Zivilrechtliche Nebengebiete
Handelsrecht
Handelsregister und sonstige Rechtsscheintatbestände
Publizität des Handelsregisters, Negative Publizität, § 15 Abs. 1 HGB (Rosinentheorie)
Publizität des Handelsregisters, Negative Publizität, § 15 Abs. 1 HGB (Rosinentheorie)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A und B sind Komplementäre der X-KG. Im Gesellschaftsvertrag ist gemeinschaftliche Vertretung durch A und B vorgesehen. B scheidet aus, sein Ausscheiden wird nicht zur Eintragung im Handelsregister angemeldet. A schließt nach Bs Ausscheiden einen Kaufvertrag mit V. V verlangt von B Zahlung des Kaufpreises.
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Einordnung des Falls
Publizität des Handelsregisters, Negative Publizität, § 15 Abs. 1 HGB (Rosinentheorie)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Bs Ausscheiden ist eine eintragungspflichtige Tatsache (§ 15 Abs. 1 HGB).
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Bs Ausscheiden wurde nicht in das Handelsregister eingetragen (§ 15 Abs. 1 HGB).
Ja, in der Tat!
3. V wusste nichts von Bs Ausscheiden im Zeitpunkt des Vertragsschlusses (§ 15 Abs. 1 HGB).
Ja!
4. A und B können Vs Kaufpreisanspruch Bs Ausscheiden aus der KG nicht entgegenhalten (§ 15 Abs. 1 HGB).
Genau, so ist das!
5. Sich bezüglich einer Tatsache bei verschiedenen Sachverhalten einmal auf die wirkliche Rechtslage und einmal auf den Inhalt des Handelsregisters zu berufen, ist nach herrschender Meinung möglich (§ 15 Abs. 1 HGB).
Ja, in der Tat!
6. Bezüglich des Zustandekommens des Kaufvertrags ist es für V vorteilhaft, auf den Schutz des § 15 Abs. 1 HGB zu verzichten und sich auf die wahre Rechtslage zu berufen.
Ja!
7. Bezüglich der Haftung des B ist es für V vorteilhaft, den Schutz des § 15 Abs. 1 HGB in Anspruch zu nehmen und das Ausscheiden nicht entgegenhalten zu lassen.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
jeci
4.7.2024, 12:53:49
Ein gutes Beispiel dafür, wie eine recht abstrakte Aussage (hier die Möglichkeit des "Rosinenpickens") im weiteren Verlauf mit praktischen Beispielen unterlegt wird, damit man sich besser was darunter vorstellen kann.
Foxxy
19.7.2024, 15:02:00
Hallo, vielen Dank für dein Lob! Deine positive Rückmeldung motiviert uns, weiterhin unser Bestes zu geben. Beste Grüße, Foxxy, für das Jurafuchs-Team
Lord Denning
27.7.2024, 20:34:54
Liebes Jurafuchs-Team, bei diesem Fall wäre es für das Verständnis ungemein hilfreich, wenn man ganz fallösungsorientiert die Fragen stellen würde. Denn erst so kommt man auf die Rosinenpickerei: „1. Gesellschaftsverbindlichkeit (wurde die Gesellschaft wirksam vertreten; eigentlich ja Gesamtvertretung formell aber materiell hat ja nur noch A Vertretungmacht) 2. Gesellschafterhaftung B eigentlich gar nicht mehr materiell Gesellschafter, aber formell gem. § 15 I HGB schon. Widerspruch?“ Vielen Dank :))
CR7
20.8.2024, 13:16:30
Im vorliegenden Fall geht es um die negative Publizität des Handelsregisters gemäß § 15 Abs. 1 HGB. Diese Norm schützt Dritte, wie V, vor nicht eingetragenen Tatsachen. Was nicht im Handelsregister steht, gilt im Rechtsverkehr als nicht geschehen. Das Ausscheiden von B aus der X-KG wurde nicht eingetragen, weshalb V sich darauf berufen kann, dass B weiterhin als Gesellschafter gilt und für die Verbindlichkeiten der KG haftet. Gleichzeitig könnte V vor dem Problem stehen, dass der Vertragsschluss durch A alleine unwirksam wäre, weil der Gesellschaftsvertrag eine gemeinschaftliche Vertretung von A und B vorsieht. A hätte also möglicherweise nicht alleine handeln dürfen, was für V nachteilig wäre. Hier kommt jedoch die sogenannte
Rosinentheorieins Spiel: V hat ein Wahlrecht und kann sich entscheiden, auf den Schutz des § 15 Abs. 1 HGB zu verzichten, wenn es für ihn nachteilig wäre. Er kann sagen, dass er in Bezug auf den Vertragsschluss die tatsächliche Rechtslage akzeptiert, also dass A die KG wirksam alleine vertreten hat, da B ausgeschieden ist. Gleichzeitig kann V sich hinsichtlich der Haftung von B auf § 15 Abs. 1 HGB berufen und behaupten, dass B noch als Gesellschafter gilt, da sein Ausscheiden nicht eingetragen wurde. Damit kann V den Vertragsschluss für wirksam erklären und trotzdem B in Anspruch nehmen – das ist der Kern der
Rosinentheorie. Warum sagt die h.M., dass das möglich ist? § 15 Abs. 1 HGB ist eine Schutzvorschrift zugunsten des Rechtsverkehrs, also derjenigen Personen, die auf das Handelsregister vertrauen. Ihr Zweck ist es, Dritte vor negativen Folgen zu schützen, wenn eine eintragungspflichtige Tatsache nicht im Handelsregister steht. Der Gedanke dahinter ist, dass der Dritte nicht schlechter gestellt werden darf, nur weil eine Tatsache nicht eingetragen wurde. Die h.M. sagt daher, dass es im Interesse des Dritten liegt, sich selektiv auf den Inhalt des Handelsregisters oder die wahre Rechtslage zu berufen, je nachdem, was für ihn vorteilhafter ist. Da § 15 Abs. 1 HGB nur den Dritten schützt, steht es ihm frei, je nach Sachverhalt zu entscheiden, ob er den Schutz dieser Vorschrift in Anspruch nimmt oder nicht. Der Schutz soll letztlich nicht vom Zufall abhängen. Eine a.A. meint jedoch, dass sich der Dritte widersprüchlich verhalte und das Wahlrecht daher nur einheitlich auszuüben sei.