Nachträgliche objektive Klagenhäufung
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Vermieterin K erhebt Klage gegen B auf ausstehende Miete. Nach Rechtshängigkeit kündigt sie wegen der ausstehenden Miete den Mietvertrag und beantragt zusätzlich Herausgabe der Mieträume.
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Einordnung des Falls
Nachträgliche objektive Klagenhäufung
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Indem K nun zusätzlich die Mietwohnung zurückverlangt, hat sie einen neuen Streitgegenstand in den Prozess eingeführt.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Es handelt sich um eine objektive Klagenhäufung (§ 260 ZPO).
Ja, in der Tat!
3. Die nachträgliche objektive Klagenhäufung der K stellt eine stets zulässige Klageerweiterung dar (§ 264 Nr. 2 ZPO).
Nein!
4. Die nachträgliche objektive Klagenhäufung der K stellt eine Klageänderung dar, die nur unter den Voraussetzungen des § 263 ZPO zulässig ist.
Ja, in der Tat!
5. Ks nachträgliche Klageerweiterung ist nur zulässig, wenn B zustimmt (§§ 263, 267 ZPO).
Nein!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Kate
1.4.2022, 18:31:08
Wieso greift bzgl. der Herausgabe der Wohnung nicht der § 264 Nr. 1 oder § 264 Nr. 2 ZPO?
Lukas_Mengestu
6.4.2022, 10:55:49
hallo Kate, vielen Dank für Deine Frage! § 264 Nr. 1 ZPO behandelt den Fall, dass tatsächliche oder rechtliche Ausführungen ergänzt werden. Dadurch verändert sich der Streitgegenstand nicht und der Klagegrund bleibt unberührt (hier wäre dies zB dadurch erfüllt, wenn V den Vortrag zur ausstehenden Miete dadurch ergänzt hätte, dass sie den Mietvertrag vorlegt oder begründet warum der Mieter kein
Zurückbehaltungsrechthat). Die Erweiterung nach § 264 Nr. 2 ZPO meint zum einen die quantitative Erweiterung (zB statt eines Teilbetrags wird der gesamte geschuldete Betrag eingeklagt) oder die qualitative Erweiterung (zB Übergang von einer Feststellungs- in eine Leistungslage; Klage auf Leistung Zug-um-Zug zu einer Klage auf unbedingte Leistung). Immer geht es aber darum, dass der eigentliche Klagegrund im Wesentlichen der Gleiche bleibt. Zwar ist der Lebenssachverhalt hier identisch. Die beantragte Rechtsfolge ist indes eine andere und auch auf eine andere Anspruchsgrundlage gestützt. Insoweit liegt kein Fall des § 264 Nr. 1 oder Nr. 2 ZPO vor. Im Ergebnis ist in der vorliegenden Situation indes von der
Sachdienlichkeitder
Klageänderungauszugehen, sodass es dennoch nicht der Zustimmung des Beklagten bedarf. Beste Grüße, Lukas- für das Jurafuchs-Team
Geithombre
26.11.2023, 11:15:16
Kleine Verständnisfrage, weil ich gerade an kein Buch komme: bzgl der vorletzten Frage, ob es nur auf § 263 ZPO ankäme, dachte ich an § 267 ZPO. Wird das i.E. in § 263 ZPO "hineingelesen", weil danach die Einwilligung in die Änderung vermutet wird? Denn explizit ist sie ja gerade nicht erklärt, so dass ich ein alleiniges Abstellen auf § 263 ZPO für zu ungenau hielt, aber das war wohl nicht die gewünschte Antwort😅
hannabuma
2.1.2024, 23:35:30
Es gibt drei Zulässigkeitsgründe für die
Klageänderung. 1. Einwilligung des Beklagten (§ 263 Alt. 1) 2. Vermutete Einwilligung des Beklagten (§ 267) 3.
Sachdienlichkeitder Klage (§ 263 Alt. 2). Wie du auch schon sagst ist hier keine Einwilligung erklärt worden, sodass § 263 Alt. 1 schonmal nicht in Betracht kommt. Gleichzeitig liegen aber auch die Voraussetzungen für die vermutete Einwilligung gem. § 267 nicht vor, da hierfür keine Hinweise im Sachverhalt angelegt sind. Somit bleibt nur noch der Zulässigkeitsgrund der
Sachdienlichkeitgem. § 263 Alt. 2, der hier einschlägig ist. Du brauchst den § 267 ZPO also nicht zwingend für die Zulässigkeit der
Klageauswechslung, und er wird auch nicht in § 263 hineingelesen. Wenn Anhaltspunkte dafür im Sachverhalt sind prüfst du ihn separat als Zulässigkeitsgrund.
Fuchsfrauchen
25.2.2024, 00:27:25
Hi! Ich frage mich, wie ich so eine Klageprüfung aufbauen würde. Wenn ich mit der
Klageänderungeinsteigen würde, müsste ich vermutlich erst die nachträglich objektive Klagehäufung erwähnen - ansonsten kann ich schwierig sagen, "wird wie
Klageänderung" behandelt. Um die Klagehäufig aber zu bejahen, müsste ich erst prüfen, ob ich wirklich verschiedene Streitgegenstände habe und irgendwie kommt mir das etwas viel vor, bevor ich überhaupt richtig in die Prüfung einsteige. Ein gutes Schema konnte ich dazu leider noch nicht finden. Vielleicht weiß jemand was dazu? :)
Peter
24.4.2024, 09:45:20
Ich hätte es (im Urteil) jetzt so aufgebaut: Die in der nach
Rechtshängigkeiterfolgte Antragstellung auf Räumung der Mietwohnung liegende
Klageerweiterungist eine zulässige
Klageänderunggemäß § 263 Alt. 2 ZPO. Das ist der Fall, wenn das Gericht die
Klageänderungfür sachdienlich hält, wenn also der bisherige Prozessstoff auch für den neuen Antrag verwertbar ist. Dies ist hier der Fall, da ... . Ein Fall des § 264 Nr. 2 ZPO liegt nicht vor, da es sich nicht um die Erweiterung eines bereits bestehenden
Klageantrags, sondern um einen gänzlich neuen
Klageantraghandelt. Die in der nachträglichen
Klageerweiterungliegende
nachträgliche objektive Klagehäufungist gemäß §§ 260, 261 II ZPO zulässig. Denn aus § 261 II ZPO ergibt sich der Grundsatz, dass ein Anspruch auch erst im Laufe des Prozesses, nämlich nach
Rechtshängigkeiterhoben werden kann. Auch die Voraussetzungen des § 260 ZPO liegen vor. Denn es besteht Parteiidentität, die selbe Prozessart ist statthaft und das Prozessgericht ist für sämtliche Anträge zuständig. Denn sachlich ergibt sich die Zuständigkeit aus ...; örtlich aus § 29a I ZPO ... .
Peter
24.4.2024, 09:49:19
Meine Lösungsskizze dazu sieht (grob) so aus: A Zulässigkeit der
KlageerweiterungI.
Klageänderung1. § 264 Nr. 2 ZPO (-), da neuer Streitgegenstand 2. § 263 Alt. 2 ZPO (+), da sachdienlich II. in I. liegende
nachträgliche objektive Klagehäufung1. grds. zulässige nachträgliche Antragsstellung gemäß § 261 II ZPO 2. VSS § 260 ZPO (+) -> insb. Zuständigkeit des Gerichts (+), §§ ... B. Sonstige Sachurteilsvoraussetzungen der Klage C.
Begründetheit