(Kein?) Recht zur dritten Andienung
18. April 2025
22 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K kauft bei V am 2.2.2020 einen Neuwagen für €30.000. Am 14.5.2020 macht K bei V erhebliche herstellerbedingte Lackschäden geltend und setzt V eine Nachbesserungsfrist bis zum 30.5.2020. Am. 28.5.2020 bietet V dem K an, einen Vertragshändler seiner Wahl aufzusuchen, damit das Auto besichtigt und nachgebessert werden kann. K ist einverstanden und lässt den Lack vom 14.8. bis zum 21.8.2020 in der Vertragswerkstatt des D nachbessern. Kurz nach Abholung beanstandet K zu Recht, dass die Mängel nicht vollständig beseitigt wurden und die Neulackierung nicht fachgerecht ausgeführt wurde. Er erklärt am 24.9.2020 den Rücktritt und verlangt Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung.
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Einordnung des Falls
(Kein?) Recht zur dritten Andienung
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Der Neuwagen war bei Gefahrübergang sachmangelhaft, weil er nicht eine Beschaffenheit aufwies, "die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann" (§ 434 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BGB).
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Ist die Kaufsache bei Gefahrübergang mangelhaft, kann der Käufer unter weiteren Voraussetzungen vom Vertrag zurücktreten (§ 437 Nr. 2 BGB).
Ja, in der Tat!
3. Eine wirksame Fristsetzung zur Nacherfüllung setzt voraus, dass ein konkreter Zeitraum genannt wird.
Nein!
4. Das Angebot des V vom 28.5., das Auto bei einer Vertragswerkstatt untersuchen zu lassen, hat die von K gesetzte Frist gewahrt.
Nein, das ist nicht der Fall!
5. K kann seinen Rücktritt auf die am 30.5. erfolglos verstrichene Frist stützen.
Nein, das trifft nicht zu!
6. Die von K gesetzte Frist ist am 21.8. erfolglos verstrichen.
Ja!
7. K kann aber erst zurücktreten, wenn ein weiterer Versuch zur Nachbesserung erfolglos geblieben ist, denn aus § 440 S. 2 BGB folgt die allgemeine Wertung, dass der Verkäufer zwei Nachbesserungsversuche hat.
Nein, das ist nicht der Fall!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Ferdinand
21.8.2021, 17:27:28
Der Fall lief diesen August in RLP im Examen.
Isauricus
20.9.2021, 15:02:01
In Hessen auch
Giovanna
4.10.2021, 21:36:04
In Bremen auch 👍🏼

Gero1
18.10.2021, 15:09:49
Oh man, der Fall ist wohl beliebt: Heute auch in M-V 😅

Redlicher Besitzer
18.10.2021, 17:29:13
Und in Berlin/Brandenburg heute auch

Lukas_Mengestu
3.11.2021, 10:28:52
Sehr cool, vielen Dank euch für die Hinweise! Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Jennifer
19.11.2021, 19:26:22
Lief auch im August in Sachsen-Anhalt.

schaschl2
5.1.2022, 10:25:35
In NRW lief der Fall auch
Philipp Paasch
25.5.2022, 23:19:00
Soweit zu: "Ihr braucht die Protokolle nicht, die Prüfungsämter tauschen sich untereinander nicht aus." 😅

di203
26.8.2024, 09:46:55
Hallo Jurafüchse, wie wäre das
Rücktrittsrecht zu begründen, wenn bei der Nacherfüllung ein bei Gefahrübergang mangelfreier Bestandteil der Kaufsache beschädigt worden wäre? Die geschuldete Nacherfüllungspflicht wäre ja erfolgreich geleistet und der zweite Mangel nicht bei Gefahrübergang vorliegend. Besteht das
Rücktrittsrecht sodann aus § 324 durch Integritätsverletzung? Dazu habe ich einen Streit gelesen in der ZJS 4/2022, 534, Brinkmann Pielsticker, der nach einer Ansicht eine Erfolglosigkeit annimmt, weil der Mangel vom Nacherfüller zu vertreten ist / in seinen Risikobereich fällt und nach anderer Ansicht den Erfolg bejaht und nur Ansprüche aus § 280/ § 823 zugesteht. Die zweite Ansicht wird sodann wegen des abschließenden Interessenausgleichs des
Rücktrittsrechtssystems verneint. Dabei wird mit keinem Wort auf das gerade bestehende
Rücktrittsrecht bei Integritätsverletzung § 324 eingegangen. Ich würde mich sehr über eine Antwort freuen; oder einen Verweis, in welchem Jurafuchs-Fall dieses Problem eine Rolle spielt.
Joshua
5.9.2024, 12:35:43
Hatten genau das Problem mal in einem Moot-Court. Ich denke alles ist vertretbar, auch wenn ich die Lösung über § 324 persönlich überzeugender finde, weil sonst nach Gefahrübergang Mängel entstünden, was definitorisch eigentlich schon ausgeschlossen ist (vgl. § 434 I "bei Gefahrübergang"). Wenn du das Problem in der Klausur siehst und gut herleitest, bist du aber schon sehr gut dabei.
Lt. Maverick
5.4.2025, 01:49:39
Dem schließe ich mich an. Man müsste sich fragen, welche Pflicht der Verkäufer bei der Nacherfüllung überhaupt hat. Die Nacherfüllung ist auf die Beseitigung des konkreten, bei Gefahrübergang vorliegenden, Mangels gestützt. Wird dieser Mangel beseitigt, dann erfolgte die Nacherfüllung insoweit erfolgreich. Dem könnte man nämlich ebenso hinzufügen, dass der Verkäufer im Rahmen der Nacherfüllung nicht dazu verpflichtet ist Mängel, die erst nach Gefahrübergang eingetreten sind, zu beseitigen (z.B. vom Käufer verursachte Kratzer). Entstehen bei der Nacherfüllung also Schäden an der Kaufsache, die bereits im Eigentum des Käufers steht, so könnte man darin eine Verletzung einer nichtleistungsbezogenen Pflicht nach § 241 II BGB sehen. Eine Hürde könnte jedoch das Erfordernis der
Unzumutbarkeitdarstellen. Hier kann vor allem die Schwere des neuen Schadens problematisch werden, wenn z.B. ästhetische Schäden infolge der Reparatur entstanden sind, die z.B. unvermeidbar waren, wegen der Art und erforderlichen Durchführung der Reparatur. Andererseits könnte man auch überlegen über § 323 I BGB zu arbeiten. In § 283 BGB ist ebenso die Rede von „Leistung“ und wird im Kontext mit einem unmöglich gewordenen Nacherfüllungsanspruch geprüft. Der Nacherfüllungsanspruch könnte insoweit die
Leistungspflichtdes Verkäufers modifizieren. Wenn hier auf die „nicht vertragsgemäße Leistungserbringung“ abgestellt werden würde, könnte man argumentieren, dass der Nacherfüllungsanspruch zwar erbracht wurde. Nach dem Sinn und Zweck der Nacherfüllung soll der Käufer aber so gestellt werden, wie wenn der Vertrag ordnungsgemäß durchgeführt worden wäre (Indiz: Kostentragung iRd Nacherfüllung liegt beim Verkäufer). Das könnte auch solche mit der Nacherfüllung verbundenen Nachteile am Eigentum betreffen. Problematisch ist aber auch hier die Erheblichkeit der
Pflichtverletzung, § 323 V S. 2 BGB. Der dogmatisch bessere Ansatz wäre deshalb mMn über § 324 BGB.
Jurafuchs-Abonnentin
10.9.2024, 14:38:45
Hallo zusammen, woher wird die Frist zur Nacherfüllung genommen? Im Gegensatz zum
Rücktrittund der Minderung steht bei der Nacherfüllung doch gar nichts zur
Fristsetzung? Vielen Dank im Voraus.

Linne_Karlotta_
16.9.2024, 15:35:45
Hey @[Jurafuchs-Abonnentin ](124156), danke für deine Frage. Das
Fristsetzungserfordernis ergibt sich hier aus § 323 Abs. 1 BGB. Beachte, dass hier ein
Rücktrittgeprüft wird (§ 437 Nr. 2 BGB) und nicht das Recht des Käufer, Nacherfüllung zu verlangen (§ 437 Nr. 1 BGB). Ein erfolgreicher
Rücktrittsetzt aber (sofern keine Ausnahme vorliegt) voraus, dass dem Verkäufer zunächst eine
angemessene Frist zur Nacherfüllunggesetzt wurde. Das Fristerfordernis aus § 323 Abs. 1 BGB bezieht sich damit auf ein Nacherfüllungsverlangen. Erst, wenn trotz
Fristsetzungkeine erfolgreiche Nacherfüllung erfolgt ist, darf der Käufer vom Kaufvertrag zurücktreten. Ich hoffe, ich konnte dir damit weiterhelfen. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team
Bioshock Energy
28.9.2024, 13:21:07
Wieso wird hier von Dritter Andienung gesprochen, obwohl der Autohändler erst einmal versucht hat nachzubessern? In § 440 S. 2 BGB steht, dass eine Nachbesserung erst nach dem erfolglosen zweiten versuch als fehlgeschlagen gilt. Danach müsste K dem Händler doch noch eine zweite Chance gewähren. Ich stehe auf dem Schlauch
nylinho
2.10.2024, 18:54:37
Der Händler soll die Sache ja schon beim ersten Mal frei von Mängeln verschaffen (§ 433 I s.2 BGB). Wenn er dies nicht tut hat er ein Recht zur zweiten Andienung iSv Nacherfüllung (vgl. § 439 I BGB). Also diese erste Nachbesserung ist bereits die zweite Andienung (zweiter Versuch eine Sache mangelfrei zu verschaffen). Eine weiterer Versuch wäre deshalb die dritte Andienung.
Lt. Maverick
5.4.2025, 00:39:57
Worum es im vorliegenden Fall konkret geht, ist die
Fristsetzung. Das ist Dreh- und Angelpunkt! § 440 S. 1 BGB beschreibt, dass es einer
Fristsetzungdann nicht bedarf, wenn die Nacherfüllung fehlgeschlagen ist. Damit stellt § 440 S. 1 BGB lediglich weitere Tatbestände zur
Entbehrlichkeiteiner
Fristsetzungneben §§ 281 II, 323 II BGB. Das heißt, dass in den in Abs. 1 genannten Fällen die
Fristsetzungkeine Voraussetzung für einen
Rücktrittdarstellt, der gemäß § 323 I BGB ein
Fristsetzungserfordernis zur Nacherfüllung enthält. Das „Fehlschlagen“ nach § 440 S. 2 BGB soll sich aufgrund systematischer Stellung lediglich auf die fehlgeschlagene Nacherfüllung nach § 440 S. 1 Alt. 2 BGB beziehen. Das bedeutet für einen
Rücktrittbedarf es einer
Fristsetzungbei fehlgeschlagener Nacherfüllung iSv § 440 S. 2 BGB nicht mehr. Setzt der Käufer aber eine erfolglose Frist zur Nacherfüllung, dann hat der Käufer dieses Fristerfordernis gemäß § 323 I BGB bereits eingehalten und kann insoweit vom
RücktrittGebrauch machen
. Legt der Käufer hingegen dem Verkäufer die mangelhafte Sache einfach nur mit der Aufforderung zur Nacherfüllung vor, ohne dabei eine Frist festzulegen, so würde bei
Rücktrittsverlangen § 440 S. 2 BGB aufleben. Der BGH versteht § 440 S. 2 BGB als gesetzlich festgelegte (dem Käufer noch zumutbare) Grenze, ehe der
Rücktrittohne
Fristsetzungerfolgen kann. Das macht Sinn, denn der juristische Laie wird oftmals gar nicht an das Setzen einer Frist denken, sondern die mangelhafte Sache einfach zur Reparatur abgeben und auf das Beste hoffen. Ganz davon abgesehen, dass eine mündlich gesetzte Frist regelmäßig im Prozess schwer beweisbar ist. Dieses zweifache Fehlschlagen der Nacherfüllung greift folglich nur dann, wenn im Rahmen der Nacherfüllung keine Frist gesetzt wurde.

Jigglin‘ for Justice
7.4.2025, 15:01:33
@[Lt. Maverick](229751) Lieben Dank für Deine Mühe das nochmal klarzustellen!