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Sachmangel eines Grundstücks und Schadensersatz für Wohnungswechsel wegen schikanösen Verhaltens des Nachbarn?

Sachmangel eines Grundstücks und Schadensersatz für Wohnungswechsel wegen schikanösen Verhaltens des Nachbarn?

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

V veräußert ihr Nachbargrundstück an E. Nach Einzug droht der mit V wohnende S dem E wiederholt mit seinem Tode. Dass gegen S vor fünf Jahren wegen Stalkings eines Nachbarn eine einstweilige Verfügung erwirkt wurde, hatte V verschwiegen. E verkauft das Grundstück und verlangt Schadensersatz.

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Einordnung des Falls

Sachmangel eines Grundstücks und Schadensersatz für Wohnungswechsel wegen schikanösen Verhaltens des Nachbarn?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das schikanöse Verhalten des S stellt einen Sachmangel des veräußerten Grundstücks dar (§§ 434f. BGB), sodass E von V Schadensersatz verlangen kann (§§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Die Sache ist frei von Sachmängeln, wenn bei Gefahrübergang die Ist-Beschaffenheit der (vereinbarten und/oder gesetzlich definierten) Soll-Beschaffenheit entspricht (§ 434 Abs. 1 S. 1 BGB n.F.). Zur Beschaffenheit zählen die körperlichen Eigenschaften, aber auch die Beziehungen der Sache zur Umwelt, sofern diese mit dem physischen Zustand der Kaufsache zusammenhängen. Das individuelle Störverhalten des Nachbarn S hängt nicht mit körperlichen Eigenschaften des Verkaufsgrundstücks zusammen. Ein Sachmangel liegt nicht vor.
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2. V hat durch das Verschweigen von S' strafrechtlicher Vergangenheit eine Aufklärungspflicht verletzt, sodass E von V Schadensersatz verlangen kann (§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB).

Nein!

Eine Aufklärungspflicht kann sich aus einem schikanösen nachbarlichen Verhalten erheblichen Ausmaßes ergeben, sofern dieses dazu geeignet ist, den Nutzungswert des Verkaufsgrundstücks erheblich zu beeinträchtigen. Zwar weist das Nachstellungsverhalten einen Bezug zur Nachbarschaft auf. Allerdings ist es lange her und S hat sein Verhalten seit der gerichtlichen Verfügung nicht fortgesetzt. Daher war das vergangene Stalking, zumal es bisher nur einmal vorgekommen ist, nicht aufklärungspflichtig.

3. E könnte gegen S ein Anspruch auf Schadensersatz zustehen, wenn S' schikanöses Verhalten ein Schutzgesetz verletzt hat (§ 823 Abs. 2 BGB).

Genau, so ist das!

Dies setzt voraus: (1) Schutzgesetzverletzung, (2) Verletzungshandlung, (3) Haftungsbegründende Kausalität, (4) Rechtswidrigkeit, (5) Verschulden. Ist das Schutzgesetz eine Strafnorm, so wird die Rechtswidrigkeit und das Verschulden (in Form des subjektiven Tatbestandes) bereits unter (1) geprüft.

4. § 238 Abs. 1 StGB stellt ein Schutzgesetz dar (§ 823 Abs. 2 BGB).

Ja, in der Tat!

Schutzgesetz ist jede Rechtsnorm (Art. 2 EGBGB), die zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen gegen die Verletzung eines Rechtsguts zu schützen. § 238 Abs. 1 StGB dient dazu, den Einzelnen vor schwerwiegenden Belastungen der freien Lebensgestaltung zu schützen. Es schützt damit zumindest auch den Einzelnen. Das Zivilgericht prüft die Voraussetzungen der Strafnorm selbst (§ 17 Abs. 2 S. 1 GVG). Es wäre hierbei auch an ein rechtskräftiges Strafurteil nicht gebunden.

5. S hat das Schutzgesetz des § 238 Abs. 1 StGB verletzt.

Ja!

Der objektive Tatbestand setzt voraus: (1) Unbefugtes, (2) beharrliches, (3) Nachstellen, (4) im Wege einer der in Nr. 1-7 genannten Verhaltensweisen, die (5) objektiv zur schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung geeignet ist. Diesbezüglich müsste Vorsatz bestehen (§ 15 StGB). Zudem müssten Rechtswidrigkeit und Schuld vorliegen. S hat dem E mehrfach und gegen dessen Willen vorsätzlich mit schweren Körperverletzungen gedroht (§ 238 Abs. 1 Nr. 4 StGB). Dies war zur schweren Beeinträchtigung von Es Lebensgestaltung geeignet. S handelte auch rechtswidrig und schuldhaft.

6. Der haftungsbegründende Tatbestand des §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 238 Abs. 1 StGB ist erfüllt.

Genau, so ist das!

Dies setzt voraus: (1) Schutzgesetzverletzung, (2) Verletzungshandlung, (3) Haftungsbegründende Kausalität, (4) Rechtswidrigkeit, (5) Verschulden. S hat durch positives Tun § 238 Abs. 1 StGB verwirklicht. Die Verletzungshandlung war auch adäquat kausal für die Schutzgesetzverletzung. Zudem handelte S rechtswidrig und vorsätzlich (§ 15 StGB bzw. § 276 BGB).

7. Kann E von S die Umzugskosten sowie die beim Erwerb eines neuen Eigenheims anfallenden Nebenkosten (Notarkosten und Grunderwerbsteuer) ersetzt verlangen (§§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 238 Abs. 1 StGB)?

Ja, in der Tat!

Der Schaden müsste adäquat kausal auf der Schutzgesetzverletzung beruhen, dürfte also nicht außerhalb aller Wahrscheinlichkeit liegen. Zudem müsste er vom Schutzzweck der Norm erfasst sein. Sinn und Zweck des § 238 Abs. 1 StGB ist der Schutz der eigenen Lebensgestaltung. Das Stalking ist adäquat kausal für die Schäden, da es innerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegt, dass E umzieht und ein neues Eigenheim erwirbt. Der Umzug dient auch der Wiederherstellung von Es Handlungs- und Entschließungsfreiheit und ist daher vom Schutzzweck der Norm erfasst.

8. Kann E von S den Mindererlös ersetzt verlangen, der dadurch entsteht, dass E den Neuerwerber des Grundstücks über den schikanösen Nachbarn S aufklärt (§§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 238 Abs. 1 StGB)?

Nein!

Der Schaden müsste adäquat kausal auf der Schutzgesetzverletzung beruhen, dürfte also nicht außerhalb aller Wahrscheinlichkeit liegen. Zudem müsste er vom Schutzzweck der Norm erfasst sein. Sinn und Zweck des § 238 Abs. 1 StGB ist der Schutz der eigenen Lebensgestaltung. Die Veräußerung des Grundstücks dient nicht der Wiederherstellung von Es Sicherheitsgefühl. Zudem ist die Veräußerung zwar nachvollziehbar, aber nicht zwingende Folge von S' Nachstellung - denn eine Vermietung wäre auch möglich gewesen. Da § 238 StGB nicht dem reinen Vermögensschutz dient, ist der Schaden nicht ersatzfähig.

9. Ist § 241 StGB ein Schutzgesetz (§ 823 Abs. 2 BGB)?

Genau, so ist das!

Schutzgesetz ist jede Rechtsnorm (Art. 2 EGBGB), die zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen gegen die Verletzung eines Rechtsguts zu schützen. § 241 StGB schützt den individuellen Rechtsfrieden, also das Gefühl der durch das Recht gewährleisteten Sicherheit des Einzelnen. Damit ist die Norm ein Schutzgesetz.

10. S hat das Schutzgesetz des § 241 Abs. 2 StGB verletzt.

Ja, in der Tat!

Der objektive Tatbestand setzt voraus, dass (1) einem Menschen mit der Begehung (2) einer rechtswidrigen Tat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder gegen eine Sache von bedeutendem Wert (Abs. 1) oder eines Verbrechens (Abs. 2) (3) gedroht wird. Drohung ist das Inaussichtstellen eines empfindlichen Übels. Diesbezüglich müsste Vorsatz bestehen (§ 15 StGB). Zudem müssten Rechtswidrigkeit und Schuld vorliegen. S kündigte dem Menschen E an, gegen ihn einen Totschlag (§ 212 StGB) zu verüben. Dies ist ein Verbrechen (§ 12 Abs. 1 StGB). S handelte auch vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft. Auch die übrigen Voraussetzungen des haftungsbegründenden Tatbestandes sind erfüllt.

11. Kann E die Umzugskosten sowie die beim Erwerb eines neuen Eigenheims anfallenden Nebenkosten (Notarkosten und Grunderwerbsteuer) ersetzt verlangen (§§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 241 StGB).

Ja!

Der Schaden müsste adäquat kausal auf der Schutzgesetzverletzung beruhen, dürfte also nicht außerhalb aller Wahrscheinlichkeit liegen. Zudem müsste er vom Schutzzweck der Norm erfasst sein. Zweck des § 241 StGB ist der Schutz des individuellen Sicherheitsgefühls. Die Bedrohung ist adäquat kausal für die Schäden, da es innerhalb der Lebenserfahrung liegt, dass E umzieht und ein neues Eigenheim erwirbt. Der Umzug dient der Wiederherstellung von Es Handlungsfreiheit und ist daher vom Schutzzweck der Norm erfasst. Auch über die Verletzung des § 241 StGB wäre ein Mindererlös bei Weiterverkauf des Grundstücks nicht ersatzfähig.
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