzanspruchs - also Naturalrestitution oder Schadenskompensation. Möglicherweise war es im Originalfall daher schlicht einfacher den Fall über § 823 Abs. 1 BGB zu lösen. Ansonsten gilt im Gutachten natürlich, dass alle in Betracht kommenden Ansprüche zu prüfen sind. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
as.mzkw
11.10.2024, 12:47:28
Wenn im Gutachten einfach nur „Mieter“ steht darf man meinem Verständnis nach guten Gewissens davon ausgehen, dass ein wirksamer Mietvertrag besteht. Mangels Subsumtionsmaterials kann man da kein Fass aufmachen. Wenn der SV etwas unterstellt, darf ich das als Bearbeiter auch. In einer Klausur hätte man also absolut mit §§ 280 I, 241 II BGB beginnen sollen.
suessmaus
18.1.2024, 15:37:55
Vielleicht könntet ihr noch eine Parallele zu der 130% Rechtsprechung einbauen (Wiederbeschaffungswert, Wiederbeschaffungsaufwand). Aufgrund der Angabe des Werts des Fahrstuhls dachte ich, es läuft darauf hinaus. LG
Nora Mommsen
19.1.2024, 12:49:17
Hallo suessmaus, danke dir für deine Anregung. Nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH, der mit der 130 % Rechtsprechung eine Ausnahme vom Wirtschaftlichkeitsgebot macht, findet diese aber nur bei KfZ-Reparaturen Anwendung. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team