Zivilrecht
Examensrelevante Rechtsprechung ZR
Entscheidungen von 2017
Flughafen haftet für zu lange Warteschlange bei Sicherheitskontrolle
Flughafen haftet für zu lange Warteschlange bei Sicherheitskontrolle
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K und seine Familie wollen zum Urlaub in die Türkei. Sie checken anderthalb Stunden vor Abflug in München ein. Die Schlange an der Security ist lang. Ein Airport-Mitarbeiter schickt sie zu einer noch längeren Schlange. Die Familie verpasst deshalb den Flug.
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Einordnung des Falls
Flughafen haftet für zu lange Warteschlange bei Sicherheitskontrolle
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Zwischen K und der Flughafen München GmbH, die für den Wartebereich vor der Security zuständig ist, ist ein Vertrag zustande gekommen.
Nein, das ist nicht der Fall!
Jurastudium und Referendariat.
2. Die Airline hat einen vertraglichen Anspruch gegenüber der Flughafenbetreiberin, dass rechtzeitig erscheinende Passagiere auch rechtzeitig zum Abflug am Gate erscheinen können.
Ja, in der Tat!
3. K ist in das Schuldverhältnis Airline-Flughafenbetreiberin nach den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (VSD) einbezogen.
Ja!
4. Die Flughafenbetreiberin hat gegenüber K eine Pflichtverletzung begangen, indem sie K an eine längere Schlange geschickt hat, so dass K den Flug verpasst hat.
Genau, so ist das!
5. K trifft ein Mitverschulden (§ 254 BGB) für den verpassten Flug. Er hätte die Mitarbeiter der Flughafenbetreiberin darauf hinweisen müssen, dass er den Flug voraussichtlich verpassen wird.
Ja, in der Tat!
6. K kann von der Flughafenbetreiberin neben den Kosten für die Ersatzbuchung und die erneute Anfahrt am nächsten Tag auch Schadensersatz wegen vertanen/verkürzten Urlaubs verlangen.
Nein!
7. Die Flughafenbetreiberin hätte auch dann eine Pflichtverletzung gegenüber K begangen, wenn K seinen Flug an der ursprünglichen Schlange ebenfalls verpasst hätte.
Genau, so ist das!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Findingvivi
9.1.2020, 12:41:07
Hätte K dann also einen Anspruch gegen den Reisveranstalter auf Ersatz der verkürzten Urlaubszeit und dieser wiederum einen Regressanspruch gegen die Flughafenbetreiberin? Oder bekommt K den Urlaub überhaupt nicht ersetzt?
Tr(u)mpeltier
1.4.2020, 13:55:10
@Findingvivi: ein solcher Anspruch gegen den Reiseveranstalter bestünde nicht. Denn hierfür bedürfte es (wie auch im sonstigen SE-Recht) zunächst einmal einer Pflichtverletzung des Reiseveranstalters. Da dieser in deinem hypothetischen Fall nichts falsch gemacht hätte, bestünde bereits deshalb kein Schadensersatzanspruch.
Jana-Kristin
21.6.2020, 10:40:26
Einschlägig ist bei dem Mitverschulden des K - wenn man es genau nimmt - 254 II S. 1 BGB (Schadensminderungspflicht). Eine solche
Obliegenheitsverletzung sehe ich mE nicht darin, dass er den Flughafenbetreiber nicht auf den baldigen Abflug aufmerksam gemacht hat, sondern darin, dass er „nur“ 1,5 Stunden vor dem Abflug am Flughafen war.
Christian Leupold-Wendling
21.6.2020, 11:45:03
Hi Jana-Kristin, Danke für die Anmerkung! § 254 Abs. 2 S. 1 BGB ist uE hier nicht einschlägig: § 254 Abs. 2 BGB ist ein besonderer Anwendungsfall des in § 254 Abs. 1 BGB ausgesprocheneren allgemeinen Grundsatzes. Grüneberg, in: Palandt, 76.A. 2017, § 254 RdNr. 36: Die Warnpflicht nach § 254 Abs. 2 S. 1 BGB „besteht nur, wenn der Geschädigte die Möglichkeit eines besonders hohen Schadens erkannt hat oder erkennen konnte. Es genügt nicht, dass überhaupt ein Schaden droht.“ Hier droht uE kein besonders hoher Schaden. Jedenfalls ist der nicht vergleichbar mit den Fällen, zu denen es Rspr. gibt. Das Gericht (AG Erding) hat hier auf § 254 Abs. 1 BGB abgestellt. Die Frage, ob 1,5h Checkin (nicht: Ankunft am Flughafen) vor Abflug ausreichen, ist sicher eine Wertungsfrage.
Jana-Kristin
21.6.2020, 11:58:15
Hi Christian, deine Ausführungen überzeugen mich! Danke für die schnelle Antwort.
Christian Leupold-Wendling
21.6.2020, 17:53:01
Freut mich! Und: sehr gern.
Blackpanther
22.3.2022, 11:18:34
Wäre nicht auch ein Anspruch des K gegen die Fluggesellschaft denkbar, die sich ihrerseits der Flughafenbetreiberin als Erfüllungsgehilfin, § 278 BGB, bedient?
Lukas_Mengestu
23.3.2022, 14:43:13
Hallo Blackpanther, guter Gedanke. Die Zurechenbakeit des Handelns des Flughafenbetreibers zur Fluggesellschaft wird in der Rechtsprechung höchst unterschiedlich behandelt (Überblick: Anm. zu AG Erding, Endurteil v. 23. 8.2016 - 8 C 1143/16, DAR 2018, 520). Dabei wird maßgeblich nach Verantwortungs- und Risikosphären abgegrenzt. Eine höchstrichterliche Entscheidung steht hier noch aus. Im Hinblick auf die Verzögerung bei der Sicherheitskontrolle hatte aber beispielsweise das AG Rüsselsheim (BeckRS 2015, 121192) eine Zurechnung mit dem Argument verneint, dass dies als hoheitliche Aufgabe gerade nicht dem Aufgabenbereich der Fluggesellschaft zurechenbar sei. Das AG Frankfurt/Main hatte dagegen mit Blick auf fehlerhafte Vorbereitung des Flugzeugs durch den Betreiber eine Zurechnung bejaht (vgl. NJW-RR 2010, 1360). Denn hier werde der Betreiber gerade im Einfluss- und Verantwortungsbereich der Gesellschaft tätig. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Blackpanther
23.3.2022, 15:29:03
Danke für die schnelle Antwort! Gegen die Auffassung des AG Rüsselsheim spricht m.E., dass auch wenn nur der Betreiber unmittelbar durch öR zur Kontrolle verpflichtet ist, auch die Fluggesellschaft durch die Kontrollen ihrer (im Flugverkehr sehr strengen) Verkehrssicherungspflicht nachkommt. § 278 nur aufgrund einer öR Pflicht zu verneinen wäre sicher auch in anderen Branchen (z.B. Lebensmittelproduktion) in denen sich Unternehmen externer Gehilfen bedienen, um zB. Laborkontrollen durchzuführen, zu denen sie ör verpflichtet sind, bedenklich. Jeden falls würde die Bejahung des § 278 dazu führen, dass die Schutzbedürftigkeit als Voraussetung des VSD verneint werden müsste, oder?
Lukas_Mengestu
24.3.2022, 09:09:31
In der Tat, denn dann bestünde ein eigener vertraglicher Anspruch :-)