Zivilrecht

Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Entscheidungen von 2020

Gewohnheitsrechtliches Wegerecht aufgrund jahrzehntelanger Duldung durch den Nachbarn?

Gewohnheitsrechtliches Wegerecht aufgrund jahrzehntelanger Duldung durch den Nachbarn?

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K ist Eigentümer eines Grundstücks, auf dem ein Reihenhaus steht. Vorne ist es an eine öffentliche Straße angebunden. Hinter dem Haus steht eine baurechtlich nicht genehmigte (und nicht genehmigungsfähige) Garage, die nur über einen seit Jahrzehnten genutzten Weg über das Grundstück des B erreichbar ist. Zudem nutzt K den Weg, um seine Mülltonnen - die nicht durch den Hausflur passen - zur Straße zu bringen. Im Grundbuch ist kein Wegerecht zugunsten des K eingetragen. B sperrt den Weg mit einem Tor.

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Einordnung des Falls

Gewohnheitsrechtliches Wegerecht aufgrund jahrzehntelanger Duldung durch den Nachbarn?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K hat gegen B einen Unterlassungsanspruch bzgl. der Sperrung des Weges, wenn ihm ein dingliches oder ähnliches Recht zur Nutzung des Grundstücks des B zusteht (§§ 1027, 1004 BGB).

Genau, so ist das!

Der Unterlassungsanspruch des K und eine entsprechende Duldungspflicht des B können sich aus §§ 1027, 1004 BGB ergeben. Voraussetzung dafür ist das Bestehen eines Rechts des K, das durch B rechtswidrig beeinträchtigt wird. In Betracht kommt hier ein Wegerecht als eine Grunddienstbarkeit im Sinne der §§ 1018, 1027 BGB, mit dem das Grundstück des B belastet sein könnte. Als dingliches Recht setzt die Entstehung des Wegerechts grundsätzlich die dingliche Einigung und Eintragung ins Grundbuch voraus (Weber in: Staudinger, 2017, § 1018 RdNr. 18).
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2. Ein Wegerecht kann sich auch aus Gewohnheitsrecht ergeben.

Ja, in der Tat!

In der Rechtsprechung ist allgemein anerkannt, dass auch Wegerechte unter bestimmten Voraussetzungen gewohnheitsrechtlich entstehen können (RdNr. 7 und 9 mit Nennung weiterer Urteile). Gewohnheitsrecht entsteht nach der Rechtsprechung durch längere, tatsächliche Übung, die eine dauernde und ständige, gleichmäßige und allgemeine ist und von den Beteiligten als verbindliche Rechtsnorm anerkannt wird. Es enthält als ungeschriebenes Recht eine generell-abstrakte Regelung, die über den Einzelfall hinausweisen muss. Dabei muss Gewohnheitsrecht aber kein "Jedermann-Recht" sein; es gibt auch örtlich begrenztes Gewohnheitsrecht (RdNr. 8f.).

3. Wegen der jahrzehntelangen Nutzung hat K ein gewohnheitsrechtliches Wegerecht erworben.

Nein!

Gewohnheitsrecht entsteht nach der Rechtsprechung durch längere, tatsächliche Übung, die eine dauernde und ständige, gleichmäßige und allgemeine ist und von den Beteiligten als verbindliche Rechtsnorm anerkannt wird. Es enthält als ungeschriebenes Recht eine generell-abstrakte Regelung, die über den Einzelfall hinausweisen muss. BGH: Als eine dem Gesetz gleichwertige Rechtsquelle könne Gewohnheitsrecht nur zwischen einer Vielzahl von Rechtsindividuen und in Bezug auf eine Vielzahl von Rechtsverhältnissen entstehen, nicht aber beschränkt auf das konkrete Rechtsverhältnis zwischen K und B. Die Annahme eines solchen konkreten Gewohnheitsrechts führte zu einer nicht im Grundbuch eingetragenen Grunddienstbarkeit; das sehe das BGB nicht vor (RdNr. 9ff.).

4. K hat gegen B einen Unterlassungsanspruch bzgl. der Sperrung des Weges, wenn ihm ein Notwegerecht zusteht (§ 917 Abs. 1 BGB).

Genau, so ist das!

§ 917 Abs. 1 BGB gestattet die Inanspruchnahme eines benachbarten Grundstücks als Notweg, wenn dem betreffenden Grundstück die zur ordnungsgemäßen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Weg fehlt. Entsprechend dazu hat der Nachbar diese Benutzung zu dulden; einer Beeinträchtigung dieses Notwegrechts kann mit dem Unterlassungsanspruch aus § 1004 BGB begegnet werden. § 917 Abs. 1 BGB setzt eine durch das Fehlen einer Verbindung nach außen hervorgerufene Notlage des Grundstücks voraus. Eine solche besteht nicht, wenn eine andere Verbindungsmöglichkeit ebenfalls die ordnungsgemäße Grundstücksbenutzung gewährleistet.

5. Der Weg über das Grundstück des B ist für eine ordnungsgemäße Nutzung des Grundstücks des K notwendig. K hat ein Notwegerecht.

Nein, das trifft nicht zu!

Der Notweg muss für eine ordnungsmäßige Nutzung des Grundstücks des K erforderlich sein. BGH: Die Nutzung einer Garage, die baurechtlich nicht genehmigt und mangels Erschließung im Sinne von § 30 Abs. 2 BauGB auch nicht genehmigungsfähig ist, sei nicht ordnungsmäßig. Für die Erschließung genüge ein Notweg nach § 917 BGB nicht. Auch Nachteile aus dem Umstand, dass K die Mülltonnen durch das Wohnhaus hindurch zur Straße bringen müsste, könnten ein Notwegrecht nicht rechtfertigen - es sei K zumutbar, kleinere Mülltonnen zu beschaffen, die durch den Hausflur passen, um den Transport durch das Haus zur Straße zu ermöglichen (RdNr. 27ff.).
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