Kleiner Kratzer, großer Schaden

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Mieter M zieht aus und transportiert Möbel in Es Aufzug. Dabei beschädigt er die Edelstahlkabine des Aufzugs. Es entstehen zwei deutlich sichtbare Kratzer, der Aufzug bleibt aber voll funktionsfähig und hat einen Zeitwert von €17.000. Die Beseitigung ist nur durch die Erneuerung der Verkleidung für €13.000 möglich.

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Einordnung des Falls

Kleiner Kratzer, großer Schaden

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. M hat Es Eigentum im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB rechtswidrig und schuldhaft durch sein Verhalten verletzt.

Genau, so ist das!

Eine Eigentumsverletzung kann unter anderem durch eine Beeinträchtigung der Sachsubstanz erfolgen. Eine solche Substanzverletzung liegt vor, wenn eine zunächst intakte Sache körperlich zerstört oder beschädigt wird. Diese Eigentumsverletzung muss kausal auf das Verletzungsverhalten zurückzuführen sein. Die Rechtswidrigkeit wird durch die Rechtsgutsverletzung indiziert. Der Schädiger muss die Rechtsgutsverletzung zudem verschuldet haben. Der Aufzug wurde durch den Transport der Möbel an zwei Stellen zerkratzt und ist daher als beschädigt anzusehen. E hat eine Eigentumsverletzung erlitten. Diese basiert kausal auf dem Transport der Möbel im Aufzug. M handelte rechtswidrig und zumindest fahrlässig, also schuldhaft.
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2. Die Rechtsgutverletzung ist kausal für den Schaden.

Ja, in der Tat!

Ein Schaden ist jede unfreiwillige Beeinträchtigung vermögenswerter und ideeller Interessen. Bei § 823 Abs. 1 BGB muss dieser Schaden durch die Rechtsgutsverletzung beim Opfer eingetreten sein, es muss also ein Zurechnungszusammenhang zwischen Verletzung und Schaden bestehen. Die Prüfung dieser Zurechnung besteht aus (1) der Äquivalenztheorie, (2) der Adäquanz und (3) dem Schutzzweck der Norm. Die Rechtsgutsverletzung liegt in den Kratzern. Diese sind gleichzeitig der Schaden, der E entstanden ist. Dieser wurde somit äquivalent kausal durch die Verletzung herbeigeführt. Es handelt sich dabei auch nicht um einen völlig ungewöhnlichen Kausalverlauf (Adäquanz) und der Schaden ist auch vom Schutzbereich des § 823 BGB gedeckt (Schutzzweck).

3. Grundsätzlich hat der Geschädigte zunächst einen Anspruch auf Naturalrestitution.

Ja!

Die §§ 249 ff. BGB sehen zwei Arten der Ersatzleistung vor: die Naturalrestitution (§ 249 BGB) oder den Wertersatz (§ 251 BGB). Dabei gilt der Vorrang der Naturalrestitution. Der Geschädigte kann vom Schädiger verlangen, dass dieser den Zustand herstellt, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre (§ 249 Abs. 1 BGB). Bei Personenverletzung oder Sachbeschädigung kann der Geschädigte nach § 249 Abs. 2 BGB auch den erforderlichen Geldbetrag verlangen, um die Naturalherstellung selbst vorzunehmen (=Ersetzungsbefugnis). Die Naturalrestitution (§ 249 BGB) soll das Integritätsinteresse des Geschädigten befriedigen, der Wertersatz (§§ 250, 251 BGB) hingegen dient dem Erhalt des Wertinteresses.

4. Eine Naturalrestitution scheidet immer nur dann aus, wenn die Wiederherstellung nicht möglich ist.

Nein, das ist nicht der Fall!

Voraussetzung für eine Naturalrestitution nach § 249 Abs. 1, Abs. 2 BGB ist zum einen, dass die Wiederherstellung noch möglich ist (vgl. § 251 Abs. 1 BGB). Zum anderen scheidet sie aus, wenn sie mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden ist (vgl. § 251 Abs. 2 S. 1 BGB). Dabei sind die gegenseitigen Interessen der Beteiligten zu berücksichtigen.

5. Da es sich um eine bloß optische Beeinträchtigung handelt, sind die Kosten in Höhe von €13.000 unverhältnismäßig.

Nein, das trifft nicht zu!

LG Koblenz: Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Falles sei eine Naturalrestitution nicht unverhältnismäßig. Eine tatsächliche Schadensbeseitigung sei hier nur in Form des vollständigen Ersatzes der Wände durch Originalteile möglich. Zudem sei die optische Beeinträchtigung erheblich, nach Ausführungen des Gutachters sei sie deutlich erkennbar. Außerdem blieben die Reparaturkosten hinter dem Wert des Aufzugs zurück.

6. E hat sich jedoch im Wege der Vorteilsausgleichung einen Abzug “neu für alt” anrechnen zu lassen.

Nein!

Der Schadensersatz soll den verursachten Schaden beseitigen, den Geschädigten im Vergleich zur Vermögenslage vor dem schädigenden Ereignis aber nicht besser stellen. Wird eine höherwertige als die beschädigte Sache als Ersatz geleistet, etwa weil bei der Reparatur beschädigte Altteile durch neuwertige Teile ersetzt werden, steht der Geschädigte besser da als vor dem Schadensfall. Die Differenz stellt grundsätzlich einen auszugleichenden Vorteil dar (sog. Abzug neu für alt). LG: Ein Abzug “neu für alt” komme nicht in Betracht, da mit der Wiederherstellung der beschädigten Wandverkleidungen weder eine Verbesserung des Aufzugs noch eine Verlängerung seiner Lebensdauer einhergeht. Ein Aufzug müsse ständig dem jeweiligen Stand der Technik angepasst und deshalb regelmäßig erneuert und modernisiert werden. E kann somit den vollen Schaden geltend machen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

CR7

CR7

5.1.2024, 20:47:13

Warum hat das Gericht im Rahmen des Auszugs nicht den Anspruch aus §§ 280 I, 241 II BGB gestützt? War der MV schon abgelaufen? Das Gericht hat sich im Urteil auch direkt auf §§ 823, 249 BGB gestützt...

LO

Lotta

6.1.2024, 15:18:58

Das habe ich mich auch gefragt und dazu im Urteil ebenfalls nichts gefunden. Selbst wenn der Mietvertrag schon beendet gewesen wäre, könnte an eine nachvertragliche Pflichtverletzung gedacht werden (culpa post contractum finitum). Vielleicht war der

Eigentümer

und Kläger im vorliegenden Fall nicht zugleich der Vermieter und somit Vertragspartner des Beklagten?

CR7

CR7

6.1.2024, 15:29:44

Ja, der Anspruch aus c.p.c.f ist nicht zu vergessen. Stimmt, das mit der unterschiedlichen

Eigentümer

/Vermieter-Konstellation müsste man noch im Blick haben. Könnte man hier dann nicht einen VSD konstruieren? Also §§ 280 I, 241 II i.V.m Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte?

LO

Lotta

8.1.2024, 02:33:03

Mit Blick auf die Prüfung und ggf. Annahme eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter kommt es wohl sehr auf den konkreten Sachverhalt an. Ein Mietvertrag als vertragliches Schuldverhältnis zwischen Gläubiger (als Vermieter und bspw. Nießbraucher) und Schuldner (Mieter), in das der

Eigentümer

einbezogen sein könnte, dürfte wohl vorliegen. Ob eine Leistungsnähe des

Eigentümer

s bejaht werden kann, erscheint mir klärungsbedürftig. Entscheidend ist, ob der

Eigentümer

als Dritter gerade mit der Leistung aus dem (Miet-)Vertrag bestimmungsgemäß in Berührung kommt. Er muss den Gefahren des Vertrages ebenso ausgesetzt sein wie der Gläubiger selbst. Darüberhinaus müsste der Gläubiger ein Interesse an der Einbeziehung des Dritten haben. Zur Annahme der Gläubigernähe ist auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen und/oder ob die Leistung des Schuldners auch dem Dritten zugutekommt. Die

Erkennbarkeit

von Leistungsnähe und Gläubigerinteresse für den Schuldner dürfte auch nicht ohne Weiteres anzunehmen sein, wenn der Mieter nicht weiß oder erkennen kann, dass der Vermieter nicht zugleich

Eigentümer

der Mietsache ist. Die Schutzbedürftigkeit des Dritten ist schließlich mangels vertraglicher Ansprüche des

Eigentümer

s leichter zu begründen. Vielleicht helfen diese Überlegungen etwas weiter, einen konkreten Fall zu einer solchen Konstellation habe ich nicht gefunden. Im Übrigen habe ich nochmal in das Urteil geschaut und dabei keinerlei Anhaltspunkte dafür gefunden, dass der Beklagte tatsächlich zu irgendeinem Zeitpunkt eine Wohnung im Haus des

Eigentümer

s gemietet hatte. Vielleicht hat der Beklagte den Aufzug auch nur anlässlich eines Besuchs beschädigt oder eine Sache aus einer für ihn fremden Wohnung abgeholt und mit dem Aufzug transportiert. Nur hier im Fall in der Jurafuchs App ist von einem Auszug des Mieters die Rede.

CR7

CR7

10.1.2024, 22:46:55

Danke @Lotta für diese ausführlich Antwort. Ja genau, die Leistungsnähe hätte ich ebenfalls verneint, mir war es nur wichtig, mal alle in Betracht kommenden Ansprüche zu sammeln (im Hinblick auf den typischen Bearbeitervermerk "Wie ist die Rechtslage?"). Ein VSD wird wohl nicht bestehen. Wie du sagtest, im Urteil habe ich auch nichts gefunden und das Urteil habe ich eine KI mal lesen lassen, sie kommt zum gleichen Ergebnis. Wahrscheinlich wird es so sein, dass bestimmt ein Helfer oder jemand Anderes hier involviert war oder sich deine erste Theorie bestätigt, dass

Eigentümer

und Vermieter hier auseinander fallen!

Nora Mommsen

Nora Mommsen

11.1.2024, 11:11:16

Hallo CR7, danke für deine Frage und danke allen für die rege Diskussion. Ansprüche aus Mietverträgen unterliegen einer besonderen Verjährung gem. § 548 Abs. 2 BGB. Daher kann auch nach Beendigung des Mietverhältnisses noch ein Anspruch aus Vertrag geltend gemacht werden für sechs Monate. Nimmt man hier an, dass der Mietvertrag bei Vornahme der schädigenden Handlung schon beendet war, gilt das natürlich nicht. Dann wäre ggfs. auf das nachvertragliche Verhalten abzustellen. Dort ist die Pflichtverletzung und die Ausgestaltung der nachvertraglichen Pflichten genau darzustellen und abzugrenzen. Das schädigende Ereignis ist im Originalfall unstreitig gewesen, es ging nur um Form und Höhe des Schadensersatzanspruchs - also Naturalrestitution oder Schadenskompensation. Möglicherweise war es im Originalfall daher schlicht einfacher den Fall über § 823 Abs. 1 BGB zu lösen. Ansonsten gilt im Gutachten natürlich, dass alle in Betracht kommenden Ansprüche zu prüfen sind. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

AS

as.mzkw

11.10.2024, 12:47:28

Wenn im Gutachten einfach nur „Mieter“ steht darf man meinem Verständnis nach guten Gewissens davon ausgehen, dass ein wirksamer Mietvertrag besteht. Mangels Subsumtionsmaterials kann man da kein Fass aufmachen. Wenn der SV etwas unterstellt, darf ich das als Bearbeiter auch. In einer Klausur hätte man also absolut mit §§ 280 I, 241 II BGB beginnen sollen.

suessmaus

suessmaus

18.1.2024, 15:37:55

Vielleicht könntet ihr noch eine Parallele zu der 130% Rechtsprechung einbauen (Wiederbeschaffungswert, Wiederbeschaffungsaufwand). Aufgrund der Angabe des Werts des Fahrstuhls dachte ich, es läuft darauf hinaus. LG

Nora Mommsen

Nora Mommsen

19.1.2024, 12:49:17

Hallo suessmaus, danke dir für deine Anregung. Nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH, der mit der 130 % Rechtsprechung eine Ausnahme vom Wirtschaftlichkeitsgebot macht, findet diese aber nur bei KfZ-Reparaturen Anwendung. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team


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