Strafrecht
Strafrecht Allgemeiner Teil
Subjektiver Tatbestand
Abgrenzung Eventualvorsatz/ bewusste Fahrlässigkeit („besonders gefährliche Gewaltanwendung gegenüber Kind“)
Abgrenzung Eventualvorsatz/ bewusste Fahrlässigkeit („besonders gefährliche Gewaltanwendung gegenüber Kind“)
10. Juli 2025
28 Kommentare
4,8 ★ (42.020 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Aus Verärgerung, dass sich der zweijährige Sohn S seiner Freundin eingenässt hat, tritt T dem auf dem Rücken liegenden S mit seinem Fuß so auf den Bauch, dass die Bauchdecke 15 cm tief eingedrückt wird. Obwohl S schreit, dreht T seinen Fuß mehrfach. S erleidet massive innere Blutungen und stirbt.
Diesen Fall lösen 77,6 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Abgrenzung Eventualvorsatz/ bewusste Fahrlässigkeit („besonders gefährliche Gewaltanwendung gegenüber Kind“)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Aus der offensichtlichen Lebensbedrohlichkeit des Verhaltens des T kann darauf geschlossen werden, dass T den Tod des S billigend in Kauf nahm (voluntatives Element des Vorsatzes).
Genau, so ist das!
2. Die Lebensgefährlichkeit einer Handlung alleine belegt den mindestens bedingten Tötungsvorsatz.
Nein, das trifft nicht zu!
3. T hat erkannt, dass durch seine Einwirkung auf S die Gefahr lebensbedrohender Verletzungen bestand (kognitives Element des Vorsatzes).
Genau, so ist das!
Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!
Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Die Eule
6.5.2020, 15:02:29
Bei so einem Fall wünscht man sich, der wäre nur komplett erfunden... schreckliche Sache!

Christian Leupold-Wendling
7.5.2020, 21:21:40
Absolut!!

Der BGBoss
29.11.2020, 20:46:48
Hab ich mir auch gerade gedacht!
IsiRider
23.10.2022, 14:06:59
In solchen Fällen frage ich mich, ob diese Menschen überhaupt zurechnungsfähig sind. Ich hatte den Eindruck, dass der Täter so in seiner Wut war, genervt war, dass er seinen Verstand ausgeschaltet hat.
Shermy25
18.7.2020, 07:35:11
Ist nicht nach der neueren Rechtsprechung des BGH die offensichtliche Gefährlichkeit der Handlung gerade nicht mehr allein ausreichend? Sie ist zwar starkes Indiz für die Annahme eines
Tötungsvorsatzes, es muss aber trotzdem im Einzelfall festgestellt werden, ober der Täter ernsthaft darauf vertraut haben könnte, dass das Opfer nicht zu Tode kommen werde.

Speetzchen
4.4.2021, 22:45:44
Yes, da hast du Recht. z.B BGH, Urt.v. 18.06.2020 - 4 StR 482/19, bestätigt deine Auffassung noch mal !

Lukas_Mengestu
6.5.2021, 10:22:09
Hallo ihr beiden, ihr habt absolut Recht, dass man grds. nicht allein auf die Handlung und deren Lebensgefährlichkeit abstellen kann, sondern eine Gesamtschau vornehmen muss. Deswegen ist hier die erste Frage auch mit "stimmt nicht" zu beantworten gewesen. Nichtsdestotrotz stellt die (offensichtliche) Lebensgefährlichkeit ein sehr starkes Indiz. Auch in der von Speetzchen zitierten Entscheidung billigt der BGH im Ergebnis, dass aufgrund der Gefährlichkeit der Rennfahrt auf dolus eventualis geschlossen wird (Rn. 30 ff). Voraussetzung hierfür ist lediglich, dass man sich daneben auch mit den sog. "vorsatzkritischen" Elementen auseinandersetzt. Das heißt, gibt es im konkreten Fall besondere Umstände, die es nahelegen, dass trotz der Lebensgefährlichkeit nicht einmal
bedingter Vorsatz

Lukas_Mengestu
6.5.2021, 10:24:11
vorliegt. Dies hat der BGH im vorliegenden Fall nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass das Kind hier "wie ein Insekt" zertreten wurde, verneint. Insofern liegen keine ausreichenden Anhaltspunkte vor, die der Indizwirkung der Handlung hier entgegenstehen würden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Speetzchen
6.5.2021, 13:32:28
super, vielen Dank für die ausführliche Antwort 🙆

I-m-possible
14.7.2021, 21:35:35
Als Mutter eines Kleinkindes liest sich der Sachverhalt als schwere "Kost".

Wendelin Neubert
14.7.2021, 23:31:41
Hallo Im-possible, danke für deinen Kommentar. Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass manche unserer Aufgaben im Strafrecht an die Substanz gehen. Die dahinter stehenden Lebenssachverhalte entstammen oft der Rechtsprechung des BGH, und leider hält die vom BGH zu behandelnde Realität unaussprechliche Grausamkeiten bereit. Wir hoffen, durch unsere Aufgaben das rechtliche Handwerkzeug sachlich zu vermitteln, ohne die Realität auszublenden. Dahinter steht auch unsere Überzeugung, dass die sachliche und realitätsbezogene juristische Ausbildung eine Voraussetzung dafür bildet, dass unser Rechtssystem materielle Gerechtigkeit gerade auch für die Opfer schwerer Straftaten und ihre Angehörigen gewährleisten kann. Hoffe das hilft! Herzliche Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team

Cosmonaut
19.2.2024, 09:29:42
Nur so lässt sich die vielzitierte „allgemeine Lebenserfahrung“, deren Grenzen wir in unseren Gutachten ständig abtasten sollen, wenigstens ansatzweise auch an Mittzwanziger-Studis vermitteln. Schrecklich, der Fall. @[Wendelin Neubert](409) Was ich mich fragte: Warum hat die StA nicht „
Heimtücke-Mord“ angeklagt, dann in der Fallgruppe des schutzbereiten Dritten? Die Mutter hat ja nur deshalb ihren Sohn alleine gelassen, weil sie
arglosdarauf vertraute, dass ihm nichts geschehen würde.
bibu knows best
19.6.2022, 12:19:08
Kurze Frage am Rande: wäre
225 StGB(Misshandlung von Schutzbefohlenen) tateinheitlich verwirklicht ? Also tritt nicht im Wege der Konkurrenz zurück ?

Lukas_Mengestu
20.6.2022, 10:31:39
Hallo bibu knows best, in der Tat ist hier auch § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB tateinheitlich verwirklicht. Aus Klarstellungsgründen tritt dies auch nicht im Rahmen der Konkurrenzen hinter das Tötungsdelikt zurück (vgl. MüKoStGB/Hardtung, 4. Aufl. 2021, StGB § 225 Rn. 40). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Fuchsfrauchen
14.4.2023, 14:01:28
Was wäre, wenn T das Kind nicht töten wollte und auch wirklich vertraut hat, dass das nicht passiert? Ich kann mir schon vorstellen, dass es Menschen gibt, denen es nicht bewusst ist, wie schnell ein Kind sterben kann. Dann wäre es ja eigentlich nur eine bewusst fahrlässige Handlung und kein
bedingter Vorsatzmehr. Würde das dann vor Gericht "korrigiert" werden, indem man sagt, er hätte nicht darauf vertrauen dürfen, weil hier objektiv offensichtlich eine große
Gefahrbestand, sodass man wieder beim bedingten Vorsatz landet?
Elias Von der Brelie
10.6.2023, 20:49:49
Ich bin alles andere als ein Experte, aber so wie ich das verstanden habe gibt es bestimmte Umstände wo das Gericht Unterstellt, dass jeder voll zurechnungsfähige Mensch die Auswirkungen des Handelns erkennen müsste. Hier würde meiner Meinung nach Problemlos argumentiert werden, dass der Mann hätte erkennen müssen, dass seine Handlungen tödlich sein könnten, und würde dementsprechend verurteilt werden. Ist ja in vielen Fällen so, dass den Leuten Aufgrund ihrer Objektiven Handlungen bestimmte Gedankengänge unterstellt werden. Das lässt sich leider nicht vermeiden, da man nun mal keine Gedanken lesen kann. Er hätte es halt besser wissen sollen.
HenniPotter
29.2.2024, 09:38:37
Aber ist nicht gerade das "Er hätte erkennen müssen" das prägende Element der Fahrlässigkeit ? Ich glaube, dass es darum geht, dass das Gericht annimmt, dass jeder voll zurechnungsfähige Mensch diese
Gefahraus den Umständen "erkennt", also es tatsächlich tut und dann die Aussage "Ich habe es nicht erkannt" als Schutzbehauptung gewertet wird.

Sebastian Schmitt
13.9.2024, 11:12:04
Hallo @[Fuchsfrauchen](89264), eine gute und sehr praxisorientierte Frage! Danke auch an die anderen für die guten Hinweise. Im Ausgangspunkt geht es tatsächlich um die Abgrenzung von
Eventualvorsatzund bewusster Fahrlässigkeit, von "und wenn schon" zu "wird schon gutgehen". Zur gerichtlichen Feststellung des Vorsatzes haben @[Elias Von der Brelie](209668) und @[HenniPotter](217971) schon viel Richtiges gesagt. Niemand kann dem Täter in den Kopf schauen, erst recht nicht in den Kopf zur Tatzeit. Deswegen kann man sich subjektiven Merkmalen oft nur durch objektive Anhaltspunkte annähern. Neben der Einlassung des Angeklagten (was hat er nach seiner Aussage gefühlt/gedacht) wird man sich also in unserem Fall vor allem anschauen: Wohin hat er getreten, wie fest, wie lange, mit was für Schuhwerk etc. Das Gericht trifft seine Entscheidung dann nach seiner richterlichen Überzeugung, §
261 StPO. Nun mag es tatsächlich Menschen geben, die von ihrer Intelligenz und ihrem Gemüt her so einfach gestrickt sind, dass ihnen auch für andere Leute offensichtliche Sachen nicht einleuchten. In solchen Fällen darf man dem Angeklagten nicht pauschal Vorsatz unterstellen. Andererseits sind "Habe ich nicht gewusst." und "Wollte ich nicht." (zusammen mit "Ich stand unter dem Einfluss von Droge XYZ.") sicherlich die klassischen Schutzbehauptungen, die viele Angeklagte vorbringen werden. Je objektiv gefährlicher also das Verhalten des Angeklagten war, desto kritischer wird man seine Aussagen dahingehend würdigen, ob er WIRKLICH auf einen guten/glimpflichen Ausgang vertraut hat. Letztlich ist das natürlich eine Frage des Einzelfalls und der Beweiswürdigung in der Hauptverhandlung. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team
Fuchsfrauchen
22.10.2024, 13:58:08
Vielen Dank @[Sebastian Schmitt](263562) und den anderen für die Einordnung. Jetzt hätte ich noch eine klausurtaktische Anschlussfrage: Angenommen im SV steht in solch einem Fall "hat ernsthaft darauf vertraut, dass" können wir dann von bewusster Fahrlässigkeit ausgehen, weil der SV für uns wahr ist oder müsste man sich in dem Fall trotzdem für den bedingten Vorsatz entscheiden aus dem Grund "hätte wissen müssen"?

Sebastian Schmitt
22.10.2024, 14:25:11
Hallo @[Fuchsfrauchen](89264), für die klassischen Prüfungsaufgaben auf dem Weg zum ersten Examen gilt: Sachverhaltsdarstellung (also Euer Aufgabentext) = tatsächlicher Sachverhalt. Es war also genau so, wie es in Eurer Aufgabe steht. Wenn da steht "hat ernsthaft vertraut, dass...", dann hat der Täter ernsthaft vertraut, keine Diskussion. Je nachdem, worauf der Täter vertraut hat, kann das eine klassische Formulierung sein, um klarzustellen, dass kein Vorsatz vorlag. In solchen Fällen trotzdem von bedingtem Vorsatz auszugehen oder auch nur in eine vertiefte Abwägung dahingehend einzusteigen, wäre bestenfalls überflüssig und schlimmstenfalls falsch. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team
Fuchsfrauchen
22.10.2024, 21:06:14
Vielen Dank @[Sebastian Schmitt](263562) !
MisterWw
15.5.2025, 11:16:52
Hier wird natürlich auf ein Urteil Bezug genommen - verständlich, allerdings kommen solche Konstellationen aufgrund der schwere nie in Klausurenkursen vor. Meines Erachtens muss man auch nicht unbedingt von einem Kleinkind schreiben, um den Inhalt des Falls zu verstehen. Da kann ich die Mutter die hier schrieb sehr gut verstehen!

Wendelin Neubert
20.5.2025, 18:12:03
Danke für Dein Feedback @[MisterWw](261913). Ich kann Deine Einschätzung nachvollziehen, dass der Fall schwer zu ertragen ist. Aber wie ich auch schon in dem Thread zu dieser Aufgabe, in dem sich die Mutter eines Kindes geäußert hatte, geschrieben habe, ist es unsere Aufgabe, auszubildenden Juristinnen und Juristen das juristische Handwerkszeug auch an der Realität des Lebens beizubringen, und nicht selten ist diese Realität brutal. Wir versuchen dabei, auch auf die Sensibilität und Wahrnehmung unserer Nutzerinnen und Nutzer Rücksicht zu nehmen, und haben in der Vergangenheit auch schon Fälle geändert und Illustrationen, die als zu schwer erträglich wahrgenommen wurde, gelöscht. Auch werden wir in Zukunft noch mehr Content-Hinweise sowie andere technische Vorkehrungen aufnehmen, um negative psychische Wirkungen solcher Aufgaben für die einzelnen Lernenden auszuschließen. Ich hoffe aber, Du kannst nach meinen Ausführungen nachvollziehen, warum wir solche Inhalte auch in ihrem Bezug zum echten Leben in unseren Lerninhalten darstellen. Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team

Lukas_Dunkel
12.6.2025, 10:37:16
Für mich als Vater ist das Bild, genauso wie der Fall auch krass und schwer erträglich und schürt tatsächlich unbewusst Hass gegen den Täter. Nichtsdestotrotz müssen wir mit so etwas umgehen können und lernen, die Gefühle dabei zu ignorieren. Ich halte es für falsch, immer Rücksicht auf den einzelnen zu nehmen und die „Realität“ anzupassen (anpassen der Bilder, Änderungen von Sachverhalten usw.) nur damit einzelne sich wohler fühlen. Das hilft der Masse nichts und hat auch nichts mit dem realen Alltag zu tun. Und viele Sachverhalte kommen so in den Klausuren nicht vor, dienen aber einfach zum Trockenen Verständnis der juristischen Mechanik dahinter. Ich denke, JuraFuchs macht das schon sehr gut und 99 % der Menschen begrüßen Anpassungen oder dergleichen eher weniger.

Susi<3
12.6.2025, 22:40:18
Ich kann durchaus nachvollziehen, dass man den Inhalt schwer verdaulich findet. Allerdings wird man in der Examensklausur davon auch nicht verschont. Was soll man dann machen - sich bei der Aufsicht beschweren? Letztendlich geht es um die Einschätzung juristischer Probleme, die wir lernen müssen. Und im Strafrecht geht es halt um Menschen, die Handlungen vornehmen, die nicht vom Gesetz gebilligt werden.