Zivilrecht
Sachenrecht
Gesetzlicher Eigentumserwerb an beweglichen Sachen
Kondiktionsfestigkeit der Ersitzung
Kondiktionsfestigkeit der Ersitzung
10. Juni 2025
10 Kommentare
4,7 ★ (51.874 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Die unerkannt Geschäftsunfähige G veräußert eine ihr gehörende wertvolle Erstauflage einer bekannten Romanreihe an die Sammlerin S. 15 Jahre nach der Übergabe der Erstauflage verlangt Betreuer B Herausgabe der Romanreihe an G.
Diesen Fall lösen 82,6 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Kondiktionsfestigkeit der Ersitzung
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. G könnte einen Anspruch auf Herausgabe der Romane aus § 985 BGB besitzen.
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. G hat allerdings das Eigentum an dem Roman durch Rechtsgeschäft nach § 929 S. 1 BGB verloren.
Nein!
3. S hat das Eigentum durch Ersitzung (§ 937 BGB) erworben.
Genau, so ist das!
4. Hat G gegen S einen Anspruch auf Herausgabe der Romane aus § 985 BGB?
Nein, das trifft nicht zu!
5. Fehlt es aufgrund der Ersitzung an den Voraussetzungen des Herausgabeanspruchs aus § 985 BGB, so sind unstreitig auch Kondiktionsansprüche des ehemaligen Eigentümers (§§ 812 ff. BGB) ausgeschlossen.
Nein!
6. Ansprüche aus der Eingriffskondiktion (§ 812 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB) werden durch die Ersitzung unstreitig ausgeschlossen.
Genau, so ist das!
7. Teile der Lehre gehen davon aus, dass die Ersitzung die Leistungskondiktion nicht ausschließt. Nach dieser Ansicht könnte G, vertreten durch B, Rückübereignung der Bücher verlangen (§ 812 Abs. 1 S. 1, Alt. 1 BGB).
Ja, in der Tat!
8. Nach Ansicht des BGH und verschiedener Vertreter in der Literatur schließt die Ersitzung hingegen auch die Leistungskondiktion aus.
Ja!
9. Der Streit hat hohe praktische Bedeutung.
Nein, das ist nicht der Fall!
Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!
Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Jurapro
20.2.2023, 21:08:08
Kann man sagen, dass aufgrund der
Ersitzung, die ein gesetzlicher Erwerbstatbestand ist, schon keine bewusste und
zweckgerichtete Leistung des G vorliegt und die
Leistungskondiktiondeshalb nicht neben 985 anwendbar ist?

Lukas_Mengestu
21.2.2023, 09:08:59
Hallo Jurapro, sehr gute Überlegung. In der Tat wurde das Eigentum zu keinem Zeitpunkt geleistet. Das Reichsgericht hatte in dem diesem Fall zugrunde liegenden Menzelbilder-Fall aber genügen lassen, dass der Eigenbesesitz, der die
Ersitzungbegründet hat, geleistet wurde. Das Eigentum sollte dann nach § 818 Abs. 1 BGB ebenfalls herauszugeben sein, da es auf Grund des Besitzes erlangt worden war (RG v. 6.10.1930 = http://lorenz.userweb.mwn.de/urteile/rgz130_69.htm). Lange war die Entscheidung des RG übrigens die einzige höchstgerichtliche Entscheidung zur Frage der
Kondiktionsfestigkeit der
Ersitzung. Der BGH hatte sich dann 2016 in einer etwas anderen Konstellation (Buch
ersitzung) damit wieder auseinandergesetzt und sich hierbei der Gegenauffassung angeschlossen, die argumentieren, die
Ersitzungtrage den Rechtsgrund in sich, sodass auch eine Herausgabe bei der
Leistungskondiktionausgeschlossen sei. Die tragenden Gründe für die Entscheidung des Reichsgerichts (unterschiedliche Verjährungsfristen) seien nach der Verkürzung der Verjährungsfrist weggefallen. Dagegen spräche für einen Gleichlauf, dass es nicht zu einem Wertungswiderspruch zwischen Leistungs- und
Eingriffskondiktionkommt (BGH Urt. v. 22.1.2016 – V ZR 27/14 = BGHZ 208, 316 = http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&nr=73750&pos=0&anz=1 RdNr. 41f.). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Findet Nemo Tenetur
12.11.2024, 11:13:27
eine Anschlussfrage daran: @[Lukas_Mengestu](136780), du sagst, dass hier zu keinem Zeitpunkt Eigentum geleistet wurde. So habe ich es auch verstanden, da ja die Einigung unwirksam war. Bei der Frage zum Streit über die Anwendbarkeit der
Leistungskondiktionschreibt ihr aber: “nach dieser Ansicht (also der, die die
Leistungskondiktionanwenden will) könnte G hier aus § 812 I 1 Alt. 1 vorgehen” (Frage ist mit “stimmt” zu beantworten). Das passt für mich nicht zusammen. Kannst du das nochmal erklären?

Wesensgleiches Minus
27.4.2025, 10:28:56
Auch hier fände ich eine stichpunktartige Lösungsskizze am Ende des Falls super hilfreich. Ich finde es gar nicht so leicht, den Streit und die Argumente an die richtige Stelle zu sortieren, insbesondere, wenn man sauber zwischen Eigentum und Besitz differenziert.

Linne Hempel
28.5.2025, 15:13:00
Hallo
Wesensgleiches Minus, vielen Dank für Deinen Vorschlag! Wir haben ihn notiert und werden in einer der nächsten Redaktionssitzungen prüfen, inwiefern wir hierzu unsere Lerninhalte entsprechend anpassen bzw. noch weitere Aufgaben mit aufnehmen können. Beste Grüße, Linne Hempel, für das Jurafuchs-Team
Lt. Maverick
17.5.2025, 13:22:29
„Dass die beiden Zeitpunkte zusammenfallen, sorgt dafür, dass der Streit, ob die
ErsitzungKondiktionsansprüche ausschließt, praktisch weitgehend irrelevant ist.“ Mir erschließt sich nicht, wie der Zeitpunkt der
Ersitzungund die Verjährung der Kondiktionsansprüche generell zeitlich zusammenfallen können. Gemäß § 199 IV BGB verjähren Kondiktionsansprüche in 10 Jahren ab ihrer Entstehung. In Bezug auf die
Eingriffskondiktion: Ein Eingriff in das Eigentum des ursprünglichen Eigentümers durch den
Ersitzungseigentümer gemäß § 812 I S. 1 Alt. 2 BGB ist doch erst im Zeitpunkt der
Ersitzungnach Ablauf von 10 Jahren gegeben. Der Anspruch entsteht gemäß § 199 IV BGB also gerade erst mit der
Ersitzung, § 937 BGB. Das bedeutet mit Eigentumserwerb durch
Ersitzungwürde die Höchstfrist gemäß § 199 IV BGB im Rahmen des § 812 I S. 1 Alt. 2 BGB erst zu laufen beginnen. Zwischen Besitzerwerb bis Verjährung der
Eingriffskondiktiondurch
Ersitzunglägen eigentlich 20 Jahre. MüKoBGB/Hamdorf BGB § 937 Rn. 75 stellt bei der
Eingriffskondiktionauch auf den
Ersitzungserwerb und nicht den Eigenbesitzerwerb ab (dieser wäre ja im Regelfall sowieso durch eine
Leistungskondiktiongesperrt). Hier sagt die hM aber, dass das Eigentum originär nach § 937 BGB erlangt wurde und damit ein Rechtsgrund vorliegt, weshalb ein Anspruch materiell-rechtlich scheitert. Auf die Verjährung kommt es dann ohnehin nicht mehr an. Im Rahmen der
Leistungskondiktionmacht es Sinn an den Besitz anzuknüpfen, denn dieser stellt ja gerade den Leistungsgegenstand dar. Vielleicht könnte man die Differenzierung näher hervorheben, dass sich a) Beginn der Verjährungsfristen von Nichtleistungs- und
Leistungskondiktionvoneinander unterscheiden und b) eine nicht erhobene Verjährungseinrede praktisch nur im Rahmen der
Leistungskondiktionvon Bedeutung ist, da die
Ersitzungbei der
Eingriffskondiktionsowieso den Rechtsgrund bildet.