+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Tags
Klassisches Klausurproblem
Autor A verletzt rechtswidrig Helmut Kohls (K) Persönlichkeitsrechte. K verklagt A. K wird ein Geldentschädigungsanspruch durch vorläufig vollstreckbares Urteil zugesprochen. K verstirbt, bevor das Urteil rechtskräftig ist. Ks Witwe meint, der Anspruch sei auf sie übergegangen.
Diesen Fall lösen 72,1 % der 15.000 Nutzer:innen
unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Kohl-Tagebücher: (Keine) Vererblichkeit des Anspruchs auf Entschädigung wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die Persönlichkeitsrechtsverletzungen gegenüber Helmut Kohl stellen eine deliktisch relevante Rechtsgutsverletzung dar (§ 823 Abs. 1 BGB).
Ja, in der Tat!
Parallel zu den in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgütern erfordert die Anerkennung als "sonstiges Recht", dass die Rechtsposition ein absolutes Recht darstellt. Dies setzt eine Zuordnungs- und eine Ausschlussfunktion voraus (für das Eigentum siehe § 903 Alt. 1, Alt. 2 BGB). Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht ist als "sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB anerkannt (BGH, NJW 1954, 1404).
Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht ist ein Rahmenrecht. Die Rechtswidrigkeit wird nicht durch die Tatbestandsmäßigkeit indiziert, sondern muss positiv durch Interessenabwägung im Einzelfall festgestellt werden.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.
2. Aufgrund dieser Persönlichkeitsrechtsverletzungen stand Helmut Kohl vor seinem Tod ein Geldentschädigungsanspruch zu (§ 823 Abs. 1 BGB).
Ja!
Der haftungsbegründende Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB ist erfüllt.
Persönlichkeitsrechtsverletzungen begründen in der Regel nur einen Nichtvermögensschaden, sodass Entschädigung in
Geld nur bei gesetzlicher Regelung gewährt wird (§ 253 Abs. 1 BGB). In § 253 Abs. 2 BGB ist das Allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht genannt. Da mangels planwidriger Regelungslücke eine Analogie zu § 253 Abs. 2 BGB ausscheidet, leitet der BGH in verfassungskonformer Reduktion des § 253 Abs. 1 BGB den Geldentschädigungsanspruch unmittelbar aus dem verfassungsrechtlichen Schutzauftrag selbst her (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB).
3. Der Geldentschädigungsanspruch aufgrund von Persönlichkeitsrechtsverletzungen ist immer vererblich.
Nein, das ist nicht der Fall!
Der Geldentschädigungsanspruch hat primär eine Genugtuungsfunktion. Es geht nicht darum, eine erlittene Ehrverletzung auszugleichen, sondern darum, dem Schädiger durch die Geldzahlung ein Übel aufzuerlegen, das dem Geschädigten Genugtuung verschafft.
Einem Verstorbenen kann diese Genugtuung nicht mehr verschafft werden. Daher ist der Anspruch grundsätzlich nicht vererblich.
Postmortale Verletzungen des Persönlichkeitsrechts begründen mangels Genugtuung beim Verstorbenen daher nie einen Geldentschädigungsanspruch der Erben (BGH, NJW 2014, 2871, 2872).
4. Allerdings ist der Geldentschädigungsanspruch vererblich, wenn der Verletzte ihn noch zu Lebzeiten an- oder rechtshängig macht.
Nein, das trifft nicht zu!
Die grundsätzliche Unvererblichkeit des Geldentschädigungsanspruchs ergibt sich aus der Genugtuungsfunktion. Der Anspruch wäre daher nur dann vererblich, wenn die An- oder Rechtshängigkeit des Anspruchs bereits ausreichend Genugtuung verschafft.
Weder der Eingang der Klage bei Gericht (=Anhängigkeit) noch die Zustellung beim Beklagten (=Rechtshängigkeit) verschaffen dem Verletzten eine gesicherte Position. Sie begründen allenfalls eine Aussicht auf Genugtuung.
Wenn – wie hier – nicht unter den Tatbestand einer Norm sondern allgemeine Grundsätze subsumiert werden muss, sollte methodisch trotzdem gleich gearbeitet werden (erst Maßstabsbildung, dann Subsumtion).
5. Allerdings ist der Geldentschädigungsanspruch vererblich, wenn der Verletzte noch zu Lebzeiten ein vorläufig vollstreckbares Urteil erlangt.
Nein!
Die grundsätzliche Unvererblichkeit des Geldentschädigungsanspruchs ergibt sich aus der Genugtuungsfunktion. Der Anspruch wäre daher nur dann vererblich, wenn ein vorläufig vollstreckbares Urteil bereits ausreichend Genugtuung verschafft.
Dafür spricht die Möglichkeit des Klägers, sich das Geld jedenfalls vorläufig im Wege der Zwangsvollstreckung sichern zu können. Allerdings muss der Kläger mit Rechtsmitteln des Beklagten rechnen. Im Falle einer Abänderung zu Ungunsten des Klägers könnte diesen die Schadensersatzpflicht aus § 717 Abs. 2 ZPO treffen. Der BGH verneint daher auch hier die Vererblichkeit (RdNr. 16). 6. Der Geldentschädigungsanspruch ist vererblich, wenn er dem Verletzten noch zu Lebzeiten formell rechtskräftig zugesprochen wird.
Genau, so ist das!
Genugtuung erlangt der Verletzte nicht erst durch den Erhalt des Geldes im Sinne einer Erfüllung des Anspruchs (§ 362 Abs. 1 BGB). Der Verletzte kann vielmehr bereits dadurch Genugtuung erfahren, dass ihm eine gesicherte Position zugesprochen wird. Dies ist bei einem rechtskräftigen Titel der Fall (BGH, NJW 2017, 3004, 3005f.).
7. Kann W als Erbin des K von A die Geldentschädigung verlangen?
Nein, das trifft nicht zu!
Der Geldentschädigungsanspruch ist nur vererblich, wenn er dem Verstorbenen bereits vor dessen Tod rechtskräftig zugesprochen worden ist.
K ist vor Rechtskraft des Urteils verstorben. W kann von A keine Geldentschädigung verlangen.
Schmerzensgeldansprüche (§ 253 Abs. 2 BGB) sind hingegen immer vererblich. Sie haben primär eine Ausgleichsfunktion. Der Geschädigte soll für das erlittene Leid einen Geldersatz erhalten. Die Vererblichkeit verhindert einen Wettlauf mit der Zeit. Die Angehörigen sollen bei Verletzungen mit Lebensgefahr nicht vor dem Krankenbesuch aus Zeitnot zuerst bei Gericht erscheinen müssen.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.