Öffentliches Recht

VwGO

Anfechtungsklage

Klagefrist (§ 74 VwGO): Verwirkung des Rechtsbehelfs

Klagefrist (§ 74 VwGO): Verwirkung des Rechtsbehelfs

23. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A wird eine Gaststättenerlaubnis erteilt (§ 2 GastG). Nachbar N wird davon nicht in Kenntnis gesetzt. Als A drei Monate später eröffnet, ist N zwar gestört, aber unternimmt nichts. Zwei Jahre später legt er Widerspruch ein. Es ergeht ein Widerspruchsbescheid, der den Widerspruch des N als unzulässig zurückweist, weil N zu lange gewartet habe. N will klagen.

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Einordnung des Falls

Klagefrist74 VwGO): Verwirkung des Rechtsbehelfs

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. N begehrt die Aufhebung der Gaststättenerlaubnis. Die Anfechtungsklage ist statthaft.

Ja!

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Klagebegehren (§§ 88, 86 Abs. 3 VwGO). N begehrt, die Gaststättenerlaubnis des A zu beseitigen. Dies kann er erreichen, indem er im Klageweg die Aufhebung derselben erstreitet. Die Gaststättenerlaubnis ist ein Verwaltungsakt (§ 35 S. 1 VwVfG). Seine Klage ist mithin gerichtet auf die Aufhebung eines Verwaltungsakts. Die Anfechtungsklage ist statthaft (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO).
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2. N kann geltend machen, durch die Gaststättenerlaubnis in einem seiner subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt zu sein. Er ist klagebefugt.

Genau, so ist das!

Der Kläger ist klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO), wenn er durch einen Verstoß gegen drittschützende Vorschriften möglicherweise in subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt worden ist. Eine Norm ist drittschützend, wenn sie nicht nur Interessen der Allgemeinheit schützen soll, sondern zumindest auch den Interessen des Klägers zu dienen bestimmt ist (Schutznormtheorie). Es kommen Vorschriften des Nachbarschaftsrechts (hier §§ 31, 34 BauGB i.V.m. dem Rücksichtnahmegebot) in Betracht. Die Verletzung einer Schutznorm kann somit nicht ausgeschlossen werden. N ist somit klagebefugt.

3. N müsste ordnungsgemäß Widerspruch gegen die Gaststättenerlaubnis des A eingelegt haben.

Ja, in der Tat!

Vor Erhebung der Anfechtungsklage muss ein Vorverfahren erfolglos durchgeführt werden (§ 68 Abs. 1 S. 1 VwGO), soweit nicht eine Ausnahme vorliegt (§ 68 Abs. 1 S. 2 VwGO). Das Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) beginnt mit Erhebung des Widerspruchs (§ 69 VwGO). Im Vorverfahren ist der Verwaltungsakt noch einmal auf Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit zu überprüfen. Der Widerspruch muss innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des angefochtenen Verwaltungsakts bei der zuständigen Behörde eingelegt werden (§ 70 Abs. 1 VwGO). Andernfalls ist die Klage unzulässig. Das Vorverfahren dient der Wahrung der Gesetzmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der Verwaltung, dem Rechtsschutz und der Entlastung der Gerichte.

4. N hat die Widerspruchsfrist (§ 70 Abs. 1 S. 1 VwGO) nicht gewahrt.

Nein!

Die Frist beginnt mit Bekanntgabe des Verwaltungsakts (§ 70 Abs. 1 S. 1 VwGO). N wurde nicht über die Gaststättenerlaubnis in Kenntnis gesetzt. Dass eine Bekanntgabe an A erfolgte, ist unbeachtlich (sog. begünstigender Verwaltungsakt mit belastender Drittwirkung). Da der Verwaltungsakt dem N gegenüber nicht bekannt gegeben wurde, beginnt für ihn die Widerspruchsfrist nicht zu laufen. Der Widerspruch des N ist nicht verfristet.

5. N kann zeitlich unbegrenzt Widerspruch einlegen. Die Begründung der Behörde ist rechtswidrig.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Widerspruchserklärung ist nicht zeitlich unbegrenzt möglich. Rechtsbehelfe, die nicht fristgebunden sind, können verwirkt werden. Dazu ist nötig, dass sich der Kläger trotz Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis des Sachverhalts so verhalten hat, dass ein anderer nicht mehr mit der Einlegung eines Rechtsbehelfs rechnen musste, tatsächlich darauf vertraute und dieses Vertrauen durch entsprechende Dispositionen betätigt hat. Eine Verwirkung ist vor dem Ablauf eines Jahres grundsätzlich nicht anzunehmen (Rechtsgedanke § 58 Abs. 2 S. 1 VwGO). Da N spätestens seit der Eröffnung der Wirtschaft (Disposition des A) von einer Gaststättenerlaubnis des A ausgehen konnte und erst zwei Jahre später Widerspruch einlegte, ist der Widerspruch verwirkt. Die Klage des N ist mangels Durchführung des Vorverfahrens unzulässig.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Hamburger Michel

Hamburger Michel

22.10.2020, 20:03:16

Bei der

Klagebefugnis

könnte man ergänzend § 4 I 1 Nr. 3 GastG für einen Verweis auf Normen des materiellen Baurechts erwähnen.

デニス

デニス

22.10.2020, 20:05:55

Kann man, muss man aber nicht. Ist innerhalb der

Klagebefugnis

mEn rein kosmetischer Natur, wie viele Normen aufgeführt werden, da eine (bzw. die Adressatenformel) ausreicht.

Hamburger Michel

Hamburger Michel

23.10.2020, 10:37:51

In einer Anspruchssituation wäre dies anders zu beurteilen, da kein allgemeiner Gesetzesvollziehungsanspruch besteht und in der

Klagebefugnis

auf den Drittschutz der Normen eingegangen wird, die überhaupt erst in der

Begründetheit

zur Rechtsverletzung führen können und deren Verletzung in der

Begründetheit

ausschließlich geprüft werden darf. Der Kläger kann also nicht die Verletzung von Normen geltend machen, die ausschließlich im öffentlichen Interesse liegen. In Klausuren wird praktisch häufig nur auf eine Norm/ eine Normkette abgestellt; im öffentlichen Baurecht beispielsweise muss jedoch aufgrund der besonders bedeutsamen Drittschutz-Frage und des nicht bestehenden allgemeinen Gesetzesvollziehungsanspruchs besonders auf eine umfassende Prüfung geachtet werden.

Hamburger Michel

Hamburger Michel

23.10.2020, 10:38:05

Hier in diesem Fall hätte ich auf § 4 I 1 Nr. 3 GastG verwiesen, da es erst die Verbindungsnorm ins materielle Baurecht darstellt, das ohne diese ansonsten nicht im Gaststättenrecht bei Konzessionen geprüft werden würde.

デニス

デニス

23.10.2020, 10:44:45

Genau, „wäre“. Dann ist mein Punkt ja klar geworden. =)

Hamburger Michel

Hamburger Michel

23.10.2020, 12:07:15

Ja, deinen Punkt habe ich verstanden. 🙂Nur in diesem Fall würde ich für eine korrekte Lösung empfehlen, die Verbindungsnorm des § 4 I 1 Nr. 3 GastG zu nennen, denn warum sollte man sonst innerhalb einer Gaststättenkonzession Normen des öffentlichen Baurechts prüfen? Darauf wird erst in den Versagungsgründen des § 4 I 1 GastG verwiesen.

CAJE

Cajetan

27.7.2022, 17:54:29

Das Bild mal wieder große Klasse 😂

Falsus Prokuristor

Falsus Prokuristor

20.9.2024, 13:13:24

Hallo zusammen, ist das Vorverfahren nicht häufig auch für im Verwaltungsverfahren nicht beteiligte Dritte, die sich gegen den Erlass eines einen anderen begünstigenden Verwaltungsaktes wenden, durch Landesrecht ausgeschlossen. In NRW ergäbe sich das mMn aus § 110 III 2 Nr. 8 bei Entscheidungen nach dem Gaststättengesetz und der dazu ergangenen Rechtsverordnung. Habe ich das Wechselspiel aus Regel und Ausnahme hinsichtlich des Vorverfahrens in diesem Fall richtig verstanden oder übersehe ich da etwas?

Falsus Prokuristor

Falsus Prokuristor

20.9.2024, 13:14:55

Den § 110 III 2 Nr. 8 JustG NRW meine ich natürlich

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

21.9.2024, 11:16:49

Hallo @[Falsus Prokuristor](203103), eine gute Frage zur Klarstellung, danke dafür! Du hast zunächst völlig Recht, dass das Vorverfahren nach LandesR häufig nicht durchlaufen werden muss (was sich zB auch in der Relevanz dieses Verfahrens für Prüfungen im 2. Examen in den entsprechenden Ländern niederschlägt). Nach § 110 I 1 JustG NRW ist ein Widerspruchsverfahren zB grds entbehrlich. Das gilt zwar normalerweise nicht für

Drittanfechtungsklage

n (§ 110 III 1 JustG NRW), der von Dir genannte § 110 III 2 Nr 8 JustG NRW bildet davon aber gerade eine Rückausnahme für Fälle des GaststättenR, wie Du richtig erkannt hast. Um hier trotzdem unproblematisch zum Widerspruch zu kommen und uns mit diesen Differenzierungen im Rahmen unserer Aufgabe nicht auseinander setzen zu müssen, haben wir den Fall nicht in einem bestimmten Bundesland spielen lassen, sondern uns allein auf das GastG des Bundes gestützt. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

Falsus Prokuristor

Falsus Prokuristor

21.9.2024, 13:49:25

Danke für die Aufklärung!


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